© Paramount
„Ich wollte keinen pathetischen Film für Nichtbehinderte über Menschen mit Behinderung machen, um daran zu erinnern, dass es behinderte Personen gibt. Ich wollte MIT diesen Menschen mit all ihren individuellen Spleens und ihrem wunderbaren Humor echte Momente einfangen und drehen. Und wenn es nur dieser eine Film sein sollte, den ich in meinem Leben machen würde.“
Comedian Artus schrieb hierfür gemeinsam mit Clément Marchand und Milan Mauger das Drehbuch, führte erstmals Regie und übernahm die Hauptrolle. Das Casting übernahm Casting Director Emmanuelle Prévost.
Nach einem Raubüberfall flüchten Paulo (Artus) und sein Vater (Clovis Cornillac) vor der Polizei und finden ausgerechnet Unterschlupf in einem Reisebus, der junge Erwachsene mit Behinderung an ihren Urlaubsort in die Berge bringen soll. Paulo und sein Vater geben sich kurzerhand als der fehlende Mitreisende Sylvain und dessen Betreuer aus – eine fast perfekte Tarnung. Mit der Flucht vor der Polizei beginnt ein außergewöhnliches Abenteuer, das alle Beteiligten vor ungeahnte Herausforderungen stellt – jede Menge Spaß, neue Freundschaften und viel Herz inklusive. Im folgenden Interview spricht Artus über seine Inspiration, das Drehbuch und die Dreharbeiten sowie sein Engagement bei den Paraolympics. In Frankreich hat „Was ist schon normal?“ bereits die Zehn-Millionen-Besucher-Marke geknackt. In Deutschland hat der Film am 5. September Kinostart.
Zwei Einbrecher auf der Flucht, die sich in einem Ferienlager für junge Erwachsene mit Behinderung verstecken.
Wie sind Sie auf die Idee für Ihr Spielfilmdebüt „Was ist schon normal?“ gekommen?
Ich wollte schon immer zeigen, wozu Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten fähig sind. Sie haben eine unglaubliche Vorstellungskraft, eine Magie oder eine Verrücktheit, die man sonst nirgendwo findet. Ich wollte einen Film mit ihnen machen - nicht über sie. Die Behinderung an sich sollte nicht das Thema sein. Dieser Film ist wie ein typisches Ferienlager, mit all den Momenten, die das Leben mit sich bringt, aber er entwickelt auch eine große Kraft, weil die Geschichte von Menschen getragen und gespielt wird, die man normalerweise nicht im Kino sieht. Ich war damals von der Tragikomödie von „Am achten Tag“ von Jaco Van Dormael fasziniert. Da dachte ich: „Das ist es, so geht es auf.“. Aber diese Tür schloss sich schnell wieder. Ich wollte dorthin zurück, weil sich die Dinge bewegen müssen. Unterschiede sind eine Stärke, davon bin ich überzeugt. Wenn man über sie lachen kann, ist das gesund und umso besser: Ich selbst war dick und habe als erster Witze über meinen Körper gemacht. Je öfter man mir sagt, dass ich ein Thema lieber nicht anfassen soll, desto eher tue ich es (lacht). Jetzt ist es fünf Jahre her, dass ich angefangen habe, diesen Film zu schreiben.
Im Mittelpunkt von „Was ist schon normal?“ haben Sie elf Schauspieler*innen mit anderen Lernmöglichkeitenversammelt. Stellte dies eine besonders große Herausforderung dar?
Das haben mir alle gesagt, und ich war mir dessen natürlich bewusst. Aber wenn ich nur einen einzigen Film machen sollte, dann sollte es dieser sein. Wir stießen auf viele Ablehnungen. Wir haben völlig verrückte Sätze gehört, wie „Na gut, das ist okay. Wir wissen, dass es sie gibt, wir werden sie aber nicht zeigen.“. Das ist erschütternd. Es zeigt, dass Behinderung heute noch Angst und Ablehnung hervorruft. Aber gerade deshalb muss man sich mit diesen Themen beschäftigen. Je öfter man „nein“ zu mir sagte, desto mehr Lust hatte ich, diesen Film zu machen.
© SquareOne Entertainment
Sie sind Schirmherr der paralympischen Spiele und von Handicap International. Wie kam es zu diesem Engagement?
Als Kind war ich sehr angetan von der Fantasie von Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten, von ihrer Fähigkeit, sich im wahrsten Sinne des Wortes zu ‚verschieben‘. Du kannst Dir sicher sein, dass sie dich an einen anderen Ort bringen, und das tut gut. Außerdem drücken sie ihre Gefühle meist ungefiltert aus. Wir selbst sind so festgefahren, dass wir selten in der Lage sind, einfach „Ich liebe dich“, „Danke“ oder „Ich bin froh, bei Dir zu sein“ zu sagen. Dabei ist es genau das, was wir brauchen. Sie können es. Der ältere Bruder eines Freundes von mir hat das Down-Syndrom. Wenn er beim Fußball spielen ein Tor schoss, ging eine wahnsinnige Freude von ihm aus. Damit steckte er uns alle an. Als ich vielleicht elf oder zwölf Jahre alt war, lernte ich Victor kennen. Er war in meiner Klasse, er war Autist, begeisterte sich für Züge und brachte mich zum Lachen. Ich lud ihn zu meinem Geburtstag ein. Seine Mutter rief daraufhin bei uns zu Hause an. Sie fragte mich: „Warum willst du Victor einladen?“. Ich antwortete: „Weil ich ihn mag“. Ich spürte, dass sie sehr gerührt war. Sie sagte: „Bist Du sicher? Du willst Dich doch nicht über ihn lustig machen?“. Ich war erstaunt und begriff, dass es das erste Mal war, dass Victor zu einem Geburtstag eingeladen wurde. Ich selbst habe an diesem Tag verstanden, dass für manche Menschen eine Behinderung ein Problem darstellt. Vorher hatte ich mir das nicht einmal vorstellen können.
Auf der Bühne und in den sozialen Netzwerken sind Sie seit einigen Jahren mit der Kunstfigur Sylvain, einem jungen Mann mit anderen Lernmöglichkeiten, erfolgreich. Wie ist es dazu gekommen?
Alles begann mit einer Improvisation in einem Taxi mit Freunden in Beirut. Sylvain sollte übrigens eigentlich eine Sache unter Kumpels bleiben. Dann kam ich in meinem Leben aber an einen Punkt, an dem ich Lust hatte, nur die Witze zu machen, die mir wirklich gefielen. Das war vor vier Jahren. Ich beschloss, die Figur Sylvain auf der Bühne des Festivals in Montreux zu testen. Ich dachte mir: „Die Leute sind noch nicht bereit, das gibt einen Shitstorm“. Ich war mir sicher, dass der Tag, an dem das im Internet gezeigt würde, das Ende meiner Karriere wäre. Tatsächlich war es überhaupt nicht so. Sogar der französische Behindertensportverband hat es auf seiner Facebook-Seite aufgegriffen. Seitdem erhalte ich ständig Nachrichten von Menschen oder ihren Familien, die mir sagen: „Cool, solche Witze machen wir untereinander!“.
Sylvain hat es nun sogar in Ihren Debütfilm geschafft. Sie spielen den Einbrecher Paulo, der sich zur Tarnung als Sylvain ausgibt. War das von Anfang an geplant?
Ganz und gar nicht. Aber die Produzent*innen und auch meine Freunde drängten mich dazu, Sylvain in das Drehbuch aufzunehmen. Weil ich auch große Lust hatte mit dem ganzen Ensemble zusammen zu spielen, habe ich zugestimmt. Ich wollte mein ganzes Herzblut in diesen Film stecken. Also musste ich mich mitten in das Getümmel stürzen. Eine vertikale Beziehung zu meinen Schauspielpartner*innen stand außer Frage. Ich wollte nicht, dass sie für Dummköpfe gehalten werden. Deswegen haben sie mich auch schnell durchschaut. Nach 15 Minuten Film verstehen sie, dass meine Figur Paulo einen Behinderten spielt, und wir werden zu Kompliz*innen. Es sind die Betreuer*innen, die nicht behindert sind, die für dumm verkauft werden.
Spielte beim Schreiben des Drehbuchs die Behinderung der einzelnen Darsteller*innen eine Rolle?
Ich hatte die inhaltlichen Grundzüge des Drehbuchs mit ersten Dialogen sowie eine Struktur, die von Clément Marchand und Milan Mauger entwickelt worden war. Aber sehr schnell stellte sich heraus, was ich auch den Produzent*innen erklärte, dass ich nicht weitermachen konnte, solange das Casting nicht abgeschlossen war. Ich wollte keine Schauspieler*innen im klassischen Sinn. Ich wollte nicht, dass sie spielen; ich wollte, dass wir in der Realität sind und dass das Schreiben so nah wie möglich an ihnen ist. Arnaud ist auch in Wirklichkeit ein Fan von Dalida – so sehr, dass er ein Tattoo von ihr hat. Boris läuft wirklich verkleidet herum, und es sind seine Kostüme. Hätte ich es erfunden, hätte man mir gesagt, dass es zu viel sei. Ich wollte sie so sein lassen, wie sie sind. Es ist eine Frage des Respekts. Und ich sehe die Verkleidungen von Boris nicht einmal mehr. Er ist einfach so.
© SquareOne Entertainment
Wie sind Sie beim Casting vorgegangen?
Ich habe einen Aufruf auf Instagram gepostet. Ich hatte keine bestimmten Kriterien und war für alles offen, aber ich wollte Persönlichkeiten. Außerdem musste die Chemie untereinander stimmen, um das bestmögliche Team zu bilden. Insgesamt habe ich etwa 50 Bewerber*innen gecastet. Beim Castingprozess hat mich die Stärke der Betreuer*innen aufs Neue beeindruckt. Sie bekommen einen Hungerlohn, kommen teilweise von sehr weit weg, in Kleinbussen, mit zwei, drei oder vier Erwachsenen, um die sie sich kümmern. Sie glauben an sich, sie lieben ihre Arbeit, sie packen es an! Das wusste ich schon, aber es hat mich dennoch umgehauen.
Wie waren die Dreharbeiten?
Die Logistik war komplex: fünfzehn Rollen, fünfunddreißig Drehtage – plus die Eltern und Betreuer*innen hinter der Kamera. Ich wollte keinen Film für Nichtbehinderte machen, in dem ab und zu Menschen mit Behinderungen auftauchen, um daran zu erinnern, dass es sie gibt. Für mich standen sie im Mittelpunkt, es gibt so gut wie keine Szene ohne sie. In der Gruppe hatte jeder einen besonderen Platz. Für jeden einzelnen mussten wir eine spezielle Regietechnik finden. Für Ludovic war das Headset am besten, aber Arnaud zog es vor, dass ich seinen Text vor ihm aufsagte, damit er ihn wiederholen konnte. Sie kannten Filmsets und deren Regeln nicht. Dies alles war ihnen ziemlich egal. Sie waren gekommen, um zu spielen. Es lag an uns, sie einfach machen zu lassen und uns anzupassen. Ich sagte zu meiner Kamerafrau Jean-Marie Dreujou, dass wir, was auch immer passiert, bereit sein müssen. Es ist egal, ob wir gerade am Drehen sind oder nicht. Denn, was auch immer geschieht, müssen wir festhalten. Was man auf der Leinwand jetzt sieht, sind echte Momente.
Erzählen Sie uns abschließend noch vom Look und der Ausstattung des Films …
Ich wollte eine wunderbare Komödie machen, einen schönen Sommerfilm. Ich wusste, dass Jean-Marie Dreujou hierfür die richtige ist. Ich wollte Sonne, ich wollte Freude und vor allem kein Pathos. Filme, die von Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten handeln, spielen oft im Norden und im Regen, als ob man auch noch mieses Wetter zum Thema hinzufügen müsste. Ich wollte, dass die Protagonist*innen stylish aussehen, Mayane hat ihr Make-up zum Beispiel selbst gemacht, und dass sie auch ihre Kleidung auswählen können. Für die Kostümbildner*innen war das vollkommen in Ordnung. Dasselbe gilt für die Requisiteur*innen: Sie mussten sich auf die Charaktere einlassen, um ihnen ihr Universum zu kreieren. Ich wollte, dass ihr Schlafsaal ein Kokon ist, dass das Licht warm ist, dass die ganze Unterkunft schön ist, dass die Bilder schön sind. Damit jeder Lust hat, bei ihnen zu sein.
Telefon: | 0221 - 94 65 56 20 |
E-Mail: | info@casting-network.de |
Bürozeiten: | Mo-Fr: 10:00 - 18:00 Uhr |
© 2005-2024 Gesichter Gesucht & casting-network
Internetagentur - die profilschmiede
Datenschutzeinstellungen