Zentrales Anliegen der Veranstaltung war es, Menschen mit und ohne Behinderung Casting Directors sowie anderen Entscheider*innen der Filmbranche in barrierefreier Atmosphäre gezielt zusammenzubringen, damit durch die Besetzungslisten zukünftiger Filmproduktionen der frische Wind der Inklusion wehen kann.
Wie bist Du auf die Idee zur Veranstaltung CAST ME IN gekommen?
Beim Thema Inklusion fremdelt die Branche noch ziemlich. In Filmen und Serien sind Menschen mit Behinderung deutlich unterrepräsentiert – und meist werden sie von nicht-behinderten Schauspieler*innen verkörpert. Um der Sache auf den Grund zu gehen, folgte eine Interviewreihe mit Schauspieler*innen mit Behinderung. Die Bilanz war eher ernüchternd: Bei aller Forderung nach mehr Diversität ist der Bereich Inklusion von Menschen mit Behinderung vor und hinter Kamera sehr rar, denn es gibt sie fast gar nicht. Diejenigen, die wir zu dem Thema befragten und die in der Branche arbeiten, sind Pioniere auf ihrem Gebiet und wahre Perlen, wie zum Beispiel das Pilotprojekt Glanzstoff – eine Schauspielausbildung für Menschen mit Behinderung in Wuppertal, das Constantin/RTL Projekt „Weil wir Champions sind“ und allen voran eben die wunderbaren Schauspieler*innen, die vielfach durch Quereinstieg ihre Karriere bestreiten.
Uns war klar, dass auf Worte nun Taten folgen mussten, und wir sprachen mit unseren Interviewpartner*innen: Wichtig war uns allen, dass wir keine Quotenveranstaltung machen, sondern ein Event für alle Menschen, die entdeckt oder wiederentdeckt werden wollen – ob behindert oder nicht. Wir wollen ihnen eine Plattform geben, unter dem Motto: „Sehen und gesehen werden.“ In Zusammenarbeit mit dem Inklusionsexperten Rolf Emmerich, der das Kulturfestival „Sommerblut“ leitet, setzte ich mit meinem Team die Idee im Rahmen des International Film Festival Cologne (IFFC) um: Beide Seiten zusammenzubringen, um sich kennenzulernen. Du, lieber Erwin, standest als Schauspieler und Experte der Lebenswelt zur Seite sowie andere Schauspieler*innen mit einer Behinderung. Ebenfalls dazu kam die Schauspielerin Christina Hecke vom Vorstand der Deutschen Fernsehakademie – alle ehrenamtlich.
Wie lautet Dein Resümee bezüglich der Akzeptanz und der Annahme des Events?
So richtig erfolgreich können wir es erst nennen, wenn wir diese tollen Schauspieler*innen mit ihrem Können auch auf dem Bildschirm sehen, richtig versichert und bezahlt worden sind. Denn es geht nicht nur ums Gesehen werden, wie es eine der Teilnehmer*innen unter Beifall erklärte: Sie wolle nicht mehr hören, was Menschen mit Behinderung angeblich nicht können, das wisse sie selbst. Es solle endlich gesehen werden, was sie alles können. Der Spielball liegt nun bei der Branche. Zwei Schau- spieler*innen wurden bereits in etablierte Schauspielagenturen aufgenommen und eine weitere ist im Gespräch, Besetzungslisten bestückt und allen voran ein weiterhin anhaltendes Netzwerk aller Teilnehmer*innen etabliert.
Inklusion ist kein „Nice to have“, sondern ein verbrieftes Menschenrecht, ratifiziert im Rahmen der UN-Behindertenrechts- konvention – und es kann uns alle angehen: Ein Großteil der Menschen mit Behinderung in Deutschland hat eine Behinderung erst im Lebensverlauf erworben. Hier würde ich gerne jemanden vom Tag anonym zitieren wollen: „Behinderte Menschen werden aktuell gerne genutzt, um divers zu erscheinen und damit Umsatz zu generieren, während nicht verstanden wird, dass die Branche anfangen muss, Geld für Beratung auszugeben. Wenn Repräsentation von behinderten Menschen immer damit verbunden ist, dass Diskriminierung reproduziert wird, kommen wir nicht voran.“
Wie war es backstage?
Wir haben gelernt, dass vegane Bowls nicht jedermanns Sache sind und waren dem Bäcker nebenan sehr dankbar, dass er uns noch 2-3 Platten Brötchen geschmiert hat. Da war dann auch Energie für Performances. Christian Forst war hier ganz klar der Motor, und seine Dirty Dancing Vorführung hätte ich gerne verewigt. Im Anschluss folgte ein „Kreis-Tanzen“, wo gebreakdanced wurde und jede*r den Laden rockte. Da hast Du echt gefehlt bzw. wir haben fast verpasst, nach unten zum „eigentlichen“ Event zu gehen.
Bist Du für eine Quote?
Das ist eine Frage, die Du eigentlich beantworten musst und andere Menschen mit Behinderung bzw. Beeinträchtigung. Für eine Quote bedarf es der Besetzung von professionellen Menschen, die diesen Job erfüllen können. Für den Schauspielbereich bedeutet das banal: A spielt B und C guckt zu. Um dem gerecht zu werden, müssen professionelle Menschen vor, aber auch hinter der Kamera ausgebildet werden. Um bei dem Mosaikstein staatliche Schauspielschule zu bleiben, wurde dies verpasst. Hier sollte man auf Augenhöhe im Gespräch mit den Entscheidungsträger*innen bleiben, und es ist sicherlich auch ein finanzieller Aspekt, wie sich da was ändern lässt. Vor einer Quote wäre mir somit eine solide nachhaltige Ausbildung das Wichtigste.
Gut recherchierte Stoffe, deren Figuren als erzählerische Chance aus den Geschichten heraus entwickelt werden, Produktionen, die Arbeitsassistent*innen gewährleisten und sich Diversitätsexpert*innen mit an Bord holen, wären ein weiterer wichtiger Punkt. Wichtig fürs Casting ist es, dass die Schauspieler*innen in den Datenbanken gefunden werden und eine behindertengerechte Kommunikation, angefangen beim Drehbuch bis zur Abnahme, erlernt wird. Das ist alles kein Hexenwerk. Hier ist das Theater viel weiter. Spannend finde ich zum Beispiel das Tandem-Konzept, welches an den Kammerspielen umgesetzt wird, indem einem/einer Regisseur*in ein*e Fachexpert*in aus dem jeweiligen Behindertenbereich an die Seite gestellt wird. Der Blick zum British Film Institute (BFI) lohnt sich auch, aber wir können gelebte, gelernte Strukturen nicht einfach herzaubern. Ernsthaftes Interesse und Durchhaltevermögen sind hier wohl die wichtigsten Zutaten, dass aus dem Samenkorn ein Baum wachsen kann.
Und wie könnte das umgesetzt werden?
Der Branche fehlt meist nicht der Wille, sondern die Kompetenz, Menschen mit Behinderung als gleich- berechtigte Menschen anzuerkennen und zu behandeln. Schließlich sitzen in den Entscheidungsgremien der Filmförderungen fast ausschließlich Menschen ohne Behinderung. Hier finde ich das Access Maker Model aus dem Kulturbereich sehr gut. Mit Access Maker wird es ermöglicht, inklusive Zugänge als Mehrwert für das gesamte Publikum und die gesamte Struktur eines Kulturbetriebes zu begreifen und zu nutzen. Langfristig wollen wir so zu einer Verstetigung barrierefreier Angebote sowie zu einer umfassenden, diversitätsorientierten Organisationsentwicklung beitragen, um die Kulturlandschaft strukturell und nachhaltig inklusiv zu verändern.
Für den Film- und Fernsehbereich finde ich die vier Säulen des British Film Institute (BFI) vielversprechend, die Oliver Zenglein (Crew United/Vielfalt im Film) u.a. skizziert hat und die dem BKM vorliegen:
1. Die Menschen, die diese Geschichten schreiben, umsetzen und vertreiben, entsprechen der Vielfalt unserer Gesellschaft. (BFI: Creative Leadership and Project Team)
2. Die Geschichten, die erzählt werden, und die Menschen, von denen erzählt wird, sollen die Vielfalt unserer Gesellschaft abbilden. Die Möglichkeiten der Erzählformen müssen vielfältiger und diverser werden. (BFI: On-Screen Representation, Themes and Narratives)
3. Die Zugänge und Möglichkeiten zu Ausbildung/Weiterbildung/Aufstieg müssen für alle Menschen gleich sein. (BFI: Industry Access and Opportunities)
4. Ein diverses und vielfältiges Programm wird einem vielfältigen und diversen Publikum angeboten und nahegebracht. (BFI: Audience Developement)
Stichwort Wording ...?
Nehmen wir das Beispiel der Umbenennung von „Aktion Sorgenkind“ zu „Aktion Mensch“. Ein sehr wichtiger Schritt. Was ich mir wünschen würde, dass zum Beispiel die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) ein amtliches Regelwerk auf den Weg bringt, damit dies einfach geregelt ist. Schade finde ich es, wenn aktuell beim Thema Wording hitzige Debatten geführt werden, ob nun „gehörlos“ oder „taub“ korrekt ist. Hierzu gibt es diverse Diskussioneninnerhalb der Community selbst, die geführt werden müssen, aber ihr Gegenüber nicht verstummen lassen dürfen. Lange Rede, kurzer Sinn: Wording ist wichtig, aber die Behandlung der Wurzel ist das Wichtigste.
Was hast Du gelernt?
Horizont erweiterndes für meinen Alltag: Wenn jemand eine Mobilitätseinschränkung hat, überlege ich mir nun genau, was Barrierefreiheit heißt: Wie ist der Weg vor Ort, aber auch zum Veranstaltungsort? Gibt es Aufzüge oder eben eine alternative Strecke? Sind barrierefreie Toiletten vorhanden? Können Rollifahrer*innen im Kino gut sitzen? Und das ist eben nicht immer die erste Reihe. Wenn ich jemandem schreibe, der/die blind ist, sende ich ihm/ihr ein PDF, das man sich vorlesen lassen kann. Doppelpunkte sind da besser als Genderstern. Ich habe nun Erfahrungen im Umgang mit einem Blindenhund, weiß, dass Menschen, die blind sind, anders in einen Kinosessel gesetzt werden sollten, als jemand, der im Rollstuhl sitzt. Wurde die Greta App im Vorfeld auf Android und Iphone getestet, damit die Technik hier auch das Kinoerlebnis ermöglicht? Wenn ich mich mit jemanden unterhalten möchte, der nicht hören kann, kenne ich nun einen Service, der eine Telko dafür arrangieren kann, und ich organisiere für einen Tag auch am besten eine*n Gebärden- dolmetscher*in, der/die vertraut ist.
Darüber hinaus weiß ich, dass es nicht nur die Deutsche Gebärdensprache (DGS), die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS) und die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) gibt, sondern auch eine British Sign Language (BSL) und die Langue des Signes Française (LSF). Verallgemeinerungen über Behinderungen sollten vermieden werden. Wir hatten fünf Künstler*innen mit Downysndrom da. Das waren fünf verschiedene Persönlichkeiten – Punkt. Und ich habe mich selten so fachfundiert über Tauchen und Skateboardfahren unterhalten. Last but not least: Menschen mit Behinderungen stehen nicht automatisch als Content Creator zur Verfügung und sind nicht automatisch Inklusionsaktivist*innen. Daher danke Dir für Deinen wichtigen Input, lieber Erwin.
Wird es weitere Veranstaltungen dieser Art geben?
Es wird überlegt, das Ganze auch in München, Hamburg und Berlin zu machen. Ob in dieser Form und von uns, ist noch nicht klar. Aktuell spreche ich mit allen Teilnehmer*innen, was nach dem Event noch für sie wichtig wäre. Zum Beispiel ist hier eine befreundete Stiftung im Gespräch, die einen Tag an Schulen geht und Grundschüler*innen ermöglicht, die Welt von Menschen mit einer Seh-, Hör- oder Mobilitätseinschränkung kennenzulernen. Diese Erfahrung würde ich gerne aufs Kino übertragen.
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