Helge Albers produzierte viele international erfolgreiche Filme und gehört sowohl der Deutschen als auch der Europäischen Filmakademie an. Seit 2019 ist er Geschäftsführer der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein. Zuvor arbeitete er als Geschäftsführer und Produzent bei der achtung panda! Media GmbH in Berlin. 2015 erhielt der von ihm produzierte Kurzfilm „Ave Maria“ eine Oscarnominierung, 2016 gewann er den Filmpreis „Lola“ für den besten Dokumentarfilm mit „Above and Below“. Albers gilt als aus- gewiesener Kenner der deutschen Filmlandschaft, der national wie international bestens vernetzt und filmpolitisch engagiert ist. Sein großer Erfahrungsschatz als Produzent im Spiel- und Dokumentarfilmbereich sowie als Geschäftsführer des Produzentenverbandes e.V. entpuppte sich als hervorragende Grundlage, um an die bisherige Arbeit der MOIN Filmförderung anzuknüpfen. Wir sprachen mit ihm über das Thema Inklusion in der Film- und Fernsehbranche aus Sicht einer Förderanstalt.
Welche Maßnahmen kann eine Förderanstalt im Bereich Inklusion in der Film- und Fernsehbranche überhaupt in die Wege leiten?
Neue Stimmen, frische Erzählstile, andere Gesichter und Perspektiven sind notwendige Voraussetzungen für eine vitale und international konkurrenzfähige Filmwirtschaft. Darum müssen wir uns auch als Filmförderung kümmern.
Inklusion verstehen wir als Teil von Diversität und sehen es als unsere Aufgabe, marginalisierte Gruppen unserer Gesellschaft vor und hinter der Kamera sicht- barer zu machen. Dazu gehört die Sensibilisierung der Filmbranche, die bislang vor allem hierarchisch, männlich und weiß geprägt ist. Außerdem brauchen wir eine gerechtere Teilhabe an Entscheidungen und mehr Empowerment, zum Beispiel durch Ausbildung oder Mentoring.
Welche Maßnahmen haben Sie und Ihr Team hierzu bereits in die Wege geleitet?
Seit einer turnusmäßigen Neubesetzung unserer Fördergremien entscheiden auch Branchenfachleute mit eigenen Erfahrungen in marginalisierten Gruppen über die Vergabe der Fördermittel. Die Diskussion über die eingereichten Projekte hat sich mit diesem Mehr an Vielfalt deutlich verändert.
Um die Branche in diesem Prozess mitzunehmen, haben wir eine „Diversity Checklist“ eingeführt, die jede*n Antragsteller*in ver- pflichtet, das eigene Projekt auf z. B. Repräsentation aller gesellschaftlicher Gruppen, auf Diskriminierungsfreiheit und Teilhabe vor und hinter der Kamera zu checken. Die Checkliste regt dazu an, das eigene Werk sehr aufmerksam zu überprüfen, und man entdeckt vielleicht Aspekte, die sich noch verbessern lassen. Bei der Erstellung der Listen haben wir uns mit Verbänden und Interessensvertretungen beraten u.a. auch mit Behindertenverbänden.
Und nicht zuletzt versuchen wir, den Ansprüchen, die wir an die Branche stellen, auch firmenintern gerecht werden. Das wären Maßnahmen wie Nutzung sensibler Sprache, innerbetriebliche Fortbildungen und einer immer diverseren Aufstellung unseres Teams. Da ist allerdings noch Luft nach oben.
Wie werden diese Maßnahmen angenommen?
Erhalten Sie Gegenwind oder erleben Sie Vorurteile vonseiten Ihrer Antragsteller*innen?
Antragstellende richten sich erstmal nach den formalen Anforderungen. Viele begleiten den Prozess sehr zugewandt und unterstützen den Ansatz. Die anderen hoffen wir ins Nachdenken bringen zu können, damit sie das Thema Diversität ernster nehmen.
Sind Sie für einen „Inklusionsrider“? Wenn ja – welche Punkte sollte dieser enthalten?
Wenn Player der Branche im Bereich Diversität besonders gut performen wollen und sich selbst hohe Ziele setzen, finde ich das super und eine interessante Herangehensweise. Die Hamburger Produktionsfirma Wüste Film hat einen ersten Selbstversuch gestartet, aus dem die Branche viel lernen kann. Bei den Dreharbeiten zum neuen NDR-Tatort von Regisseurin Mia Spengler haben sie die Erfahrung gemacht, dass noch eine ganze Menge Aufbau- und Ausbildungsarbeit zu leisten ist, um die Teams wirklich so ausgewogen besetzen zu können, wie es der Repräsentation in der Bevölkerung entspricht. Darum hat sich die Produktion darauf konzentriert, für Branchenneulinge aus unterrepräsentierten Gruppen Ausbildung und Mentoring am Set zu ermöglichen. Ich freue mich, wenn mehr Firmen sich diesem Beispiel anschließen.
Sind Sie für eine Quote?
Eine Quote kann in bestimmten Bereichen durchaus ein hilfreiches Instrument sein. Aber nur, wenn sie intelligent eingesetzt wird. Für uns als Förderung wäre eine pauschale Quote nicht die beste Lösung, weil die Tücken im Detail liegen. So erhalten wir zum Beispiel im Highend-Segment zu wenige Anträge mit weiblicher Regie. Hier wünsche ich mir ein stärkeres Engagement der Player, die in diesem Marktsegment aktiv sind. Das Empowerment muss ganz klar schon vor der Einreichung bei der Förderung stattfinden.
Was halten Sie von der „Cripping-up“-Debatte – also dass Schauspieler*innen mit Behinderung von Schauspieler*innen ohne Behinderung gespielt werden?
Das Stichwort haben Sie schon in der Frage gegeben. Es handelt sich um eine Debatte und Debatten sind gut. Unterschiedliche Positionen und Haltungen muss man dabei hin und wieder aushalten. Wann eine Besetzungsentscheidung „Cripping up“ ist oder nicht, müssen die direkt Beteiligten entscheiden und dann diese Entscheidungen auch vertreten. Das heißt vor allen Dingen, dass man mit der Materie nicht naiv umgeht und informierte Entscheidungen trifft.
Sie waren Gast beim Talk „Vielfalt im Film“, veranstaltet von der Antidiskriminierungsstelle. Was hat die Studie bewirkt?
Die Studie hat die Themen der fehlenden Diversität und der Diskriminierung unterrepräsentierter Gruppen in der Filmbranche deutlich auf die Agenda gebracht. Die Macher*innen hinter der Studie konnten das unterschwellige „Gefühl der Ungerechtigkeit“ ganz klar objektiv nachweisen. Damit kommt die Kino- und Fernsehwelt am Handeln nicht mehr vorbei.
Wer sollte Ihrer Meinung nach auf politischer Ebene angesprochen werden?
Die gesamte Gesellschaft ist gefragt: Diversität leben und diskriminierungsfrei handeln ist unser aller Aufgabe. Die Vorbildfunktion von Film können wir uns dabei zunutze machen.
Wie definieren Sie persönlich den Begriff Behinderung?
Unser Leben bewegt sich in vielerlei Hinsicht auf einem Spektrum. Sexualität, Geschlecht, Alter, psychische Gesundheit u.v.m. lassen sich von der Gesellschaft einfacher fassen, wenn sie Normen entsprechen. Aber am Ende des Tages sind wir nicht konfektioniert. Jeder Mensch ist anders, hat Talente und Qualitäten. Einige von uns haben mit der Herausforderung zu kämpfen, dass sie das Spektrum der physischen oder psychischen Verfasstheit der gesellschaftlichen Mehrheit weit ausleuchten und daher besonderer Unterstützung bedürfen. Im Hinblick auf den Film heißt das, Ressourcen bereitzuhalten, Teilhabe und Sichtbarkeit ernst zu nehmen. Die eng getakteten Arbeitsabläufe unserer Branche sind dabei nicht immer hilfreich. Aber auch dort ändert sich gerade viel.
Wie viele Menschen mit Behinderung sind bei Ihnen beschäftigt?
Ehrlicherweise weniger als im Bevölkerungsdurchschnitt, da können wir besser werden.
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