CASTING: HIER & ANDERNORTS | Neue Reihe
Anlässlich des BAFTA-Award (der Englische Oscar), der am 21. Februar 2010 in London verliehen wird, sprechen wir diesmal mit dem in London lebenden deutschen Schauspieler Branko Tomovic. Anhand der persönlichen Erfahrung von deutschen Schauspielern möchten wir das Thema Casting hierzulande und in anderen Ländern näher beleuchten, um Unterschiede, Gemeinsamkeiten sowie last but not least Chancen und neue Wege aufzuzeigen.
Steckbrief:
Branko Tomovic wurde am 17. Juni 1977 als Sohn serbischer Eltern in Münster geboren. Er wuchs zwischen Deutschland und Serbien auf. Nach der Schule studierte er Schauspiel am Lee Strasberg Theater und Film Institut in New York. Es folgten mehrere Film-Acting Kurse an der IFS und der KHM, sowie Workshops in Köln und London. Heute lebt und arbeitet er in London, dreht aber auch immer wieder für deutsche Produktionen wie beispielsweise „Bella Block" oder „Ein Fall für Zwei".
Wegen seinem dunklen, grüblerischen Aussehen wird er hierzulande gerne für osteuropäische Rollen besetzt. Er drehte unter anderem mit Ken Loach, Sönke Wortmann und Paul Greengrass. In „Das Bourne Ultimatum" (Casting UK: John und Daniel Hubbard | Casting USA: Avy Kaufmann) verkörperte er einen russischen Polizisten. Zuletzt spielte er in „Die Päpstin" (Casting: Anja Dihrberg) von Sönke Wortmann.
Du hast am Lee Strasberg Theater und Film Institut in New York Schauspiel studiert. Wie kam es dazu, dass Du für Deine Ausbildung direkt um die halbe Welt gereist bist?
Ich hatte gerade mein Abi gemacht und stand vor der großen Frage: Was nun? Konkreter Auslöser, Schauspieler in den USA zu werden, war ein Artikel in der Cinema über das erwähnte Theaterinstitut, der mich sehr faszinierte. Von da an ging alles ziemlich schnell. Mit diesem Ziel vor Augen, musste ich zunächst ein Jahr jobben, um das Geld für die Schule zusammenzukratzen.
Mit zwei Koffern ging es dann über den großen Teich. Genau zwei Wochen hatte ich Zeit, eine Wohnung zu finden, bevor die Schule losging. Die ersten beiden Wochen verbrachte ich in einem ziemlich heruntergekommenen Hotel mit anderen Studenten, Nutten und japanischen Touristen (lacht). Dann fing die Schule an und war wirklich ein Fulltime-Job. Nach einem Jahr erhielt ich dann auch schon ein Angebot aus Los Angeles, vor Ort in dem jugoslawischen Kriegsfilm „Remote Control" unter der Regie von Ivan Zivkovic mitzuspielen.
Aktuell lebst und arbeitest Du in London. Wie wird dort gecastet?
Die Einladung zu einem Casting oder besser gesagt einer „Audition" erfolgt in der Regel vierundzwanzig Stunden vor dem eigentlichen Vorsprechen. Zuvor bekommt man das Drehbuch und soll meistens drei Szenen für ein „Cold Reading" daraus vorbereiten. Ich habe jedoch den Eindruck, dass immer mehr Caster erwarten, dass man seinen Text perfekt beherrscht. In vierundzwanzig Stunden drei komplette Szenen auswendig zu lernen, ist natürlich ein hartes Stück Arbeit. Andererseits gefällt es mir sehr, dass man so stetig Augenkontakt zu seinem Anspielpartner hat, anstatt ständig aufs Blatt fixiert zu sein.
Bei solch einer Audition trifft man neben dem Caster und seinen Assistenten oft auch auf Regie und Produktion. Diese Situation war für mich anfänglich sehr ungewohnt, da man in Deutschland hauptsächlich durch sein Demo-Tape ausgesucht wird.
Nun vor einer „Mauer" von Leuten zu stehen und gesagt zu bekommen: „Jetzt zeig´ mal was Du kannst!", ist schon eine andere Erfahrung.
Ich mag das, weil man nicht so festgefahren ist wie auf dem Demoband, sondern wirklich seine Chance hat, mehr von sich zu zeigen. Die Rollen, die man davor gespielt hat, sind in diesem Augenblick nicht relevant.
London ist ein perfekter Standort für Schauspieler. Die Stadt ist DER Knotenpunkt zwischen Amerika und Europa. Egal ob später in Deutschland, Spanien, Frankreich oder gar im Ostblock gedreht wird, finden in London die sogenannten „Meetings" statt: die Treffen mit den Entscheidungsträgern.
Warum finden Deiner Meinung nach in Deutschland so wenige Live-Castings in Form von Auditions statt? Vielfach wird hier als Argument „Die vier Medienstandorte" angegeben...
Ich glaube schon, dass das der springende Punkt ist. In England ist London der Hauptarbeitsstandort, aus dem ausschließlich gecastet wird. In Frankreich ist es Paris, in Italien: Rom, in den USA: L.A. und New York. In Deutschland gibt es neben Berlin noch München, NRW (Köln), Hamburg und vielleicht noch Frankfurt. Sowohl Schauspieler als auch Caster sitzen verteilt in all diesen Städten und können nicht mal so schnell von A nach B fahren. Wie ich bereits erwähnte: Von der Einladung bis zum eigentlichen Casting vergehen in London meistens nur vierundzwanzig Stunden. So etwas wäre in Deutschland undenkbar. Auf der anderen Seite wäre es ja durchaus sinnvoll, in den jeweiligen deutschen Medienstandorten solche Live-Castings anzubieten, weil man ja durch die Filmförderung oftmals bundesländerspezifisch nach Schauspielern sucht.
Wie erfährst Du von einem Casting in London?
Von meinem englischen Agenten, der mich zuvor zum Caster „gepitcht" hat, wie man das hier so gerne nennt. Genau wie in Deutschland ist der Agent der Knotenpunkt zwischen Caster und Schauspieler.
Neben persönlichen Kontakten holt sich mein Agent seine Informationen allen voran von Spotlight und seinem Online-Service. Die Plattform ist nicht nur DIE Englische Schauspielerdatenbank, sondern offeriert auch Castingangebote. Ähnlich wie in Amerika gibt es hier einen „Breakdown-Service", wo Caster Rollenprofile für bestimmte Projekte - ob Theater, Film, Werbung oder Fernsehen inserieren können. Agenten sehen diese Breakdowns im Netz, bzw. da sie täglich verschickt werden in Ihrem Postfach. Daraufhin schlagen sie passende Schauspieler dem Caster vor. Auch das funktioniert alles per Klick: Die Agenten können Vita und Fotovita von ihrem Schauspieler direkt weiterleiten.
Caster haben über Spotlight auch die Auswahlmöglichkeit ihr Adressatenfeld zu bestimmen: Geben sie den Breakdown nur an bestimmte Agenturen, oder an alle weiter? Deswegen ist es auch so wichtig, bei welcher Agentur man ist, da es hier schon hierarchische Qualitätsabstufungen gibt.
Anders als in Deutschland, wo es einige Datenbanken gibt, ist Spotlight wahrlich DIE Datenbank und hat eindeutig das Monopol. Hier sind nahezu alle Schauspieler vertreten mit Lebenslauf samt Eigenschaften, Sprachen und Fotos. Und wer mag auch mit Demo-Tape.
Hast Du bei Spotlight auch ein Demoband?
Ja. Aber das ist nur um die erste Hürde zu überspringen, wenn ein Caster dich kennenlernen möchte, bevor er dich den Regisseuren vorstellt. Ein Demoband dient lediglich dazu einen ersten Eindruck zu vermitteln bzw. Anhaltspunkt zu gewinnen. Insofern laden Caster einen Neuling gerne erst auch mal alleine „Face-to-face" ein, bevor sie ihn dem Regisseur und / oder Produzenten vorstellen.
War es für Dich leichter im englischsprachigen Bereich einen Fuß in die Tür zu bekommen, weil Du in den USA schon studiert hattest?
Sehr gute Sprachkenntnisse sind schon sehr wichtig! Mit einfachem Schulenglisch kommt man hier wirklich nicht weit. Bei einer Audition oder einem Meeting bestehen die ersten zehn bis fünfzehn Minuten erst mal nur aus Small-Talk. Da muss man reden können und wenn es nur über das Wetter ist. Regie und die Produktion wollen einen persönlich kennenlernen. Und man selbst kann ebenfalls herausfinden, ob man mit der Person zusammenarbeiten möchte. Deshalb findet meist immer noch ein Gespräch vor dem eigentlichen Spielen statt.
Wird von deinem englischen Agenten kommuniziert, dass Du ursprünglich Deutscher bist?
Teilweise (lacht). Agenten müssen natürlich auch erstklassige Verkaufsleute sein. Sie suchen nach dem „Hook", dem Haken, den sie einschlagen können, um ihren Klienten unterzubringen beziehungsweise auf ihn aufmerksam zu machen. Das heißt, sie würden nie eine Information weitergeben, die dem im Weg steht. Wenn eine deutsche Rolle gesucht wird, man ist Deutscher und kann vielleicht sogar Englisch mit einem deutschen Akzent sprechen, ist das natürlich ein großartiger Verkaufspunkt. Und genau das wird dann auch kommuniziert.
Kann es sein, dass dein Agent Dich durch diese Flexibilität in England mit einem größeren Rollenrepertoire anbieten kann als in Deutschland?
Absolut! In Deutschland werde ich vorwiegend für osteuropäische Rollen besetzt. Ich habe nichts dagegen, wenn die Rolle gut ist. Aber meiner Meinung nach, lässt einem ein englisches Casting mehr Möglichkeiten. Das hängt damit zusammen, dass man in England die Meetings hat, in denen von Anfang an beide Seiten ein besseres Gespür für ihr Gegenüber bekommen.
Gibt es Mentalitätsunterschiede in der Arbeit als Filmschauspieler zwischen Großbritannien und Deutschland?
Riesige! Auch wenn ich meinen deutschen Kollegen damit jetzt in den Fuß schieße: In Deutschland hält sich jeder kleine Seriendarsteller XY schon für einen Superstar. Ich finde es unglaublich, was da teilweise für eine Arroganz an den Tag gelegt wird! In England ist die Mentalität der Schauspieler eine ganz andere. In den vielen Auditions und Meetings muss man sich nicht nur künstlerisch, sondern auch menschlich immer wieder aufs Neue beweisen. Das hält die Leute wirklich auf dem Boden! Auch die englischen Wochengagen, denn meistens wird man für eine Woche gebucht, sorgen nicht gerade für Höhenflüge. Man kommt zunächst auf einen viel niedrigeren Lohn als in Deutschland.
Die allgemeine Erwartungshaltung ist eine ganz andere. Wenn zum Beispiel in Deutschland ein Casting stattfindet, erwarten die Schauspieler tatsächlich eine Übernahme der Reisekosten: „Natürlich komme ich, aber ihr übernehmt meinen Flug, wenn ihr mich sehen wollt." So etwas würde ein englischer Kollege niemals tun! In England muss man auf eigene Kosten anreisen, da führt kein Weg dran vorbei. Aber ich finde, wenn man etwas wirklich will, dann sollte man auch selber „aus dem Pott kommen" und dafür alles geben und einsetzen! Andererseits ist man in England viel stärker am finanziellen Erfolg eines Projektes beteiligt: buy outs sind hier nicht Gang und Gebe. Das trägt auch viel zur Motivation bei, sich für ein Projekt stark zu machen.
Gibt es in England eine Schauspielergewerkschaft?
Ja, und zwar die Schauspielergewerkschaft Equity. Um nochmal auf die Verträge zurückzukommen: Englische Schauspieler arbeiten mit „Royalties", also Wiederholungsgagen: Wenn dein Filmprojekt irgendwo ein zweites oder drittes Mal ausgestrahlt wird oder im Ausland läuft, bekommt man einen Scheck dafür. Bei Low-Budget-Independent-Projekten erhält man teilweise sogar eine Gewinnbeteiligung, meistens um die zwei Prozent. Aktuell sind wir gerade in Verhandlungen über Internetauswertungen, denn viele Sender setzen jetzt für eine Woche die Programme online und es gibt auch die Möglichkeit Filme downzuloaden. Hier ist es gerade dem Engagement von Equity zu verdanken, die sich sehr stark dafür einsetzen, dass der Schauspieler an den Einnahmen aus diesen „Auswertungskaskaden" beteiligt wird.
Was sind Deine aktuellen Projekte?
Ich habe gerade die Hauptrolle in einem englischen TV-Film abgedreht, der im Februar 2010 anläuft. In „The Forgotten Few" geht es um eine Gruppe von osteuropäischen Piloten im zweiten Weltkrieg. Und zur Zeit läuft im Kino "The Wolfman" - ein Remake des alten Horror-Klassikers mit Benicio Del Toro und Anthony Hopkins, wo ich auch eine kleine Rolle übernommen hatte. Meine deutsche Agentin, Inka Stelljes, hat mir aber auch in Deutschland einige schöne Projekte an Land ziehen können. So zum Beispiel der neue "Polizeiruf"„Rostock", unter der Regie von Ed Berger, der im Mai 2010 herauskommt. Aktuell freue ich mich über die Möglichkeit eine schöne, düstere Rolle in "Küstenwache" zu übernehmen. Und auch sonst liegen viele spannende Anfragen für mich vor. Sowohl national als auch und international. Dank der guten Zusammenarbeit mit meinen Agenten in Deutschland und England -und ich möchte keinen von beiden missen!
Welche Tipps kannst Du deutschen Schauspielern geben, die gerne mal in England arbeiten würden?
Einfach ausprobieren: „Give it a shot!", wie man in England gerne sagt. Zu allererst sollte man versuchen, einen Agenten vor Ort als professionellen Vertreter zu finden. Dann muss man sich im Klaren sein, dass im Gegensatz zu Deutschland Auditions auf der Tagesordnung stehen und daran kein Weg vorbeiführt. Mit einem deutschen Wohnsitz fallen dann natürlich auch Flugkosten an. Viele Schauspieler schrecken vor einer Reise extra für eine Audition erst einmal zurück. Aber das ist nur eine Barriere im Kopf! Flüge von Frankfurt nach London sind mittlerweile billiger als zum Beispiel eine Bahnfahrt von München nach Berlin. Das muss man sich erst mal vor Augen führen! Außerdem fliegt man nach London gerade mal eine Stunde. Man darf sich einfach nicht abschrecken lassen.
Ich selbst musste die erste Zeit - mit einer Agentur in England und Wohnsitz in Köln- ständig!!! für die Auditions hin- und herfliegen. Das war extrem anstrengend und auch einer der Gründe, warum ich schließlich nach London gezogen bin. Diese Entscheidung habe ich erst getroffen, als ich merkte, dass ich mich in London wohl fühle und dort auch Fuß fassen kann. Das Leben hier ist nicht gerade billig.
Deine Eltern kommen aus Serbien. Du bist dort und in Deutschland aufgewachsen, hast in New York studiert, und jetzt wohnst Du in London. Wo ist Deine Heimat?
Das ist jetzt wirklich eine schwierige Frage; andererseits aber auch nicht!
Meine Heimat ist nicht an einen Ort gebunden. Ich lebe zwar in London, bin aber häufig in Deutschland und Belgrad. Vom Gefühl her sind da einfach keine Grenzen mehr.
Als meine „Heimat" würde ich „Europa" und „den europäischen Film" bezeichnen. Durch die EU kann man ja auch allerorts arbeiten. Ich versuche immer, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein und eigentlich gelingt das auch ganz gut.
Vielen lieben Dank für das Gespräch!
Die Webseite von Inka Stelljes, Berlin, Agentin von Branko Tomovic in Deutschland.
www.inka-stelljes.de
Die Webseite von Eamonn Bedford bei MacFarlane Chard Associates, London, Agent von Branko Tomovic in England.
www.macfarlane-chard.co.uk
Interview mit Branko Tomovic über seine Rolle im Remake des Hollywood-Klassikers „The Wolfman".
www.love-it-loud.co.uk
Informationen zu und über den BAFTA-Award.
www.bafta.org/awards
Im Anhang finden Sie als PDF Informationen und Links zur Equity und anderen englischen Verbänden, Spotlight und anderen Datenbanken vor Ort sowie Lesenswertes.
Anhang ansehen / runterladen:
Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von "casting-network. Das Branchenportal". Mehr zu ihrer Person finden sie in der Rubrik: Über uns.
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