Seit Oktober 2019 werden Menschen mit Handicap im inklusiven Schau- spielstudio des Schauspiels Wuppertal, dem GLANZ.STUDIO, über drei Jahre professionell qualifiziert. Neben Unterricht in allen schauspielrelevanten Bereichen (Sprecherziehung, Körpertraining, Stimmbildung, Szenenstudien, usw.) stehen sie regelmäßig auf der Bühne, arbeiten mit Schauspieler*innen des Ensembles und Schauspielstudierenden zusammen. Im GLANZ.STUDIO wird bewusst praxisorientiert gearbeitet. Das Studio ist keine Schauspielschule, verfolgt jedoch das Ziel, dass die Teilnehmer*innen als professionelle Schauspieler*innen tätig werden können. Dafür ermöglichen die Verant- wortlichen am Ende der dreijährigen Qualifizierung bei erfolgreicher Bühnenreife ein Vorsprechen bei der ZAV.
Glanz und Stoff. Zwei Wörter, die den Kern des Vereins, der dieses Projekt auf den Weg gebracht hat, auf den Punkt bringen: „Stoff“ beschreibt Geschichten, die erzählt werden wollen – und meint gleichzeitig auch das Material eines Bühnenvorhangs oder von Theaterkostümen. „Glanz“ steht dagegen für glänzende Ideen, eine glänzende Stimmung und vor allem: für glänzende Vorstellungen. Der Schauspielintendant Thomas Braus hat ein klares Ziel: Er will ein körperbetontes Theater machen, mit Körpern, so wie sie sind. Sein Herzensthema ist die Inklusion, deshalb schloss er 2019 mit der Glanzstoff-Akademie der inklusiven Künste e. V. einen Kooperationsvertrag. Wir sprachen mit Uwe Schinkel, der den Verein seit Beginn fotografisch und im Bereich des Fundraisings begleitet.
Wie definieren Sie persönlich Behinderung?
Ich habe mir da noch nie bewusst Gedanken zu gemacht (lacht). Für mich und meine Frau war es immer selbstverständlich, dass unser Sohn ein Downsyndrom hat. Klar, kann er bestimmte Sachen nicht so gut, aber das geht doch jedem Menschen so: Für manche Sachen hat man ein Händchen, für andere weniger. Ansonsten bin ich da gedanklich barrierefrei.
Wie kam es zur Gründung von Glanzstoff?
Es gab am Schauspiel Wuppertal durch die Initiative des dortigen Theaterpädagogen vor mittlerweile 13 Jahren den Start einer inklusiven Theatergruppe. Durch einen Intendantenwechsel stand diese bestehende Theatergruppe, in der mein Sohn mitgespielt hat, 2014 vor der Auflösung, weil die neue Intendanz diese nicht weiterführen wollte. Dann haben wir kurzerhand einen Verein gegründet und diese Gruppe fortgeführt. Schön war, dass der damalige Geschäftsführer der Wuppertaler Bühnen, Enno Schaarwächter, dieses Vorhaben weiterhin unterstützte: Wir konnten die Proberäume nutzen und die Vorführungen fanden auch nach wie vor im Theater statt. Es gab die Überlegung, ein eigenes Haus zu gründen, aber die Kooperation mit dem städtischen Theater war ein Geschenk. Dieses Projekt hat sich über die Jahre weiterentwickelt. Und als mein Sohn den Wunsch geäußert hat, Schauspieler zu werden, habe ich mich ganz praktisch mit der Frage auseinandergesetzt: Wie wird ein Mensch mit Downsyndrom in Deutschland Schauspieler*in? Heraus kam die Idee, eine Theaterschule für Menschen mit Behinderung zu gründen. Das hat im ersten Anlauf nicht funktioniert, aber schließlich haben wir Förderer gefunden, die unser Konzept mochten und uns finanziell unterstützt haben. Zwischenzeitlich gab es am Schauspiel Wuppertal wieder einen Intendantenwechsel. Thomas Braus, der jetzige Intendant, und ich haben uns zusammengesetzt und beschlossen, die gemeinsame Arbeit wieder aufzunehmen. Das Resultat: Von 2014 bis 2017 konnten sich zehn Teilnehmer*innen an zwei Tagen pro Woche unter professionellen Bedingungen im GLANZ.STUDIO weiterbilden. Aufgrund der guten Erfahrungen werden aktuell im inklusiven Schauspielstudio fünf Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen in Vollzeit zum/r Schauspieler*in ausgebildet.
Ist die Ausbildung staatlich anerkannt?
Im deutschen Opernbetrieb gibt es das Eleven-Prinzip noch etwas häufiger. Das heißt, dass Schüler*innen von Schulen auf Studiobühnen und in kleineren Rollen in Inszenierungen an den Theaterbetrieb herangeführt werden. Daran haben wir uns ein Beispiel genommen. Die Menschen, die bei uns die Ausbildung machen, sind direkt in die Arbeit des Schauspiels Wuppertal eingebunden. So spielen alle unsere Schüler*innen im Weihnachtsmärchen mit. Es gibt aber auch in anderen Stücken, sofern das von der Regie gewünscht wird, immer wieder die Möglichkeit, dass unsere Schüler*innen darin mitwirken. Am Ende der Ausbildung gibt es eine Prüfung, die dazu führt, dass man ein staatliches Zeugnis bekommt und man bei der ZAV vorsprechen kann.
Man braucht oft an staatlichen Schauspielschulen ein ärztliches Attest, um die Aufnahmeprüfung zu absolvieren. Somit fallen Menschen mit einer Behinderung komplett raus. Hat Ihr Sohn trotzdem den Versuch unternommen und sich an einer regulären Schauspielschule beworben?
Er hatte sich generell gegen eine Schauspielausbildung entschieden, weil diese Ausbildung auch bei uns sehr auf Sprache basiert. Da er sich in dem Feld sehr strecken muss, hat er ab einem gewissen Moment für sich entschieden, dass er diese Ausbildung nicht absolvieren möchte. Er spielt aber weiterhin Theater.
Wer kann sich für die Ausbildung bewerben und wie viele Bewerbungen gibt es derzeit?
Es gab 20 Anfragen nach einer öffentlichen Ausschreibung. Hier muss man vorab zunächst gemeinsam über gewisse Dinge sprechen: Was bringt ein Ortswechsel mit sich? Wie trägt man sich finanziell durch die Ausbildung? Zum Casting sind von den 20 Anfragen am Ende acht gekommen und drei wurden genommen. Wir hatten auch einen syrischen Flüchtling, der argumentierte, dass er von der Gesellschaft behindert wird und nirgendwo anders eine Ausbildung machen darf. Er musste nach einem halben Jahr abbrechen, weil das Jobcenter den Standpunkt vertrat, er müsse dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Wann ist die nächste Bewerbungsphase?
Wir müssen mal schauen, wie wir das ganze Projekt weiterführen können. Der jetzige Jahrgang macht 2023 seinen Abschluss und wir holen das letzte Jahr aufgrund des verlorenen Corona-Jahres, in dem der Unterricht vorwiegend nur über Zoom stattfinden konnte, gerade nach. Wir würden uns natürlich freuen, wenn andere Häuser oder Schauspielschulen sich dem Konzept der Ausbildung von behinderten Menschen öffnen würden.
© Uwe Schinkel | © Uwe Schinkel |
Gibt es eine Orientierung in den Film- und Fernsehbereich?
Ja, wir machen gerade einen Kameraworkshop. Zudem hat ein junges Filmteam das ganze Projekt dokumentarisch begleitet. Es gibt aber immer wieder spannende Überschneidungen, außerdem öffnet sich die Branche ja immer mehr.
Wie wird das Studio finanziert?
Das Schauspiel Wuppertal uns das GLANZ.STUDIO haben sich bei der „NEUE WEGE Förderung“ des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft beworben und die Förderung erhalten. Zudem leisten beide Kooperationspartner einen Eigenanteil, den wir über Spenden generieren.
Welche Hilfen erhält ein Mensch mit Behinderung vonseiten des Staates, Verbänden oder Institutionen?
Mein Sohn wird durch das Jobcenter unterstützt. Soll heißen: Der Arbeitgeber bekommt einen Zuschuss dafür, dass mein Sohn mit seiner Behinderung keine volle Leistung einbringen kann. Er kann beispielsweise bedienen, aber nicht kassieren, was eine Servicekraft leisten muss. Und er braucht natürlich generell etwas mehr Unterstützung bei der Einarbeitung. Dafür bezahlt das Jobcenter einen gewissen Prozentsatz oder stellt bei Bedarf einen Integrationshelfer, der beispielsweise in die Berufsschule mitgehen kann und bei der Vermittlung des Stoffes hilft. Wir sind aber auch in einem Haifischbecken unterwegs: Werkstätten für Menschen mit Behinderung sehen uns durchaus als Konkurrenz.
Im Januar 2020 gab es Neuregelungen im Eingliederungshilferecht. Was ist davon im Alltag angekommen?
Das Bundesteilhabegesetz hat aktuell keinerlei Auswirkungen auf unsere Arbeit. Inwiefern sich die individuelle Situation unserer Akteur*innen verbessert hat, kann ich nicht beurteilen.
Welche besonderen Herausforderungen bestehen in der Theaterarbeit mit behinderten Menschen?
Wir haben uns als Verein entschieden, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die selbst in der Branche sind und die Sensibilität mitbringen, auf Menschen mit Behinderung zuzugehen. Ein gutes Team zusammenzustellen, war da die erste Hürde. Es gibt neben der inhaltlichen Arbeit auch immer wieder organisatorische Besonderheiten. Wir haben zum Beispiel eine Schülerin, die bei der Inszenierung „1984“ am Düsseldorfer Schauspielhaus mitgewirkt hat. Das waren über 50 Vorstellungen, unter anderem auch in Stuttgart und Berlin. Da hatten wir das Problem, dass wir immer eine Begleitperson finden mussten, die mit ihr in die einzelnen Städte fährt. Das ist bei ihr nicht wie bei Schauspielenden ohne Handicap: Ab ins Hotel nach der Vorstellung und am nächsten Tag geht´s mit dem eigenen Auto wieder zurück nach Hause. Zum Teil haben in dem Fall Freunde und Familie geholfen. Einige Hindernisse bestehen allerdings nur in den Köpfen. Auf rein künstlerischer Ebene habe ich einen gewissen Freiheitsdrang und möchte nicht, dass Menschen aufgrund ihrer Besonderheit in gewisse Rollenbilder gepresst werden. Warum sollen Männer keine Frauen spielen? Warum sollen Menschen ohne Behinderung keine Behinderten spielen oder umgekehrt? Es ist am Ende des Tages immer noch Schauspiel und wir bewegen uns somit in einer Fantasiewelt. In einer Dokumentation wäre das verwerflich, aber so ist alles möglich.
Wo erleben Sie denn die meisten Vorurteile gegenüber Behinderten?
Es herrscht die Vorstellung, dass Menschen mit Behinderung ehrenamtlich arbeiten, denn man tut ja etwas für sie. Das passiert leider oft auch bei inklusiven, staatlich geförderten Projekten, wo die nicht behinderten Menschen Geld bekommen und die Menschen mit Handicap „mitmachen dürfen“.
Die Film- und Fernsehbranche und vor allem die Caster*innen arbeiten mit Datenbanken.
Welche Filter werden für und von behinderten Menschen gewünscht?
Wenn man jemanden mit Downsyndrom sucht und bei der Suche auch alle angezeigt werden, die eine Apfel-Allergie haben, weil diese beiden Dinge unter die Kategorie „besondere Merkmale“ fallen, dann halte ich das für etwas unglücklich. Suchmaschinen-Filter sind ein weites, schwieriges Feld. Ich kenne keinen praktischen Ansatz.
Was war Ihr schönstes Projekt bei Glanzstoff? Gab es Highlights?
Jede Inszenierung, die wir an den Start gebracht haben, hatte etwas Besonderes. Ich habe angefangen, hinter der Bühne zu fotografieren und dabei festgestellt, dass diese Atmosphäre schon etwas sehr Magisches und Bezauberndes hat. Es gibt kleine Highlights neben den Inszenierungen. Wir wurden von der Pina Bausch Stiftung angesprochen, ob wir nicht ein Video für das Stück „Nelken“ produzieren würden, welches letztendlich in der ARTE Mediathek gelandet ist. Da waren wir so motiviert, dass wir ein ganzes Filmteam engagiert und einen Workshop organisiert haben, in dem wir uns ein Wochenende lang auf den Dreh und das Projekt vorbereitet haben. Zum Abschluss gab es eine Art Zusammenkunft mit allen Gruppen, die für das Projekt etwas eingereicht hatten. Das sind schöne Momente, die in Erinnerung bleiben. Hier geht´s zum Video: www.vimeo.com/215200895
© Uwe Schinkel | © Uwe Schinkel |
Was bedeutet Inklusion für Sie im Theater und Filmbereich?
Für mich bedeutet Inklusion, dass Schauspielende, die neben mir auf der Bühne stehen und eine Behinderung haben, als normal angesehen werden.
Gelebte Inklusion für Menschen, die behindert sind, würde wünschenswerterweise bedeuten, dass ...
Da könnte man erst mal über grundsätzliche Sachen reden, wie eine Kommunikation auf Augenhöhe und eine Offenheit gegenüber anderen Menschen, aber auch in jedem anderen Kontext. Was mich am meisten ärgert, wenn man automatisch meint, Menschen mit Behinderung therapieren oder heilen zu müssen. Wenn man als Dozent bei uns arbeitet, muss man sich auf die Menschen einlassen und nicht denken, man müsse sich um die Gesundung einer Behinderung kümmern. Es nervt jemanden mit einer Behinderung, wenn man ihn ständig zurechtweisen will. Die Facetten und Ecken und Kanten machen ja schließlich das Leben aus und bereichern ja auch den Kunstbereich. Klar, Rahmenbedingen müssen besser werden, aber es ist alles lösbar, wenn man da eine Offenheit mitbringt.
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