„Im Westen nichts Neues“1 unter der Regie von Edward Berger hat der Film sensationelle neun Oscarnominierungen erhalten. Er sei „ein bisschen überwältigt“, sagt Edward Berger als Reaktion auf die Nachricht aus Hollywood. Ein Rekord, denn so viele Chancen gab es für eine deutsche Produktion bei den Academy Awards noch nie. Der bisherige Rekordhalter, Wolfgang Petersens „Das Boot“2, kam 1983 auf sechs Nomi- nierungen, war aber damals nicht in der Königskategorie als „Bester Film“ mit im Rennen. Dies ist nun aber gelungen.
Vorlage zum Film ist der gleichnamige Roman von 1928, in dem Erich Maria Remarque die Schrecken des Ersten Weltkriegs aus der Sicht eines jungen Soldaten schildert. Das Buch wurde bereits zweimal in den USA verfilmt. Die Fassung von Lewis Milestone aus dem Jahr 1930, produziert von Carl Laemmle, gewann zwei Oscars. Eine Fernsehfassung von Delbert Mann wurde 1980 mit einem Golden Globe ausgezeichnet. Dank Netflix wurde das Buch nun ein drittes Mal verfilmt. Beim Festival in Toronto feierte der Film seine Weltpremiere, in deutschen Kinos startete er am 29. September.
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Casting: 1Simone Bär (CSA | ICDN), France: Constance Demontoy, Czech Republic: Arwa Salmanova | 2Willy Schlenter
Was ist Ihre persönliche Verbindung zu „Im Westen nichts Neues“? Kannten Sie den Roman, die frühen Verfilmungen?
Das Buch habe ich während des Schauspielstudiums gelesen, aber natürlich erst einmal nicht so intensiv. Man liest es, weil es einen interessiert und man davon gehört hat. Dann habe ich erst einmal nicht weiter daran gedacht. Bis das Angebot kam, in der Verfilmung womöglich die Hauptrolle spielen zu können. Da habe ich es noch einmal gelesen und jetzt auch eine ganz andere Verbindung dazu aufgebaut. Zur Vorbereitung habe ich mir auch die ersten beiden Verfilmungen angesehen. Da wurde mir erstmals richtig bewusst, dass es ein kanonischer Stoff ist, ein Stoff, über den sich mittlerweile fast 100 Jahre lang kluge Köpfe Gedanken gemacht haben. Das Buch ist ein Topos.
Was macht „Im Westen nichts Neues“ zu einem so zeitlosen, heute immer noch dringlichen Stoff?
Das hängt stark mit diesem Krieg zusammen, dem Ersten Weltkrieg. Das Buch ist in seiner Beschreibung sehr pragmatisch, es besteht im Grunde aus einer Aufzählung von Ereignissen, ist sehr unemotional. Die Zeitlosigkeit rührt von dem Thema her, dem Krieg. Im Zweiten Weltkrieg hat man den Nationalsozialismus, den man eindeutig historisch verorten kann. Der Erste Weltkrieg steht vielmehr für das, was wir uns unter einem großen Krieg vorstellen, wenn man nur beschreibt, ohne klar ein Datum zuzuordnen. Es bleibt dann sehr allgemein einfach nur Krieg. Die große Qualität des Buchs besteht darin, dass es zwar präzise diesen einen Krieg beschreibt, aber Allgemeingültigkeit besitzt, weil seine Erzählung nicht genau verortet ist.
„Im Westen nichts Neues“ ist Ihr erster Kinofilm. Warum wollten Sie dabei sein?
Ich habe 2019 die Schauspielschule fertig gemacht und ging dann nach Wien ans Theater. Etwa ein Jahr später kam das Angebot. Da kann man nicht nein sagen. Es war nicht Teil eines Plans, den ich mir zurechtgelegt hatte, oder dass ich für meine erste Filmrolle explizit auf eine solche Rolle gewartet hätte. Den „Paul Bäumer“ will man einfach spielen. Diese Produktion mit diesem Team mit diesem Stoff und dieser Rolle – da stellt sich die Frage nicht, ob ich das machen möchte. Natürlich wollte ich das. Das Wie ist dann eine andere Frage, da werde ich dann gefordert. Aber man sagt erst einmal ja. Alles Weitere kommt danach.
Wie haben Sie sich auf den Dreh vorbereitet?
Die Zusage erhielt ich im September oder Oktober. Darauf folgte eine viereinhalb Monate lange Vorbereitung. Ich gehe dabei sehr stark über den Körper. Und habe erst einmal angefangen mit Waffentraining. In Wien habe ich einen Armorer getroffen, um herauszufinden, wie so ein Gewehr zu bedienen ist und wie es sich überhaupt anfühlt. Dann kann man auch ganz anders darüber nachdenken. Die Produktion stellte mir eine Attrappe zur Verfügung, mit der ich dann mehrere Monate beim Nachrichtengucken auf dem Sofa saß, die ich dann wie automatisch immer wieder durchgeladen habe. Es ging mir darum, eine Routine zu entwickeln, musste mir ein fremdes Objekt aneignen. Wir tragen bei uns im Alltag keine Waffen. Ich musste aber verinnerlichen, dieses Gewehr als Verlängerung meines Körpers zu empfinden, mehr als nur einen ständigen Begleiter. Ich bin damit auf- gestanden und bin damit auch wieder schlafen gegangen.
Ich vermute, dazu kam auch noch eine körperliche Vorbereitung
– der Film sieht aus, als wäre der Dreh eine physisch erschöpfende Erfahrung gewesen…
Ich bin jede Woche dreimal zehn Kilometer laufen gegangen, mit einer zehn Kilo schweren Laufweste, weil ich mir schon dachte, dass der Dreh anstrengend werden würde. Ich wollte unbedingt Kondition aufbauen. Das war sehr hilfreich. Auch wenn sich nach der ersten Drehwoche im Regen herausgestellt hatte, dass ich mit zehn Kilo allzu optimistisch gewesen war. Das Kostüm, wenn es sich einmal vollgesaugt hatte und vor Matsch strotzte, und die zugehörige Ausstattung mit Gewehr und verklebten Stiefeln war zusammen deutlich schwerer. Ich habe mich einmal nach einem besonders harten Drehtag gewogen. Das zusätzliche Gewicht betrug knapp 45 Kilo. Wenn man damit 16 Stunden am Tag durch kniehohen Matsch laufen muss, 600 Meter in die eine Richtung und 600 Meter in die andere Richtung, weiß man, was man geleistet hat. Ich mag das unterschätzt haben, aber die körperliche Vorbereitung erwies sich als wertvoll.
Klingt sehr intensiv...
Die Vorbereitung war damit noch nicht zu Ende. Ich hatte zusätzlich Sprachcoaching. Es war mir wichtig, die Figur auch sprachlich etwas abzuheben. Ich bin Wiener, was man vielleicht heraushört, auch wenn ich es gewohnt bin, hochdeutsch zu sprechen. Das wollte ich nicht auf „Paul Bäumer“ übertragen. Remarque stammt aus Osnabrück, also wollte ich „Paul“ als Niedersachsen spielen. Das hat viel geholfen, der Figur noch einmal eine andere Farbe zu geben. Dazu kam ein Schauspielcoach, mit dem ich gearbeitet habe, um ein paar Ideen zu kriegen. Und dann habe ich bis zum Drehstart jeden Kriegsfilm gesehen, den ich in die Hände bekommen konnte, ich habe um die 15 Bücher gelesen über den Ersten Weltkrieg, Krieg im Allgemeinen, was ist Grausamkeit, querbeet. Und schließlich habe ich noch etwa 400 Fotos gesammelt aus dem Netz, aus Büchern. Ich wollte mich komplett überfordern mit Information. Das war die Grundlage, mich mit dem Drehbuch und der Rolle auseinandersetzen zu können, ohne zu wissen, wie man das macht. Ich habe einfach einmal probiert.
Bild aus: „Im Westen nichts Neues“ | Bild aus: „Im Westen nichts Neues“ |
Wie stellt sich Ihnen „Paul Bäumer“ dar? Was haben Sie in der Figur „Paul Bäumer“ gesehen, dass Sie gesagt haben: Den kann ich spielen?
Ich suche nicht nach Gemeinsamkeiten zwischen meiner Figur und mir. Tatsächlich fällt es mir leichter, Rollen zu spielen, die absolut nichts mit mir zu tun haben. Sonst muss ich mir etwas suchen, das ich reinbaue, um die für mich nötige Distanz zu schaffen. Sonst finde ich keinen Zugang. Bei „Paul“ ist es so praktisch, weil er so neutral ist. Er ist ein Beobachter, das ist seine Perspektive, er bringt keine besonderen Charaktereigenschaften mit. Er ist ein sehr ehrliches Kind. Er sieht sich das an, er ist ein Zeuge. Das macht es schon im Roman so fesselnd. Das Augenmerk liegt auf dem, was passiert, und nicht darauf, wie er es wahrnimmt. Der Blick ist so objektiv wie möglich.
Und doch ist es ein zutiefst menschlicher Blick.
In der Vorbereitung habe ich viel darüber nachgedacht. Man sitzt vor einer Szene und überlegt: Was ist die Situation? Was habe ich hier? Wie könnte man das spielen? Und irgendwann hat es klick gemacht bei mir: Es geht nicht darum, irgendetwas produzieren zu wollen. Es geht darum, Objektivität zuzulassen. Das war tatsächlich am schwierigsten. Man glaubt, dass man dann nur gucken muss. Ich sehe mich aber explizit als Schauspieler und nicht als Schauseier. Ich will nicht nur ich selbst sein und die Kamera im Gesicht haben. Aber ich habe gemerkt, dass es fast noch mehr Arbeit erfordert, nicht etwas zu zeigen, sondern etwas zu spielen, dass dann nur da ist. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich den Kniff heraus hatte.
Wie sah die Zusammenarbeit mit Regisseur Edward Berger aus?
Wir haben kurz vorm Casting erstmals miteinander telefoniert und ich war sehr beeindruckt von Edward Berger. Dann habe ich mir alle seine Filme angeschaut und mich kundig gemacht. Ich war überrascht von der Bandbreite, der technischen Finesse und natürlich den großen Namen, mit denen er bereits gedreht hat. Das ist sehr beeindruckend, fast ein bisschen einschüchternd. Wie soll man einem solchen Regisseur gerecht werden? Aber als unsere gemeinsame Arbeit begann, haben sich alle Ängste, hat sich der gesamte Druck in Wohlgefallen aufgelöst. Edward hat eine beeindruckende Offenheit, eine große Klarheit. Er hat keine Angst, thematisch, ästhetisch, in der Arbeit. Es gibt keinen Moment, bei dem man den Eindruck hätte, es könnte irgendetwas schief- gehen. Er lässt alles auf sich zukommen, hat immer ein offenes Ohr. Während der Vorbereitung haben wir regelmäßig miteinander telefoniert und zusammen am Buch gefeilt. Wenn man Vorschläge macht, werden sie angenommen. Auch später, beim Dreh. Er sieht meine Vorschläge an, macht seine Vorschläge. Dann sieht er sich das an. Und nicht selten sagt er dann: „Nein, dein Vorschlag war besser, so machen wir’s.“ Alles wird ausprobiert. Schöner hätte ich es mir nicht vorstellen können.
Bild aus: „Im Westen nichts Neues“ | Bild aus: „Im Westen nichts Neues“ |
Was sind Ihre nachdrücklichsten Erinnerungen an den Dreh? War es so, wie Sie es erwartet haben?
Und war es so intensiv – körperlich wie psychisch –, wie es aussieht?
Das ist das Mindeste, was man sagen kann. Ich hatte vor dem Dreh mit dem Produzenten Malte Grunert ein bisschen gesprochen. Und er hatte mich eingestimmt auf das, was mich erwartete. Zeigte mir erste Fotos vom Aufbau des Sets, gab mir erste Informationen, 120.000 Quadratmeter Matsch – und da war’s noch trocken. Es war körperlich. Ich weiß nicht, wie ich es gemacht habe. Keine Ahnung. Ich habe regelmäßig Fotos von meinen Händen gemacht. Sie sahen aus wie aus Schleifpapier, einem ganz rauen. Wenn ich mir morgens meinen Pullover angezogen habe, bin ich immer mit meinen Händen daran hängengeblieben. Sie waren wie ein Klettverschluss. Dann musste ich mir erst einmal wieder die Pulloverfasern von der Hand wegmachen. Durch die Feuchtigkeit, durch die Bewegung, durch die Arbeit. Überall sind Steine. Man schneidet sich unentwegt, kratzt sich. Es ist alles offen. Das Gesicht ist kaputt. Diese Erde, dieser Matsch ist nicht unbedingt hautfreundlich. Es ist nass. Es ist immer zwischen vier und zehn Grad. Man fällt langsam auseinander. Da rettet einen dann auch die antrainierte Fitness nicht mehr. Irgendwann ist man einfach arschmüde. Nichts geht mehr. Aber der Kopf übernimmt dann. Und es geht weiter. Es gibt keine andere Option. Jetzt wird gedreht. Es macht leider auch Spaß. Man treibt sich selber immer weiter an, weil man es machen möchte.
Dazu kommt vermutlich noch die für Sie noch ungewohnte Arbeit vor der Kamera.
Worin unterscheidet sich die Arbeit vor der Kamera am meisten vom Theater?
Ich bin im Studium für die Bühne ausgebildet worden. Beim einzigen Mal, dass wir einen Kamera-Workshop hatten, war ich nicht da. Es war zunächst wirklich seltsam. Im Burgtheater sitzen 1.300 Leute und man spielt nach vorne und nach oben und in alle Richtungen. Und dann komme ich zum Dreh an den Set und gleich am zweiten Tag packen sie mir die Linse direkt vors Gesicht. Das ist eine merkwürdige, fast befremdliche Erfahrung, diese Nähe, der ganze technische Aspekt. Das ist einschüchternd zunächst, aber man gewöhnt sich erstaunlich schnell daran. Ich habe nach der ersten Woche in Gesprächen mit Edward gemerkt, dass ich mir überhaupt keine Sorgen machen muss. Meine Vorbereitung war so ausreichend und intensiv, dass ich eigentlich loslassen konnte. Bloß nichts versuchen, sondern einfach machen. Da ist es dann auch völlig egal, ob eine Kamera dabei ist oder nicht. Ich war erstaunt, wie schnell das geht mit der Umstellung.
Sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit? Was haben Sie gelernt?
Ich bin total zufrieden. Weil ich mir denke: Nichts, was ich sehe, ist mir unangenehm oder peinlich. Ich kaufe mir das selber ab, was ein gutes Zeichen ist. Und, was mir immer noch fast unheimlich erscheint, ich habe gelernt, vor der Kamera zu arbeiten, einen Film zu drehen. Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Aus dem Hubschrauber in den Atlantik ohne Flossen und Schwimmflügel. Aber wenn du’s dann schaffst, wenn du wieder an die Oberfläche kommst und dich dort hältst, dann kannst du wirklich schwimmen.
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