Aylin Tezel gehört mit Ende 30 einer Generation an, die alle Möglichkeiten und kaum Grenzen hat und so unruhig ist wie nie zuvor. Auf der Kinotour ihres Langfilmdebüts verrät sie: „Wir leben auf einem ‚nervösen Planeten‘, sind Einflüssen ausgesetzt, die uns extrem fordern – Covid, Klimawandel und politische Unruhen. Die letzten Reste unseres Selbstwerts verlieren wir auf Dating Apps und im Social-Media-Dschungel. Und ganz nebenbei sind wir dazu aufgefordert, die Traumata der Vergangenheit zu verarbeiten. Das Leben kann überwältigend sein. Aber es fängt woanders an: Wieso ist es so schwer, sich selbst zu lieben?“ Mit „Falling Into Place“ (Casting: Des Hamilton) geht sie dieser Frage nach und führt nicht nur Regie, sondern spielt auch die Hauptrolle. Kira und Ian sind beide auf der Flucht vor sich selbst, als sie sich zum ersten Mal treffen. Die 24 Stunden, die sie miteinander verbringen, sind intensiv, nicht nur, weil sie dabei zufällig einen der verletzlichsten Momente in Ians Leben miteinander teilen, sondern auch, weil sich ihre Beziehung innerhalb dieser einen Nacht von einem flüchtigen Flirt zu einer echten Verbindung entwickelt. „Falling Into Place“ ist eine Liebeserklärung an die Liebe, in all ihrer Magie, ihrer Merkwürdigkeit, ihrem Schmerz und ihrer Freude. Beim Tallinn Black Nights Film Festival 2023 wurde Aylin Tezels Film bereits mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet. Der Film kommt ab 7. Dezember in die deutschen Kinos.
In „Falling Into Place“ erkundest Du die Themen Zeit, Liebe, Verlust und Selbstakzeptanz. Kannst Du uns erzählen, wie die Geschichte zu Dir kam?
Es hat alles ganz spielerisch angefangen mit einem Dialog, den ich geschrieben habe, über zwei Menschen, die sich über den Sinn des Lebens unterhalten. Diese beiden, Kira und Ian, sind mir dann zwei Monate lang nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und so habe ich mich an einem kalten Neujahrsmorgen vor ein paar Jahren in Edinburgh, im Osten Schottlands, in ein Café gesetzt und begonnen, ihre Geschichte aufzuschreiben. Eine Geschichte über zwei Fremde, die deutsche Kira und der Schotte Ian, die sich auf einer schottischen Insel begegnen und 36 intensive Stunden miteinander verbringen. Aus einem Flirt wird eine ungeahnt tiefe Verbindung. Doch das Schicksal reißt sie wieder auseinander. Wir folgen ihnen in ihre jeweiligen Leben, die beide in London stattfinden, was die beiden allerdings nicht voneinander wissen ...
„Falling Into Place“ stellt Kira und Ian in den Mittelpunkt, die auf der Flucht vor sich selbst sind. Wie spiegeln ihre Charaktere die Herausforderungen und Unsicherheiten wider, die viele Menschen in der heutigen Zeit erleben?
Was Kira und Ian verbindet, ist eine tiefe Verunsicherung mit sich selbst. Da gibt es Geister aus ihrer Vergangenheit und Gefühle von Schuld, Scham und Selbsthass. Obwohl sie umgeben sind von Menschen, die sie lieben, schaffen sie es nicht, sich selbst mit Liebe zu begegnen. Und suchen zunächst nach Ablenkungen und Bestätigung im Außen, weil sie Angst vor einer Begegnung mit sich selbst haben. Ich glaube, die Themen, denen wir im Film begegnen, sind zutiefst menschliche Themen, und die Frage, warum es so schwer ist, sich selbst zu lieben, begleitet die allermeisten von uns. Warum das so ist? Ich kann auch nur vermuten. Es hat vielleicht etwas mit einer medialen Beschallung zu tun, die uns ständig davon überzeugen will, dass wir uns zu optimieren haben, um liebenswert zu sein. Vielleicht auch damit, dass wir in einer unruhigen Zeit leben, die unser Sicherheitsgefühl aushebelt und den meisten von uns die Tools fehlen, um diese Sicherheit in uns selbst zu finden.
© Port au Prince Films/Julian Krubasik | © Port au Prince Films/Julian Krubasik |
Wie stellst Du Dein Team hinter der Kamera zusammen?
Das Team auf deutscher Seite sind zum einen Menschen, die ich schon kannte, wie zum Beispiel unsere Maskenbildnerin Christina Neuss aus Köln, mit der ich schon für Pola Becks Kinofilm „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ zusammengearbeitet hatte, zum anderen wurden mir einige Teammitglieder von unserer Produzentin Yvonne McWellie von den Weydemann Bros vorgestellt. Meinen Kameramann Julian Krubasik kannte ich vorher nicht persönlich, aber ich erinnerte mich, dass ich die Kameraarbeit in seinem Film „Mein Ende, dein Anfang“ sehr mochte. Und als wir uns zu ersten Gesprächen für „Falling Into Place“ trafen, kristallisierte sich ziemlich schnell heraus, dass er mit seinem großen Interesse am Stoff, seiner hohen Sensibilität für die richtigen Bilder und seiner großen Abenteuerlust genau der richtige Partner sein würde. Die Arbeit unseres schottischen Szenenbildners Andy Drummond kannte ich bereits aus Filmen wie Harry Wootliffs „Only You“, und war überglücklich, als unser schottischer Co-Produzent John McKay ihn ins Spiel brachte. Auch die schottische Kostümbildnerin Louise Allen war eine Empfehlung. Ich hatte das große Glück, mit dem Londoner Jon Hopkins einen der renommiertesten Komponisten für elektronische sowie ambient music gewinnen zu können, der für uns die Pianostücke komponierte, die Ian im Film spielt. Er empfahl mir dann für den weiteren Score den deutschen Ben Lukas Boysen, der u. a. die Filmmusik für die Serie „The Lazarus Project“ von Marco Kreuzpaintner komponiert hatte. Mit Ben begann ich dann schon parallel zum Schnitt an der Filmmusik zu arbeiten. Und schließlich war noch mein Editor David J. Achilles eine wichtige Person im künstlerischen Prozess. Er hatte vor 13 Jahren bereits den Film „Am Himmel der Tag“ geschnitten, in dem ich damals meine erste große Hauptrolle gespielt hatte.
Die visuelle Darstellung und die Musik spielen eine wichtige Rolle in „Falling Into Place“.
Wie hast Du diese kreativen Elemente genutzt, um die Gefühle und Gedanken der Hauptfiguren zu vermitteln?
Die Kunst ist für Kira und Ian ein Art Sprachrohr, um die Gefühle, Sehnsüchte und die Melancholie auszudrücken, für die sie keine Worte finden. In Ians Fall ist es das Klavier, das ihn mit seiner Schwester verbindet, für Kira ist es das Malen von Menschen, die sie liebt.
Der Film kombiniert Ehrlichkeit und Emotionalität mit Humor.
Wie hast Du den Ton des Films entwickelt, um eine ausgewogene Mischung dieser Elemente zu erreichen?
Für mich stand eine große Nähe zu den beiden Hauptfiguren im Vordergrund. Und ein grundsätzlich ehrlicher Ton für den gesamten Film. Authentisches Spiel, natürlicher Dialog und eine sinnliche, bewegte Kamera. Chris Fulton brachte, neben den im Drehbuch schon angelegten humorvolleren Momenten, noch eine große Portion Witz und Charme in seine Rolle ein. Dass wir daneben aber einen großen Raum für die emotionalen Momente geschaffen haben, ist auch unserem Editor David J. Achilles zu verdanken, der mich mit seiner großen Liebe für die Geschichte, mit seinem extrem guten Musikgeschmack und seinem Mut zu ungewöhnlichen Entscheidungen jeden Tag im Schnittraum inspiriert hat.
© Port au Prince Films/Julian Kruibasik | © Port au Prince Films/Julian Kruibasik |
Wie bist Du an das Thema Casting angegangen?
Der Londoner Casting Director Des Hamilton, selber auch Schotte, war ein wichtiger Partner im Casting Prozess. Des hat große Filme wie „Only God forgives“ oder auch „Jojo Rabbit“ gecastet. Er hat mir viele exzellente diverse UK Schauspieler*innen für die verschiedenen Rollen und wirklich spannende Schauspieler für die männliche Hauptrolle Ian vorgestellt. Ich habe dann ein sehr ausführliches Casting durchgeführt. Was für UK zunächst ungewöhnlich war. Dort hat man oft nur ein paar Minuten, nur ein paar Takes Zeit, sich in der Rolle bei einer ersten Castingrunde vorzustellen. Ich ging allerdings mit der mir bekannten deutschen Herangehensweise an die Arbeit und nahm mir pro Schauspieler*in eine bis anderthalb Stunden Zeit, um mit ihnen an den Rollen zu arbeiten. Neben Szenen aus dem Drehbuch suchte ich mir für alle Rollen auch Situationen aus der Geschichte oder aus der Biographie der Figuren, denen wir uns mit Improvisation näherten. Da ich wusste, dass ich auch am Set immer wieder mit Improvisation arbeiten wollen würde, war das ein wichtiger Teil des Casting-Prozesses. Die erste Rolle, die es zu besetzen galt, war Ian. Als wir Chris Fulton für die Rolle Ian gefunden hatten, konnten wir beginnen, die Welt um ihn herum zu bauen und die Rollen seiner Eltern, seiner Schwester und seiner Freundin zu casten. Parallel dazu befassten wir uns mit Kiras Storyline und fanden die richtigen Schauspieler*innen für die Rollen ihrer Freund*innen und ihres Ex-Freundes.
Die Schauplätze, die Isle of Skye und London, haben eine starke Präsenz im Film.
Wie spiegeln diese Orte die inneren Konflikte und Sehnsüchte von Kira und Ian wider?
Die Isle of Skye und London erzählen wir als Orte, die sowohl die stille Sehnsucht als auch die laute Zerrissenheit von Kira und Ian widerspiegeln. Die Isle of Skye bietet den Teppich für ihre erste Begegnung und die Stunden, die sie miteinander verbringen. Oft fühlt es sich an, als gäbe es nur die beiden und den Zauber des Moments. Als könnte man dort ankommen in der Melancholie der schottischen Highlands. London hingegen ist die pulsierende Metropole, in der beide ihren Träumen hinterherjagen und wo sie von ihrem jeweiligen Alltag eingeholt werden. Plötzlich scheinen diese beide Seelen sich einzuordnen in Begrifflichkeiten und Lebensentscheidungen, um inmitten des Lärms der Großstadt einen Platz zu finden und ihrer Einsamkeit zu entkommen.
© Port au Prince Films/Julian Kruibasik | © Port au Prince Films/Julian Kruibasik |
In der Welt des Filmemachens gibt es viele talentierte Künstler*innen und Regisseur*innen.
Gibt es Vorbilder, die Dich in Deiner Arbeit inspiriert haben oder von denen Du gelernt hast?
Es gibt Stile die ich mag, Themen die mich interessieren und auch Künstler*innenpersönlichkeiten, deren Kreationen ich spannend finde. Ich mag die rohe Zärtlichkeit und die Purheit in den frühen Andrea-Arnold- Stoffen, wie beispielsweise „Fish Tank“. Dann gibt es Filme, die sich an den Themen Liebe und Verlust abarbeiten, die mich inspirieren, Derek Cianfrances „Blue Valentine“ oder Maïwenns „Mon Roi“. Ich liebe Sturla Brandt Grøvlens natürliche und gleichzeitig intensiv eintauchende Handkamera in Thomas Vinterbergs „Another Round“ und im isländischen Film „Beautiful Beings“ von Guðmundur Arnar Guðmundsson. Ich mochte die Art und Weise, wie die Schauspieler*innen in Drake Doremus Film „Like Crazy“ mit Improvisation gearbeitet haben. Darüber hinaus finde ich Inspiration aber vor allem in Musik, in der Natur, in Fotografie, in Bewegung, in Tanz, und in Träumen.
Was bedeutet Dir Dein Film persönlich?
Welche Botschaft möchtest Du den Zuschauer*innen mit auf den Weg geben?
Wenn ein bisschen der Liebe, die wir in diesen Film gesteckt haben, bei den Zuschauer*innen ankommen würde, würde mich das sehr glücklich machen.
Welche persönliche Erkenntnis aus diesem Projekt hat Dich am meisten berührt?
Das alles so kommt wie es kommen soll, dass es genau zu der Zeit passiert, zu der passieren soll, und dass Vertrauen immer die richtige Entscheidung ist.
© Casting Network | Tina Thiele & Aylin Tetzel © Casting Network |
von Tina Thiele | Ausarbeitung: Carla Schmitt
www.port-prince.de/falling-into-place |www.die-agenten.de/aylin-tezel
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Castings: „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ Susanne Ritter (BVC | ICDA) | „Mein Ende. Dein Anfang“ Simone Bär | „Only You“ Kahleen Crawford, Caroline Stewart | „The Lazarus Project“ Jill Trevellick | „Am Himmel der Tag“ Bettina Averbeck, Pia Greschner | „Only God forgives“ Des Hamilton, Non Jungmeier | „Jojo Rabbit“ Des Hamilton, Czech Republic: Maya Kvetny | „Fish Tank“ Jill Trevellick | „Blue Valentine“ Cindy Tolan | „Mon Roi“ Stéphane Batut, Alexandre Nazarian | „Another Round“ Tanja Grunwald (ICDA), Kinder & Jugendliche: Jette Termann | „Beautiful Beings“ Vigfús Þormar Gunnarsson | „Like Crazy“ Eyde Belasco
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