Nach ihrem preisgekrönten Drehbuch ist Regisseurin Chiara Fleischhacker mit VENA eine kraftvolle und zugleich klischeefreie Milieustudie gelungen – voller Tiefe, Hoffnung und Zärtlichkeit. Der Film erzählt die Geschichte von Jenny, einer jungen Frau in schwierigen sozialen Verhältnissen, und berührt durch seine liebevolle Darstellung dieser ambivalenten Welt und seinen sensiblen Umgang mit dem Thema.
Das Casting übernahm Laura Buschhagen und überzeugt mit der Besetzung von Emma Nova in der Rolle der „Jenny“ und dem ebenso beeindruckenden Paul Wollin als „Bolle“.
Für ihre herausragende Arbeit erhielt der Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg das Prädikat „besonders wertvoll“ der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW), Auszeichnungen bei den First Steps Awards („Bester abendfüllender Spielfilm“, „Beste Kamera“) und den Produzent*innenpreis beim Filmfest Hamburg.
VENA ist das Resultat von über vier Jahren intensiver Arbeit, in denen Chiara Fleischhacker nicht nur an VENA arbeitete, sondern auch Mutter wurde. Besonders als Alleinerziehende stellte der Drehalltag sie vor besondere Herausforderungen, die sie rückblickend auch als kritisch betrachtet und diskutieren möchte.
Das Spielfilmdebüt ist ab dem 28. November bundesweit im Kino zu sehen und startet bereits ab dem 13. November mit einer deutschlandweiten Kinotour.
Am Anfang deiner Laufbahn stand ein Psychologiestudium – wie hat dieser Weg deinen Blick auf das Filmemachen verändert?
Meine Eltern, die in der DDR lebten, konnten ihre eigenen Träume nicht verwirklichen – mein Vater wollte Olympia-Ringer werden, meine Mutter Ärztin. Sie unterstützten mich daher, in der Hoffnung, dass ich ihre Träume leben könnte. Nach einer Zeit an einer Sportschule und Überlegungen zum Medizinstudium entschied ich mich für Psychologie als Kompromiss. Das Thema Bindung im Studium hat mich nachhaltig geprägt und findet sich in meinen Arbeiten wieder. Diese Erfahrungen helfen mir, menschliche Beziehungen im Film tiefgreifend und authentisch darzustellen.
Gab es einen Wendepunkt, der dir klar machte, dass die Regie dein Weg ist?
Schon im Abitur faszinierte mich das Erzählen über Bilder. Mit 18 kaufte ich meine erste Kamera. Der Wendepunkt kam, als ich ein Buch von Thomas Schadt las, dessen Sichtweise auf Menschen und die Welt mich stark berührte. Auch der Einfluss des Senders Arte war prägend. Einmal rief ich tatsächlich aus dem Psychologie-Institut bei der Arte-Hotline an um zu erfahren, wie ich dort Filme machen kann (lacht). Sie konnten mir nicht helfen, aber zum Glück fand ich dennoch einen Weg zum Film: Ich brach das Psychologiestudium ab und konnte gleich bei einem Dreh der Filmakademie im Schwarzwald das Making-of drehen.
Dokumentar- oder Spielfilm: Wo liegen für dich die großen Herausforderungen und was fasziniert dich an beiden?
Ich möchte die Trennung zwischen Dokumentar- und Spielfilm eigentlich nicht machen, da beide für mich wichtig sind. Im Dokumentarfilm hatte ich sehr prägende Erlebnisse, etwa mit einem Porträt über einen Mann, der wegen Mordes verurteilt war und im offenen Vollzug saß. Solche Begegnungen stellen Fragen zu Nähe, Distanz und Professionalität. Irgendwann habe ich für mich festgestellt, dass das intensive Eindringen in andere Leben im Dokumentarfilm, ohne langfristige Begleitung, emotional belastend sein kann. Im Spielfilm finde ich eine Zwischenebene, die mir mehr Distanz und eine Metaebene ermöglicht. Hier kann ich tiefe Recherchen und emotionale Geschichten in sicherem Rahmen verarbeiten.
©2024 Neue Bioskop Film / Fotografin Lisa Jilg | ©2024 Neue Bioskop Film / Fotografin Lisa Jilg |
Wie ist es dir gelungen, VENA emotionale Tiefe und soziale Realität darzustellen, ohne in Klischees zu verfallen?
Für mich war es ein sehr intuitiver und natürlicher Prozess, der vor allem durch akribische Recherche unterstützt wurde. Ich habe viel über die Themen des Films und die Charaktere recherchiert. Jenny als Figur entstand durch detaillierte Beobachtungen von Menschen im Alltag, um ihre Eigenheiten und Nuancen einzufangen – ein eher dokumentarischer Ansatz. Auch Bolles Figur wurde durch Gespräche mit Menschen, wie einem Maler aus der Tech-Szene, lebendig und realistisch geformt. Diese Begegnungen und Gespräche haben den Figuren Tiefe und Authentizität verliehen.
Deine Handschrift ist unverwechselbar – entwickelst du sie bewusst oder entsteht sie intuitiv?
Definitiv unterbewusst. Ich tue mir schwer damit, meine eigene Handschrift von außen zu erkennen, da sie intuitiv aus mir heraus entsteht. Ein zentraler Aspekt meiner Arbeit ist die Offenheit im Umgang mit anderen und mir selbst. Etwas an mir scheint Menschen dazu zu bewegen, mir sehr persönliche Dinge anzuvertrauen, vielleicht weil ich selbst offen über meine eigenen Krisen spreche. Dieses Vertrauen und ein wertfreies Menschenbild ist die Basis meiner Arbeit. Es ist meine Neugier, zu verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie es tun, und was sie geprägt hat, die mir im Filmemachen große Freude bereitet.
Inwiefern spiegeln deine eigenen Erfahrungen, besonders zur Mutterschaft, sich in VENA wider?
Nach der Geburt meiner Tochter war es mir wichtig, ein realistisches Bild von Mutterschaft, Schwangerschaft und Geburt zu zeigen. Alle Bilder, die ich in VENA geschrieben habe, sind solche, die mir selbst gefehlt haben. Ich war nach der Geburt völlig irritiert – das entsprach überhaupt nicht dem Bild, das ich mir gemacht hatte. Warum wusste ich nicht, wie eine Plazenta aussieht? Warum überraschte es mich, dass Milch aus meiner Brust spritzt? Solche ehrlichen Bilder hätten mir damals geholfen, und deshalb war es mir ein persönliches Anliegen, sie in den Film einzubringen.
Auch auf der emotionalen Ebene von Jenny gibt es Verbindungen zu meinen eigenen Erfahrungen, die mir erst nach und nach bewusst wurden. Ich habe selbst ungesunde Beziehungen erlebt, und das ist definitiv in die Figur eingeflossen. Themen wie Selbstwert und das Bedürfnis nach Nähe, das manchmal in Abhängigkeit oder falsche Nähe umschlägt – hier gibt es viele emotionale Ebenen, die ich aus eigener Erfahrung nachvollziehen kann.
Ist die vierjährige Arbeit an VENA für dich eine Form der Selbstausbeutung?Wie schaffst du es, die Balance zwischen Hingabe und Selbstfürsorge zu finden – auch für deine Tochter?
Ja, das ist wirklich ein ständiger Spagat, der mich sehr beschäftigt. Es ist natürlich eine enorme Herausforderung, Mutter zu werden und gleichzeitig an einem Kinospielfilm im Debüt- oder Diplom-Bereich zu arbeiten, oft sogar ohne Gage. Ich habe mich nebenbei über andere Wege finanziert und war die ganze Zeit allein für die finanzielle Versorgung meiner Familie verantwortlich. Seit zweieinhalb Jahren bin ich auch vollständig alleinerziehend. Manchmal frage ich mich selbst, wie ich das überhaupt schaffe. Ich habe mir einmal notiert, wie ich das alles jongliere, falls das irgendwann jemanden interessieren sollte. Es ist ein filigranes Konstrukt, das eine extrem starke Struktur auf mentaler, körperlicher, strategischer und finanzieller Ebene erfordert. Jeder Bereich muss ständig bedacht werden, denn wenn einer wegbricht, droht das gesamte Konstrukt zu kippen. Einige Dinge haben mir die Kraft gegeben, das durchzuhalten: die tiefe Liebe zu meiner Tochter und die Überzeugung, wie relevant VENA ist und dass es wichtig ist, dass die Perspektive von Menschen mit Care-Verantwortung – in meinem Fall, die einer alleinerziehenden Mutter – in dieser Branche vertreten sind. Oft brechen sie durch die Exklusivität unserer Branche weg, dabei ist es essenziell, dass Frauen weiter Filme machen und ein gesundes Frauenbild auf der Leinwand befördern. Gerade in Zeiten wie diesen.
Unter solchen Bedingungen einen Abschlussfilm zu realisieren, klingt nicht unbedingt gesund. Welche strukturellen Probleme zeigen sich diesbezüglich an Filmhochschulen?
Das ist definitiv nicht gesund. Deshalb habe ich das auch in meiner Rede bei der Verleihung der First Steps Awards angesprochen. Langspielfilme im Debüt- und Diplom-Bereich dürfen auf keinen Fall unbezahlt bleiben. Solche Projekte haben nichts mehr mit rein studentischen Arbeiten zu tun. Oft ist eine externe Produktion beteiligt, und es entsteht eine massive Ausbeutung studentischer Arbeitskräfte. Viele arbeiten unermüdlich an diesen Filmen, weil es Herzensprojekte sind. Ich selbst konnte den Film nur dank eines Stipendiums der Studienstiftung realisieren, das mich finanziell über vier Jahre getragen hat. Ohne diese Unterstützung wäre es mir unmöglich gewesen, VENA zu machen. Das heißt, alle Menschen mit familiären Verpflichtungen oder in ähnlichen Situationen wie ich werden praktisch ausgeschlossen, wenn es keine faire Bezahlung oder umfassende Stipendien gibt.
Wie beeinflusst die Exklusivität des Filmemachens die Vielfalt der Geschichten und Vorbilder auf der Leinwand?
Filmemachen bleibt ein exklusives Unterfangen, das sich nur wenige leisten können, und das zeigt sich auf der Leinwand. Es entstehen eintönige Geschichten und wiederkehrende Rollenbilder, weil die Vielfalt an authentischen Perspektive fehlt. Menschen, die echte, unverstellte Geschichten erzählen könnten, haben oft keine Chance, weil sie die notwendige Flexibilität oder die finanzielle Unterstützung nicht haben. So bleiben am Ende jene, die sich diese zeitliche, räumliche und finanzielle Freiheit leisten können, eine Art „Filmelite“, die die Narrative prägt und damit auch unsere Wahrnehmung von Realität beeinflusst. Leider sind die Vorbilder durch Filmfiguren, die ein gesundes Selbstbild fördern können, immer noch zu wenige.
©2024 Neue Bioskop Film / Fotografin Lisa Jilg | ©2024 Neue Bioskop Film / Fotografin Lisa Jilg |
Was war die größte Hürde beim Schreiben von VENA?
Die größte Herausforderung war die Zeit, in der ich mich allein um meine kleine Tochter kümmerte. Ich konnte nur schreiben, wenn sie schlief, oft nachts. Kreative Einfälle kommen mir immer dann, wenn ich gar nicht aktiv über den Film nachdenke, zum Beispiel beim Sport oder im Kino. Es war auch schwierig, die Geschichte in Erfurt anzusiedeln, der coronabedingte Drehabbruch war ein heftiger Einschnitt. Wir haben ständig um den Film gerungen und viele Widerstände überwunden.
Wie habt ihr den visuellen Stil von VENA entwickelt und wie war die Zusammenarbeit mit deiner Kamerafrau Lisa Jilg?
Lisa hat zunächst ihre Eindrücke gesammelt und überlegt, was sie mit Jenny verbindet. Daraus entstanden lange Gespräche über Vertrauen und Misstrauen, die wir visuell umsetzen wollten. So haben wir im Framing nur Jennys engste Vertraute in ihren Bildraum gelassen, um ihre innere Welt sichtbar zu machen. Unsere intensive, leidenschaftliche Zusammenarbeit hat uns zusammengeschweißt. Generell ist mir eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe wichtig, mit Menschen, die respektvoll und ohne Attitüde arbeiten.
Wie seid ihr beim Casting von VENA vorgegangen, um die passenden Darsteller*innen für Jenny und Bolle zu finden?
Die Besetzungsphase war mit der schönste Teil. Laura Buschhagen schlug Emma für Jenny vor, die von Anfang an perfekt vorbereitet war und fast schon „als Jenny“ erschien. Bei der Rolle des Bolle war es schwieriger; als Laura aber halb im Schlaf Paul einfiel und ich seine lieben Augen bei einem Interview sah, wusste ich sofort, dass er die Rolle verkörpern könnte. Die Chemie zwischen ihm und Emma beim Konstellations-Casting war magisch und bestätigte das nur.
Die Musik in VENA hat eine besondere Rolle – wie hast du mit Peter Albrecht die passende Atmosphäre geschaffen?
Die Musik war wirklich spannend. Wir arbeiteten mit zwei musikalischen Ebenen: komponierte Filmmusik und „Source-Musik“ wie die intensive Technomusik der Partyszenen. Die erste Musikfassung war fast majestätisch, doch wir haben sie mehr auf Jennys Gefühlswelt abgestimmt und die Musik als subtile Unterstützung verwendet. Wiederkehrende Motive erinnern an Schlüsselszenen, und die Musik wurde so nach und nach zarter und bringt Jennys innere Welt sanft zum Ausdruck.
Wie wichtig ist es dir, dass deine Filme international wahrgenommen werden?
Anfangs hofften wir auf eine internationale Weltpremiere, da VENA dafür Potenzial hat. Doch aus verschiedenen Gründen wurden wir dort nicht gesehen. Ich habe meine eigenen Theorien warum. Im November kommt nun doch noch eine tolle Premiere auf einem großen italienischen Festival. Zudem haben wir den Fokus auf einer starken deutschen Kinoauswertung.
Du setzt dich oft mit sozialen Themen auseinander. Welche Verantwortung spürst du als Filmemacherin dabei?
Als Filmschaffende tragen wir eine enorme Verantwortung, da Bilder tief prägen. Mit meiner Arbeit versuche ich, ein emphatisches Menschenbild zu zeigen, ohne zu werten. Themen wie Konsum in der Schwangerschaft sollten ohne Urteile verstanden werden. Ich hoffe, dass meine Filme Debatten anstoßen und echte Wertschätzung für Menschen fördern.
Wie sollte sich das Kino deiner Meinung nach entwickeln, um wirklich für alle zugänglich zu sein?
Ich finde es wichtig, das Kino inklusiver zu gestalten, für Menschen mit und ohne Behinderung, aber auch generationsübergreifend. Ich habe Ideen wie Kombitickets, die z.B. Enkel und Großeltern mit unterstützenden Technologien wie Hörverstärkern vereinen oder Kinderbetreuung während der Screenings. Es gibt so viele Möglichkeiten, auch durch Greta und Starks. Wir müssen sie nur zugänglicher machen!
Was bedeutet dir der Gewinn des First Steps Awards für VENA, und wie beeinflusst er deine Sicht auf Wettbewerbe?
Der Gewinn war ein Ventil, um die Emotionen und die Arbeit der letzten Jahre rauszulassen. Die Aufmerksamkeit ist wichtig, aber Wettbewerbe sehe ich zwiespältig. Ich komme aus dem Leistungssport und habe mich davon distanziert, weil ich meine Werte nicht mit dem Wettbewerbsgedanken vereinen kann. In der Filmbranche braucht man Preise, um weiterzukommen, doch ich wünsche mir eine Welt, in der Filme ohne solche Kategorien wertgeschätzt werden.
Arbeitest du bereits an neuen Projekten und wohin geht deine filmische Reise als Nächstes?
Ja, ich möchte mich intensiv mit dem Selbstbild junger Menschen beschäftigen. Es wird ein politischer Film, wobei sich das politische nicht über den Themenrahmen, sondern die Körper junger Menschen abspielt. Und es wird wieder um Liebe und Bindung gehen. Die Bilder und Orte, wie Weimar und die Uckermark, formen sich schon in meinem Kopf, und ich freue mich darauf, mit dem Schreiben zu beginnen.
Wann und wo können wir VENA auf Kinotour erleben, und was können die Zuschauer*innen erwarten?
Die Kinotour startet am 13. November in Leipzig und wird durch 17 Städte führen. Unser Team, einschließlich Hauptdarstellerin Emma Nova, wird bei jedem Termin für Filmgespräche dabei sein. Da VENA auch soziale Themen behandelt, werden spannende Partner*innen aus Politik, Familienhilfe, Justiz, Gesundheit und Frauennetzwerken vor Ort sein, um die Themen weiter zu vertiefen.
Termine der Kinotour: Leipzig: Mittwoch, 13. November 2024, 19.00 Uhr, Passage Kinos Frankfurt: Donnerstag, 14. November 2024, 19.30 Uhr, Mal Seh‘n Ludwigsburg: Samstag, 16. November 2024, 17.00 Uhr, Caligari Stuttgart: Samstag, 16. November 2024, 20.00 Uhr, Delphi Heidelberg: Sonntag, 17. November, 11.00 Uhr, Gloria Potsdam: Dienstag, 19. November 2024, 18.00 Uhr, Thalia Lüneburg: Mittwoch, 20. November 2024, 19.00 Uhr, Scala Hamburg: Donnerstag, 21. November 2024, 19.30 Uhr, Abaton Köln: Freitag, 22. November 2024, 17.30 Uhr, Odeon Münster: Samstag, 23. November 2024, 19.00 Uhr, Cinema Nürnberg: Montag, 25. November 2024, 18.00 Uhr, Casablanca München: Dienstag, 26. November 2024, 19.45 Uhr, Monopol Berlin: Mittwoch, 27. November 2024, 19:30 Uhr, Kulturbrauerei Erfurt: Donnerstag. 28. November 2024, 20.00 Uhr, CineStar Dresden: Freitag, 29. November 2024, 19.30 Uhr, Schauburg Weimar: Samstag, 30. November 2024, 19.00 Uhr, Lichthaus Jena: Mittwoch, 4. Dezember 2024, 19.30, Kino im Schillerhof |
Telefon: | 0221 - 94 65 56 20 |
E-Mail: | info@casting-network.de |
Bürozeiten: | Mo-Fr: 10:00 - 18:00 Uhr |
© 2005-2024 Gesichter Gesucht & casting-network
Internetagentur - die profilschmiede
Datenschutzeinstellungen