Steckbrief:
Silke Fintelmann arbeitet seit 1996 im Castingbereich. Nach ihrem Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften war sie als Assistentin von Sabine Weimann tätig. Seit 2000 ist sie selbstständige Casting Direktorin mit Sitz in Hamburg. Silke Fintelmann castet vor allem im Bereich TV-Film, zum Beispiel: „Das Glück ist eine Katze" oder „Fünf Tage Vollmond" (jeweils Regie: Matthias Steurer) und TV-Serien, zum Beispiel „Polizeiruf 110", „Berlin - Abschnitt 40". Aber auch Kinospielfilme wie „Ossi' s Eleven" (Regie: Oliver Mielke) oder „Meine Mutter, mein Bruder und ich!" (Regie: Nuran D. Calis) gehören zur ihrer Filmographie. Aktuell besetzte sie unter anderem den TV-Spielfilm „Zimmer mit Tante" (Regie: Thomas Kronthaler) oder den Serienpiloten „Dr. Chauvi" (Regie: Peter Stauch).
Du bist seit 1996 im Castingbereich tätig. Wie und wo hat alles angefangen?
Nach meinem Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Bochum, wollte ich eigentlich in Richtung Journalismus und Theaterkritik. Das Angebot meiner Kollegin Sabine Weimann, als ihre Assistentin nach Berlin zu kommen und dort für die Grundy Ufa eine Castingabteilung aufzubauen, kam überraschend - aber die Aufgabe klang reizvoll und ich habe „ja" gesagt.
Im Jahr 2000 haben Sie sich dann als freier Casting Director selbständig gemacht. Wie kam es dazu?
In den vier Jahren bei der Grundy Ufa war ich im stetigen Besetzungsprozess, habe viele Schauspielergespräche geführt und regelmäßig Castings gemacht. Das war schön und vor allem das unkomplizierte „mal kurz vor die Kamera stellen" geht mir heute ab. Allerdings kam ich selten zum Ausatmen - irgendwann hatte ich Lust auf andere Formate und auf mehr Selbstbestimmtheit. Zu der Zeit ist dann der damalige Producer von „Gute Zeiten Schlechte Zeiten", Emmo Lempert, als Geschäftsführer zum Mitteldeutschen Filmkontor nach Leipzig gegangen. Er hatte mir signalisiert, dass er es schön fände, wenn ich dort seine Projekte betreuen würde. Lempert nimmt Casting, aber auch den Caster selbst, sehr ernst. Im Prinzip hat er alle Treatments und Drehbücher, die bei ihm auf dem Tisch landeten, direkt an mich weitergegeben. Wenn man schon zum Zeitpunkt des Treatments eine gute Besetzungsidee hat, kann das für die Drehbuchentwicklung sehr inspirierend sein. Die Figuren werden oft lebendiger, persönlicher...
Also startete ich meine Selbständigkeit mit einem Berater-Vertrag, vor allem aber mit vielen schönen Projekten.
Wie sieht ein Castingprozess bei Ihnen aus? Angefangen mit dem Drehbuch.
Ich muss ein Drehbuch erst einmal so lesen, als wenn ich den Film sehen würde. Das nenne ich „Bauchlesen". Danach folgt das „Kopflesen". Dabei schreibe ich mir die Rollen raus und manchmal auch Dinge, die sich nicht stimmig anfühlen. Ein gut geschriebenes Drehbuch ist allerdings so, dass Du Dich sofort ans Besetzen machen kannst. Da gibt es keine „Fragen" mehr, vor allem, wenn ich weiß, wer der Sender ist und der Regisseur mir vertraut ist.
Nun fange ich an, Ideen zu sammeln. Am Anfang versuche ich, die Grenzen der Figur auszuloten. Welche Eckdaten sind unumstößlich, welche beweglich. Durch Vorgespräche mit Regie und Produktion stehen am Ende nicht 20 Namen auf dem Zettel, sondern eher vier oder fünf pro Rolle.
Ich arbeite hauptsächlich mit Filmmakers und gucke, wer vom Alter oder Typus her passen könnte. Dann gibt es auf Grundlage von Fotos und Vita ein Gespräch mit allen Entscheidern (Regie, Produktion und Redaktion), bei dem die Übereinstimmung, aber auch die Differenzen im Blicke auf die Figuren und die Handlung deutlich werden. Da muss dann ein Konsens gefunden werden, der meine weitere Suche bestimmt.
Gelungen ist eine Besetzung, wenn man keinen einzigen Schauspieler gegen einen anderen austauschen kann und will. Jeder Stein muss auf den anderen passen. Da ist es egal, ob ich einen „Polizeiruf", einen Degeto-Film, einen ZDF-Montagabend-Film oder eine Soap besetze - auch in einer Soap muss jeder Baustein passen!
Wie sehen die Arbeitsphasen kurz vor Drehbeginn aus?
Bei Projekten in der Kernphase, das heißt fünf oder sechs Wochen vor Drehbeginn, habe ich meistens schon die Hauptrollen besetzt. Dann kommen noch die ganzen kleineren Rollen, die meist der Feinschliff für eine Produktion sind. Diese zu besetzen liebe ich sehr, weil man da die größte Freiheit hat und auch mal „rumspinnen" kann. Das Ende meiner Arbeit ist, all denen wieder abzusagen, die leider nicht das Rennen gemacht haben. Das habe ich mir zur absoluten Regel gemacht.
Wie wichtig sind denn „große Namen" für einen TV-Film? Gibt es da noch Vorgaben seitens der Sender?
Ich habe selten erlebt, dass bei Produktionen schon Schauspieler gesetzt sind - vielleicht bei jeder fünften Produktion. Das die Sender in ihren Produktionen auch sogenannte „Namen" haben möchten, ist absolut verständlich. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen: Redakteure sind immer die „Bösen". In der Vergangenheit durfte ich immer wieder mit Redakteuren arbeiten, die ihre Kraft und ihr Herzblut in die Projekte steckten - und dabei offen und konstruktiv waren.
Wenn ich die größeren Rollen zum Teil prominent besetze bzw. besetzen muss, dann versuche ich bei den anderen Rollen jemanden zu finden, der noch nicht in diese Riege gehört, aber Potenzial und Qualität hat. Wenn ich also ein Foto von einem Schauspieler sehe oder jemanden im Theater entdecke und ich habe das Gefühl, der wäre was für eine bestimmte Rolle, dann gehe ich dem nach. Und da ich mir auch meist von bekannteren Schauspielern Bänder schicken lassen muss, kann ich auch genauso gut eins von einem Unbekannten anfragen. Das ist, was ich mir zur Vorgabe mache, dass ich in diesem Beruf immer neugierig bleibe und so im Zweifelsfall für eine (kleine) Rolle mehr Zeit investieren muss, als kalkuliert ist.
Wie wichtig ist das Material? Wie könnten Nachwuchsschauspieler es verbessern?
Gute Demobänder sind wichtig, um anhand von verschiedenen Szenen mit den Redakteuren, den Produzenten oder dem Regisseur über die Schauspieler zu diskutieren. Das Material ist für Anfänger aber sicherlich die Crux. Ich treffe deshalb vor allem Schauspieler, die mir nicht viel vorweisen können. Die entweder frisch von der Schule kommen oder seit mehreren Jahren an einer kleinen Theaterbühne spielen und außer ein paar Fotos und vielleicht einer Theatervita nichts haben. Da brauche ich dann das persönliche Treffen, um zu gucken wer das ist und wie ich den besetzen könnte - um ein Bauchgefühl für diesen Schauspieler zu bekommen. Vielleicht entwickelt sich daraus keine große Rolle, aber oft ergibt sich der eine oder andere Drehtag und auch so kann ja eine Karrieren beginnen...
Ein Schauspieler sollte aber immer gucken, dass sein Material (vor allem die Fotos) mit seiner Grundausstrahlung überein stimmt. Er sollte selbstbewusst sagen: so wie ich bin, ist es gut! Bloß nicht in Grautönen verlieren. Das sehe ich viel zu oft in den Fotos, das Besondere wird wegretuschiert. Das wirkt dann alles wie ein Einheitsbrei - austauschbar. Ich finde große Nasen großartig! Die will ich auf dem Foto sehen dürfen!!! Ich versuche junge Schauspieler immer darauf hinzuweisen, dass sie mit ihren besonderen Merkmalen punkten können. Oft ist dieses Besondere aber nicht in ihren Fotos zu sehen.
Warum ist es für Schauspieler so schwierig, persönliche Gesprächstermine mit Casting Directors zu ergattern.
Das ist im Prinzip relativ einfach. Ein Caster wird in Deutschland für die Arbeit bezahlt, die er konkret mit einem Projekt hat. Niemand bezahlt ihm die Arbeit, sein Know-How aktuell zu halten, was aber nötig ist, um Projekte gut besetzen zu können. Das müsste er theoretisch auf jede Produktion nochmal oben drauf legen - das zahlen die Produktionsfirmen aber nicht! Dementsprechend hat man als Caster das Dilemma, nicht mehr so viele Termine wahrnehmen zu können, um noch genug Zeit für die Besetzung zu haben.
Ich finde die Begegnung mit Menschen aber einen der schönsten Bereiche meines Berufes und versuche dementsprechend auch mal ein Projekt weniger zu machen. Es ist aber schon irgendwie frustrierend, wenn man sich vor Augen führt, wie viele Schauspieler es in Deutschland gibt und mit wie wenigen du dich davon treffen kannst.
Was halten Sie vom Coaching der Schauspieler vor bzw. während eines Drehs?
Coaching ist unglaublich wertvoll. Es hält sozusagen den Motor warm. Im Moment kenne ich viele Schauspieler die in irgendeiner Form Coaching machen. Sie bleiben in Bewegung und prüfen ständig, wer sie sind, wo sie sind, wo ihre Stärken und Schwächen liegen.
Ich glaube auch, dass ein Coach am Set sicherlich in vielen Fällen eine große Bereicherung wäre. Da gibt es meiner Meinung nach aber noch eine große Unsicherheit im Bereich Regie, noch mehr als bei Produzenten. Der Regisseur hat das Gefühl, der Coach nimmt ihm etwas vorweg, was eigentlich seine Arbeit wäre. Oder dass der Coach etwas veranlagt, was der Regisseur gar nicht will. Wenn es aber eine gute Kommunikation geben würde, die dem Regisseur klarmacht, dass er viel Zeit bei den ohnehin knapp bemessenen Drehtagen sparen könnte, da der Coach in seinem Sinne schon gute Vorarbeit leistet, um den Schauspieler mit einer anderen Sicherheit ans Set gehen zu lassen, dann hätte Coaching bestimmt eine große Zukunft in Deutschland. Bei Soaps gehört ein Coach in der Produktion schon lange dazu.
Welches Projekt liegt Ihnen besonders am Herzen?
„Abschnitt 40" war sicher eine der schönsten Arbeiten für mich, weil RTL mir da einen unglaublichen Freiraum gegeben hat. Sie meinten, dass sie überhaupt keine großen Namen wollen, sondern einfach nur gute Schauspieler. Die Rollen waren so definiert, dass man sie toll besetzen konnte. Die Serie hat viele Preise gewonnen, wie Beispielsweise den Deutschen Fernsehpreis oder den Bayrischen Filmpreis. Der Autor hat sogar nach dem Piloten Gespräche mit den Schauspielern geführt und vieles was sie an Input für ihre Rolle hatten, in das Drehbuch mit aufgenommen. Dadurch waren die Figuren so echt und lebensnah und die Geschichten in den Drehbüchern haben etwas sehr Persönliches bekommen, was bei anderen Serien vielfach fehlt.
Ein weiteres Projekt, welches mir sehr am Herzen liegt, war der „Polizeiruf 110 - Jenseits" mit Ulrike Krumbiegel, die für ihre Schauspielleistung sogar die Goldene Kamera bekommen hat. Bei diesem Projekt war es mir besonders wichtig, dass wir die Protagonistin älter besetzen, als es im Drehbuch ursprünglich vorgegeben war. Die Figur erlebt in dieser Folge den Verlust ihres einzigen Kindes und sie sollte am Ende ohne Perspektive zurückbleiben. Bei einer jüngeren Besetzung hätte der Zuschauer sich noch einen Neuanfang vorstellen können. Es hätte nicht so weh getan. So aber sieht man am Ende des Films eine einsame, gebrochene Frau, die ihr totes Kind im Arm hält - ohne jeden Hoffnungsschimmer. Durch Ulrike Krumbiegels uneitles Spiel bekam dieser Moment seine erschütternde Kraft.
Was lieben Sie an ihrem Beruf?
Ich liebe Menschen und das ist sicherlich die Grundvoraussetzung, um diese Arbeit gut zu machen. Und so anstrengend sie auch hin und wieder sein können, ich liebe auch Schauspieler!
Was mich besonders glücklich macht, ist wenn ein Schauspieler, dem ich vielleicht nur einen Drehtag vermitteln konnte, mich direkt nach dem Dreh anruft und sich für den schönen Dreh bedankt. Und sich dann sogar noch der Regisseur bei mir meldet und fragt, wo ich den denn schon wieder her hätte. Dann ist auch völlig Wurst, ob es sich nur ein Drehtag handelte. Das bringt einfach Leben in eine Produktion, weil da noch Herzblut am Set ist.
Was mögen Sie weniger?
Ich vermisse manchmal den Respekt, die „gute Erziehung". Es gibt zu viele Menschen, die sich nur um sich selbst drehen. Mehr Miteinander wäre schön! Und ein bisschen Demut .
Vielen Dank für das Gespräch!
Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von "casting-network. Das Branchenportal". Mehr zu ihrer Person finden sie in der Rubrik: Über uns.
Telefon: | 0221 - 94 65 56 20 |
E-Mail: | info@casting-network.de |
Bürozeiten: | Mo-Fr: 10:00 - 18:00 Uhr |
© 2005-2024 Gesichter Gesucht & casting-network
Internetagentur - die profilschmiede
Datenschutzeinstellungen