Steckbrief:
Als das erste Medienhandbuch 1998 auf dem Markt erschien, tauchte auch Emrah Ertem auf der Casting-Bildfläche auf. Als Mitarbeiter arbeitete er ein Jahr bei Tiger Cast und Mediabolo. Im März 2000 wechselte Emrah Ertem zu Anja Dihrberg Casting. Seit 2001 führt er sein eigenes Casting-Büro und ist für die Besetzung zahlreicher nationaler und internationaler Kino- und Fernsehfilme zuständig. Im Juli 2009 hat er „Das Besetzungsbüro" in FINALCAST GmbH umbenannt. Mit neuem Sitz am Kölner Rheinauhafen hat er die Firma nicht nur vergrößert, sondern seitdem auch verstärkt den internationalen Markt im Visier.
Wie kam es dazu, dass Du Casting Director geworden bist?
Nach dem Fachabitur wusste ich zunächst nicht, in welche Richtung es gehen soll und ging mit folgender Frage zum Arbeitsamt: „In welcher Branche kann ich einen Quereinstieg finden, um mich durch Praktika und persönlichen Einsatz hochzuarbeiten?"
Die Antwort des Berufsberaters: „Die einzige Branche, die mir da einfällt, ist die Medienbranche". Und empfahl mir dann das Medienhandbuch Köln. Hier standen alle Medienfirmen von A bis Z drin: unter anderem „C wie Casting-Agenturen", wie Casting Directors damals noch gerne genannt wurden. Ich habe bei den Adressen dann einfach angerufen und vermeldet: „Einen wunderschönen Guten Tag. Ich hab grad mein Abitur gemacht, bin 18 Jahre alt und würde gerne wissen, was Casting ist und wie man in diesem Bereich arbeitet." Eine Person am anderen Ende der Leitung war dann die wunderbare Dana Cebulla von Tigercast.
Bei ihr fing ich dann auch wirklich am nächsten Tag an. Dana war nicht die typische Chefin, die mich rumkommandiert hat, sondern jemand der mich in jeden Prozess miteinbezogen und mir von Anfang an sehr viel Vertrauen geschenkt hat, in das was ich mache. Damit hat sie mich natürlich auch ziemlich schnell zum Lernen bewegt. Gerade im Werbecasting habe ich hier viel gelernt. Danach kam ich durch Empfehlung von Dana in die Casting-Abteilung von Mediabolo, die damals die ganzen neuen Serien für RTL wie „Ritas Welt", „Nikola", „Alles Atze" und auch „Mein Leben und ich" für die damalige Columbia TriStar gemacht haben. Auf meiner ersten Berlinale im Jahre 2000 wurde ich dann sehr nett von Anja Dihrberg angesprochen und um das abzukürzen landete ich kurz danach bei ihr. Da durfte ich „Tatorte" und erste Kinofilme mit besetzen wie beispielsweise „Lammbock", in dem ich auch meinen ersten Credit als Casting-Assistent unter Anjas Namen als Hauptcasterin bekommen habe. Das war ein sehr schönes, vor allem aber auch motivierendes, Erlebnis! Als Anja dann nach Berlin ging, entschied ich mich, in Köln zu bleiben und mich hier selbstständig zu machen. Das ist nun über 10 Jahre her.
Bist Du auf bestimmte Casting-Bereiche spezialisiert?
Das ist wahnsinnig schwer pauschal zu sagen. Im Moment bin ich hauptsächlich im Kinobereich tätig. Das ist mir insofern willkommen, da man dort einfach etwas freier casten kann - ohne zu hören: der passt aber nicht in unser Senderbild. Hin und wieder mache ich gezielt den Hauptcast von einer neuen Fernsehserie oder ein schönes TV- oder Event-Movie. Auch für gute Werbung bin ich immer offen. Bei jedem Projekt geht es nicht ums Format, sondern den Inhalt. Habe ich die Chance mit dem was mir da vorgelegt wird, ein tolles Besetzungskonzept zu erstellen, was in sich schlüssig ist, was überrascht und vor allem unterhaltsam ist, dann mache ich das.
Aktuell hast Du Deine Firma umstrukturiert. Was war der Beweggrund Finalcast GmbH zu gründen?
Der Beweggrund die Finalcast GmbH zu gründen, war, dass ich mich einhergehend mit dem Umzug räumlich wie personell vergrößert habe und immer mehr Anfragen für internationale Produktionen bei mir landeten. Die GmbH war somit einfach noch mal ein Schritt, zu zeigen, dass sich die Firma gefestigt hat und dass sich hier in Zukunft verschiede Abteilungen gründen werden: von „Finalcast Cinema" über „Finalcast Television" bis „Finalcast Commercial".
Ein anderer ganz banaler Grund war, dass ich keine Lust mehr hatte zu erklären, was „Besetzungsbüro" auf Englisch heißt und auch meine alte E-Mail Adresse emrahertem@besetzungsbuero.com war nur mühsam auf Englisch zu buchstabieren.
Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Dir aus?
Ein klassischer Büroalltag beginnt zwischen 7:00 und 9:00 Uhr, wo ich allen voran Drehbücher lese. Da habe ich die meiste Ruhe und trinke auch den ersten Kaffee des Tages. Ab 9:30-10:00 Uhr geht dann der „normale" Büroalltag mit Recherchieren, Telefonieren, Sichten, Post, Terminen los und hört dann gegen 20:00 Uhr auf. Am Ende des Tages schaue ich dann wie weit ich mit meinen Projekten gekommen bin und mache mir erneut eine To do Liste für den nächsten Tag. Auch wenn der Bleistift gefallen ist, mache ich mir auf dem Nachhauseweg und abends weiterhin Gedanken. Zudem schaue ich mir viele Filme an, wobei ich mehr deutsche Filme als bspw. US-Blockbuster sehe. Denn diese Weiterbildung gehört zu meinem Beruf: ich muss den deutschen Markt kennen.
Gehst Du auch ins Theater?
Das mache ich gerne, auch wenn mir hierfür leider oftmals die Zeit fehlt. Aber es wäre fatal in diesem Beruf nicht ins Theater zu gehen, weil gerade da viele Juwelen jeder Altersgruppe schlummern, die man in den klassischen Film- und Fernsehproduktionen so nicht findet und damit immer wieder überraschen kann. Ein Beispiel wäre Alwara Höfels für „Keinohrhasen": sie hatte vorher kaum etwas gedreht und kam vom Berliner Ensemble. Dort hatte ich sie gesehen.
Ein anderes aktuelles Beispiel ist Friedrich Mücke vom Münchner Volkstheater für „Friendship", der nun die männliche Hauptrolle neben Matthias Schweighöfer spielt.
Hier kommt auch die Aufgabe des Casters ins Spiel: Nicht nur die üblichen Verdächtigen vorzuschlagen, die der Auftraggeber eh schon kennt, sondern Denkanstöße zu geben und neue Leute zu präsentieren.
Stichwort: Besetzung! Persönliche Kontakte oder Bänderkrieg?
Ich finde, dass es diesen Bänderkrieg überhaupt nicht mehr gibt, da durch das Internet alles so wahnsinnig gut strukturiert ist. Mittlerweile haben fast alle Schauspieleragenturen oder einzelne Schauspieler, Fotos, Vita und auch ihr Demoband online. Danke schön an dieser Stelle!
Früher stapelten sich noch in jeder Ecke die VHS-Bänder und die Ordner von zahlreichen Schauspielerbewerbungen. Heute habe ich im Büro nur noch ein kleines Grundarchiv an DVDs von Schauspielern, die ich persönlich für hochkaratig halte, aber ganz klar: das Meiste läuft über die Datenbanken im Internet. Hierfür habe ich eine eigene Datenbank in die ich sehr viel einspeise: Fotos, Vita und Demobänder. Mittlerweile erstelle ich ein ganz neues Dienstleistungskonzept für Regisseure und Produzenten, was ich an dieser Stelle noch nicht verraten möchte, was aber spätestens im September soweit ist und eine Dienstleistungsform in ganz neuer Dimension für meine Auftraggeber sein wird.
Wie wichtig ist das Drehbuch für die Wahl Deiner Projekte?
Der entscheidende Faktor. Es muss eine gewisse Leidenschaft und Liebe zu dem Projekt entstehen. Es muss wirklich bei mir ein Funke überspringen und das Erstgespräch mit dem Regisseur/Produzent ist natürlich wahnsinnig wichtig. Ich treffe mich auch immer erst dann mit Regie und Produktion, wenn ich was gelesen habe, um eine Basis zu haben, über die wir reden können. Man muss hier nicht immer gleicher Meinung sein, aber es muss die Chemie insoweit stimmen, dass auf beiden Seiten nicht nur der nötige Respekt, sondern auch die nötige Offenheit für die Arbeit als Diskussionsgrundlage entstehen kann. Da geht es nicht darum, dass der Vorschlag besser oder schlechter ist, sondern darum dass man die Arbeit und die Sichtweise des anderen respektiert und sich selber überzeugen lässt, um gemeinsam ein tolles Ensemble zu kreieren.
Wie kommunizierst Du Deine visuellen Vorstellungen, die Dir das Drehbuch liefert?
Wenn ich ein Drehbuch lese, schreibe ich mir nebenbei bereits schon die ersten Ideen an den Rand. Wenn ein Drehbuch gut ist, sprich die Rollen gut strukturiert sind und ein gutes Profil haben, dann kommen einem schon beim Lesen des Drehbuches automatisch Leute in den Kopf geschossen, die man sich da gut vorstellen kann und den Film zum Leben erwecken.
Das heißt aber nicht, dass wenn ich ein Drehbuch fertig gelesen habe, meine Vorschläge schon alle aufgeschrieben sind. Entscheidend ist als nächster Schritt sicherlich das Gespräch mit den Auftraggebern. Jedes Projekt ist anders - aber natürlich folgt dann auch erst mal eine Recherche. Das kann bei einem historischen Stoff sehr umfangreich sein, bei einem anderen weniger.
Was ich nicht mache, ist einfach in meine Datenbank zu gehen und beispielsweise „30 - 34 Jahre alt, blonde Haare" einzugeben.
Am Anfang steht immer die Idee, wen entdecke ich neu oder wer fällt mir ein, der in dieser Rolle überraschen würde? Ich kann auch gar nicht sagen, wie viele Vorschläge ich pro Rolle mache. Manchmal mache ich nur einen einzigen Vorschlag, von dem ich weiß, der ist in meinen Augen einfach ideal und den will ich da jetzt „verkaufen" und auch begründen. Auf der anderen Seite gibt es auch Rollen bei denen ich zehn verschiedenste Ideen habe und alle von Typ und altersmäßig sehr unterschiedlich sein können. Ja, so entsteht dieser kreative Prozess: vom Lesen der ersten Seite des Drehbuchs, Gespräch mit Auftraggebern, Konzeption, Casting und Abnahme.
Stichwort: Präsentation! Wie geht das vonstatten? Bekommt der Auftraggeber alles geschickt oder passiert das alles in einem persönlichen Gespräch?
Ich persönlich bevorzuge immer den persönlichen Draht. Ich bin jede Woche in München, Berlin und Köln persönlich vertreten und daher ist das auch gar kein Problem mehr den persönlichen Kontakt mit den Regisseuren oder Produzenten zu halten. Das ist wie in jedem Berufsbereich: der persönliche Kontakt ist mit Sicherheit der kreativste und beste Weg, um eine Arbeit bestmöglich zu Ende zu bringen. Oft lässt es sich natürlich nicht vermeiden wegen der knappen Zeit und Distanz alles per E-Mail und per Telefonkonferenz sowie Internetvideos zu besprechen, aber grundsätzlich ist es natürlich schon so, dass es das persönliche Gespräch im Vorfeld gegeben hat. Beim Casting sieht man sich dann sowieso.
Wie schwierig ist es für den Schauspielnachwuchs an große Rollen zu kommen? Und wie förderst Du den Nachwuchs?
Ganz klar: Würde es den Nachwuchs nicht geben, könnte ich die Jahre zählen, in denen ich noch als Caster tätig wäre. Der Nachwuchs ist für einen Caster das A und O. Ich persönlich „fördere" ihn insofern, dass ich mir jährlich die ZAV Abschluss-Vorsprechen anschaue und viel Schauspielschulrecherche betreibe: man muss wissen, wer kommt da in den nächsten Jahren auf den Markt. Parallel versuche ich auch Nachwuchstalenten als objektiver Berater zur Seite zu stehen.
Was kannst du jungen Schauspielern allgemein raten?
Das Wichtigste, was sich jeder Schauspieler überlegen sollte, ist: Was bringt mich persönlich weiter und was wäre eher schädlich? Und wenn es dann irgendein Engagement in einer Soap ist und er sagt ich mach das jetzt zwei Monate, denn es bringt mir Textsicherheit, Kameraerfahrung und Lockerheit vor der Kamera, dann ist ihm das nicht zu verwehren und toll für seine Entwicklung.
Oder wenn er nur einen Satz in einem Film sagt, aber die Chance hat einen tollen Regisseur kennen zu lernen, ist das eine Überlegung wert. Ich habe schon viele Regisseure wie Til Schweiger und jetzt auch Uli Edel erlebt, die sind so treue Regisseure, die vergessen das nicht, wenn ihnen jemand mal einen Satz in ihrem Film gesprochen hat. Ob das im nächsten Film dann gleich zu einer großen Rolle wird, dass kann keiner von uns sagen, aber das sind treue Regisseure und die sind Gold wert.
Welchen Tipp hast Du für Schauspieler, was sie an ihren Bewerbungen verbessern könnten?
Ich würde auf keinen Fall Schauspielern vorschreiben, wie sie sich zu bewerben haben. Das muss jeder selber entscheiden und es ist ja auch immer wieder schön eine sehr untypische, kreative Bewerbung auf den Tisch zu bekommen. Ich habe früher z.B. mal eine Filmrollendose als Bewerbung bekommen, die guckt man sich im Zweifelsfall schneller an, als eine ganz normale Bewerbung mit Fotos, die dann rumfliegen und vielleicht schon verknickt sind (an dieser Stelle sei angemerkt: BITTE Umschläge mit Papprücken verwenden!). Aber wie gesagt: jeder soll für sich entscheiden, wie er sich bewirbt. Wichtig ist natürlich, dass die klassischen Arbeitsmittel wie ein, zwei gute Fotos, ein gutes Demoband (DVD) sowie eine geordnete und aussagekräftige Vita, vorhanden sind.
Möchtest Du Schauspielerbewerbungen denn überhaupt noch per Post geschickt bekommen?
Ich möchte postalische Bewerbungen nur noch geschickt bekommen, wenn die DVD nicht im Internet zu sehen ist. Ansonsten reicht mir mittlerweile eine voll elektronische Bewerbung, sprich per E-Mail mit ein, zwei guten Fotos, wo man bitte auf die Datei-Größe achtet. Das ist auch der Klassiker, das man auf einmal zehn, zwölf MB hat, die sich den Weg durch die DSL-Leitung bahnen. Auch wenn wir alle mittlerweile einen guten und schnellen Internetzugang haben, ist es doch verschwendete Speicherkapazität. Da ich eine eigene, sehr große und gut funktionierende Datenbank habe, kann ich die Bewerbungen, sprich Fotos, Vita und das Demovideo gleich verlinken und einspeisen. Dann habe ich für mich, alles was ich brauche. Die klassischen Ordner mit den Schauspielerunterlagen sind Schnee von gestern.
Wenn ich eine klassische Präsentationsmappe für einen Regisseur, einen Produzenten, einen Redakteur/Sender zusammenstelle, muss das Material aktuell sein. Sehr wichtig ist das Demoband. Aus Erfahrung weiß ich, dass mittlerweile jeder fast Schauspieler sein Video auch online hat. Und wenn er kein geschnittenes Video hat, dann empfehle ich jedem ein gutes, seiner Natur entsprechendes Interviewband zu machen, was er mir dann schickt oder noch besser bei schauspielervideos.de hochlädt. Das reicht mir vollkommen aus, um zu zeigen, das ist ein interessanter Typ, wir wissen zwar nicht, wie er spielt, aber wir laden ihn deshalb zum Casting ein, weil er wir ihn näher kennen lernen wollen.
Was hältst Du vom Coaching von Schauspielern?
Ich finde es sehr wichtig und schade, dass es in Deutschland das klassische Coaching am Set bei großen Produktionen gar nicht gibt. Bei uns sind Coaches eher in Serien und Soaps zu finden, was für die Schauspieler gut ist und auch förderlich. Warum also nicht in größeren Produktionen? Dabei höre ich oft, dass gerade die gewissenhaften, guten und hochkarätigen Schauspieler, die ich kenne, fast alle wirklich auch zu Coaches gehen und sich speziell auf Rollen vorbereiten. Ich glaube da kommt kein Schauspieler drum herum, denn ein guter Coach ist durch nichts zu ersetzen. Das muss natürlich jeder für sich selber entscheiden, aber ein Coach kann in jedem Bereich, also ob sich jetzt ein Geschäftsmann für eine große Rede einen Coach holt oder ein Schauspieler zur Rollenvorbereitung, nur nützen. Oder Stichwort Workshops: ich werde oft gefragt, soll ich diesen Workshop machen und ist das ein guter Coach? Dann sage ich immer, geh doch einfach hin und zieh Dir das raus, was für Dich wichtig ist, auch wenn es nur eine Stunde von dem Vortrag ist. Wenn Du danach sagst, das hat mir was gebracht, da konnte ich was mitnehmen, dann hat Dir der ganze Workshop und das ganze Coaching schon was gebracht. Deshalb finde ich Coaches und da gibt es einige gute, von denen ich immer wieder höre, essentiell sehr wichtig.
Verstehst Du Dich eher als Kreativer oder Dienstleister?
Ich muss meine Kreativität mit einbringen, aber ich bin und bleibe Dienstleister, das ist das A und O! Wo wir wieder beim Thema sind: Dienstleistungswüste Deutschland, das merkt man vor allem immer wieder in Restaurants und Cafés aber auch im Medienbereich wird die Dienstleistung oftmals vergessen. Ich bin letztendlich Angestellter der Produktion. Ich kann mich kreativ einbringen, ich muss mich sogar kreativ einbringen, aber ich bin und bleibe Angestellter der Produktion und da habe ich mich nach den Wünschen und Vorstellungen des Regisseurs, Produzenten und Redakteurs zu richten.
Ist die Arbeit mit internationalen Kunden anders?
Ich arbeite natürlich immer mit einer Anpassung an den jeweiligen Kunden, aber das gibt es genauso in Deutschland wie im Ausland: jeder Kunde und jedes Projekt will individuell betreut werden. Da gibt es immer vorher die Frage: „Du pass auf, so mach ich es! Wie hättest Du es gerne?" Und dann einigt man sich relativ schnell auf eine Art und Weise, wie man mit der eigenen Arbeit auf der einen Seite überraschen kann, sich aber auf der anderen Seite auch dem Regisseur und Produzenten anpasst, wie sie es gerne hätten. Da kommt dann auch wieder dieser Dienstleistungsaspekt zum Tragen: ich hab mich dem Auftraggeber anzupassen und nicht das durchzuboxen, wie ich gerne arbeiten möchte. Dennoch kann ich zum Nationenvergleich sagen, dass beispielsweise die US-Amerikaner noch schnelllebiger als die Deutschen sind. Und dennoch haben die Deutschen, was die Schnelllebigkeit betrifft, in letzter Zeit gut aufgeholt. Auch hier muss alles viel schneller und kurzfristiger gehen. Der Grund ist natürlich auch, dass bei vielen Projekten bis kurz vor Drehbeginn unklar ist, ob sie gefördert werden oder nicht und somit grünes Licht bekommen oder nicht. Das heißt, wenn sie grünes Licht bekommen, drehen sie meistens schon in vier Wochen. Aber das geht alles und wenn man diesen Job liebt, dann ist gerade dieser Fluss mit der Zeit, wo es alles sehr schnell geworden ist, auch toll und macht viel Spaß, wenn es gut organisiert ist.
Warum finden in Deutschland nicht mehr öffentliche Auditions oder Speed-Dating statt?
Frei heraus: von Speed Datings halte ich nicht viel. In so kurzer Zeit kann man höchstens eine kurze Typenfestlegung eines Schauspielers vornehmen, aber nicht die ganze Bandbreite seines Potentials auch nur andeutungsweise erkennen. Ich glaube, für eine Komparsenagentur oder Kleindarstelleragentur wäre Speed Dating genau das richtige, aber nicht für einen Casting Director, der wirklich Rollen zu besetzen hat. Was ich aber gut finde, sind Auditions, bei denen Schauspieler eine Szene spielen, egal aus welchem Drehbuch.
Zu Deinen aktuellen Erfolgen gehört sicherlich das Casting von „Keinohrhasen". Wie hast Du hier gecastet?
Bei „Keinohrhasen" war es die erste Zusammenarbeit zwischen mir und Til Schweiger. Wir haben uns über den Film „Wo ist Fred?" kennen gelernt, in dem er als Hauptdarsteller engagiert war und ich das Casting gemacht hatte. Noch während des Drehs hat er mir eine SMS geschrieben, dass er sehr gerne mal mit mir arbeiten möchte, weil er sehr angetan von einigen besetzten Schauspielern war. Er hat sein Wort gehalten und rief mich fünf Monate später an: „Ich habe hier ein Drehbuch und würde mich wahnsinnig freuen wenn Du das besetzt." Und so bin ich zu „Keinohrhasen" gekommen, wofür ich Til bis heute unendlich dankbar bin. Nora Tschirner z.B. hatte Til von Anfang an für die Rolle im Kopf und der Film und ihre Leistung beweist, dass dies eine sehr sehr gute Entscheidung war. Um sie herum wurde dann das Ensemble gestrickt. Ich wusste natürlich, dass Til viele deutsche Schauspieler persönlich kennt und so bestand für mich die Herausforderung darin, ihm zum einen neue und zum anderen alte Gesichter in einem neuen Licht zu präsentieren. Diese Mischung zu finden war die Herausforderung und ist uns insofern toll gelungen, dass Til von Anfang an einen unglaublich respektvollen Umgang mit meiner Arbeit hatte, sehr offen war, seine Gedanken klar formulieren konnte und mir sehr vertraut hat. Wir haben sehr viele Live-Castings gemacht, die wirklich lustig waren, denn er hat eine unglaubliche Fähigkeit mit Schauspielern umzugehen und zu arbeiten. Er entscheidet oft aus dem Bauch heraus, aber auf der andern Seite auch mit einer gewissen Fähigkeit Dinge oder Visionen zu sehen, die wirklich einen Film auszeichnen. So hat sich dann unser Cast nach und nach gefüllt. Zu den „neuen Gesichtern" gehörten sicherlich die bereits erwähnte Alwara Höfels oder Gregor Bloéb und Nina Proll, die das Musikantenstadlpaar gespielt haben. Ich glaube das uns mit „Keinohrhasen" ein sehr überraschendes und tolles Ensemble gelungen ist: die Rollen nicht nur authentisch zu besetzen, sondern die Charaktere auch dahingehend zu besetzen, dass für jeden Zuschauer etwas dabei war.
Du hast ja gerade den zweiten Teil „Zweiohrküken" fertig gecastet. Wie schwierig ist es hier, dem Cast einen neuen Anstrich zu verleihen oder war das überhaupt gewünscht?
Die Ansage war ganz einfach: das neue Drehbuch. Mehr musste Til dazu nicht sagen. Ihm ist es zusammen mit Anika Decker erneut gelungen, ein weiteres Drehbuch zu schreiben, was einem wirklich die Schuhe auszieht. Man denkt, das gibt's doch nicht, wie kann man nicht nur an die Geschichte anknüpfen, sondern wirklich auch noch einen drauflegen und eine neue Geschichte und neue Stränge erschaffen, die einem das Casting wieder so herausfordernd spannend machen, das man wirklich darauf brennt, das bisherige Ensemble, welches so "nur" noch in einem kleinen Teil aus Til, Nora und Matthias Schweighöfer besteht, mit wirklich neuen Gesichter auszufüllen, die in die - ich nenn es mal „Keinohrhasen"-Familie - passen.
Was castest Du aktuell?
Aktuell caste ich gerade für Walt Disney den zweiten Teil von „Hexe Lilli". Hier habe ich auch schon den ersten Teil besetzt, wohlgemerkt die Erwachsenenrollen. Die Kinderrollen castet Uta Seibicke aus Berlin. Parallel caste ich gerade für Rat Pack ein paar Rollen der „Funny Movies".
Fertig besetzt habe ich für die gleiche Firma gerade den Kinofilm „Jerry Cotton". Da ist uns was Tolles gelungen: die jüngere Schwester von Penélope Cruz, Mónica Cruz spielt mit. Sie selbst ist bereits ein Star in Spanien aber noch nicht darüber hinaus. Wir haben eine außergewöhnliche Gangsterbraut gesucht und irgendwie bin ich dann, nach einem heissen Tip meiner Lebensgefährtin, über die Mango Werbung, in der sie zusammen mit ihrer Schwester Penélope Cruz zu sehen ist, auf sie aufmerksam geworden. Ich bin dann mit den Regisseuren Cyrill Boss und Philipp Stennert in einer Nacht und Nebel Aktion nach Madrid geflogen und wir haben Mónica getroffen. Sowas macht natürlich auch viel Spaß: neue Leute für den deutschen Markt zu entdecken. Dann caste ich gerade sehr viel für Bernd Eichinger: aktuell Uli Edels Bushido-Kinofilm "Zeiten ändern sich" sowie „Die Superbullen" mit Tom Gerhardt in der Hauptrolle. Last but not least liegt hier noch der Kinofilm „Werner - Eiskalt" aus der Brösel-Kultschmiede - der diesmal wieder mit Realfilmszenen gedreht wird. Ja, das sind so einige der aktuellen Filme plus viele Projekte, die noch in der Entwicklung sind.
Wie groß ist Dein Einfluss als Casting Director?
Naja, der Casting Director wird ja als solcher betitelt, dass er Filme besetzt. Aber das stimmt so ja nicht. Man besetzt Filme so gesehen praktisch nicht und ich weiß nicht wie das damals entstanden ist, aber jeder Caster - inklusive mir - hat schon mal den Satz gesagt: „Ich habe den und den Film besetzt." Was so natürlich nicht richtig ist. Ich bin Dienstleister und kann den Film mit meinem Fachwissen, den Kenntnissen über Schauspieler, meinen Visionen und Ideen bereichern, die dann gepaart mit den Visionen und Ideen des Regisseurs, Produzenten und anderen zu der Besetzung führt. Das heißt, ich habe natürlich vergleichsweise großen Einfluss bei der Besetzung. Die letztendliche Entscheidung trifft natürlich der Regisseur, Produzent und eventuell auch der Redakteur als Vertreter des Senders. Toll ist es, wenn nachher alle zufrieden sind....
Inwieweit bist Du von der Finanzkrise berührt?
Gott sein Dank hat diese Krise mein Unternehmen in keinster Weise berührt. Fakt ist natürlich, dass die Gelder nicht mehr so locker sitzen und die Schauspielergagen leider Gottes immer wieder darunter leiden. Hier wünsche ich mir, dass die Schauspieler wieder ordentlicher bezahlt werden und ein guter Schauspieler nicht mit den legendären Satz: „take it or leave it" abgespeist wird, wobei man bei einigen Förderungsentscheidungen die Produktionsfirmen auch verstehen kann.
Ich achte darauf, dass die Firmen mit denen ich arbeite, die Kreativen - und hiermit meine ich nicht nur die Schauspieler - in einem Projekt respektvoll behandelt werden und auch dementsprechend bezahlt werden. Prozentual wird natürlich weniger produziert, aber trotzdem konnten gerade deutsche Filme in letzter Zeit punkten, sprich Erfolge einfahren.
Was magst Du an Deinem Beruf?
Ich mag an meinem Beruf die Begegnung mit Schauspielern, Regisseuren und Produzenten etc, die ihren Job unendlich lieben und die Filme mit Leidenschaft und Enthusiasmus machen. Dann liebe ich an meinem Job natürlich die Abwechslung, das jedes Drehbuch eine neue Herausforderung ist, das jedes Projekt eine neue Chance ist, sich weiter zu bilden, mehr dazu zu lernen, neue Leute kennen zu lernen. Jedes Projekt als neue Herausforderung zu sehen, ich glaube das ist wirklich der Punkt. Ich lerne bei jedem Casting und ich mache diesen Job jetzt schon über 10 Jahre und freue mich auf hoffentlich viele, viele weitere Jahrzehnte. Ich kann mein Wissen bei jedem Projekt einsetzen und auch bei jedem noch dazu lernen. Und natürlich auch noch die Menschenkenntnis, die man im Laufe der Zeit entwickelt, weil man einfach mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun hat, das ist wahnsinnig interessant.
Und was magst Du weniger?
Das allgemeine Jammern der Branche, das ja alles so schlecht ist und läuft. Es gibt für alle Menschen gute und schlechte Zeiten, sowohl beruflich, finanziell und privat. Dennoch muss man einfach versuchen, das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen, weil das Jammern und das sich beklagen über die eigene Arbeit und andere, einen nur aufhält und contraproduktiv ist. Wenn man mit Liebe und einer gewissen Gelassenheit daran geht, dann kommt der Erfolg von alleine.
Vielen lieben Dank für das Gespräch!
Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von "casting-network. Das Branchenportal". Mehr zu ihrer Person finden sie in der Rubrik: Über uns.
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