Aida Begović © privat | Lucca Veyhl © Filmakademie BW/Anja Fellerhoff |
Im Februar 2018 haben die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), die Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, die Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF), die ifs Internationale Filmschule Köln, die Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) und die Filmakademie Baden-Württemberg eine wegweisende Initiative mit dem Namen „Gemeinsam für Gender-Gerechtigkeit“ gestartet. Diese setzt sich für ein Bewusstsein in der Geschlechterdarstellung im Film ein, stärkt Frauen im Film und Wissenschaft und verpflichtet sich zu null Toleranz gegenüber sexualisierter Gewalt und Diskriminierung.
Seit 2023 sind Aida Begović und Lucca Veyhl für zwei Jahre als Diversity & Inclusion Strategy Coordinators für sechs deutsche Filmhochschulen beauftragt. Die geteilte Stelle wird von Netflix im Rahmen des Programms „Boosting the Next Generation“ finanziert, darüber hinaus stellt Netflix Projektgelder für gemeinsame Maßnahmen der Hochschulen zur Verfügung.
Aidas und Luccas Aufgabe ist es, die sechs deutschen Filmhochschulen bei der Umsetzung ihrer Selbstverpflichtung zu unterstützen, um die nächste Generation von Filmemacher*innen in ihren Kompetenzen für vielfältiges und inklusives Geschichtenerzählen zu stärken.
Wir sprachen mit den beiden über das große Feld, in dem sie tätig sind, darüber wie konkrete Maßnahmen aussehen können und wo es im Ausland gute Beispiele und hierzulande neue Ansätze gibt.
Was macht ein Diversity & Inclusion Strategy Coordinator?
Lucca: Wir unterstützen und beraten die Filmhochschulen bei ihren Vorhaben zu den Themen Diversity und Inklusion und helfen ihnen, Maßnahmen zu entwickeln, diese Themen umzusetzen und zusammenzuarbeiten.
Aida: Grundlage dafür ist die Selbstverpflichtung, die die sechs Hochschulen 2018 mit Unterstützung der MaLisa Stiftung erarbeitet haben. Diese enthält 15 konkrete Punkte und Ziele, um ein Bewusstsein für Geschlechterdarstellungen im Film zu schaffen und Geschlechtergerechtigkeit an den Hochschulen zu stärken. Ursprünglich lag der Fokus hauptsächlich auf der Gender-Ebene mit einem binären Verständnis. Nach unserem Stellenantritt haben wir den Hochschulen vorgeschlagen, diese Selbstverpflichtung zu erweitern. Sie umfasst nun auch nicht binäre Geschlechtsidentitäten, sexuelle Orientierung, Herkunft/rassistische Zuschreibungen, Alter, Behinderung, Religion/Weltanschauung sowie die soziale Herkunft.
Welche konkreten Maßnahmen und Initiativen schlagt Ihr den Filmhochschulen vor, um Diversität zu fördern?
Lucca: Wir identifizieren Bedarfe und erarbeiten Vorschläge, die dann von den Hochschulen umgesetzt werden können. Zudem versuchen wir, einen Überblick darüber zu schaffen welche Seminare, Workshops oder Veranstaltungen an den verschiedenen Filmhochschulen bereits stattgefunden haben und was schon einmal gut funktioniert hat, um erfolgreiche Ansätze an den Hochschulen zu implementieren.
Aida: An der ifs Internationalen Filmschule Köln wurde ein Online-Kurs entwickelt, der Diversität im Film behandelt und breit nutzbar ist. Die Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) bietet flächendeckende Weiterbildungen zu Diversität und Antidiskriminierung für Mitarbeitende an und führt jährlich Sensibilisierungstage für Erstsemester durch. Zudem werden Dozierende wie zum Beispiel Mo Asumang und Tucké Royale eingebunden, die mit einer diskriminierungssensiblen Haltung lehren.
Wir arbeiten individuell mit den Hochschulen, entwickeln aber auch gemeinsame Maßnahmen. Beispielsweise wurde eine gemeinsame Weiterbildung für die Dozierenden aller sechs Hochschulen geplant. Unsere Initiativen gehen über Workshops hinaus und zielen auf langfristige Organisationsentwicklung ab, einschließlich der regelmäßigen Weiterbildung der Dozierenden, um das Thema Diversität nachhaltiger zu verankern.
Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit mit der Filmindustrie, um Diversität und Inklusion in der Filmbranche zu fördern?
Aida: Die Zusammenarbeit zwischen der Filmindustrie und den Hochschulen ist entscheidend, da es um eine gemeinsame Zielsetzung geht: Diskriminierung und Ausschlüsse abzubauen und Diversität zu fördern. Beispielsweise zeigt die Kooperation mit Netflix das Interesse der Branche an den Entwicklungen in den Hochschulen. Oft verweisen beide Seiten aufeinander: Die Branche sagt, dass sie wegen fehlender Diversität unter den Alumni nicht divers arbeiten kann, während die Hochschulen darauf hinweisen, dass man für diskriminierungskritisches Filmemachen auch neue Strukturen und Ressourcen in der Branche braucht. Alle Beteiligten sind in der Verantwortung die nötigen Schritte zu machen.
Wie unterscheiden sich die Ansätze zur Förderung von Diversität und Antidiskriminierung in verschiedenen Ländern und Hochschulen, und welche Herausforderungen gibt es in Deutschland?
Aida: Großbritannien ist in Bezug auf Diversität im Film häufig Vorreiterin, zum Beispiel wenn es um Quoten geht. Da gibt es Erfolge und Erfahrungen, die wir auch in Deutschland nutzen und anstreben. Es bleiben gleichzeitig auch eigene Auseinandersetzung und Prozesse mit diesen Themen nötig. Manches können wir nicht 1:1 aus anderen Ländern übernehmen, da sie stark von den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen abhängen. In Großbritannien werden Diversitätsdaten häufig aus dem Kontext der ehemaligen britischen Kolonien erhoben, was für Deutschland noch einmal anders reflektiert und entwickelt werden muss.
Lucca: Auch die Organisation und Finanzierung der Hochschulen variiert stark zwischen den Ländern. Andere Länder haben möglicherweise schon länger in Diversität investiert, was ein Bewusstsein und entsprechende Ressourcen über Jahre hinweg gefördert hat.
Welche Daten gibt es derzeit in der Film- und Fernsehbranche, und was bedeuten sie für die Branche?
Aida: In Deutschland ist die Erhebung von Diversitätsdaten noch in den Anfängen. Es gibt erste Schritte wissenschaftliche Standards zu etablieren, wie etwa durch die MaLisa Stiftung oder Citizens For Europe, die zum Beispiel mit „Vielfalt im Film“ wichtige Daten geliefert haben.
Lucca: Die Geschlechterverteilung im deutschen Fernsehen ist gut erfasst, doch selbst diese Zahlen sind oft alarmierend, insbesondere bei der Besetzung von Schlüsselpositionen in der Primetime. Der Gender Pay Gap in der Filmbranche ist extrem, besonders bei Kameraleuten.
Welchen Rat würdet Ihr Filmhochschuldirektor*innen geben, um Diversität und Inklusion von Anfang an in ihre Arbeit zu integrieren?
Lucca: Um Strukturen nachhaltig zu verändern, braucht es Zeit und finanzielle Mittel. Projekte zur Gleichstellung oder Antidiskriminierung sind oft befristet, was die Gefahr birgt, dass alte Strukturen zurückkehren, wenn die Projekte enden.
Aida: Diversität sollte als Qualitätsmerkmal und integraler Bestandteil von exzellenter Kunst betrachtet werden. Ohne Diversität wird viel Talent ausgeschlossen, was die Qualität mindert und potenzielle Zielgruppen vernachlässigt, die entscheidend für den Erfolg sind.
In welchen Bereichen würdet Ihr die Selbstverwirklichung von 2018 erweitern, bzw. 2024 feinschleifen wollen?
Lucca: Ich denke die Selbstverpflichtung von 2018 ist sehr gut und umfassend. Es ist richtig und wichtig gewesen, die Selbstverpflichtung um die weiteren Dimensionen, angelehnt an das allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) plus soziale Herkunft, zu ergänzen. Das Wichtigste ist nun das kontinuierliche Dranbleiben und Umsetzen. Diversität und Antidiskriminierung sind nicht irgendwann abgeschlossen, und die Ziele sollten stetig überprüft, angepasst und weiterentwickelt werden.
Aida: Interessant ist die Umsetzung der Selbstverpflichtung. Wir beschäftigen uns mit der Entwicklung eines transparenten Monitoring-Systems, mit der die Umsetzung nachverfolgt und unterstützt werden kann.
Kurzvorstellung Aida:
Aida hat zu einer Zeit, Soziologie studiert als Themen wie Rassismus und Diversität in der akademischen Welt kaum Raum hatten. Ihr Engagement und ihre Expertise für diverse Themen entwickelten sich also nicht aus dem Studium, sondern durch ihren Aktivismus gemeinsam mit anderen Betroffenen außerhalb der Universität. Sie machte diese aus dem Lehrplan ausgeschlossenen Erfahrungen und Perspektiven zum Fokus ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeiten und begann mit der strukturellen Analyse von gesellschaftlichen Ausschlüssen.
Diese Ansätze vertiefte sie als Referentin und Beraterin für verschiedene Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Migrant*innen-Selbstorganisationen. Seit acht Jahren ist Aida als Beraterin und Organisationsentwicklerin im Kunst- und Kulturbereich tätig und begleitet Kulturschaffende und Institutionen in ihren Prozessen und Fragestellungen. Sie setzt sich weiterhin für mehr Diversität in Strukturen und auch Inhalten ein, etwa als Redakteurin oder Moderatorin.
Kurzvorstellung Lucca:
Lucca hat Literatur, Kunst und Medienwissenschaften studiert und belegte im Nebenfach Gender Studies. Schon während ihres Studiums kam sie mit Themen der Gender- und Diversitätsforschung in Berührung, was ihr Interesse und Engagement für diese Bereiche weckte. Nach ihrem Bachelorabschluss sammelte sie vielfältige Erfahrungen im Film- und Medienbereich, unter anderem im Marketing für Kinofilme und bei einer Filmproduktion.
Lucca setzte ihre akademische Laufbahn fort und absolvierte einen Master in Empirischer Kulturwissenschaft. Im Anschluss daran arbeitete sie im Diversity Management eines Unternehmens. Während dieser Zeit bekam sie zwei Kinder, was ihre berufliche und persönliche Perspektive bereicherte.
Nach ihrer Elternzeit nahm sie eine Stelle an der Filmakademie Baden-Württemberg an, wo sie als Studienleitung für die Sonderveranstaltungsreihe „Gender and Diversity in Progress“ tätig war. In Teilzeit organisierte sie Workshops und Veranstaltungen, die darauf abzielten, Studierende für Diversität vor und hinter der Kamera zu sensibilisieren. Ihre Arbeit an der Filmakademie trug wesentlich dazu bei, das Bewusstsein und die Akzeptanz für vielfältige Perspektiven in der Filmbranche zu fördern.
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