Die Anfänge des VdA hängen eng mit dem Fall des Vermittlungsmonopols zusammen. Mit der Produktion der neuen Sendeformate der Privatsender stieg in Deutschland die Nachfrage nach Schauspieler*innen. Neben der ZBF (heute ZAV) gab es auf dem freien Markt nur eine Handvoll lizenzierter „Altagent*innen“. Obwohl immer mehr Schauspieler*innen spezialisierte Agent*innen suchten, war es Außenstehenden ohne Lizenz bis 1994 praktisch unmöglich, dieses Feld zu besetzen: Die Bundesanstalt für Arbeit war der Ansicht, es gebe ausreichend Agent*innen, und sah somit keine Veranlassung, weitere Lizenzen zu vergeben.
1989 hatte Sigrid Narjes das Unternehmen „International Media Consulting“ gegründet. Die damals noch geschützte Bezeichnung „Agentur“ hatte Sigrid Narjes aus rechtlichen Gründen bewusst vermieden: Wie bei ihren Kollegen war auch ihr Antrag auf eine Lizenz mit der Begründung abgewiesen worden, dass kein Bedarf an neuen Agent*innen bestünde. Hatte ihr Arbeitsschwerpunkt ursprünglich in der Vermittlung internationaler Finanzierungen im Bereich Film und Fernsehen gelegen, verlagerte sich ihre Tätigkeit im Laufe der Zeit immer mehr auf die einer Agentin, und sie fing an, Autor*innen, Regisseur*innen sowie Schauspieler*innen zu vertreten.
„Diverse Filmschaffende baten mich, sie als Agentin zu vertreten. Die deutsche Gesetzgebung, die den bestehenden Bedarf einfach leugnete, fand ich inakzeptabel. Schließlich habe ich mit meiner Tätigkeit niemandem geschadet. Ganz im Gegenteil!!!“ Nur ein Jahr nach der Gründung der Agentur ging das Landesarbeitsamt Südbayern, ausgestattet mit einer polizeilichen Ermittlungsbefugnis, gegen Sigrid Narjes vor. Nur die ausländische Presse berichtete: „German police stormed into Sigrid Narjes’ central Munich office early one morning in 1990, riffled through her files and carted off boxes filled with documents for state prosecutors seeking to throw her in jail for her crime.”* Sigrid Narjes wurde beschuldigt, unerlaubte Arbeitsvermittlungen von Aus- und Inländern zu tätigen. Vor dem Sozialgericht München versuchte sie, nicht nur zu ihrem eigenen Recht zu kommen, sondern darüber hinaus auch das Vermittlungsmonopol zu brechen, das sie für rechtswidrig hielt. „Infolge dieser Hausdurchsuchung und der Androhung eines Strafverfahrens habe ich ein Verfahren gegen die BRD angestrebt, weil das deutsche Arbeitsrecht – bzw. das Monopol der Bundesanstalt für Arbeit – nicht dem EG/EU-Recht entsprach!“
Für diese Vorreiterstellung hatte Sigrid Narjes viel auf sich genommen. Sie verlor den Prozess, die Anwalts- und Gerichtskosten, die sie übernehmen musste, waren enorm und das Urteil fast zynisch: Noch im Gerichtssaal, erinnert sie sich, sei die Gegenseite auf sie zugekommen, um sich für ihr mutiges Engagement zu bedanken. „Es war Januar 1994 und zum 1. April ist das Monopol dann gefallen.“ Sigrid Narjes Beitrag zum Fall des Vermittlungsmonopols kommentierte wiederum ausschließlich die englische (!) Fachpresse: „Along with Sigrid Narjes, Carola Studlar and Bernhard Hoestermann are considered to be the front-line catalyst of this new era of agencies in Germany.”*
Sigrid Narjes © Luis Zeno Kuhn | Bernhard Hoestermann © privat |
In der Folge kam es zu einem gravierenden Einschnitt im Schauspieler*innen-Markt und der Casting-Branche. Fast jede*r Antragsteller*in bekam nun von der Bundesanstalt für Arbeit eine Lizenz zur privaten Arbeitsvermittlung. Nachweisen musste man nur, dass man eine abgeschlossene Ausbildung – egal welche –, ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis hatte sowie schuldenfrei war. Diese Lizenz galt vorläufig für zwei Jahre und kostete 1.000 DM. Konnte man danach eine regelmäßige Vermittlertätigkeit nachweisen, bekam man eine Dauerlizenz. Auch Sigrid Narjes erhielt bald eine solche Dauerlizenz. Seit 1997 nannte sich Sigrid Narjes Künstlervermittlung „Above the Line. Agentur für Autoren, Regisseure und Schauspieler GmbH“ (heute „Above the Line GmbH“).
Im Herbst 1997, während der Hofer Filmtage, initiierten Sigrid Narjes, Mechthild Holter, Marlis Heppeler, Carola Studlar und Bernhard Hoestermann ein Treffen mit weiteren Kolleg*innen und diskutieren die Frage einer neuen Verbandsgründung.
Was sie einte, war ein wesentlich nüchterner und professionalisierter Ansatz ihrer Arbeit, die man den Bereichen Organisation, Dramaturgie, Verhandlungen, Psychologie zuordnen konnte. Schlagworte wie Vernetzung, Marketing, Digitalisierung waren ihnen vertraut und beschrieben, wie sie arbeiteten. Zu ihren Grundprinzipien gehörte Haltung, Offenheit, ehrliche Kommunikation und das Zurückstehen persönlicher Eitelkeiten. „Es gibt so viel Wichtigtuerei und Oberflächlichkeit in unserer Branche, von der ich mir wünschen würde, dass es sie nicht gäbe, aber man muss da einfach durch und zum Wesentlichen kommen: sich nicht den Weg verstellen zu lassen. Das ist es, worauf es ankommt.“ (Bernhard Hoestermann im Interview mit casting-network vom 15.03.2006)
Als Wegbereiter einer neuen Schauspielagenturlandschaft und eines neuen Berufsbildes der Schauspiel-agent*innen gründeten die 5 zusammen mit 11 weiteren Agenturen den „Verband der Agenturen für Film, Fernsehen und Theater“ (VdA), der in diesem Jahr sein 25-Jähriges Jubiläum feiert.
Der VdA versteht sich bis heute als berufsständische Interessenvertretung mit dem Ziel, die Qualität der Arbeit der Mitgliedsagenturen zu sichern und zu steigern. Heute umfasst der Verband 69 Agenturen mit 151 Agenten, 2708 Schauspieler*innen, 385 Autor*innen, 454 Regisseur*innen und 98 Kameraleuten (Stand 07.06.2023).
Hier eine Liste der VdA-Vorstände von 1998 bis 2023:
- 1998 bis 2000: Bernhard Hoestermann (Vorsitz), Dr. Marlis Heppeler, Marie-Luise Schmidt
(Gründungsvorstände für 2 Jahre, danach jeweils für 3 Jahre)
- 2000 bis 2003: Bernhard Hoestermann (Vorsitz), Dr. Marlis Heppeler, Marie-Luise Schmidt
- 2003 bis 2006: Uschi Keil (Vorsitz), Gisela Böndel, Britta Imdahl
- 2006 bis 2009: Bernhard Hoestermann (Vorsitz), Sigrid Narjes, Dirk Fehrecke
- 2009 bis 2013: Antje Schlag (Vorsitz), Beate Wolgast, Dirk Fehrecke
- 2013 bis 2016: Lutz Schmökel (Vorsitz), Christina Gattys, Brigitta Watzka
- 2016 bis 2019: Sibylle Flöter (Vorsitz), Patric Adam, Malte Lamprecht
- 2019 bis 2022: Ulla Skoglund (Vorsitz), Esther Reinecke, Ulrich Meinhard
- Seit Februar 2022: Ulrich Meinhard (Vorsitz), Lisa Anhaus, Michaela Marmulla
Bernhard Hoestermann gründete seine Agentur 1990 nach dem Mauerfall in Ost-Berlin und erhielt bereits 1993 seine Lizenz. Sein Ziel war es, vor allem die Ost-Stars ihrem Rang und ihrer Qualität entsprechend, im Westen bekannt zu machen und zu vermitteln: „Oft wurde ein namhafter und guter Schauspieler, der im Westen nicht bekannt war, wie ein Berufsanfänger eingestuft, obwohl er im Osten seit dreißig Jahren im Geschäft war. Was kann der dafür, wenn man hier im Westen nicht über die Mauer schaut?“ Eigentlich wollte Bernhard Hoestermann Arzt werden. Doch bis heute ist sein OP das Filmbusiness geblieben. Für Patrice Chéreaus „Bartholmäusnacht“ („La Reine Margot“ | 1995) rief ihn 1994 An Dorthe Braker, die als Casting Director für das Deutschland-Casting beauftragt worden war, an. Zwar wurden die vorgeschlagenen Ostschauspieler Hermann Beyer und Dieter Mann nicht besetzt, dennoch: Beim nächsten Mal klappte es dann in Peter Sehrs „Kaspar Hauser“ (1993), dendie zu dieser Zeit noch im gleichen Büro sitzende Sabine Schroth castete. Seit 2003 heißt Bernhard Hoestermanns Agentur „hoestermann – Agentur für Schauspieler“. Nach Berhard Hoestermanns Tod wurde die Agentur unter gleicher Firmierung von Beate Heidelbach übernommen.
Anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums lobte der VdA zum zweiten Mal das „Bernhard-Hoestermann-Stipendium“ für Nach- wuchsagenturen aus, in Erinnerung an den 2015 verstorbenen Agenten Bernhard Hoestermann. Der/die Stipendiat*in wird von einer Jury ausgewählt, bestehend aus Beate Heidelbach (Inhaberin hoestermann – Agentur für Schauspieler) und An Dorthe Braker (Casting Direktor) sowie dem Vorstand des VdA, Ulrich Meinhard, Lisa Anhaus und Michaela Marmulla, und erhält u.a. eine kostenlose, einjährige VdA-Mitgliedschaft, eine Mentorenschaft durch etablierte Agent*innen, Rechtsberatung und zahlreiche weitere Angebote. Der/die Gewinner*in wird am 24. Juni 2023 beim Jubiläumsempfang verkündet.
*Quelle: Kirschbaum, Erik: „Teutonic talent reps are agents change.“ in Variety (Nr. 5/1996/S. 22-23)
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