Christoph Schnee ist ein deutscher Regisseur, der sich unter anderem für Projekte wie „Mord mit Aussicht“, „Kückückskind“, „Matze, Kebab und Sauer- kraut“ oder „Goldjungs“ verantwortlich zeigt. Er studierte Philosophie, Germanistik, Theater-, Film-, Fernseh- und Musikwissenschaften und begann seine Laufbahn als Regieassistent an den Wuppertaler Bühnen. Im Anschluss daran folgte ein Regievolontariat beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) in Köln. Er ist im Bereich SitCom/Serie mehrfach mit dem deutschen Fernsehpreis und dem deutschen Comedypreis ausgezeichnet worden. Er ist der Regisseur der Filmkomödie „Weil wir Champions sind“, in dem es um eine Basketball- mannschaft von Menschen mit geistiger Behinderung geht.
Nina Philipp ist eine deutsche Produzentin, die für Constantin Television arbeitet. Nach ihrem Studium zur Kommunikationswirtin begann sie ihre Tätigkeit in der Filmbranche zunächst als Autorin bei Formaten wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. In den folgenden Jahren wechselte sie auf die Produzentenseite und brachte für Wiedemann & Berg und die Grundy Ufa verschiedene Serienformate und Spielfilme wie „Wege zum Glück“ oder „Block B“ auf den Weg. Unter dem Dach der Constantin zeigte sie sich zuletzt verantwortlich die ARD Serie „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ von der OLGA Film. In diesem Jahr realisierte sie für die Constantin TV den Film „Weil wir Champions sind“, der 2022 bei RTL+ ausgestrahlt werden soll.
Wir sprachen mit den beiden über das Projekt „Weil wir Champions sind“, dessen Hauptcast zu großen Teilen mit Schauspieler*innen mit Behinderung besetzt wurde. Es handelt sich um ein Pilotprojekt mit sehr viel Spirit, das sehr gut den Prozess des kreativen Inszenierens und Produzierens mit einer überzeugenden und effektiven Verzahnung von Drehbuch-Casting-Coaching verdeutlicht. Der Film wurde von der Film- und Medienstiftung NRW mit einer Fördersumme von 1 Million Euro bedacht.
Wie kam das Projekt „Weil wir Champions sind“ zustande?
Nina Philipp: Als ich den jüngsten Sohn von Christoph kennenlernen durfte, war das meine erste Begegnung mit einem Menschen mit Downsyndrom. Und obwohl ich dachte, dass ich ein offener, zugänglicher und kontaktfreudiger Mensch bin, ist mir aufgefallen, wie unsicher ich anfangs im Umgang mit ihm war. Ich hatte Angst etwas „falsch“ zu machen, mich nicht „richtig“ zu verhalten, wodurch einige sehr komische Situationen entstanden sind. Und so reifte in mir die Idee, diese eigene Unbeholfenheit als Basis für einen Filmstoff zu nutzen. Eine Komödie, die für mehr Sichtbarkeit dieser besonderen Menschen sorgen könnte. Und nachdem Christoph mir von der Sportbegeisterung seines Sohnes in einem inklusiven Sportverein erzählte und wie viel Spaß diese Mannschaft bei den gemeinsamen Trainingsstunden hatte, da wussten wir beide, dass wir ein geeignetes Setting für die Geschichte gefunden hatten. Im Zuge der Recherche sind wir dann auf den spanischen Kinofilm „Campeones“ gestoßen, der sehr erfolgreich war und in Deutschland kaum wahr- genommen wurde. Und das war im Grunde genau die Geschichte, die wir erzählen wollten, denn es ging um eine Basketballmannschaft, die aus Menschen mit geistigen Behinderungen besteht und sich durch ein Leben voller Vorurteile kämpft. Daraufhin haben wir uns um die Remake-Rechte bemüht und fanden mit Bernd Reichart und Sascha Schwingel bei der RTL Gruppe sehr schnell Partner, die ebenso wie wir für dieses besondere Projekt brannten.
Hatte die spanische Produktion auch persönliche Berührungspunkte mit dem Thema?
Christoph Schnee: In Spanien basierte die ursprüngliche Idee auf einer wahren Begebenheit: Bei den Special Olympics (einem internationalen Turnier mit geistig behinderten Teilnehmern) wurde der spanischen Basketballmannschaft im Nachhinein die Goldmedaille wieder aberkannt, weil einige Spieler nicht den notwenigen Grad der Behinderung erfüllten. Dies führte zu einer völligen Frustration, einer maßlosen Enttäuschung und einer innerlichen Abkehr eines Spielers mit Behinderung. Da dies originär in Spanien so stattgefunden hat, haben wir uns entschlossen, diesen Teil der Erzählung bei unserer Adaption heraus- zunehmen. Die grundsätzliche Thematik und sehr viele Szenen der Basketballmannschaft der Menschen mit geistiger Behinderung haben wir übernommen. In der Privatsituation des Trainers Andreas Ellguth, gespielt von Wotan Wilke Möhring, haben wir dagegen einiges anders aufgebaut. Wir waren von Beginn an im Kontakt mit der spanischen Produktion und im ständigen Austausch.
Gab es einen kreativen Austausch zwischen Ihnen beiden?
Christoph Schnee: Natürlich gab es zunächst mal die ganz praktisch-kreative Unterscheidung, dass Nina die Produzentin ist und ich der Regisseur. Dadurch, dass wir uns schon von einem vorhergehenden Projekt kannten, was gut funktioniert hat, kannten wir auch die gemeinsamen Arbeitsabläufe und haben uns da sehr viel zugearbeitet.
Nina Philipp: Wir haben zum Beispiel beim Umschreiben des Stoffes auch mit den Autoren Oliver Philipp und Andreas Fuhrmann Hand in Hand gearbeitet. Auch der ganze Castingprozess wurde gemeinsam erarbeitet, und wir hatten glücklicherweise das Vertrauen vom Sender, der uns dort komplett freie Hand gegeben hat.
Was genau waren die ersten Casting-Schritte?
Und warum fiel der/die ein*e oder andere Kandidat*in durchs Castingraster?
Christoph Schnee: Wir wollten natürlich das Mannschafts- und Spielprinzip vom Basketball beibehalten. Wir hatten ganz am Anfang einen Schauspieler, der sich aufgrund seiner Behinderung nicht länger als zehn Sekunden auf den Beinen halten konnte. Das ist natürlich, trotz jeder Idee der Inklusion, unmöglich, denjenigen in eine Basketballmannschaft zu stecken. Unsere fertige Mannschaft musste dennoch nicht perfekt spielen können. Wir hatten übrigens mit Regine Reiser, einer professionellen Trainerin von den Telekom Baskets, eine fantastische Unterstützung, die unseren Schauspieler*innen in vier Wochen so viel beigebracht hat – das war wirklich phänomenal.
Nina Philipp: Wir haben auch die Grundstruktur einiger Figuren oder Dialoge des spanischen Originals übernommen. Auch mit dem Hintergedanken, dass Struktur in der Arbeit eine gute Basis für ein kreatives Ausprobieren ist. Die Struktur gibt eine gewisse Sicherheit, und gerade bei einem so ambitionierten Projekt war uns diese Sicherheit wichtig.
Wie gestaltete sich der Castingprozess?
Nina Philipp: Bei diesem Film war es komplett anders, denn die Schauspieler*innen, die wir gesucht haben, sind ja in keiner Agentur. Daher stellte sich die erste Frage: Wie finde ich diese Schauspieler*innen mit Behinderungen überhaupt? Die hochgeschätzte Casterin Iris Baumüller konnte mit ihrem Team das umfangreiche Scouting für diesen besonderen Castingprozess nicht alleine stemmen. Denn wir mussten alle infrage kommenden Einrichtungen, Behindertenwerkstätten, Sportvereine und freien inklusiven Theater- gruppen anschreiben und besuchen, um Schauspieler*innen mit Behinderungen zu finden, die Lust hatten bei dem Film mitzuspielen. Also haben wir mit Sven Harjes einen zusätzlichen Scout engagiert, der durch die Republik gefahren ist und alle Einrichtungen persönlich abgeklappert hat. Eine andere Säule und großartige Unterstützung für die Recherche war das Netzwerk der Special Olympics, der weltweit größten, vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) offiziell anerkannten Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Dieser Scoutingprozess startete acht Monate vor den Dreharbeiten, im Herbst 2020, in einer Zeit, wo man mitten in einer Hochphase der pandemischen Lage war, wir kaum persönliche Treffen wahrnehmen konnten und uns der Scoutingprozess dadurch noch zusätzlich erschwert wurde.
Das Thema Coaching wurde ebenfalls großgeschrieben. Wer hat das Konzept entwickelt?
Christoph Schnee: Das war ein ganz klares Konzept, das wir ganz maßgeblich von den spanischen Kolleg*innen übernommen haben, die uns sagten, dass wir mehr Personal in Form von Sonderpädagog*innen brauchen würden. Es war uns außerdem klar, dass wir vier Wochen vor Drehbeginn anfangen wollten zu proben. Hinzu kommt die erwähnte Struktur, die für Menschen mit Behinderungen sehr wichtig ist, auch mit dem Ziel, dass man sich gemeinsam aneinander gewöhnt.
Nina Philipp: Wir haben auch weniger kalkuliert, als wir letztendlich dafür ausgegeben haben. Wir haben anfangs mit drei Betreuer*innen kalkuliert. Am Ende waren es insgesamt acht. Im Fall von Dominik Klingberg war es sehr bereichernd, ihn dabei zu haben, weil er schon als Anspielpartner beim Casting fungiert hatte, und wir dadurch gemerkt haben, was für eine Sensibilität er mitbringt. Also fragten wir ihn, ob er sich vorstellen könnte, als Schauspiel Coach bei den Dreharbeiten dabei zu sein, was er letztendlich auch gemacht hat.
Gab es Besonderheiten beim Dreh?
Nina Philipp: Es braucht eine gute Planung und Infrastruktur, mehr Personal und mehr Zeit, und damit auch natürlich mehr Geld. Das muss mit einkalkuliert werden. Du brauchst zum Beispiel jemanden, der die Laienschauspieler*innen am Set begleitet, ihnen durch das scheinbare Wirrwarr an Menschen hilft und ihnen Orientierung an immer wechselnden Drehorten gibt. Das typische Warten in den Drehpausen war zum Beispiel auch eine große Herausforderung. Denn jeder unserer Protagonist*innen brauchte eine individuelle, aktive Beschäftigung und Betreuung. Manche wollten spielen, andere spazieren gehen und die Umgebung erkunden, andere suchten auch abseits des Sets eine Bühne, um uns eine Unterhaltungs-Show zu bieten. Wir hatten alles dabei und gegen Ende der Dreharbeiten auch mal die Betreuer*innen der Schauspieler*innen aus den Einrichtungen zu Besuch, die sehr beeindruckt waren, was für einen riesigen Entwicklungsschritt ihre Schütz- linge während der Dreharbeiten gemacht hatten, an Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit und Offenheit.
Christoph Schnee: Wir haben ein Drittel mehr Drehtage gehabt und 1,5 Stunden Mittagspause gemacht. Das tat allen gut.
Gab es nach Drehschluss noch Kontakt zu den Laienschauspieler*innen?
Nina Philipp: Bereits in den letzten Drehtagen haben wir uns hierzu Gedanken gemacht, denn nach den Dreharbeiten fallen alle in ein Loch. Wir haben eine Whatsapp-Gruppe gegründet, die sehr aktiv ist. Geleitet wird sie von Sven Harjes und der Basketballtrainerin Regine Reiser. Ich bin auch in dieser Gruppe, und wir halten uns hier alle gemeinsam auf dem Laufenden.
Wie sind Sie mit dem Thema Gage umgegangen? Es ist ja nicht so einfach, Menschen mit Behinderungen eine Gage zu zahlen, wenn sie beispielsweise an eine Behindertenwerkstatt gebunden sind.
Nina Philipp: Im Grunde sollen die Menschen ja in den Werkstätten auch für den ersten Arbeitsmarkt ausgebildet werden. Und diesen Schritt haben wir mit ihnen in Absprache mit den Einrichtungen vollzogen. Und selbstverständlich haben wir ihnen für ihre schauspielerischen Leistungen auch eine branchenübliche Gage gezahlt.
Was halten Sie von einer Quote?
Christoph Schnee: Ich weiß nicht, ob eine Quote förderlich wäre. Es gab in der Vergangenheit immer wieder ambitionierte Projekte, in denen man Schauspieler*innen mit Downsyndrom besetzt hat und leider oft in die Klischee-Falle gelaufen ist. In unserem Film geht es um eine ungeschönte Realität, die ich mir mehr wünschen würde in der Branche. Das setzt natürlich voraus, dass man den Schauspieler *innen mit einer Behinderung mehr zumutet. Es braucht aber generell für eine solche Produktion mehr Zeit, mehr Geld und mehr Personal. Es ist keinem geholfen, dass man Menschen mit Behinderungen in Produktionen integriert ohne eine sinnvolle Assistenz, die zum einen kreativ und zum anderen bei alltäglichen Herausforderungen helfen kann.
Nina Philipp: Es ist wichtig, dass man eine Struktur für die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen schafft. Ich würde mir wünschen, dass man sich innerhalb der Branche mehr darüber austauscht. Wir haben jetzt Pionierarbeit geleistet und es war abenteuerlich und anstrengend. An manchen Tagen wussten wir nicht mal, ob wir den Film je zu Ende drehen würden.
Wo wünschen Sie sich als Produzent*innen mehr Hilfe?
Nina Philipp: Es wäre optimal, wenn es eine Art Inklusionsbeauftragte*n im Casting-Bereich gäbe, weil das letztendlich die Schnittstelle ist zwischen Agenturen, Einrichtungen, Schauspieler*innen und Produktionen.
Christoph Schnee: Als wir angefangen haben, an dem Projekt zu arbeiten, ist uns generell aufgefallen, dass es kaum ähnliche Projekte innerhalb der Branche gibt bzw. gab. Christoph Schlingensief, der leider viel zu früh von uns gegangen ist, hat da zwar viel Pionierarbeit geleistet, aber in der Realität ist davon wenig übrig geblieben. Das heißt letztendlich, dass man Strukturen schaffen muss, die Produktionen schon im frühen Entstehungsprozess eine einfachere Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen erlauben, in einem kreativen Rahmen.
In einem Satz zusammengefasst: Was war an diesem Projekt so besonders?
Christoph Schnee: Dieses ganz unmittelbare Auf und Ab der Gefühle. Von einer absoluten Freude bis hin zum riesigen Drama. Ein echtes Abenteuer.
Nina Philipp: Die Echtheit der Gefühle, der Liebe, der Herzlichkeit, aber auch der Ablehnung. Diese Direktheit hat mir gefallen und war einzigartig. Und man hat wirklich das Gefühl, dass man etwas gesellschaftlich Sinnvolles geschaffen hat.
Wann soll der Film erscheinen?
Nina Philipp: Wir befinden uns derzeit noch in der Endfertigung des Projektes. RTL+ plant den Film 2022 auszustrahlen, wann genau steht noch nicht fest. Wir hoffen natürlich sehr, dass der Film bei den Zuschauer*innen auch ein Erfolg wird.
In unserer Rubrik All:inclusive findet Ihr weitere Interviews zu „Weil wir Champions sind“ – Iris Baumüller (Casting BVC | ICDN) und Dominik Klingberg (Coaching).
© Constantin/Sven Harjes | © Constantin/Sven Harjes |
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