Volker Helfrich ist ein deutscher Schauspieler, der vor allem in China arbeitet. Nach seinem Schauspielstudium an der Schauspielschule Genzmer in Wiesbaden arbeitete er am Theater und spielte in ver- schiedenen deutschen TV-Produktionen mit. 2006 ging Volker Helfrich nach China, um die Sprache und das Land kennenzulernen. Da sich nach seiner Rückkehr in Deutschland schauspielerisch kein Erfolg einstellte, kehrte er bald nach Peking zurück um dort zu leben. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zunächst als Fotomodell. Nach an-fänglichen Schwierigkeiten arbeitet Helfrich erfolgreich unter dem Namen Fuleke (福fu:Glück-乐le:Freude-克ke:Gramm) in chinesischen Film- und Fernsehproduktionen. Er beherrscht die chinesische Sprache Mandarin in Wort und Schrift. Daneben spricht er auch Französisch und Englisch.
Gibt es in China noch Nudeln und Klopapier? Oder anders gefragt: Wie sieht Dein Alltag seit dem Ausbruch von Corona aus?
In China gab und gibt es keine echten Versorgungsengpässe, von der teilweise unverschämten Geschäftemacherei bei Desinfektionsmitteln und Gesichtsmasken mal abgesehen. Der Ausbruch der COVID19-Infektionen wurde ja zuerst sträflich ein paar Wochen verschwiegen, beziehungsweise geleugnet oder als Panikmache bezeichnet, dann aber als ernst zu nehmend erkannt und mit landesweiten, rigorosen Maß- nahmen auf militärischem Niveau reagiert. Dadurch, dass diese Maß-nahmen genau zum chinesischen Frühlingsfest begonnen hatten, konnten viele Chinesen nicht zurück zu ihren Familien. Auch jetzt gibt es noch immer große Probleme beim Reiseverkehr, aber die Chinesen haben mit ein paar Ausnahmen diese Maßnahmen akzeptiert und sind froh, zumindest die Neuinfektionen fast auf null eingedämmt zu haben. Aber das Leben in Peking ist noch lange nicht zurück auf normal. Die Schulen und die meisten Firmen sind geschlossen, viele bankrott. Nach fast zweieinhalb Monaten atmet man hier etwas auf, aber die Angst ist noch spürbar. Man ist sehr vorsichtig, die harten Maßnahmen haben wirklich was genutzt.
Du verfolgst die Lage in beiden Ländern:
Wo liegen Unterschiede? Was wäre Dein wichtigster Tipp an Europäer?
Es ist immer schwierig ein riesiges und bevölkerungsreiches Land wie China mit anderen europäischen Ländern zu vergleichen. Nach 14 Jahren in China sehe ich keine Unterschiede zwischen den Menschen an sich, allerdings sind die gesell-schaftlichen Unterschiede und das Verhalten des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft in asiatischen Ländern generell anders als im Westen. Besonders stark ist da bekanntermaßen der Unterschied zu den USA. Diese Pandemie wird, neben den vielen Toten, auch massive gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen. Der wirtschaftliche Schaden ist bereits enorm, und nun ist internationale Zusammenarbeit notwendig, in Europa und anderswo, mehr als je zuvor. Klar hat man im Westen die chinesische Regierung zu Recht dafür verurteilt, den Ausbruch der Epidemie und die Whistleblower anfangs totgeschwiegen zu haben. Was dann allerdings in den Monaten danach in Europa und Amerika geschah, ist in meinen Augen noch viel schlimmer. Man hat trotz aller Informationen aus China („kein Vertrauen in die Zahlen“) die kommende Gefahr heruntergefaselt. Der Westen hat nicht sehen wollen, was da kommt, und die Schuld auf China geschoben, was auch in Bezug auf die Pandemie-Bekämpfung sehr kontraproduktiv ist. Also haben die Verantwortlichen in Europa und anderswo wertvolle Vorbereitungszeit vergeudet, um die Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Und nun fehlt es an entsprechendem Gerät und Schutzbekleidung. Diskussionen über Mund-schutz, „Ausgangssperren“ und andere Maßnahmen hin oder her: Es geht erst einmal um Menschenleben und um den Schutz von Ersthelfern und medizinischem Personal! Jetzt sieht man plötzlich, dass es ein Drahtseilakt wird – auch in Deutschland. Wenn die medizinische Versorgung zusammenbricht, erleben wir in Deutschland eine Katastrophe wie derzeit in Italien und Spanien. Natürlich wollen wir nicht, dass der Staat unser gesellschaftliches Leben dermaßen reglementiert, und solche Maßnahmen müssen verschwinden, wenn der Coronavirus es auch tut. Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien, und der damit verbundene Rassismus, sind nutzlos und gefährlich, da ist dieses simple Virus viel schlauer als die meisten Menschen. Das Virus macht nämlich keinen Unterschied, woher die Leute kommen und hat schon früh sämtliche Landesgrenzen missachtet. Die Frage woher COVID19 kommt, spielt erst mal keine Rolle und wird, genau wie bei AIDS und anderen Epidemien, vermutlich unbeantwortet bleiben.
Gibt es momentan noch Produktionen oder wurden alle Drehs gestoppt?
Es wurden Anfang des Jahres alle Produktionen gestoppt, nur ein paar wenige Produktionen haben das überstanden. Es ist noch immer nicht möglich, wie üblich zu drehen, und ich denke, das wird in diesem Jahr größtenteils so bleiben. Anfangs konnten einige Produktionen noch ins Ausland ausweichen. Jetzt kann man eigentlich nur in kleinen Teams und in kleinen, gesicherten Studios drehen und ist auf kostspielige digitale Nachbearbeitung angewiesen. In den letzten drei Jahren hatte die TV- und Filmindustrie wegen Steuerhinterziehungs-Skandalen und anderen großen Unsauberkeiten durch die stärkere Zensur noch dazu einen Zusammenbruch von über 50 Prozent erfahren. COVID19 hat den verbleibenden Produktionen und vielen hartgesottenen Filmschaffenden einen weiteren Todesstoß verpasst. Die meisten Schauspieler*innen und Filmschaffenden unter meinen Kontakten haben keine Arbeit und wissen auch nicht wie es weitergehen soll. Staatliche Hilfen gibt es nicht für sie, so viel zum Thema Kommunismus. Einige „Schauspielagent*innen“ haben früh ihr Geschäftsmodell angepasst und handeln mit Atemschutzmasken und Gesundheitsfirlefanz im großen Stil. Ich hatte im vorletzten Jahr bereits gemerkt, dass es in meinem Fall unmöglich wird, sauber weiterzudrehen. Mit einer eigenen Firma mit offiziellem Visum und korrekten Steuerzahlungen bin ich derjenige, der „die Regeln bricht“, indem ich sauber meine Einnahmen deklariere. Ich war zuletzt gezwungen, ein Drittel meiner Bruttoeinnahmen den „Vermittler*innen“ abzudrücken (ohne Beleg)… Ich habe in China sehr viele gute und teilweise wichtige Rollen in großen Produktionen gespielt. So bin ich reich geworden an Erfahrungen – wirklich gut verdient haben andere. Vielleicht ändert sich das in den nächsten Jahren. Ich hoffe jedenfalls in Zukunft, oft nach China zurückkehren zu können, nicht nur, um Freunde in Peking zu besuchen, sondern vielleicht auch, wieder als Schauspieler projektweise zurückzukommen. Aber in den letzten Jahren waren für mich die Erfahrungen hinter der Kamera bezüglich Korruptio und Zensur dreimal anstrengender als meine Arbeit als Schauspieler. Und da sind die Bedingungen auch oft das Gegenteil von Hollywood.
Die deutsche Bundesregierung schnürt riesige Hilfspakete für die Wirtschaft, auch Künstler*innen und Kreative sollen unterstützt werden. Gibt es diese Entwicklung auch in China?
Nein.
China war in einigen Bereichen (IT-Vernetzung) Europa ja schon voraus. Gibt es seitdem im Kunstbereich mehr digitale Angebote (Fokus Schauspieler*innen) als zuvor?
Es gibt in China immer mehr Produktionen, die für diverse digitale Streaming-Plattformen produziert werden. Da kontrolliert die Zensur aber fast genauso stark den Content wie im Staatfernsehen. Für die Schauspieler*innen gibt es weniger Geld und zwischendurch müssen die auch noch in Werbe-Unterbrechungen den Hampelmann machen, was mir wehtut zu sehen. Die Kinos bleiben auch hier noch eine Weile geschlossen, und Kinoproduktionen stattdessen als Streamingangebot zu verwerten, macht sich nicht bezahlt. In Zukunft wünscht sich die Regierung einen stärkeren persönlichen Einsatz der Filmschaffenden im Interesse der Partei. Ich habe des Öfteren in TV- und Filmproduktionen auch meine persönliche Schmerzgrenze ignoriert. 2019 habe ich in zwei Theaterproduktionen der staatlichen Propaganda als Schauspieler „gedient“. Das kann und wird in Zukunft nicht die Basis meiner Arbeit sein. Wenn ich nun einige Kolleg*innen in China sehe, die sich auf TikTok und anderen selbstgemachten Handyvideos promoten, dann tut mir das in der Seele weh. Wenn das die digitale Zukunft sein soll, dann ohne mich. Ich hatte meinen Marktwert als Schauspieler durch chinesische TV-Produktionen mit sehr viel Text und Arbeitsaufwanderreicht und dabei versucht, schmerzfrei unter den extremen Arbeitsbedingungen mich sehr kooperativ für das bestmögliche Resultat abzumühen. Glücklicherweise ist so ein riesiges, abwechslungsreiches Portfolio entstanden. Ich habe von allen Erfahrungen – auch von den negativen – besonders viel lernen können. Ich habe etwa zwei Jahre für diverse Produktionen gedreht, die dann nie gesendet wurden, durfte somit auch einige kreative Katastrophen hautnah miterleben. Das ist auch was wert. Vielleicht kann ich das auch irgendwie humorvoll verwerten. Die Fortschritte in der Digitalisierung sind super für das klassische Kino. Und Streamingdienste werden auf Dauer das klassische Fernsehen verändern. Ich schaue Fernsehen nur noch ab und zu im Hotel, Serien schaue ich online, je nachdem, wann ich wieviel Zeit habe. E-Castings sind zwar oft unvermeidlich, allerdings auch sehr unzuverlässig, solange man nicht dabei kommuniziert und online echte Probeaufnahmen live macht, aber vielleicht denke ich zu sehr oldschool. Jedenfalls habe ich in China nicht die Erfahrung gemacht, dass diese Form von Casting die besseren und flexibleren Schauspieler*innen fokussiert. Es macht einfach mehr Sinn, mal 20 Minuten wirklich probeweise an einer Szene zu arbeiten.
Was sind Deine Pläne für die Zukunft und wo sind die?
Ich denke früher oder später finde ich als Schauspieler auch wieder Arbeit in Deutschland, gerne auch Theater. 2020 wird diesbezüglich etwas schwierig. Ich werde wohl genug Zeit haben, an zwei Buchprojekten weiterzuschreiben. In Bezug auf China hab ich einige sehr unterschiedliche Ideen. Und bevor ich als Schauspieler nur noch am Hungertuch nage, versuche ich gegebenenfalls mit meinen China-Erfahrungen auf Produktionsseite behilflich zu sein. Es gibt ja noch Industrie und Werbung und 1,4 Milliarden chinesische Konsument*innen. Gesund bleiben und das Beste aus meinen Erfahrungen machen, das ist der Plan. Jedenfalls freue ich mich auf einen neuen Anfang. Ich habe nun schon sehr lange ohne Verdienst darauf gewartet, da kommt jetzt es auf den Monat April auch nicht an – wird schon gehen. Dann fange ich finanziell eigentlich wieder bei null an, genauso wie 2006, als ich nach Peking kam. Das chinesische Wort für Krise (危机 weījī) setzt sich zusammen aus zwei Schriftzeichen: Gefahr und Chance. Ich versuche, mich auf die Chance zu konzentrieren ohne die Gefahr zu unterschätzen.
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.
Stand vom 5. April 2020 | via Facebook Messenger
Im April gibt es keinen Direktflug von Peking nach Deutschland, andere werden wohl storniert. Das ist etwas nervig ... zumal es in Peking praktisch keine Neuinfektionen gibt. Mein Flug wurde storniert, vielleicht bekomme ich ein Ticket für den ersten Mai. Jetzt gibt es nur noch ganz wenige Flüge, und die kosten etwa das Fünffache! Früher oder später bin ich ganz bestimmt zurück, ansonsten geht’s mir gut. Wenn ich in Frankfurt ankomme, werde ich wohl abgeholt und kann direkt eine kleine Wohnung in Kaiserslautern beziehen. Dann muss ich wohl nochmals in Quarantäne – Nummer 3 – was soll’s.
Update vom 12. Mai 2020
Leider wurde der Flug für den 1. Mai gestrichen. Am 2. Juni steht nun hoffentlich sein Flug nach Deutschland bereit …
www.facebook.com/volker.helfrich
#BeCreativeAtHome! Volker Helfrich aus Peking
#BeCreativeAtHome! – eine Initiative von casting-network
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