Steckbrief:
Omar El-Saeidi, 1980 in Gießen an der Lahn geboren, absolvierte jüngst seine Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Bereits vor und während seines Studiums erhielt er für verschiedene schauspielerische Leistungen diverse Auszeichnungen - so zuletzt den Förderpreis für Schauspielstudierende beim Theatertreffen deutschsprachiger Schauspielstudierender in Salzburg 2007. Neben Rollen im Hörfunk, Kino und Fernsehen kann man Omar vor allem im Theater Schauspiel Köln sehen. Als Schauspieler wird er von Gabi Rudolph von der Agentur FastForward Schauspielmanagement vertreten.
In deiner Schauspielerausbildung an der staatlichen Hochschule für Musik und Theater Rostock gehört zum Abschluss auch eine schriftliche Diplomarbeit. Was hältst du persönlich von dieser theoretischen Reflexion der Praxis?
Sinnvollerweise war der Studiengang Schauspiel an der Rostocker Schauspielschule hauptsächlich praxisorientiert. Somit war es am Ende der Ausbildung ein bereichernder Ausgleich eine theoretische Arbeit zu verfassen. Für viele meiner Mitstudenten war es vielleicht sogar das erste Mal, sich hinzusetzen und ein Thema auf einer theoretischen Ebene zu erleben. Ich denke, dass es überhaupt für jeden Menschen wichtig ist, seinen Beruf auf verschiedenen Wegen zu erfahren. Eine Diplomarbeit im Bereich Schauspiel zu verfassen, empfinde ich als totale Bereicherung, da man in so einer Arbeit beginnt, über seinen Beruf analytischer nachzudenken. In der klassischen Rollenarbeit kommt so eine Art des Denkens dann doch oft zu kurz.
Deine Abschlussarbeit heißt „Der deutsche Schauspieler mit Migrationshintergrund" und beschäftigt sich mit dem „Spannungsgeflecht zwischen gesellschaftlicher Realität und Umsetzung in der deutschen Theater- und Medienlandschaft". Wie bist du auf das Thema gekommen?
Die Ansage unseres Professors für Theaterwissenschaften war folgende: Wir sind in erster Linie eine Schauspielschule. Zwar heißt das „Ding", was ihr da schreiben sollt: „Diplomarbeit", aber der wissenschaftliche Anspruch ist natürlich nicht ansatzweise mit einem Studiengang an beispielsweise einer philosophischen Fakultät zu vergleichen. Ihr seid Schauspieler und keine Germanistikstudenten. Bearbeitet ein Thema, welches Euch persönlich als Schauspieler bereichern kann und was Euch wirklich interessiert. Nur so habt ihr was davon.
Da wir gerade vor der Zielgeraden der fertigen Schauspielausbildung standen und uns nun der „kalte" und harte Theater- und Filmmarkt erwartete, war ich neugierig und entschloss mich zu diesem Thema. Genaugenommen beschäftigte mich die Frage: Was erwartet mich, Omar, deutscher Schauspieler mit arabischen Hintergrund, wenn ich nun hinaus gehe und mich bei Castern, Regisseuren, Redakteuren, Produzenten und Theatern bewerbe? Parallel kam das Angebot vom Schauspielhaus Köln, welches gerade unter der Intendanz von Karin Beier ein multikulturelles Ensemble-Konzept verfolgte. Da machte mein Thema natürlich doppelt Sinn.
Wie bist Du Dein Thema angegangen?
Ich begann ganz traditionell: Recherchen in Bibliotheken und im Internet. Doch das einzige, was ich fand, waren aktuelle Interviews mit Frau Beier sowie einen Artikel von Hans Christoph Zimmermann „Wer spielt den schwarzen Mann", in dem es genau um diese Problematik ging. So entschloss ich mich Herrn Zimmermann anzuschreiben. Auch er musste mir mitteilen, dass seine Literaturrecherche nicht wirklich fruchtbar war und er das Thema nur mit eigenen Interviews einigermaßen erschließen konnte. So waren nun also auch für mich Interviews für den praktischen Teil der Arbeit notwendig. Durch das Kölner Ensemble hatte ich somit ja auch genug potenzielle und ideale Interviewpartner vor Ort. Der empirische Teil war jedoch schwieriger einzugrenzen. So entschloss ich mich, mir die zehn deutschen Großstädte vorzunehmen und mir dort die dementsprechenden Bevölkerungsstrukturen bezüglich der Migranten anzusehen. Darauf aufbauend habe ich mir ihre subventionierten Schauspielerensembles nach denselben Kriterien angeschaut. Mit Hilfe der jeweiligen Internetauftritte der Häuser und dem Deutschen Bühnenjahrbuch gelangte ich an meine notwendige Statistik. Das Ergebnis war ziemlich ernüchternd, denn die deutsche Theater- und Medienlandschaft ist im Umgang mit dem deutschen Schauspieler mit Migrationshintergrund noch auf einem Entwicklungsstand. Die Gesellschaft, in der wir leben, ist viel weiter. Die Leute, die in der Film- und Theaterwelt das Sagen haben, sollten vielleicht mehr am täglichen Leben teilnehmen, dann würden sich diese Restriktionen von alleine lösen. Ich finde den Gedanken echt schön, dass auch die multikulturell aufgewachsenen Schauspieler zur Bewahrung von Restbeständen deutschen Bildungsguts beitragen. Ich bin Deutschland! (lacht)
Wie hast Du die Arbeit aufgebaut?
Was ist Deine Hauptthese?
Meine Arbeit formuliert die Hauptthese, dass Schauspieler mit Migrationshintergrund die deutsche Theater- und Medienlandschaft bereichern. Hier war zu beantworten, wie diese Bereicherung aussieht und was möglicherweise hinderlich ist, dass ein solcher Reichtum auch tatsächlich genutzt wird und dies nicht durch einen möglicherweise "exotischen" Reiz, sondern durch das Einbringen anderer kultureller Elemente in die deutsche Schauspielkunst.
Was hast Du persönlich selbst aus der Arbeit mitgenommen?
Ich habe festgestellt, wie schwer es ist, persönliche Sachen objektiv zu reflektieren. Ich arbeite als Schauspieler und sammle immer wieder Erfahrungen, die genau in diese Kerbe schlagen und die ich nur von meiner Studienzeit vom Hören-Sagen her kannte. Vor allem die Interviews mit älteren Kollegen, die schon sehr harte Erfahrungen gemacht haben, haben mich sensibilisiert und ich muss zugeben: vielleicht auch übersensibilisiert. Schlussendlich hat mir die Arbeit die Möglichkeit gegeben, mich intensiver mit Menschen auseinander zu setzen. Ich glaube, dass die Faszination, die auch Dein Beruf als Journalistin mitbringt, die Neugier ist. Man sitzt einem mehr oder weniger fremden Menschen gegenüber, der sich dir auf einer bestimmten Ebene öffnet und du erfährst in den zwei Stunden oder in zwei Tagen sehr viel über ihn. Das fand ich äußerst bereichernd. Ich habe mir während der Interviews immer wieder gedacht, ich sollte mir häufiger mal ein Thema ausdenken, zu dem ich Menschen befrage... Vielleicht mache ich das auch. Es ist einfach faszinierend, wie verschiedenartig Menschen reden, sich gebären und denken. Vielleicht ist das auch das Spannende bei einem Casting oder einem Vorsprechen. Wer ist das? Was ist das für ein Mensch?
Merkst Du selbst, wenn man dich als Schauspieler castet, dass Du in ein Klischee/Raster aufgrund Deines äußeren Erscheinungsbildes fällst?
In einem Casting versuche ich, so viel wie möglich von mir als Mensch reinzulegen. Ich glaube nur dann habe ich die Möglichkeit, ganz authentisch eine Rolle zu verkörpern. Je nach Rollenprofil biete ich natürlich Sachen an, die einem „Klischee" nahe kommen können. Doch ein plattes „Klischee" kann ich gar nicht erfüllen, da ich als Schauspieler nur Elemente meiner Beobachtungen zu meinen machen kann, um eine Figur authentisch zu spielen, denn das ist ja schließlich meine Aufgabe. Mir gelingt es nicht, „Klischees" vollständig zu lösen. Zudem kenne ich gar nicht genau das „Klischee", welches zu meinem äußeren Erscheinungsbild passt.
Lehnst Du sogenannte Klischeerollen partout ab?
Als junger Schauspieler will ich erst einmal arbeiten und Erfahrungen sammeln. Ganz ehrlich, ich habe noch nie etwas abgelehnt, außer wenn es zeitlich wirklich gar nicht ging. Ich bin der Meinung, dass jede Erfahrung einen reich machen kann, mal abgesehen davon, dass ich auch meinen Lebensunterhalt verdienen muss. Auch Klischeerollen sind Rollen, die ich spielen will - auch wenn ich mehr kann. Ich verstehe Kollegen, die so etwas nicht spielen, bzw. nicht mehr wollen oder können. Das muss aber jeder für sich entscheiden. Außerdem gibt es in Deutschland mehr als nur die Klischees. Es gab eine Phase während dieser Arbeit, in der ich von meiner persönlichen Devise Abstand genommen habe, weil ich dachte, ich begehe Verrat oder verkaufe mich zu gering. Aber das ist Quatsch. Ich bin ein Schauspieler und das ist nun mal meine Arbeit. Wenn man sich da als ein besonderes Opfer sieht, grenzt man sich wieder aus. Mir hat ein Regisseur mal gesagt, dass er für eine Gangsterrolle einen Kollegen nehmen wollte, der vom Charakter und der Spielweise optimal auf die Rolle gepasst hat, aber er hat sich nicht getraut ihm die Rolle zu geben, weil er türkischen Ursprung hatte. Da kehrt sich diese Überempfindlichkeit in eine political correctness um, die auch falsch ist. Wir sollten versuchen, eine Normalisierung zu erreichen, die es gesellschaftlich auch gibt. Natürlich gibt es viele Migranten, die Gangster, Fanatiker, Nutten etc. sind, aber es gibt auch die Lehrer, Ärzte, Fahrradverkäufer, etc. unter ihnen. Erst wenn wir beides auf der Bühne, im Kino und TV im dementsprechenden Verhältnis behandeln, hat keiner mehr den inneren Stress, sich als Opfer oder als Ausbeuter zu sehen. Wir fahren alle auf der Straße des Lebens und halten mal an, um zu tanken. Leben und Leben lassen.
Worauf beruht diese „mentale Fehlleistung" der Rasterordnung?
Alle Menschen - mich eingeschlossen - versuchen, in Rastern, Schubladen und Mustern zu denken. Das fängt bei der Religion an und hört bei den Schuhen auf. Wir ordnen uns selbst auch irgendwo zu. Wir suchen nach Zugehörigkeiten, nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Ein Interviewpartner sagte, dass es in der Natur „der Deutschen" läge, alles auseinander nehmen zu wollen und zu analysieren. Und einen deutschen Schauspieler mit Migrationshintergrund kann man so schwer in eine Schublade stecken, also wird dieser Tatbestand verdrängt. Wenn man nun ein deutscher Film- oder Theaterentscheider ist, liest man eine Geschichte, ein Stück oder ein Drehbuch und hat automatisch Bilder von Figuren im Kopf, die einem nahe sind. Das bedient man dann ganz intuitiv ohne rassistische Hintergedanken. Doch unsere Gesellschaft verändert sich und die jungen Filme- und Theatermacher haben zwar andere intuitive Bilder, unterliegen jedoch meist Mechanismen und Restriktionen und können ihrer intuitiven Phantasie nicht so ganz nachgehen, weil viele andere Kriterien für die Besetzung einer Figur eine Rolle spielen.
Wo kann man Dich aktuell spielen sehen?
Ich spiele derzeit am Theater Schauspiel Köln in den Stücken „Menschenfeind", „Nibelungen" und „Simplicissimus Teutsch". Darüber hinaus werde ich zukünftig an das Theater Bielefeld gehen, wo ich als erstes in Nigel Williams „Klassenfeind" zu sehen sein werde. Die Premiere wird am 12. September 2009 sein.
Omar wird vertreten von:
FastForward Management
Gabi Rudolph
www.fastforwardmanagement.de
Im Anhang finden Sie das Inhaltsverzeichnis von Omar El-Saeidis Diplomarbeit sowie ein kleines Interview mit seinem Professor Peter Ulrich über Diplomarbeiten, Ihre Themenschwerpunkte, Archivierung / Veröffentlichung sowie interessante Publikationen aus den Feder von anderen Diplomanden des Fachbereiches „Schauspiel".
Anhang ansehen / runterladen:
Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von "casting-network. Das Branchenportal". Mehr zu ihrer Person finden sie in der unter der Rubrik: Über uns.
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