Wir wollen ökologisch nachhaltiger agieren: ein ehrenwerter Vorsatz, der erst mal nicht sonderlich aufregend erscheint. Und doch handelt es sich um ein Ereignis: Ein breites Bündnis von Medienunternehmen hat sich im Rahmen des Arbeitskreises „Green Shooting“ auf eine Selbstverpflichtung zur Einhaltung von 21 ökologischen Mindeststandards geeinigt. Hat eine Produktion mindestens 18 dieser Vorgaben erfüllt, wird sie mit dem Label „green motion“ ausgezeichnet. Stichproben der Wirtschafts- prüfungsgesellschaft PwC sollen sicherstellen, dass mit „green motion“ kein Missbrauch getrieben wird. Zu den Mitgliedern des Arbeitskreises gehört alles, was hierzulande Rang und Namen hat: ARD und ZDF, die Privatsender, Sky, Netflix, die großen Produktionsfirmen, die Produzentenallianz und mehrere Fördereinrichtungen. Initiator ist der Geschäftsführer der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG), Carl Bergengruen. Er hat Green Shooting ins Leben gerufen, damit sich die Branche „von dem Irrglauben verabschiedet, dass Filmproduktionen nur geringe CO2-Emissionen verursachen.“
Die Beteiligung von Praktikern wie Michael Becker sollte garantieren, dass der Maßnahmenkatalog auch umsetzbar ist. Der Leiter der SWR-Abteilung Szenische Herstellung, Auftragsproduktionen & Nachhaltigkeit war maßgeblich an der Entwicklung des CO2-Rechners beteiligt, mit dessen Hilfe sich die wesentlichen CO2-Treiber identifizieren lassen: „Sobald man anfängt zu bilanzieren, schafft man eine Haltung, die schon allein dazu führt, dass weniger verbraucht wird.“ Bei einem durchschnittlichen Fernsehfilm seien Einsparungen von 40 Prozent möglich: „Früher lag der Ausstoß bei 120 bis 150 Tonnen. Wenn man die Mindeststandards einhält, lässt sich diese Zahl auf 50 bis 80 Tonnen reduzieren.“
Diese Standards sind das Ergebnis eines Modellprojekts mit rund hundert Filmen und Serien, darunter auch der ARD-Mittwochsfilm „Die Luft, die wir atmen“ vom Hessischen Rundfunk. „Es ging dabei nicht darum, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und sich für einen ‚grünen Engel’ zu halten“, betont HR-Produktionsleiter Dominik Diers: „Ziel des Projekts war es, Daten zu sammeln, Bilanz zu ziehen und auf diese Weise rauszufinden, wo sich der ökologische Fußabdruck verkleinern lässt.“ Die Produktion ist zwar nicht repräsentativ, weil der Film größtenteils aus Innenaufnahmen besteht, aber sie habe gezeigt, dass sich nachhaltiges Drehen bei den Produktionen des HR ohne Weiteres umsetzen lasse.
HR und SWR sind die letzten Sender, die Filme und Serien noch selbst produzieren. Ähnliche Rahmenbedingungen herrschen bei täglichen Serien. Während viele Produktionsfirmen für einen Fernsehfilm „für sechs Wochen von null auf hundert alles hochfahren und daher fast alles mieten müssen“, sagt Anke Molzberger, „arbeiten wir mit eigenem Bestand. Was wir anschaffen, wird auch sehr lange benutzt.“ Sie ist Line Producer bei „Unter uns“. Die RTL-Serie wird von der UFA-Tochter Serial Drama in Köln-Ossendorf produziert, und das schon länger mit ökologischer Ausrichtung. Erster Schritt war 2017 die Verbannung von Plastikflaschen. Seither gibt es mit Kohlensäure versetztes Trinkwasser. 2020 wurde die Produktion auf Ökostrom umgestellt. Drehpläne und Drehbücher werden nach Möglichkeit nicht mehr gedruckt, was den Papierverbrauch stark reduziert hat. Die Produktion soll der Klimaneutralität so nahe wie möglich zu kommen. Fliegen ist verpönt, für Fahrten zum Studio soll der öffentliche Nahverkehr genutzt werden. Die PKW-Flotte ist größtenteils auf E-Mobilität umgestellt. Das Catering ist „bio, regional, saisonal“. Bislang konnte der CO2-Ausstoß laut Molzberger um circa 200 Tonnen reduziert werden. An zwei Punkten sei die Produktion jedoch an Grenzen gestoßen: Größere Fahrzeuge mit Elektroantrieb hätten die Autoverleiher kaum im Angebot, und beim Bau neuer Dekorationen könnten aufgrund der Brandschutzvorschriften nicht ausschließlich umweltfreundliche Materialien benutzt werden, aber „ansonsten haben wir alles getan, was in unserer Macht steht.“
Bild aus „Die Luft, die wir atmen“ | Bild aus: „Unter uns“ |
Gerade wegen Vorbildern wie „Unter uns“ ist Diers überzeugt, dass es sich bei der Selbstverpflichtung der Branche nicht um ein Lippenbekenntnis handele, zumal der gesellschaftliche Druck wachsen werde. Aber lässt sich der ökologische Fußabdruck bei Dreharbeiten abgesehen vom Verzicht aufs Fliegen tatsächlich signifikant verkleinern? Oder ist nicht auch viel Symbolik im Spiel? Diers räumt ein, dass er das im Detail nicht beantworten könne: „Wird der Fußabdruck wirklich kleiner, wenn ich statt eines klassischen Brenners eine LED-Lampe nehme? In die Bilanz müssten ja auch die Produktionsbedingungen der LED-Leuchte miteinbezogen werden. Tatsache ist jedenfalls, dass der Stromverbrauch deutlich niedriger ist.“ Der Energieverbrauch ist ohnehin ein großer CO2-Faktor. In der Regel stünden laut Becker an jedem Drehort Dieselaggregate, weil es noch keine adäquaten Alternativen gebe: „Wir brauchen ja spezielle Aggregate, die keinen Krach machen. Wir haben beim SWR zwar schon batteriebetriebene Aggregate getestet, aber die Entwicklung ist in dieser Hinsicht einfach noch nicht weit genug.“ Trotzdem ist sich Diers sicher, „dass wir in spätestens fünf Jahren resümieren werden: Die Umstellung auf grünes Produzieren rentiert sich auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Ein Gewinn ist sie ohnehin.“
Auch ProSiebenSat.1 hat langfristig das Ziel, das gesamte Produktionsportfolio nachhaltig herzustellen. Die Senderfamilie hat 2019 den Leitfaden „sauber gedreht“ erstellt. Laut Stefan Thul, Gesamt-Herstellungsleiter der Seven.One Entertainment Group, sei es bei dem Pilotprojekt vor allem darum gegangen, realistische Erfahrungswerte zu sammeln. In einer Hinsicht sei man sogar weiter als Green Shooting: Der CO2-Rechner ist direkt in den Standardkalkulator integriert. Auf diese Weise können Produzenten auf einen Blick erkennen, wo der CO2-Ausstoß verringert werden kann. Zum Abschluss müssen sie Bilanz ziehen, erst dann erhalten sie die letzte Rate. Die Befürchtung vieler Unternehmen, dass die Produktionen durch die Auflagen teurer würden, entkräftet Thul mit zwei Gegenbeispielen: „Wir haben die Produktion von ‚The Masked Singer’ auf Ökostrom umgestellt und so den CO2-Ausstoß je Staffel um 94 Prozent reduziert, von hundert auf sechs Tonnen. Beim Sat.1-Frühstücksfernsehen gelang seit Anfang 2021 eine Reduktion von 1.300 Tonnen auf nur noch 80 Tonnen.“ Die „Mehrkosten“ hätten 0,04 Prozent betragen. „Die Kostenkeule ist also kein Argument. Davon abgesehen sind wir bereit, etwaige Mehrausgaben zu übernehmen, wenn wir sie nachvollziehen können.“
Auch Becker hält die Mehrkosten für überschaubar: „Bei einem Fernsehfilm sprechen wir von circa einem Prozent des Gesamtbudgets.“ Außerdem zahle der SWR das Honorar für einen Green Consultant. In der Eckpunktevereinbarung zwischen der ARD und der Produzentenallianz ist ohnehin festgelegt, dass das nachhaltige Produzieren kalkulatorisch berücksichtigt werden kann. Mit dem ZDF wird über einen entsprechenden Passus verhandelt. Auf Seiten der Produzent*innen gibt es allerdings die Befürchtung, dass die Auftraggeber*innen scheinbar großzügig etwaige Mehrausgaben übernehmen, aber dafür an anderer Stelle Kürzungen erwarten würden. Entsprechende Vorwürfe gab es bereits im Zusammenhang mit den Zusatzkosten für die Coronamaßnahmen. UFA-Geschäftsführer Joachim Kosack nimmt die Branche dennoch in die Pflicht: „Es ist klar, dass die Firmen selbst investieren müssen und nicht alles auf die Auftraggeber*innen abschieben können.“ Die UFA hat acht eigene Green Consultants.
Auch Netflix strebt CO2-Neutralität an und erwartet, dass die Herstellung der Eigenproduktionen in Zukunft Umwelt und Ressourcen schont. Streamingdienste gelten wegen des enormen Stromverbrauchs ihrer Server als besonders große Energiefresser. Sky bietet zwar ebenfalls Filme und Serien auf Abruf an, ist aber in erster Linie eine Plattform und gilt hierzulande sogar als ökologische Avantgarde. Das Unternehmen hat 2017 die Initiative „Sky Ocean Rescue“ zur Bekämpfung der zunehmenden Plastikmüllverunreinigung der Ozeane gestartet. 2018 folgte der Vorsatz, Serien, Dokumentationen und Shows möglichst umweltverträglich herstellen. Beispielhaft für die neue Produktionsweise ist laut Programmchefin Elke Walthelm die ausschließlich in der Natur entstandene vierteilige Dokureihe „SaFahri“ mit Fahri Yardim: Es sei gelungen, komplett auf Generatoren und Starkstromanschlüsse zu verzichten und an den 33 Sets ohne technischen Aufbau und den Einsatz von Lampen auszukommen.
Alle sind sich einig, dass die Branche auf einem guten Weg sei, weshalb Lars Jessen zu Beginn seiner Gegenrede versichert, er wolle die Euphorie gar nicht dämpfen, aber die Sinne schärfen: „Bei aller Freude darüber, dass bestimmte Prozesse endlich angestoßen sind, dürfen wir nicht den Fehler begehen, uns mit oberflächlichen Änderungen zufrieden zu geben – das wäre Greenwashing.“ Viele Filmschaffende lebten privat sehr umweltbewusst, „aber sobald sie ein Filmset betreten, lassen sie das aus einer Art Dünkel heraus hinter sich: ‚Jetzt bin ich Künstler, deshalb komme ich mit dem Taxi zur Arbeit.’“ Im Lauf der Zeit sei ihm dieser Widerspruch immer klarer geworden: „Am meisten stört mich das arrogante Selbstverständnis, mit denen sich diese ‚Künstler’ über die Gesellschaft stellen. Mich hat es immer gewundert, wie man seine berufliche Identität so reibungslos von der privaten Persönlichkeit abspalten kann.“
Der Grimme-Preisträger, „Für immer Sommer 90“, begrüßt die angestoßenen Mindeststandards, zumal er bei der Erstellung des Katalogs selbst beteiligt war, „aber angesichts des Klimawandels müssen sie unbedingt verbindlich sein und schrittweise verschärft werden. Solange sie freiwillig bleiben, wird es viele geben, die nicht mitziehen, und dann reiht sich die Initiative ein in die Vielzahl gesellschaftlicher und politischer Versäumnisse der letzten Jahre.“ Er fordert daher „einen Zielkorridor, wie wir die CO2-Emissionen reduzieren können, und viel stärkere Anreize – zur Not auch Sanktionen.“ Nötig sei vor allem eine Änderung der Rahmenbedingungen: „Solange der Stromanschluss hierzulande zehnmal so teuer ist wie in Skandinavien, werden auch weiterhin Dieselaggregate an den Drehorten stehen.“
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„Mit gutem Gewissen Filme gucken.“ (Claudia Roth)
Der BKM lud zu einer Veranstaltung des Arbeitskreises „Green Shooting“, den Länderförderungen, der Filmförderungsanstalt und allen Partner*innen der ökologischen Mindeststandards ein, um über die Kooperation bei den ökologischen Mindeststandards der Film-, TV- und VoD-Branche zu informieren.
Die digitale Veranstaltung am 11. Februar 2022 wurde eröffnet von Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien und dem Geschäftsführer der MFG Baden-Württemberg und Sprecher des Arbeitskreises „Green Shooting“, Carl Bergengruen. Im Anschluss fand eine Podiumsdiskussion statt.
© BKM
Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion: Claudia Roth (Staatministerin für Kultur und Medien), Patricia Schlesinger (Intendantin des RBB Rundfunk Berlin-Brandenburg und Vorsitzende der ARD), Nico Hofmann (Regisseur, Filmproduzent, Drehbuchautor und Geschäftsführer der UFA GmbH), Phillip Gassmann (Regisseur, Autor und Experte für umweltfreundliche Film- und TV-Produktion), Maria Furtwängler (Schauspielerin), Helge Albers (Geschäftsführer der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein) und Sascha Schwingel (Geschäftsführer VOX Television). Moderation: Jana Pareigis, ZDF.
Zur Infoveranstaltung zur Vereinheitlichung der ökologischen Mindeststandards geht's hier
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Castings: „Die Luft, die wir atmen“ Nathalie Mischel | „Unter uns“ Haupt- und Episodencast (seit 8. Staffel): Tina Rinderspacher (BVC) | „Für immer Sommer 90“ Suse Marquardt (ICDN)
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