Die deutsch-österreichische Theater- und Filmregisseurin, Autorin und Schau- spielerin Kirsten Burger verantwortet seit August 2022 die Leitung junges RambaZamba.
Ursprünglich war RambaZamba eine Kunstwerkstatt, die 1990 von den Theaterleuten Gisela Höhne und Klaus Erforth in Berlin gegründet wurde, um ihrem Sohn Moritz, der mit dem Down-Syndrom geboren wurde, eine Möglichkeit zur kreativen Entfaltung zu geben. In den knapp 30 Jahren seit der Gründung hat das Theater 20-mal am Grenzenlos Kultur Festival in Mainz teilgenommen und über 200 Gastspiele in ganz Europa absolviert. Mittlerweile ist RambaZamba zu einem der wichtigsten integrativen Theater Deutschlands geworden, bei dem Behinderung als Stärke erlebt wird. Dabei verfolgt das Theater einen künstlerischen Ansatz und keinen therapeutischen.
Seit ein paar Jahren leitet Jacob Höhne, der Sohn der Gründer, das Theater und ist Intendant. Wir sprachen mit Kirsten über ihre interessante und abwechslungsreiche Karrierelaufbahn, die vom Kunststudium über die Arbeit als Regisseurin, Choreografin und Sozialarbeiterin bis hin zur Vermittlerin im pädagogischen Kontext reicht. Außerdem haben wir über die geplante fortschrittliche Zusammenarbeit zwischen RambaZamba und der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin gesprochen.
Wie kamst Du zur Schauspielerei?
Ich war auf einer Waldorfschule, auf der viel Theater gespielt wurde. Schauspielerei war aber nicht mein Ding, da ich sehr schüchtern bin und einen Sprachfehler habe. Stattdessen lag meine Begabung im Umgang mit Pinsel und Farbe, weshalb ich mich für ein Kunststudium entschied. Im Alter von 20 Jahren fragte mich eine Regisseurin, für die ich gerade ein Bühnenbild gestaltet hatte, ob ich nicht in ihre Physical-Theater-Gruppe nach Wien kommen und auf der Bühne stehen möchte. Da in dieser Gruppe nicht gesprochen wurde, nahm ich das Angebot an und blieb für eine längere Zeit dort. Später wollte ich mich weiterbilden und landete schließlich in der Physical-Theater-Abteilung von der „Etage“. Dort hatte ich die Möglichkeit, in verschiedene Bereiche wie Tanz, Artistik und Schauspiel hineinzuschnuppern. In Berlin gab es zu dieser Zeit weder eine Physical-Theater- noch eine Neue-Zirkus-Szene, und die Namen Ariane Mnouchkine oder Jerzy Grotowski waren kaum bekannt. Aus einem absoluten Nischenbereich kommend, fand ich meinen Platz in der Berliner Theaterszene.
Wie bist Du zur Regie und zum Unterrichten gekommen?
Im Jahr 2005 habe ich mit ein paar Freund*innen ein Kollektiv gegründet und bis 2012 Vollzeit als Choreografin und Regisseurin und Performerin dort gearbeitet. Wir wurden großzügig gefördert und es war eine Zeit des Experimentierens und des kreativen Austauschs. Während dieser Zeit habe ich auch als Schauspielerin gearbeitet und Englisch gesprochen, was mir leichtfiel, da in dieser Sprache mein Sprachfehler nicht bemerkbar war. Inspiriert durch einen damaligen Partner begann ich experimentelle Filme zu drehen. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung und zwecks der Liebe zur Sache kam dann der Bereich Theaterpädagogik noch hinzu. Mich langweilt es, nur im Kunstkontext zu sein. Und es macht mich glücklich, Wissen zu vermitteln und mit jungen Menschen zu sein, die die Welt erobern wollen und diese unfassbare Energie haben, die meist überhaupt nicht genutzt wird.
Was waren Deine ersten Projekte als Pädagogin?
Mein erstes Projekt als Pädagogin war ein Kinderprojekt von Cabuwazi. Neben der Zirkusarbeit fing ich an, Spaghetti zu kochen, da die Kinder noch kein Mittagessen hatten. Für die Firma Defakto habe ich viele theaterpädagogische Projekte durchgeführt. Mein erstes Projekt bestand darin, Menschen, die durchs sogenannte Raster fallen und schwer vermittelbar waren, wieder funktionsfähig und gesellschaftlich verwertbar für den Arbeitsmarkt zu machen. Ich arbeitete von 09:00 bis 16:00 Uhr intensiv mit ihnen. Es waren großartige Menschen. In den Jahren danach schlossen sich Projekte mit Süchtigen, Schizophrenen in Polen und Flüchtlingskindern an.
Was braucht man als Rüstzeug für die Theaterpädagogik?
Da bin ich wahrscheinlich die Falsche, um das zu beantworten, denn obwohl ich als Theaterpädagogin arbeite, sehe ich mich nicht als solche. Ich mache nichts weiter als hinschauen und zuhören.
Deine Arbeit mit Schauspieler*innen mit Behinderungen begann dann bei RambaZamba?
Die Arbeit mit Schauspieler*innen mit Behinderungen begann bereits zuvor, als ich über einige Umwege mit Andreas Meder in Kontakt kam. Meder ist Mitkurator des „No Limits“-Festivals, dem internationalen Theaterfestival Berlin. Er fragte mich mehrmals zu verschiedenen Festivals an, ob ich einen Film dazu machen möchte, den er auch jeweils finanzierte. Auf diesen Festivals waren viele Gruppen eingeladen, wie zum Beispiel „Die Ratten“ mit Obdachlosen und das Theater Hora, was mein allererster Kontakt zu ihnen war. Jerome Bell war zum Beispiel auch dort eingeladen, der das Stück „Disabled Theater“ mit vielen Menschen mit Behinderung auf der Bühne gemacht hatte, sowie „Monster Trucks“ und „Meine Damen und Herren“.
Für welche Projekte brennst Du?
Für mich ist das „No Limits“-Festival das tollste, das es überhaupt in der Berliner Theaterszene gibt. Es ist lebendig, vielfältig, interessant und natürlich Horizont erweiternd. Dort werden Themen diskutiert, wie zum Beispiel: „Was ist eigentlich erotisch?“, „Durch welche Brille gucke ich?“ und „Welche Körper finde ich anziehend?“ Auch die Themen der Selbstermächtigung und des Machtmissbrauchs werden dort behandelt.
Bild aus „Einer flog übers Kuckucksnest“ inszeniert von Leander Haußmann, RambaZamba Theater 2023 © Andi Weiland |
Wie divers ist das Schauspieler*innen-Ensemble von RambaZamba aufgestellt?
Das feste, professionelle RambaZamba-Ensemble besteht aus 30 Personen, die alle eine Behinderung haben. Darüber hinaus gibt es auch Schauspieler*innen ohne Behinderung, die jedoch nur als Gäste auftreten. In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch arbeitet das RambaZamba auch daran, die Ausbildung im Theater inklusiver zu gestalten. Zunächst wurde hierfür das Projekt „Inklusion in der Lehre der Theaterkünste“ ins Leben gerufen. In zahlreichen Workshops wird das Thema des inklusiven Theaters hier über ein Jahr lang besprochen und künstlerisch bearbeitet. Ziel ist es, diese Zusammenarbeit zukünftig auszubauen.
Wie sieht es auf der Dozent*innenseite aus?
Es gibt das professionelle Ensemble mit Regisseur*innen, Dramaturg*innen und anderen Expert*innen, und es gibt die „junge Sparte“, die sehr unterschiedliche Angebote umfasst. Dazu gehören zum Beispiel theater- pädagogische Angebote für Schulen oder Vermittlungsangebote wie Vor- und Nachbereitungs-Workshops oder Gespräche für Jugendliche und Klassen. Bei Ramba- Zamba melden sich auch Sonderpädagog*innen, die Workshops anfragen, oder Theaterwissenschaftler*innen, die Interesse an der Arbeit des Ensembles haben. Das Angebot ist sehr vielfältig und umfasst viele Bereiche außerhalb der Inszenierungen.
Welche Angebote gibt es für Jugendliche und junge Menschen?
Es gibt Jugendclubs, in denen manchmal über Jahre mit Jugendlichen an Stücken gearbeitet wird, bis hin zur Premiere. Ja, meine Jugendclubs sind divers … das ist ganz anders als beim Jungen Deutschen Theater, deswegen will ich mit denen auch kooperieren, damit sich das mehr mischt. Die Mitglieder sind sehr divers, inklusiv und stammen aus verschiedenen Backgrounds, darunter auch Flüchtlingskinder.
Welche Aufnahmekriterien gibt es bei euch? Gibt es ein Casting für die Jugendlichen, die Du betreust?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich betreue diese nicht wirklich, ich mache Produktionen und entwickle Theaterstücke mit ihnen. Jakob Höhne macht beim Ensemble ein Casting, wie man es auch von anderen Theatern oder vom Film kennt. Es wird nicht jeder genommen, nur weil er oder sie eine Behinderung hat. Beim Casting und den Proben in der Werkstatt wird kein Unterschied zwischen Menschen mit oder ohne Behinderung gemacht. Einige Ensemblemitglieder sind komplett selbstständig und wohnen auch alleine. Da kommt die Frage auf, warum in der Gesellschaft diese Unterschiede gemacht werden, obwohl sie ganz normal auf Theaterbühnen spielen, keine Schauspielausbildung haben und einen ganz normalen Normalvertrag-Bühne bekommen, wie alle anderen Schauspieler*innen auch. Auf der anderen Seite ist meine Befürchtung ein wenig, dass, wenn die Werkstatt-Sicherheit wegfällt und alles ganz normal finanziert wird, auch der Schutzraum wegfällt und der finanzielle Zusatz, den man für manche Dinge trotzdem braucht. Die Menschlichkeit und Rücksichtnahme aufeinander müssen stimmen. Mich stört, dass dieses Vertrauen und die Verantwortung oft nicht gegeben sind. Ein Normalvertrag-Bühne oder der Ausstieg aus den Werkstatt- strukturen ist für mich gar nicht das Problem, wenn die Menschlichkeit und das Vertrauen gegeben sind. Egal, mit wem ich arbeite, ob mit Profis, mit Tänzer*innen, mit Süchtigen oder mit Menschen mit Behinderung, starte ich jedes Mal vor Arbeitsbeginn mit einer Befindlichkeitsrunde. „Wie geht es dir? Was sind deine Wünsche oder Sorgen?“ Das finde ich wichtig, damit es nicht zu Machtmissbrauch kommt. Diese Art, miteinander umzugehen, existiert sonst überhaupt nicht.
Welche neuen Funktionen wünschst Du Dir oder braucht es Deiner Meinung nach im Theater?
Ein Thema ist bestimmt, dass man die Strukturen hinterfragen könnte. Es gibt viele in den höheren Positionen, die im Büro sitzen, die sehr viel Geld einsacken, und die anderen bekommen so gut wie nichts. Das Theater ist seit Jahren auf dem absteigenden Ast, deshalb dürfen wir nicht mehr in diesen alten Strukturen denken, die weit überholt sind und nicht mehr funktionieren. Es muss bunt werden, es muss Diversität geben und eine andere Art miteinander umzugehen. Und diese Diversität muss wirklich gewollt sein und sollte nicht einfach mal kurz mit eingebracht werden, um damit Geld zu machen und dazuzugehören. Ich erlebe oft, dass die Menschen in ihrer eigenen Bubble leben und nicht richtig vermitteln können, bei denen die Neugier und Offenheit zu allen Menschen fehlt. Wie sollen sie dann diese anderen Menschen auf der Bühne inszenieren?
Der Film-und Fernsehbereich ist ein Geschäft auf Zeit, im Gegensatz dazu gibt es viel mehr Zeit für Proben im Theater. Welche Funktionen findest Du hier wichtig?
Ein*e professionelle*r Regisseur*in, der oder die mit allen Begebenheiten umgehen und die Schau- spieler*innen führen kann, ist hier wichtig. Sie kennen die Szene bis hin zum Make-up und den Lichtverhältnissen usw. und brauchen auch ein sehr gutes Zeitgefühl: In welchem Set muss ich wie viel Zeit einplanen, wenn XY spielt? Es muss alles vorab berücksichtigt werden. Coaches am Set, wie z.B. Intimacy-Coaches für intime Szenen, sind auch hilfreich und wichtig.
Wo fühlst Du Dich am wohlsten?
Viele meinen beim Blick auf meinen Lebenslauf: „Kirsten, da ist ja gar kein roter Faden drin. Du machst Regie, dann Schauspiel, mal Theater, mal Film und dann wieder Sozialarbeit. Man kann dich in gar keine Schublade stecken. So geht das nicht.“ Ich fühle mich ganz oft – das ist wohl auch meine persönliche Geschichte – unsicher und unwohl, wenn ich in Kontexte und Reglements von konservativen Gesellschaftsstrukturen komme. Das gilt auch für den gängigen Kunstbetrieb. Es langweilt mich aber auch schnell. Menschen mit Ecken und Kanten liegen mir mehr, und ich bekomme schnell eine Sinnkrise, wenn ich nicht genügend Freiraum für meine eigene Arbeit bekomme.
Bild aus: „Hoffnung“ (links: Lotte Latscha, rechts: Emma Jörgeling) © Andi Weiland |
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