CASTING: HIER & ANDERNORTS | Unsere aktuelle Reihe
Anhand der persönlichen Erfahrung von deutschen Schauspielern möchten wir das Thema Casting hierzulande und in anderen Ländern näher beleuchten, um Unterschiede, Gemeinsamkeiten sowie last but not least Chancen und neue Wege aufzuzeigen.
Siehe hierzu die Interviews mit Branko Tomovic sowie als Auftakt das Interview mit Cuco Wallraff.
Steckbrief:
Nina Franoszek wurde am 16. März 1963 als Künstlertochter geboren und zählt heute sowohl ihren Geburtsort Berlin als auch Los Angeles zu ihrem Wohnsitz. Noch vor ihrem Abitur übernahm sie die Hauptrolle in dem SFB Fernsehspiel „Die Wiederholung" und spielte in den Kinofilmen „Sei zärtlich Pinguin" (Regie: Peter Hajek | Casting: in eigener Regie) und „Domino" (Regie: Thomas Brasch | Casting: in eigener Regie). Nach der Schule studierte sie Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Hannover und wirkte im Anschluss im festen Engagement an den Städtischen Bühnen Bielefeld mit. Nina Franoszek wurde Bestandteil zahlreicher internationaler TV- und Kinoproduktionen, sie spielte unter anderem 1989 in dem englischsprachigen Spielfilm „Buster's Bedroom" (Regie: Rebecca Horn | Casting: Julie Alter), der mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Für ihre Hauptrolle der Staatsanwältin Dr. Kroneck in dem Fernseh-Dreiteiler „Sardsch" (Regie: Axel de Roche | Casting: durch die Produktion) erhielt sie 1998 den Adolf-Grimme-Preis. Neben einzelnen Regietätigkeiten und ihrer Mitwirkung als Jurorin für die International Emmy Awards, ist Nina Franoszek aktives Mitglied in der Deutschen Filmakademie, im Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler und der Villa Aurora Foundation of European American Relations.
Was bewegt die US-Schauspielerszene neben der Oscar-Verleihung aktuell?
Wir "düsen" hier gerade alle zu unzähligen Auditons, sprich Castings aus. Die Piloten für alle neuen Serien werden besetzt, deshalb nennen wir diese Zeit auch "pilot season". Falls einer der Piloten in Serie geht, werden die Schauspieler fest für Serienhauptrollen, Nebenrollen etc. engagiert. Wenn der Pilot nicht zieht, gibt es auch keine Serie und folglich auch kein weitere Arbeit in diesem Projekt für uns als Schauspieler. Alle hoffen also gerade auf ihren großen Auftritt. Zum Vergleich: In Deutschland werden die Serien hingegen erstmal gedreht und dann zum Schluss noch ein Pilot hinterher, den man dann als erste Folge zeigt. Wer sich das wohl ausgedacht hat?
Was hat dich bewogen, in die USA zu gehen?
Der Hauptgrund, in die USA zu gehen, war schlicht und einfach der, dass die amerikanischen Produktionen mir Arbeit gegeben haben. Bereits während meiner Schauspielausbildung konnte ich nebenher bereits drehen und davon vielfach in englischsprachigen und speziell auch amerikanischen Produktionen. Die Tatsache, dass ich zweisprachig aufgewachsen bin, hat mir dabei natürlich sehr geholfen. 1989 kam dann das Angebot in Rebecca Horns Film „Busters Bedroom" an der Seite von Donald Sutherland und Geraldine Chaplin mitzuspielen. Ich wurde ja noch so erzogen, das Theater, die eigentliche Kunst ist und nicht Film, und Fernsehen war ganz böse. Aber die Arbeit mit diesem großartigen Team hat mir in dieser Zeit die Sparte Film ganz neu eröffnet. Hingegen aller Klischees habe ich auch immer nur gute Erfahrungen mit amerikanischen Filmteams gemacht. Hier sind mir stets besonders nette, aufgeschlossene, vorurteilsfreie Menschen mit einem sehr starken Teamgeist begegnet.
Später haben mir Hauptrollen in deutsch-amerikanischen Koproduktionen wie unter anderem „Visioner" von Produzent Ivo Alexander Beck (damals Janus, heute Ninety-Minute Film GmbH) auch in den USA Türen geöffnet. Wegen eines weiteren Filmangebots bin ich dann 1998 nach Los Angeles gegangen, habe mich dort fortgebildet und wollte einfach gerne verstehen, wie sie dort arbeiten und warum die Filmindustrie in Hollywood uns weltweit so wahnsinnig beeinflusst. Ich hatte aber nie vor auszuwandern, sondern arbeite weiterhin in deutschen Produktionen und habe lediglich mein Spielfeld erweitert.
Wie läuft in den USA ein Casting ab?
Casting ist hier eine intensive Sache. Der Ablauf bis zum eigentlichen Casting, der "live audition" ist in den USA ganz ähnlich wie in England: Auf Casting-Portalen, wie zum Beispiel dem Breakdown Service, werden jeden morgen neu die Casting-Angebote (Breakdowns) eingestellt und verschickt. Mein Agent sieht sich morgens alle aktuellen Rollen an und schlägt mich dann umgehend für die passenden Rollen vor. Die Casting Directors geben dann meinem Agenten meist für den nächsten Tag meine Vorsprechzeit an, der sendet das an meinen Manager und der schreibt mir mein „casting sheet": Wo ich wann zu sein habe, welche Szenen ich vorsprechen soll und wer im Raum sein wird. D.h., ob ich z.B. nur dem Caster vorspreche, ob es auf Kamera aufgenommen wird oder ob ich schon für „Producer" vorspreche, da sind dann schon Produzenten und/oder der Regisseur im Raum. Wie in den UK, hat man auch in den USA meist nur einen Tag Zeit, seine Rolle vorzubereiten: Man kommt rein, spielt die Szene vor und das war es dann. Eine kurze Zeitspanne, in der man die Caster erwischen, abholen und aufrütteln muss. Nach dem ersten Vorsprechen wartet man auf das sogenannte „Call back". Wer das Glück hat in die zweite Runde zu kommen, kriegt meist noch am gleichen Tag einen Anruf (den „call back"), und wird gebeten die Szene jetzt dem Produzenten/Regisseur live vorzusprechen und danach wird dann der „beste" Schauspieler für die besetzt.
Wenn man sich schon einen Bekanntheitsgrad als gute Schauspielerin erarbeitet hat, wird man meist direkt zum Producer Casting eingeladen, was die Sache, aber nicht unbedingt leichter macht, weil die Konkurrenz hier meist einen Oscar vorweisen kann und der hat einfach auch Besetzungspower.
Wie sieht so ein Breakdown in den USA aus?
Im Gegensatz zu Deutschland wo man z. B. nach „Frau, zwischen Mitte und Ende 40, eher schlank" sucht, ist die Rollenbeschreibung beim amerikanischen Breakdown wesentlich konkreter und beinhaltet auch die Zusammenfassung der Vorsprechszene, also worum es in der Szene und manchmal auch darüber hinaus in der Story geht.
Neulich bin ich beispielsweise für folgende TV Rollen zum Vorsprechen gegangen:
„Late 40s, FEMALE, stunning, fair and possibly a redhead, this intelligent, upscale and put-together woman is seen in a flashback to the 1980s, obviously distraught over a family matter... - MUST RESEMBLE A YOUNG GENA ROWLANDS (see photo)
Ein anderes Beispiel:
"Mueller's classy and charming GERMAN wife (mid 30s - 40s), she's looking forward to meeting Tim's fiancee, and is delighted when he proposes (under pressure) to Darla during lunch. She's taken aback when Tim's real fiancee, Julie, arrives on the scene, causing quite a bit of chaos...Please submit either GERMAN actresses or strong actresses who are good with the accent. SUBMIT ALL TYPES."
Beim zweiten Breakdown geht es ihnen nicht um den Typ,sondern um die Glaubwürdigkeit und den Akzent. Da entsteht doch gleich ein ganz anderes Bild, oder?
Im US-Fernsehen wird sehr stark nach Typen besetzt, deshalb ist es hier wichtig als Schauspieler seinen eigenen Typ zu kennen und die eigene Bandbreite in diesem Rahmen zu verstehen. Jeder Schauspieler weckt, trotz unterschiedlicher Rollen immer wieder ähnliche Assoziationen, die in Eigenschaftswörtern festgehalten werden können. Mit mir werden zum Beispiel Eigenschaften wie, „stunning", „ladylike", „intelligent", aber auch „quirky", „sensitive" und „adventurous" assoziiert.
Wenn diese Eigenschaften im Breakdown auftauchen, weiß ich meist schon ich liege voll auf der Rolle oder eben auch daneben. Das heißt aber nicht, dass ich dann nicht zum Casting gehe... Denn die sehen die Rolle ja auch zum ersten Mal und können sich immer noch anders entscheiden bzw. durch einen Schauspieler inspiriert, die Rolle umschreiben.
Ein schönes Beispiel ist auch Danny De Vito. Zu dessen Beschreibungen gehören eher: "klein", "unansehnlich", "widerwärtig". Zu dem soll ein Caster in New York mal gesagt haben: „Hören Sie auf mit diesem Beruf, Sie sind so widerwärtig, ich kann Sie einfach nicht ansehen!" Aber genau damit hat De Vito dann Millionen gemacht! Oder Armin Müller-Stahl: der wird immer wieder als „der weise Charakter mit jüdischem Hintergrund" besetzt. Strategisch gesehen sollte man als Schauspieler sein Profil erkennen, annehmen, pflegen und es stets weiterentwickeln.
Wie fährst Du weiter mit dieser „Strategie" fort, wenn Du ein Casting-Angebot mit einer für Dich passenden Rollenbeschreibung liest?
Ich bleibe jetzt mal bei dem Fernsehbeispiel, denn beim Kino ist das anders. Also, wenn ich sehe, dass so eine Rollenbeschreibung meinem Typus entspricht und es handelt sich beispielsweise um eine Episodenrolle in einer Serie, dann fange ich sofort mit der Hintergrundrecherche an.
Ich schaue mir die Serie auf der Webseite des Senders an, und erkunde Stil und Genre: Wie ist diese Serie gestaltet? Welches Konzept steht dahinter, wie ist die Schauspielführung aufgebaut. Wer sind die Hauptdarsteller und wie ihre Verhältnisse zueinander. Welche Rolle spielt meine Figur in diesem Zusammenhang?
Nach der Recherche lerne ich den Text auswendig, obwohl beim Casting nur ein „cold reading" verlangt wird. Ein Cold Reading ist ein „kaltes Vorsprechen", weil man so gar keine Zeit hat sich „warm" zu machen, also vorzubereiten, für die Rolle. Konkret heißt das, dass man vom „Blatt spielt", also mit der Szene in der Hand. Manchmal kriegt man die Szene tatsächlich erst 20 Minuten vor dem Casting. Trotzdem muss man es schaffen, die Figur vollkommen zu verkörpern und darzustellen - diese Cold-Reading-Casting- Techniken werden hier überall unterrichtet.
Ich erarbeite dann die Figur im Stil der Serie (Also einen Auftritt in „Deadwood" muss ich anders gestalten als einen Auftritt in „Rome", „Nip-Tuck" oder „The L-Word" etc.) Wenn es um Dialekte geht, oder darum genauso wie Gena Rowlands zu sprechen, ziehe ich noch einen Dialect Coach zu Rate, der mir hilft, genau den richtigen Akzent für die Rolle zu erarbeiten.
Last but not least, versuche ich, meinen ganz eigenen Zugang zu der Rolle zu finden - einen Rollenansatz, der mich möglichst von meinen Konkurrenten unterscheidet und vielleicht auch einzigartig macht.
Diese ganzen Vorbereitungen machst Du in den USA aus einem einzigen Grund: Wenn du da rein gehst und 5-10 Minuten hast, um deine Szene zu spielen, dann willst Du ein „Wow" vom Caster. Und keinen Deut weniger! Sonst kommst Du da nicht weiter.
Wenn das Casting in einem der großen Studios stattfindet, werden die Produzenten oft gleich vom Set zum Castingbüro gerufen und wenn du die Rolle kriegst, geht es gleich weiter zum Kostüm. Gedreht wird dann oft schon am nächsten oder übernächstenTag.
Wie wichtig ist das „Material" eines Schauspielers und wie hat es auszusehen?
Neben dem Breakdown Service Online Profil gibt es hier auch das Bewerbungsphoto und die Vita. Der „headshot" ist kein Kopfschuss sondern ein 8x10 inch Farbfoto mit angehefteter Vita auf der Rückseite. Die Vita heißt hier Resume und ist auch anders aufgebaut, als die deutsche Vita. Es fehlen zum Beispiel die Jahreszahlen. Demobänder sollte man mit dem eigenen Profil (Vita /Photos/Agentur) beim Breakdown Service unbedingt hoch laden. Danach wird aber nicht gleich besetzt, sondern nur die Vorauswahl der Schauspieler getroffen, die zum Casting eingeladen werden. Besetzung findet hier, wie schon gesagt, immer erst nach einem Live Casting statt. Zu diesem Casting bringt der Schauspieler das Photo mit der Vita mit. Die Bilder werden nach dem Casting meistens weggeworfen, wie Veit Helmer das wahrheitsgetreu in seiner Dokumentation über den US-Amerikanischen Casting-Markt in "Behind the Couch" zeigt. Natürlich behalten Caster auch Bilder als Referenz zu verschiedenen Schauspielern, aber eigentlich geht es hier bei jedem Casting und mit jeder neuen Rolle wieder von vorne los: das nennt man "clean desk". Und das gilt auch für bekannte Schauspieler, nicht die Megastars, aber mancher Megastar ist nach ein paar Jahren ja auch nur wieder ein bekannter Schauspieler.
Weiterhin ist es wichtig auf der IMDB, der Internet movie data base neben seinen Credits auch ein Foto zu haben. Die ganze Entertainment Industrie schlägt hier nach.
Was sind die Unterschiede zwischen einem TV-Casting und einem Casting für einen Kinofilm?
Im Fernsehen werden wieder erkennbare Typen gecastet, die glaubhaft sein müssen, Hauptdarsteller meistens gut aussehend, aber auch medioker. Fernsehen besetzt „safe", ohne Risiko. Da gibt es keinen Raum für Experimente. Bei HBO und Showtime sieht das etwas anders aus, aber im Allgemeinen ist das so.
Beim Kino geht es darum, das der Schauspieler mit der Essenz seiner Persönlichkeit den Raum betritt. Hier spielt die Seele.
In einem US Kino-Casting sitzen beim letzten Vorsprechen auch meist noch viel mehr Leute als in einem TV-Casting. Da trifft man schon mal auf die versammelte Produzentenriege des Projekts.
Beim Kino habe ich aber auch oft erlebt, dass es gar kein Casting gab, sondern der Regisseur mit einem nur ein Gespräch führen wollte und sich daraus dann oft die Besetzung ergab. Hier ging es immer um Persönlichkeit und Inhalte. Mit Kevin Spacey habe ich das so erlebt, und auch mit Stephen Daldry, beide lernte ich übrigens über deutsche
Casting Directors kennen.
In den USA spielt der Marktwert eines Schauspielers eine grosse Rolle. Und die Dimension des „Filmstars" läuft hier natürlich auf einem ganz anderem Level. Wenn Du es geschafft hast, ein Star zu sein, ist das noch mal ein ganz anderer „Hype" als bei uns. Der Druck auf den Schauspieler ist wesentlich größer und der kann auch genauso schnell wieder vom Sockel fallen... Es hängt alles davon ab, wie du nach außen hin auftrittst, wie du mit der Presse umgehst und in welchen Talkshows du welche Dinge sagst. Das sind alles Aspekte, auf die dich bei uns niemand vorbereitet, die du dann aber zwangsläufig durchlaufen musst! In Hollywood gibt es dafür unzählige Experten, die den Schauspielern in diesen Kategorien helfen bzw. trainieren. Allerdings geht der Starkult hier ja auch soweit, das Kollegen teilweise vor lauter Paparazzi ihrer Arbeit nicht nachgehen können, das wurde letztens u.a. auch in der Screen Actors Guild thematisiert.
Stars stehen unter einem enormen Druck, sie leben in der ständigen Angst zu fallen. Diese Angst kannst du in vielen berühmten Gesichtern lesen - sieh´ dir einfach nur Nicole Kidman oder Meg Ryan an. Das finde ich furchtbar.
War es für Dich als Deutsche denn schwierig, in den USA Fuß zu fassen?
Als deutscher Schauspieler muss man sich hier immer wieder mit der feststehenden Rollenvorstellung des „Nazis" auseinandersetzen. „Der Nazi" an sich wurde schon in so vielen Filmen, Serien, Videogames, etc. verwurstet, dass er schon fast zur Comicfigur degradiert ist. In mir sehen die Amis nicht unbedingt einen Nazi oder anders gesagt, wenn ich wo reinkomme, identifiziert mich hier keiner mit Deutschsein (was mit einer gewissen Härte, Disziplin und eben Nazis gleichgesetzt wird), sondern ich werde bei europäischen Rollen als Französin, Russin, Polin oder Skandinavierin als europäische Meryl Streep-Variante gecastet. Für spezifisch deutsche Rollen schickt mich meine Agentur meist nicht mehr raus, für die werde ich einfach nicht besetzt. Meine moslemischen Freunde und auch die Jüdischen, die so aussehen, haben die letzten Jahre alle sehr viel in den USA gearbeitet, weil der Irakkrieg in Kinoproduktionen und TV Serien wie „Sleeper Cell" thematisiert wurde. Die haben jetzt alle Häuser in den Hollywood Hills. Ich will damit sagen, das die Schauspieler in Deutschland ja vielfältig sind und unterschiedlich aussehen, so dass für den ein oder anderen hier auch ein ganz anderes Rollenprofil entstehen kann.
In Deutschland gibt es seit 2006 den Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS). In den USA engagiert sich seit 1933 die Screen Actors Guild (SAG) für die Schauspieler. Wo siehst Du Parallelen, wo Unterschiede?
Im Gegensatz zu Deutschland - was ja noch kommen kann- hat die SAG für die amerikanischen Schauspieler Mindestgagen ausgehandelt, die auf jeden Fall eingehalten werden. Diese Gagen sind, wie der Name schon sagt, die gesicherte Gage nach unten hin. Der Agent wird aber in jedem Fall versuchen, eine höhere Gage zu verhandeln und ein bekannter Schauspieler bezieht seine über die Jahre „erarbeitete" Gage, so wie das bei uns vor den jetzt immer häufiger werdenden „Dumping Buy out Gagen" auch der Fall war. Darüber hinaus ist der Schauspieler am Verkauf beteiligt und bekommt Royalties. D.h er ist an den Auswertungskaskaden beteiligt wie beispielsweise Auslandsverkäufen. In den USA gibt es keinen Buy-out, und das ist schon mal ein riesiger Vorteil den deutschen Kollegen gegenüber! Außerdem werden auch auf Mindestgagen noch diverse Zuschläge aufgerechnet.
Was sind das für Zuschläge? Rentiert sich das denn?
Ich kann dir das am Beispiel eines Drehtages von „Mad Men" illustrieren, bei dem ich eine Episodenhauptrolle spielte.
Die absolute Mindestgage zum Beispiel für jemanden, der in einer Szene die Tür aufmacht und sagt: „Kommen Sie rein", liegt bei etwa 800 Dollar. Als Episodenhauptrolle bekommst du mindestens 1.800 Dollar. Das ist der unterste Richtwert. Mein Agent hat hier eine Gage die zwischen 2.000-3.000 Dollar liegt ausgehandelt. Nun war es aber so, dass ich für diese Rolle unglaublich lange Kostümproben hatte, außerdem wurde mein ganzer Körper für eine halbnackte Pool-Szene mit Bräunungs-Spray bearbeitet, das dauerte nochmals zwischen 6 und 7 Stunden und obendrauf das Haar-Styling. Diesen Tag bekam ich extra bezahlt, denn das war mein Kostümtag. In Deutschland ist das zum Beispiel mit inbegriffen und wird nicht extra vergütet. Dann hatte ich eine lange Leseprobe, die wurde ebenfalls extra bezahlt. Am Drehtag haben wir bis vier Uhr morgens gedreht, eine hundsmäßige Uhrzeit, aber eben auch die „Golden Hour" - das heißt wir bekamen allesamt den dafür üblichen Überstundenzuschlag.
Jetzt liegt das Honorar für den Drehtag bei ca 6.000 Dollar! Und durch die vertraglich festgelegte Beteiligung am Weltvertrieb der Episode, kommen jetzt neben den nationalen Wiederholungs-Schecks von ca. 1000 Dollar, auch noch die Beteiligungen aus dem Ausland, also wenn die Serie eben in Deutschland und sonst wo in der Welt ausgestahlt wird, ins Haus geflattert. Das alles hat der deutsche Schauspieler mit dem „Buy Out" verspielt. Auch die älteren Kollegen hier leben alle von ihren Wiederholungsgagen. Die Eigenproduktionen der Sender sind in den letzten Jahren in Deutschland extrem zurückgegangen und dafür laufen die ganzen Wiederholungen meiner Filme und TV Serien aus den 90igern. Wenn ich die zu der Zeit in den USA zu hiesigen Bedingungen gedreht hätte, wer ich jetzt richtig reich.
Was würdest Du einem deutschen Jungschauspieler, der in den USA arbeiten möchte, als wichtigsten Ratschlag mit auf den Weg geben?
Das allerallererste, womit er sich überhaupt beschäftigen solltest - denn das tun die Wenigsten und scheitern deswegen gleich schon zu Beginn - ist: die Arbeitserlaubnis! Ohne die geht hier überhaupt nichts. Eine Arbeitserlaubnis bekommst du entweder durch eine Festanstellung, einen Vertrag mit einer Firma oder, als Schauspieler, durch das sogenannte O1-Visum. Das ist das Visum für Personen - Künstler, Sportler oder Wissenschaftler - mit einer „extraordinary ability" mit außerordentlichen Fähigkeiten.
Das sind die Personen, die die USA haben wollen: die Einsteins, Boris Beckers und Marlene Dietrichs.
Und Du musst nachweisen, dass du als Schauspieler „One of the ten best of your country" bist. Ich habe mich damals gefragt: Wer sind denn die 10 Besten? Wonach richtet sich das? Persönlich fand ich Kolleginnen wie Katharina Thalbach, Corinna Harfouch, Hannelore Hoger oder Barbara Sukowa herausragend. Die gehörten für mich zu den Besten. Das waren aber nicht die Sternchen auf der Liste der USA! Der Witz war, als ich damals nach Amerika ging, stand Verona Feldbusch (heutige Pooth) auf Platz 1. Und Franka Potente, die war gerade angesagt, stand dafür aber auch nur auf Platz 5! Das hat eben was mit dem aktuellen Marktwert zu tun. Frau Feldbusch hatte 1998 in „Conan, der Abenteurer", der TV Serie mit Ralf Moeller einen Auftritt und dadurch Medienpräsenz in den USA.
Wie kamst Du an das O1-Visum?
Um ein O1 zu bekommen musst du also nachweisen, dass du als Schauspieler zu den Top-Ten Deines Landes gehörst. Dazu zählen z.B. mehr als 100.000 Google-Einträge. Weiterer Nachweise sind Coverfotos, also wenn dein Foto auf unzähligen Titelseiten verschiedener Heften oder ähnlichem zu finden ist und es Zeitungsartikel über Dich gibt, gilt das als Credit. Am Besten ist es natürlich, wenn Du Schauspielpreise vorweisen kannst. Ein festes Arbeitsangebot in den USA nachzuweisen ist Pflicht.
Als ich den Grimme Preis gewonnen hatte, habe ich das sofort für meine Greencard genutzt.
In jedem Fall musst Du Dir einen guten Immigrations-Anwalt suchen,der sich in der Filmindustrie auskennt und der das O1-Visum aufsetzt. Zu guter Letzt benötigst du noch bis zu 10 Briefe von bekannten US Filmproduzenten/Firmen, die Dir Arbeitsangebote bestätigen und außerdem bekräftigen, dass sie dich unbedingt für diese Rolle haben wollen und nur Du diese spielen kannst.
Manchmal fungiert auch die US-Schauspielagentur als Arbeitgeber, die den Ausländischen Schauspieler „sponsort". Da muss man aber auch aufpassen. Falls man sich mit der Agentur nicht mehr versteht, geht einem auch die Arbeitserlaubnis flöten. Da gibt es zur Not aber auch ein paar Tricks.
Einfach in Amerika auf ein Casting gehen ist nicht drin. Wenn man unbedingt in den USA als Schauspieler arbeiten will, sollte man in Deutschland mit den Vorbereitungen anfangen: Treff die Amerikaner z.B. auf der Berlinale! Wenn dir hier jemand aus den USA eine Rolle anbietet, ist nämlich die Amerikanische Produktion für das Arbeitsvisum zuständig und der Schauspieler fliegt nur ein und spielt seine Rolle. Wenn man dann unbedingt dort weiter arbeiten will, kann man die aktuelle Medienpräsenz und die neuen Arbeitskontakte für das O1 Visum oder eine Greencard nutzen.
Regisseure wie Oliver Stone zum Beispiel, haben massenweise Briefe für ausländische Schauspieler verfasst, die in ihren Filmen gespielt haben, ihnen bestätigt, wie großartig sie sind und dass sie weiter mit ihnen arbeiten wollen. Dadurch sind die dann in den USA gelandet.
Worauf sollte man als Schauspieler in den USA noch achten?
Der finanzielle Aspekt spielt eine wichtige Rolle. Der ganze Prozess mit dem Visum und der Arbeitserlaubnis kostet zwischen 5.000 und 10.000 Dollar. Ich würde deshalb jedem empfehlen, den das hier interessiert, sich jährlich bei der Greencardlotterie zu beteiligen. Los Angeles ist eine teure Stadt, in der man ein eigenes Auto braucht und Geld für die Akquise, die anderen Formate der Bewerbungsunterlagen, eventuell ein paar Stunden mit einem guten Acting Coach und vor allem den Dialect Coach, um den Amerikanischen Akzent zu erlernen.
Was ist für Dich „Heimat"?
Heimat trage ich im Herzen. Aber seitdem ich auch im Ausland bin, setze ich mich umso mehr mit meiner deutschen Heimat und dem deutschen Film auseinander. Die ersten Jahre in LA habe ich mich viel mit den deutschen Immigranten beschäftigt. Von Murnau über Lubitsch zu Wilder, habe mit Prof. Dr. Schnauber kollaboriert, mit dem Enkel von der Dietrich gearbeitet, die Original Drehbücher von Bert Brecht und Fritz Lang in der Hand gehabt, bevor sie in die Deutsche Kinemathek gingen und ich mache ja auch immer wieder meine Immigranten Lesungen, ob wie vor einigen Jahren z.B., im original Haus von Thomas Mann in den Pacific Palisades, wo ich die Texte las, die er dort schrieb, bis zu den Feuchtwanger Lesungen in der Villa Aurora.
Durch meine Mitgliedschaft in der Deutschen Filmakademie ist mir unsere gegenwärtige Situation sehr präsent und ich bin jedes Jahr bei der Berlinale, um mittlerweile auch meine amerikanischen Freunde mit meinen deutschen Freunden zusammenzubringen und nicht nur herausragende Rollen, sondern auch Stoffe für gute TV & Film Koproduktionen zu finden und zu entwickeln. Dabei ist mir der Kontakt zum deutschen Nachwuchs sehr wichtig.
Als Schauspieler ist man rein beruflich ja immer viel unterwegs. Somit hat sich für mich auf der Ebene überhaupt nichts geändert. Außer, dass ich jetzt noch eine zweite Karriere in einem anderen Land aufgebaut habe - mit zwei Banksystemen, zwei Steuersystemen, zwei Sozialsystemen, zwei Listen mit Regisseuren, zwei Listen mit vielen vielen Kollegen.
Durch meine Sprache und meine Erinnerung, die ich als Schauspielerin im Körper trage, bin ich mit Europa verwurzelt. Bei meiner Retrospektive letztes Jahr im Goethe-Institut in Los Angeles, sagte die moderierende Filmwissenschaftlerin Silvia Kratzer:
„Wenn Du in Deutsch spielst, dann ist es, als würdest Du dich zurücklehnen. Im Englischen stehst du stets auf den Zehenspitzen!"
Das finde ich, ist ein passendes Bild, denn die Melodie der Sprache und der Habitus ist in den Kulturen anders. Für deutsche Rollen geh ich tiefer in meine Wurzeln, da bin ich mehr Dichter und Denker. Wenn ich Englisch spiele geht mein Körper in die Leichtigkeit, die Bewegung, ich werde jünger und die Stimmer höher und melodischer.
Welchen Zugang hat Du zu den US-Amerikanern mittlerweile gewonnen?
Ein Weg, um die Amerikaner besser zu begreifen und ergo darstellen zu können, war für mich ihren Sport zu erlernen. Baseball - in meinem Fall, die weichere Variante, die sich Softball nennt.
Ich komm ja aus unserer Fussball Nation und Baseball hat für mich gar keinen Sinn gemacht, und die Begeisterung habe ich schon gar nicht verstanden, bis ich selbst im Feld stand.
Und dann ging's los, plötzlich fiel mir auf, die ganze Sprache hier, ist auf diesem Sport aufgebaut - Drehbücher werden „gepicht", wie der Ball dem Gegner. Schaffst Du es beim ersten „Date" bis zur „first base" wird geknutscht, schaffst Du es bis zur „second base" geht's schon über zum Petting und wenn es ein „home run" wurde, biste mit ihm gleich in der Falle gelandet. Wer dreimal ein Verbrechen begeht , bekommt lebenslänglich, „three strikes and you are out" heisst das Gesetz. Der „strike" ist wie oft man mit dem Baseballschläger nach dem Ball schlagen darf, der einem"gepitcht" wird. Die Begriffe um den Baseball sind so tief in Sprache und Kultur verwebt, das ich viele Drehbücher oder Verhandlungen nicht verstanden hätte ohne die Softballpraxis.
Um auch die sozialen Konflikte und die daraus resultierenden Rollen besser zu begreifen arbeite ich zusammen mit anderen Künstlern mit den Kindern, die hier in den Ganggebieten wohnen und die stark gefährdet sind auch kriminell zu werden. Wir bringen ihnen in Schauspielworkshops bei, wie sie ihre eigenen Themen auf die Bühne bringen oder als Film erzählen können. Die Stories und Vorstellungen die daraus resultieren hauen mich immer wieder um. In meine eigene Rollenvorbereitung fließt jetzt auch Ihr Slang, die Hip Hop Culture und vieles mehr, was mir sonst verborgen geblieben wäre, um amerikanische reale Personen darstellen zu können.
Schade finde ich, das wir Deutschen so ein komisches Hass - Liebesverhältnis zu Hollywood haben, was sich leider auf die Filmemacher und Schauspieler auswirkt, die auch in den USA arbeiten oder dort arbeiten wollen. Da wird immer mit so einer Mischung aus Häme und Neid reagiert, fasst wie ein gekränkter Liebhaber, was auch stark von den Medien aufgebaut wird, die einem auch gerne die Zugehörigkeit nehmen: „Du bist doch jetzt in Hollywood, was willste denn noch hier." Die Spanier und die Briten z.B. gehen damit viel entspannter um, die machen weiterhin gute einheimische Produktionen und mischen auch auf dem amerikanischen Markt mit. Bei uns existiert ja fast eine Schadenfreude - ein Wort was die Amis eins zu eins von uns übernommen haben, weil es das Wort in ihrem Sprachschatz nicht gab - wenn es einer nicht zum Superstar schafft, als wäre das da A und O unseres Berufes.
Ich würde mir mehr gute Zusammenarbeit wünschen, mehr Koproduktionen und vor allem wieder ein deutsches Film Festival in Los Angeles, wo der aktuelle deutsche Film sich sehen lassen kann, denn das kann er!
Was sind Deine Oscar-Tipps?
Tipps? Ich kann Dir meine Wunschliste geben: Ich will einfach nur das Christoph Waltz den "Supporting"-Oscar gewinnt und Michael Haneke den Oscar für den besten ausländischen Film und Christian Berger den Oscar für die beste Kamera. Hollywood ist näher an uns dran, als viele denken, sogar der alte Hitchcock hat das Lichtsetzen in Babelsberg gelernt. Das kann doch nur noch besser werden.
Vielen lieben Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Tina Thiele
Die Website von der ZAV Berlin, die Agentur von Nina Franoszek in Deutschland:
ZAV-Künstlervermittlung Berlin - Film/Fernsehen
Tel.: 030-55 55 99 68-32,-34,-43,-30
www.zav-berlin.arbeitsagentur.de
Sonja.Doering@arbeitsagentur.de
Die persönliche Website von Nina Franoszek:
www.ninafranoszek.com
Nina arbeitet auch für InsideOut:
www.youtube.com
Im Anhang finden Sie viele wertvolle Informationen zum US-Markt - zusammengestellt von casting-network und der unermüdlichen Hilfe von Nina Franoszek.
Anhang ansehen / runterladen:
Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von "casting-network. Das Branchenportal". Mehr zu ihrer Person finden sie in der Rubrik: Über uns.
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