Karimah El-Giamal ist seit über zehn Jahren eine feste Größe unter den deutschen Casting Directors. Sie hat unter anderem bekannte Formate der öffentlich-rechtlichen Sender wie den „Tatort“ und den „Polizeiruf“ betreut, aber auch Projekte wie „Wir sind die Welle“ (Netflix). Auch wenn sie selber sagt, dass sie eine diverse Besetzung erst lernen musste, kann man recht schnell feststellen, dass Karimah Wert darauf legt, bei ihren Besetzungen möglich vielseitig und realitätsnah zu besetzen. Sie ist Mitglied im Bundesverband Casting (BVC), der bereits 2017 einen Aufruf zur diversen Besetzung gestartet hat. Wir haben uns mit ihr unter anderem über Inklusion, Sprache innerhalb der Branche und der Gesellschaft sowie die Erwartungen der Zuschauer*innen gesprochen.
Was bedeutet für Dich Inklusion?
Die Herausforderung, dass auf allen Ebenen des Filmemachens Menschen mit Behinderung ohne Probleme partizipieren können. Wobei ich mit der Definition ins Straucheln gerate, denn ich bin mir nicht mal sicher, wie genau die Menschen genannt werden möchten, die es betrifft. Ich weiß zum Beispiel, dass das Wort „taub“ bei Gehörlosen als abwertend empfunden wird. Inklusion bedeutet für mich innerhalb einer Gesellschaft, die Zusammenarbeit zwischen Menschen mit und ohne Behinderung mit dem Ziel, die Umstände für Menschen mit Behinderung zu verbessern. Und dass man, in Bezug auf die Film- und Fernsehlandschaft, diese Menschen in den Geschichten zeigt und die Sehgewohnheiten verändert. Es gibt so viele Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft, die sich nicht abgebildet fühlen. Bisher ist es oft so, dass Schauspieler*innen ohne Behinderung eine Figur mit Behinderung spielen. Es gibt genug Beispiele von Figuren im Rollstuhl, die von nicht behinderten Schauspieler*innen gespielt wurden. Das ist auch in Ordnung, denn es gibt bisher sehr wenige deutsche Schauspieler*innen, die im Rollstuhl sitzen, weil sich sicher wenige für diesen Beruf entscheiden, da es wiederum an Repräsentation fehlt. Es ist eine Kausalität, die es durch Normalität und einen offenen Umgang mit der Sache zu brechen gilt.
Wo suchst bzw. findest Du Schauspieler*innen mit Behinderungen?
Die Datenbanken sind in dem Punkt leider noch nicht gut aufgestellt, aber es gibt ja Bestrebungen, das zu ändern. Es gibt eine Agentur, die behinderte Schauspieler*innen und Models vertritt. Der beste Weg ist, per Aufruf und Rollenbeschreibung in den sozialen Medien oder auf Plattformen wie castig-network.de zu arbeiten. Ich versuche, gerade bei Tagesrollen und kleineren Rollen Menschen mit Behinderung vorzuschlagen. Ich habe außerdem versucht, mir selbst eine kleine Datenbank anzulegen. Die Suche in den großen Datenbanken ist nach wie vor schwierig, denn es gibt keine Suchkriterien, die körperliche oder geistige Behinderungen bei Schauspieler*innen kategorisieren. Außerdem ist es mit dem Wording schwierig: welche Begriffe dürfen wir zum Filtern der Datenbanken nutzen, um niemanden zu diskriminieren? Dafür wäre ein Austausch mit betroffenen Menschen wichtig.
Was wünscht Du Dir von der Branche, damit Du Menschen mit Behinderungen einfacher finden kannst?
Ich wünsche mir vor allem, dass Agenturen und Schauspielschulen Menschen mit Behinderungen aufnehmen. Oder dass es eben mehr Agenturen gibt, die sich auf Menschen mit Behinderungen spezialisieren. Die Nachfrage wird in den nächsten Jahren hoffentlich steigen, daher wäre das gar nicht so abwegig. Es geht ja auch in Zukunft darum, dass die Besetzung von Menschen mit Behinderungen in möglichst vielen Film- und Fernsehformaten zur Normalität wird – da brauche ich als Casterin eine größere Begegnungsfläche. Es ist eine schwere Aufgabe für die Datenbanken, denn Behinderungen sind wahnsinnig schwer zu filtern. Ob jemand im Rollstuhl sitzt, hat ja diverse Gründe. Daher weiß ich gar nicht, ob detaillierte Filter wirklich dazu beitragen, uns die Arbeit zu erleichtern. Die Hauptsache ist das Finden einer bestimmten Einigkeit auch in Bezug auf das Thema Diversität: Wie möchten Menschen aus einer sogenannten Minderheit gesehen, gefunden und genannt werden?
Du bist Mitglied im BVC, und ihr habt bereits vor einigen Jahren einen Aufruf gestartet.
Dieser Aufruf ist schon eine ernst gemeinter Diskussionsansatz gewesen, aber inzwischen müsste man den überarbeiten, weil er sowohl sprachlich als auch inhaltlich überholt ist. Das werde ich auch bei der nächsten BVC-Sitzung ansprechen und mit der Bitte an die Kolleg*innen herantreten, den zu überarbeiten.
Du selbst engagierst Dich im Verband zu diesem Thema. Mit wem und was diskutiert ihr dort?
Ich nehme jedes Projekt, das ich auf dem Tisch habe, zum Anlass, über Diversität zu sprechen und das Thema voranzubringen, denn ich habe in den letzten Jahren so viele Schranken und Barrieren in den Köpfen der Menschen mitbekommen. Da schließe ich mich mit ein. Denn jede Diskriminierung, die systematisch ist, findet auch bei mir statt. Jeder hat da bestimmte Mechanismen im Kopf, und es geht darum, diese zu bekämpfen, zu hinterfragen, wie man sich ausdrückt und über die Sachen nachdenkt. Das ist nicht leicht, zeitaufwendig und sehr arbeitsintensiv, aber wichtig. Daher ist mir Diversität in der Besetzung sehr wichtig.
Erhalten Menschen mit Behinderungen Tarifgage?
Mit Sicherheit. Wenn sie Schauspieler*innen sind und keine Kleindarsteller*innen, dann sollte es mich wundern, warum das nicht so sein sollte. Es wäre nicht im Sinne der Inklusion, wenn dort Unterschiede gemacht würden. Sollte es da Beispiele geben, wo das nicht der Fall ist, müssen die Verbände zusammen mit den Produktionen Richtlinien entwickeln, damit die Tarifgage und die Umstände für ein barrierefreies Drehen gegeben sind. (Anm.: Eigentlich gibt es im Schauspiel keine Tarifgagen sondern nur Mindestgage, soweit ich weiß. Deshalb würde ich in der Frage normale Schauspielgage schreiben o.ä.)
Kennst Du den Satz „Wir wollen die Zuschauer*innen nicht überfordern“?
Ja! Aber da erlebe ich gerade einen Wandel. Die Vorgaben innerhalb der Sender haben sich geändert und es gibt eine große Anstrengung, die zwar da ist, aber weit weg davon, souverän Einzug in den Produktionsalltag zu erhalten. Zum Glück gibt es derzeit oft den Anspruch von Produktionsfirmen, gerade wenn man die weibliche oder männliche Hauptrolle mit einem/einer bekannten, weißen Schauspieler*in besetzt, zumindest den/die Partner*in der Hauptrolle diverser zu besetzen. Es ist ein ständiger Prozess. Natürlich ist es ein größerer Aufwand, divers zu besetzen, denn das Gewohnte im Kopf ist sehr etabliert. Auch ich habe, als ich in den Beruf eingestiegen bin, nicht unbedingt angefangen, divers zu besetzen, und muss mich auch heute noch jedes Mal, wenn ich ein Buch lese, von verankerten Strukturen lösen und mich für andere Gedanken öffnen.
Hast Du im Drehbuch oft mit Figurenbeschreibungen wie „Rollstuhlfahrer (ohne Namen)“, „arabischer Taxifahrer“ oder „dicke Frau“ zu kämpfen?
Ja, alles schon gelesen und sogar noch mit viel schlimmeren Formulierungen, weil das Bewusstsein für sensible Sprache bei dem Großteil der älteren Generation nicht da ist. Junge Menschen in der Branche gendern zum Beispiel fast alle, gerade Schauspielstudent*innen. Aber die Älteren fühlen sich oft unwohl dabei. Somit sind wir gesellschaftlich noch gar nicht da angekommen, dass wir möglichst so sprechen, dass es niemanden diskriminiert, und natürlich spiegelt sich das in den Drehbüchern wider. Ich hatte z.B. privat wie beruflich schon öfters das Gespräch zur Selbstbezeichnung „POC“ bzw. „People of Colour“. Einige Menschen empfinden es schwierig den Begriff zu nutzen, da sie ihn als abwertend empfinden. Da kann ich nur sagen: es handelt sich um eine Selbstbezeichnung der Community, genauso wie „Schwarz“, und Begriffe wie z.B. „dunkelhäutig“ empfindet diese Community als diskriminierend. Wir sind in der Diversitätsdebatte noch lange nicht da angekommen, wo wir von Normalität sprechen können. Erst recht nicht beim Thema Inklusion: Barrierefreie Sets sind ein großes Thema und müssen zur Normalität werden.
Gibt es für aufwendige Casting-Recherchen mehr Geld?
Generell muss man festhalten, dass der größere Rechercheaufwand nicht darin besteht, eine Prof. Dr. Müller mit einer weiblichen POC zu besetzen. Das war es zwar vor noch nicht allzu langer Zeit, aber das wird zum Glück immer normaler. Über Wording wird glücklicherweise auch immer mehr geredet: Gerade, dass in den Datenbanken nicht mehr so etwas wie „ethnischer Hintergrund“ oder „asiatisches Aussehen“ steht. Schwierig ist auch, dass viele Menschen innerhalb der Branche keine POCs sind oder keinen Minderheitsbackground haben, und man da einfach bestimmte Sachen erklären muss. Das Reden über die Sache wird dann manchmal zeitintensiver als die Sache selbst. Um auf die Frage zurückzukommen: Ja! Gerade wenn man über Aufrufe arbeitet, kann man definitiv mehr Geld aufrufen, aber nicht so sonderlich viel. Ich arbeite mit einer Pauschale, die ich bei einer aufwendigeren Recherche einfach etwas nach oben schraube.
Sind die Amazon-Richtlinien auch hier in Deutschland anwendbar?
Zunächst einmal möchte ich dazu anregen, die viel diskutierten amazon guidelines auf Englisch zu lesen. Dort wird immer von „if possible“ gesprochen. Das finde ich völlig angemessen und es soll m.E. dazu anregen, stets Diversität vor und hinter der Kamera mitzudenken. Ich finde angenehm an diesen Richtlinien von Firmen wie Amazon und Netflix, dass sie nicht nur eine Firmenphilosophie, sondern auch eine Art und Weise des Umgangs miteinander und der Sprache transportieren.
Bist Du für eine Diversitäts-Quote?
In der Stoffentwicklung und in der Besetzung mehr darauf zu achten, divers zu arbeiten, finde ich gut. Besetzung und Stoffentwicklung sind ja etwas Schönes, und es wäre super, wenn Diversität auf eine leichte und schöne Art und Weise Einzug in die Köpfe der Kreativen hielte. Die Zuschauer*innen sind, auch wenn das oft die Annahme ist, nicht abgeschreckt von Diversität.
Wie ist der Austausch mit Casting Directors in den Nachbarländern und sogar über den Teich hinaus?
Ich habe leider kaum Kontakt zu Casting-Directors aus Nachbarländern und bin auch nicht im internationalen Castingverband. Ich bekomme aber mit, dass einige Länder wie zum Beispiel Spanien oder Frankreich deutlich weiter sind mit diverser Arbeit. Wir sind hier in Deutschland sehr speziell aufgestellt, und durch das föderalistische System kann man anders arbeiten. Man sieht aber, dass bei den Shows von Amazon und Netflix deutlich diverser gearbeitet wird.
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