Insbesondere die Diskriminierung von Menschen mit physischen oder psychischen Diagnosen durch die Personenausfallversicherung steht im Fokus. Diese gängige Praxis erfordert von potenziellen Schauspieler*innen und Crewmitgliedern eine umfassende Selbstauskunft über ihre Gesundheit und setzt sie damit einer starken Verletzlichkeit aus.
In Zusammenarbeit mit einem wissenschaftlichen Student*innenteam hat das „Netzwerk Inklusion – Filmemacher*innen mit Behinderungen und Diagnosen und Verbündete“ eine Umfrage durchgeführt, um die Auswirkungen dieser Praxis zu erforschen. Die Ergebnisse, zusammengetragen von 196 Teil- nehmenden, verdeutlichen die gravierenden Bedenken und Ängste der Betroffenen sowie die strukturelle Benachteiligung, der sie ausgesetzt sind.
Die Umfrageergebnisse bieten einen fundierten Einblick in die Personenaus- fallversicherung in der Film- und Fernsehproduktion. Sie zeigen die Ablehnung der Praxis durch die Mehrheit der Befragten und die Gleichheit in der Ausfall- häufigkeit zwischen Menschen mit und ohne Diagnosen.
Diese Ergebnisse sind von unschätzbarem Wert für die Bewertung der Versicherungspraxis aus der Perspektive der Künstler*innen und liefern wichtige Erkenntnisse über die Barrieren, denen Menschen mit Behinderungen in der Filmbranche gegenüberstehen. Im Folgenden nun die Auswertung der Umfrage von Feline Griesel, Yannik Lydssan und Kristin Suckow.
Umfrage Filmversicherungen:
Die Umfrage lässt Zweifel an der Ethik und Wirksamkeit der Versicherungspraxis aufkommen
Die Personenausfallversicherung diskriminiert Menschen mit physischen oder psychischen Diagnosen und Behinderungen, die in Deutschland an einer Film- oder Fernsehproduktion mitwirken möchten – dennoch ist sie gängige, kaum hinterfragte Praxis. Wer in den Augen der Versicherungen ein zu großes Risiko für eine Produktion darstellt, wird von dieser ausgeschlossen oder nur gegen einen deutlichen Aufpreis versichert. Damit Versicherungen diesbezüglich eine Einschätzung treffen können, müssen alle potentiellen Schauspieler*innen und Crewmitglieder eine umfassende Selbstauskunft über ihre Gesundheit einreichen und sogar ihre Ärzt*innen der Schweigepflicht entbinden. Dieses Vorgehen ist nicht nur ein Eindringen in empfindlichste Teile der Privatsphäre, sondern macht die Teilnahme für Menschen mit Behinderungen, chronischen Krankheiten oder anderen Diagnosen an Filmproduktionen äußerst schwierig.
Um die Auswirkungen dieser Praxis besser zu verstehen, hat das „Netzwerk Inklusion – Filmemacher*innen mit Behinderungen und Diagnosen und Verbündete“ in Kooperation mit zwei Forscher*innen eine Umfrage unter Menschen durchgeführt, die vor und hinter der Kamera arbeiten. Hierbei lag das Augenmerk auf den Erfahrungen, die Personen in Zusammenhang mit der Selbstauskunft gemacht haben, sowie ihren Gefühlen und Einstellungen zu dieser Vorgehensweise. Außerdem wollten wir herausfinden, ob es signifikante Unterschiede gibt zwischen den Berichten von Menschen, die eine Behinderung, eine chronische Krankheit oder eine andere Diagnose haben, und von denjenigen, die keine haben. Die Umfrage wurde von Juli bis August 2023 in den Netzwerken der Filmschaffenden verteilt sowie in den Sozialen Medien beworben (Pro Quote Film, 2023) und erreichte 196 Teilnehmende.
Die Ergebnisse
Die Umfrageergebnisse lassen ernsthafte Zweifel an der Ethik und Wirksamkeit der Versicherungspraxis aufkommen und zeigen die negativen materiellen und psychologischen Folgen auf.
Die wesentlichen Erkenntnisse lassen sich in vier Punkten zusammenfassen:
1. Popularität: Die Selbstauskunft ist bei den Befragten nicht sehr beliebt. Die Mehrheit (84 %) lehnt die Praxis als „unan- gemessen“ ab.
2. Ängste und Sorgen: Drei von vier Befragten haben Bedenken und Ängste, die Selbstauskunft auszufüllen. Diese Ängste und Befürchtungen sind bei Menschen mit Behinderungen, chronischen Krankheiten oder anderen Diagnosen noch deutlich stärker ausgeprägt. Sie sind wesentlich mehr besorgt, dass die Informationen von ihren Arbeitgeber:innen eingesehen werden könnten (85 % gegenüber 69 %), und ihre Befürchtung, dass dies ihren derzeitigen oder künftigen Arbeitsplatz gefährden könnte, ist doppelt so groß (72 % gegenüber 36 %).
3. Drehausfallhäufigkeit: Entgegen den Erwartungen, die durch die Versicherungspraxis geschürt werden, haben Menschen mit Behinderungen, chronischen Krankheiten und anderen Diagnosen nahezu dieselbe Ausfallhäufigkeit wie Menschen ohne Dia- gnosen (14 % gegenüber 13 %).
4. Beschäftigungsverhältnis: Die Häufigkeit einer festen Anstellung war bei unseren Befragten fast doppelt so hoch, wenn sie keine Behinderung, chronische Krankheit oder eine andere Diagnose hatten (45 % gegenüber 24 %).
Die Ergebnisse unserer Umfrage stellen einen ersten umfassenden, empirisch fundierten Blick auf die Personenausfall- versicherung in Film- und Fernsehproduktionen dar und sind von unschätzbarem Wert für die Bewertung der Versicherungspraxis aus der Perspektive der Künstler*innen.
Es zeigt sich nicht nur, dass Menschen mit Behinderungen, chronischen Krankheiten oder anderen physischen und psychischen Diagnosen unter struktureller Benachteiligung und stärkerer psychischer Belastung durch diese Praxis leiden, sondern dass die Selbstauskunft von einer überwältigenden Mehrheit abgelehnt wird. Dabei gilt zu beachten, dass wir mit unserer Umfrage nur Betroffene erreicht haben, die noch in der Branche arbeiten. Eine unbekannte Zahl von Betroffenen ist entweder schon ausgestiegen oder aufgrund dieser und anderer Barrieren, die die Filmindustrie aufweist, gar nicht erst dazu gekommen, an einer Filmproduktion mitzuwirken.
Feline Griesel | Yannik Lydssan | Kristin Suckow, Dank an Elena Weiß und Johanna Polley AGInklusion@proquote-film.de
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