Nachdem im Sommer dieses Jahres ein möglicher Zusammenschluss der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) mit der britischen TNS als gegenwärtiges und zukünftiges Thema wieder in den Medien präsent war, dann aber scheiterte, wird aktuell das Thema wie „zeitversetztes Sehen", (u.a. Video-on-Demand und TV-Empfang) über den Computer in die Fernsehquoten einfließen soll, heiß diskutiert. Die GfK ermittelt im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) für Deutschland, ein System, das aufgrund seiner großen marktwirtschaftlichen Relevanz auch viele Kritiker auf den Plan ruft. Im Interviewmit Michael Darkow von der GfK konzentrieren wir uns ausschließlich auf die Hintergründe der Quotenermittlung - und klären ein paar Missverständnisse auf.
Zusätzliche Auskunft gibt der Medienforscher und Fachjournalist Dr. Matthias Kurp im Anhang.
Michael Darkow - Steckbrief
Geboren am 14. April 1950 in Bielefeld. Studium der Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen, Lehr- und Projektarbeit am Lehrstuhl für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften. Ab 1980 Medienreferent im ZDF, dort zuständig für die Betreuung der Chefredaktion, die kontinuierliche Fernsehzuschauerforschung und die Werbeforschung des ZDF Werbefernsehens. Mitglied der ARD/ZDF-Medienkommission und der TK der AG.MA. Seit Oktober 1988 Geschäftsführer der GfK Fernsehforschung, in der GfK außerdem zuständig für die Koordination der Medienforschung in Deutschland, Österreich, Osteuropa und Skandinavien.
Welche Aufgaben fallen der GfK bisher zu, um die sogenannten „Quoten" im Fernsehen zu ermitteln?
Seit 1985, damals noch im Auftrag von ARD und ZDF, betreibt die GfK das Fernsehforschungssystem in Deutschland. Ein solches System verstehen wir als ein - in Anführungszeichen - Währungssystem, weil die Ergebnisse dabei eine währungsartige Bedeutung für den gesamten Markt haben, also für Sender, für den Werbemarkt und letztlich für alle davon Abhängigen. Wir betreiben, unverändert seit 1985, ein natürlich mehrfach erweitertes und immer wieder auch umgeschichtetes Panel, in dem mit elektronischen Messgeräten Daten zur Fernsehnutzung erhoben werden. Diese Daten werden dann übermittelt und zu Auswertungen zur Verfügung gestellt. Am Ende des Prozesses gehört auch die Software, mit der die Daten letztlich errechnet werden, zu unserem Aufgabenkatalog.
Wie funktioniert die Datenerhebung im Einzelnen?
In unseren Panel-Haushalten, und das sind als Richtgröße immer etwas mehr als 5500, in denen rund 13.000 Personen im Alter ab drei Jahren leben, sind an die Fernsehempfangs- und Aufzeichnungsgeräte zusätzliche Messgeräte angeschlossen, und zwar nicht nur an einem Gerät im Haushalt, sondern an allen Geräten im Haushalt, um Sehbeteiligungswerte zu ermitteln. Diese Geräte erfassen automatisch, welcher Sender eingeschaltet ist. Die Personen, die zuschauen, melden sich über eine spezifische Fernbedienung, die die anderen Fernbedienungen im Haushalt ersetzt, als Zuschauer über eine spezifische Personentaste an und ab, und jeder Vorgang, der an diesem Messgerät registriert wird, wird mit einer entsprechenden Dauer auch gespeichert. Deshalb sagen wir auch mit Recht, dass wir eine sekundengenaue Messung vornehmen.
Hat es einmal illegale Versuche gegeben, auf die Quote Einfluss zu nehmen?
Die hat es nicht gegeben. Der schöne Film mit Herrn Bleibtreu („Free Rainer") ist durchaus in den Bereich einer halbwegs durchdachten Fiction einzureihen, die mit der Wirklichkeit nur an einigen Stellen tatsächlich etwas zu tun hat. Eine Manipulationsmöglichkeit ist zu hundert Prozent niemals auszuschließen, aber es gibt eine Reihe von entsprechenden Absicherungsverfahren dazu, um dieses genau zu verhindern. Es gibt aber auch eine Art Selbstregulierung dabei, denn der Sender, der so etwas versuchen würde, würde sich für viele Jahre automatisch vom Markt ausschließen, denn die Gefahr, dass der Versuch aufgedeckt würde, ist wesentlich größer als die Chance, damit Erfolg zu haben.
Werden die einzelnen Haushalte für ihre Teilnahme entlohnt?
Eine Entlohnung kann man das, was unsere Haushalte als „Incentives" bekommen, nicht unbedingt nennen. Das hat so die Größenordnung von etwa zehn Euro im Monat, das soll so ein bisschen die Stromkosten decken und den Aufwand, den man durch die Installation der Geräte halt hat, ausgleichen. Zusätzlich gibt es dann Verlosungen mit Rätselfragen, die mit der korrekten Bedienung des Systems zu tun haben. Es gibt eine Zeitschrift für Panelmitglieder, es gibt persönliche Kontakte durch unsere Panelbetreuung, aber auch durch die Interviewer und Techniker draußen in Deutschland. Also, Geld verdienen kann man damit nicht.
Man stößt immer wieder auf die Zahl 5640, die Anzahl der teilnehmenden Haushalte. Wie kommt diese Zahl zustande?
Diese Zahl ist eine so genannte vertragliche Bruttovereinbarung, wichtiger ist die Zahl der tagtäglich mindestens berichtenden Haushalte, die liegt etwas niedriger. Die Zahl der Haushalte, die wir installiert haben, die tatsächlich mit Messtechnik versehen sind, ist immer etwas größer. Da gibt es so verschiedene, sozusagen aus dem System heraus bedingte Größen, man kann sich aber immer an diesen 5640 einigermaßen orientieren. Die Zahlen kommen dadurch zustande, dass halt vor vielen Jahren unsere in der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung zusammengeschlossenen Auftraggeber genau diese Zahl festgelegt haben, im Hintergrund steht eine Verteilung zwischen den einzelnen Bundesländern mit Mindestgrößen pro Bundesland, und es steckt dahinter auch noch eine Zahl von sogenannten EU-Ausländerhaushalten, die in diesem System sind.
Wie ermitteln Sie die Haushalte, die angesprochen werden?
Diese Haushalte zu ermitteln, ist eigentlich der wichtigste Teil unserer Arbeit, um tatsächlich hinterher behaupten zu können, dass die Daten repräsentativ sind, sie sich also auf die Bevölkerung, in der Fachsprache heißt das „Grundgesamtheit", hochrechnen lassen. Wir haben ein sogenanntes Stichprobensystem, das vom Arbeitskreis der deutschen Marktforschungsinstitute entwickelt wird. Aus sogenannten „sampling points", geographischen Einheiten, von denen es rund 80.000 in Deutschland gibt, ermitteln wir per Zufall so viele, wie wir brauchen, vereinfacht gesagt wieder diese 5640. In diese Einheiten schicken wir dann unsere Interviewer, die in einem nächsten Schritt sogenannte Klingelschildadressen aufschreiben, um daraus dann wieder nach einer vorgegebenen Zufallsauswahl Haushalte zu kontaktieren, kurze Interviews zu führen und letztlich die Teilnahmebereitschaft zu erheben. Wichtig ist dabei, dass im Ergebnis unserer Panel ein verkleinertes Modell der Gesamtheit darstellt und die entsprechenden Relationen wiedergegeben werden. Nur wenn dieses gegeben ist, kann man von einer repräsentativen und in diesem Sinne aussagefähigen Stichprobe reden. Das heißt, wir müssen die Altersverteilung so finden wie in der Gesamtheit, wir müssen die Geschlechtsverteilung, die Haushaltsgrößen, auch den Ausbildungsstatus entsprechend abbilden. Dazu wird im Wesentlichen die amtliche Statistik verwendet.
Verwenden Sie heute noch Verbrauchertypologiestudien wie die Sinusmilieus für die Zusammenstellung?
Die Sinusmilieus sind ein Teil unserer Auswertungsmöglichkeiten, aber die amtliche Statistik sagt uns nicht, wie denn die Sinusmilieus in der bundesdeutschen Bevölkerung verteilt sind. Für die Auswahl der Haushalte spielen solche Kriterien also keine Rolle, sie sind aber Merkmale, die dann in den Haushalten von den Personen erhoben werden, um danach Auswertungen vornehmen zu können.
Wie kann die Analyse so genau sein, wenn jeder an der Erhebung teilnehmende Haushalt letztlich für über 6000 Personen zählt?
Dahinter steckt eine mathematische Gesetzlichkeit. Nimmt man einen Würfel und fängt an zu würfeln, wird nach einer bestimmten Anzahl von Durchgängen jede Seite dieses Würfels annäherungsweise mit einem Sechstel tatsächlich in der Ergebnisliste zu finden sein. Würfelt man bis an sein Lebensende weiter, ändert sich an der Verteilung nichts Dramatisches mehr. Das genau ist das Prinzip, das hinter unserer Arbeit steckt, dass wir mit einer ausreichenden Zahl von Personen eine ausreichende Genauigkeit erreichen. Die von uns getroffenen Aussagen enthalten tatsächlich gewisse Schwankungsbreiten. Wenn wir für einen Sender einen Marktanteil von zehn Prozent darstellen, dann liegt der wirkliche Wert irgendwo zwischen 9,7 und 10,3. Das heißt aber nicht, dass die Schwankungsbreite bei einem Sender mit einem Marktanteil von einem Prozent genau so groß ist. Je geringer die Ergebnisse, desto genauer sind sie eigentlich. Wenn ich sage: Ok, das muss alles noch präziser werden, verdoppeln wir doch mal die Panelgröße, dann ist der Kostenaufwand, um einen zusätzlichen Gewinn in der Präzision zu erlangen, extrem hoch, der Zugewinn an Ergebnisgenauigkeit aber ein eher marginaler. Das verdoppelt sich also nicht in der Präzision.
Welche Kritik an Ihrem System haben Sie in den letzten Jahren wahrgenommen?
Kritik ist immer angemessen, und ich will mal so viel dazu sagen: Wir haben bei den Personengruppen in der Tat eine Beschränkung. Die hat etwas damit zu tun, dass wir erstens Auftraggeber haben, deren Kunden in wesentlichen Teilen Werbungtreibende und Agenturen sind, und dort besteht an Teilen unserer Bevölkerung einfach kein Interesse. Das ist also keine Willkür, sondern hat etwas mit wirtschaftlicher Verwertbarkeit zu tun. Außerdem können wir uns bei der angestrebten Exaktheit unserer Daten nur auf die Bevölkerungsgruppen zuverlässig stützen, über die wir aus amtlichen Statistiken ausreichende Informationen haben. Die haben wir leider über die in Deutschland lebenden Nicht-EU-Ausländer nicht. Es handelt sich dabei natürlich nicht nur um Türken, sondern auch um Schweizer oder Neuseeländer, die wir dabei nicht berücksichtigen.
Der zweite Teilbereich ist: Wir messen in der Tat nur die Fernsehnutzung, die in den Haushalten stattfindet, das heißt also, die Außer-haus-Fernsehnutzung bei der Arbeit, oder wenn die Schwiegermütter ihre Kinder am Samstag Abend zu „Wetten dass?" besuchen, wird im Moment nicht berücksichtigt, genauso wenig die mobile Fernsehnutzung. Es ist eine Entscheidung, die unsere Auftraggeber, die AGF, zu treffen haben, ab wann denn das System um solche Dinge erweitert wird.
Wie zufrieden sind Ihre Auftraggeber mit Ihrer Arbeit, welche Rückmeldung erhalten Sie?
Die Zufriedenheit lässt sich daran ablesen, dass wir seit 1985 dieses System in Deutschland betreiben, da gibt es immer wieder Ausschreibungen für dieses Projekt oder Verträge werden natürlich angepasst, verlängert. Tagtäglich gibt es allerdings natürlich auch Kritik an dem, was wir tun, wir haben dazu verschiedene Kontrollgremien, die unsere Arbeit überwachen, die von den Sendern, aber auch wiederum von deren Kunden entsprechend beschickt werden, und wir haben eine Technische Kommission, die AGF hat einen Vorstand, also: Es ist nicht so, dass wir da einen Vertrag haben, dann liefern wir Daten ab und fünf Jahre später lassen wir uns mal wieder sehen.
Erzählen Sie uns doch etwas über den derzeit laufenden Austausch der Erhebungsgeräte.
Der Austauschprozess beginnt mit einer Verzögerung, wir werden mit den Umrüstungen im nächsten Jahr beginnen. Die jetzt noch in den Haushalten befindlichen Messgeräte sind seit 1994 im Einsatz. Die müssen wir austauschen, weil wir einfach keine Ersatzgeräte mehr herstellen können. Der zweite Grund ist, dass wir teils neue Features berücksichtigen müssen, die heute noch nicht die Bedeutung haben, vielleicht aber bekommen könnten, etwa das zeitversetzte Fernsehen. Dieses messen wir übrigens in Deutschland schon seit 1985 bei Videorecordern, nun gibt es DVD-Rekorder und Festplattenrekorder, die wir mit unseren alten Messsystemen nicht abdecken können. Hinzu kommt, dass mit dem zukünftigen System auch die Gästenutzung in umfassender Art und Weise erhoben wird. Daneben müssen die Geräte auch dem heutigen Design-Geschmack angepasst werden. Wir können im Zeitalter von Flachbildschirmen nicht mehr dunkle schwarze Kästen irgendwo hinstellen. Unsere Geräte müssen Akzeptanz finden in den Haushalten, weswegen auch das Design eine wichtige Rolle spielt.
Planen Sie die Erfassung des zeitversetzten Konsums von Fernsehsendungen im Internet?
Internetmessung ist im Moment nicht unser Thema, das ist eine Frage, der sich die AGF stellen muss. Man muss auch immer darauf warten, bis bestimmte Entwicklungen eine entsprechende Marktpenetration gefunden haben, sonst ist wiederum der Aufwand zu hoch, den man betreiben muss, um vielleicht nur eine ganz kleine Nische dabei zu erfassen. Nun kennen ja die Sender, die zum Beispiel ihre Archive für das Internet freigeben, zumindest die Mengen, die dabei abgerufen werden. So haben sie eine Information darüber, welche Programme attraktiv sind und welche weniger. Was man nicht weiß, ist dann, welche Personengruppen man damit zusätzlich erreicht - weil man keine personenbezogenen Daten hat.
Wo sehen Sie die Quotenmessung in zehn Jahren?
Ich bin der festen Überzeugung, dass Vieles so bleibt, wie es ist. Manches wird sich ändern, aber das sind selten revolutionäre Prozesse, die in der Unterhaltungselektronik und Empfangsgerätesituation vor sich gehen. Wenn wir uns zum Beispiel den Bestand an Fernsehgeräten ansehen, ist es eine nicht zutreffende Vorstellung, dass jeder heutzutage einen Flachbildschirm oder irgendeine Art von Set-up-Box irgendwo stehen hat. Wir müssen immer darauf achten, dass wir das Alte bewahren und das Neue sorgfältig integrieren. Ich gehe davon aus, dass auch in zehn Jahren Free-TV-Angebote im Wesentlichen das Nutzungsverhalten der Menschen bestimmen. Alles andere, was es dann an technisch veränderten Zugangsmöglichkeiten zu Fernsehprogrammangeboten gibt, wird eine ergänzende Bedeutung haben, aber nicht die gesamte Situation auf den Kopf stellen. Ich sage Ihnen das nochmal am Beispiel des Videorekorders: 20 Jahre hat es gedauert, bis die 75%-Marke der Haushaltsausstattung dabei erreicht war. Und ähnlich wird es auch bei den heutigen Systemen zur Aufzeichnung von Programmen ablaufen.
Was halten Sie von dem Satz: Ein berühmter Schauspieler bringt Quote?
Das halte ich für ausgesprochenen Quatsch. Der in einer Sehbeteiligung gemessene Erfolg einer Sendung ist selbstverständlich von Inhalten und Protagonisten abhängig. Er ist abhängig davon, wie die Marketingmaßnahmen, die Vorberichterstattung, die Reaktion von Programmzeitschriften dazu ausfällt. Er ist abhängig von der Attraktivität der Gegenprogramme und von der jeweils aktuellen Wettersituation. Es gibt also ganz viele Faktoren, die man kaum im Einzelnen auseinandernehmen kann unter dem Aspekt, welche Bedeutung jetzt welchem Kriterium zukommt. Das ist halt eine Mischung, und all denjenigen, die dabei meinen, oh, gestern, das war aber die Kameraführung, die die Menschen begeistert hat, würde ich schon zu einer gewissen Zurückhaltung raten und versuchen, einen gewissen Realitätsbezug herzustellen. Unsere Quoten geben keine Auskünfte über die Motivation der Zuschauer. Das können sie auch gar nicht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Eine Darstellung und Erklärung der Sinus-Milieus durch die AGF finden Sie unter:
www.agf.de/fsforschung/sinusmilieus/
Im Anhang finden Sie als pdf ein Interview mit dem Medienforscher und Fachjournalist Dr. Matthias Kurp. Er lehrt u.a. an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Bereich Medienökonomie und Multimedia und gilt als objektiver Fach-Experte in GfK Fragen.
Anhang ansehen / runterladen:
Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von "casting-network. Das Branchenportal". Mehr zu ihrer Person finden sie in der unter der Rubrik: Über uns.
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