Wolfgang Janßen, langjähriger ehemaliger Verwaltungsleiter der Berlinale, entwickelte und gründete die Plattform Rollenfang. Ausschlaggebend war dafür der Wunsch seines Patensohnes mit Down-Syndrom, Schauspieler zu werden, und dass er damit auf große Schwierigkeiten stieß. Seit Mai 2015 unterstützt, vertritt und vermittelt Rollenfang insbesondere professionelle Schau- spieler*innen mit körperlicher oder geistiger Behinderung. Individuelle Coachings und inklusive Kameraworkshops gehören ebenfalls zum Angebot von Rollenfang.
Träger von Rollenfang ist der Verbund für Integrative Angebote Berlin gemein- nützige GmbH (VIA), deren Ziel es ist, Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt zu integrieren.“ Unterstützt wird die Plattform u. a. auch von bekannten Schauspieler*innen, die eine Patenschaft übernehmen und ihre Kolleg*innen mit Behinderung bei ihrem künstlerischen und beruflichen Werdegang in Film und Fernsehen fördern.
In der klassischen Film- und Fernsehlandschaft fallen Menschen mit Behin- derungen durchs Raster. Sie erhalten nur schwer eine professionelle Ausbildung und werden selten in Filmen besetzt, wohingegen die Theater hier bereits viel offener sind. Deshalb lautet das Credo von Rollenfang: „Wir fangen unsere eigenen Rollen, wenn Sie uns keiner anbietet.“
Wie definieren Sie persönlich Behinderung?
Keine Ahnung, wann ist man dick oder dünn, Fahrradfahrer oder Fußgänger. Ich bin einfach gegen das Hineinstecken in irgendwelche Schubladen. Es gibt künstlerisch begabte Menschen, die scheinbar oder unscheinbar eine Behinderung haben. Ihr Können und ihr künstlerisches Potential möchten sie einer breiten Öffentlichkeit zeigen, und das versuchen wir zu ermöglichen.
Der Wunsch Ihres Patensohns Max Dominik, Schauspieler zu werden, war Auslöser für die Idee zu Rollenfang.
Wie kam es zur Gründung der Plattform?
Erst war es nur eine Idee von Max, der Rollenspiele schon immer sehr geliebt hat, und dann wurde er zufällig für einen sehr prominent besetzten Fernsehfilm gecastet und hat die Rolle bekommen. Nach dieser Dreherfahrung meinte er: „Wenn das Arbeit ist, dann will ich das machen und Schauspieler werden.“ Ich habe dann durch meine Kontakte in der Branche versucht, ihn zu unterstützen und habe sehr schnell gemerkt auf wieviel Widerstand oder vielleicht besser Bedenken ich gestoßen bin. In meiner Recherche habe ich einfach nichts und niemanden gefunden, an den sich Schauspielinteressierte wie Max wenden können, um Filmschauspieler zu werden. Im Theaterbereich gab es da schon tolle, inklusive Theatergruppen. Aus dem fehlenden Angebot ist dann ziemlich schnell Rollenfang entstanden. Max hat dann auch einiges gespielt, möchte jetzt aber lieber Musiker werden - Schauspiel interessiert ihn nicht mehr. Aber ich mache natürlich mit Rollenfang weitern!
Welche Aufnahmekriterien hat Ihre Plattform?
Die sind nicht in Stein gemeißelt, aber man sollte schon erste Erfahrungen im Bereich Schauspiel gesammelt haben und wirklich einen starken Wunsch verspüren, sich künstlerisch zu verwirklichen und das auch professionell machen zu wollen, weil wir nur wirklich professionelle Schauspieler*innen vertreten.
Was ist Ihr Hauptanliegen?
Einfach, dass unser Claim Wirklichkeit wird, der da lautet: „Wir wollen alle sehen!“
Wie finanzieren Sie Ihre Arbeit. Erheben Sie eine Agenturprovision bei Vermittlung?
Wir bekommen eine Förderung von Aktion Mensch und der Verbund für Integrative Angebote Berlin gGmbH (VIA) - quasi unser Mutterhaus - unterstützt uns großzügig. Hinzu kommen für einzelne Projekte private Stiftungen. Unser letzter inklusiver Kameraworkshop wurde erstmalig vom Medienboard Berlin Brandenburg gefördert und beim nächsten wird der RBB mit an Bord sein. Und ja - wir nehmen auch eine Vermittlungsprovision.
Erhalten Ihre Schauspieler*innen die üblichen Tarifgagen?
Die Tarifgagen sind ja nicht so klar und eindeutig wie z. B. im öffentlichen Dienst. Es gibt nur feste Mindestgagen, die auch immer gezahlt werden. Verhandlungen um die Höhe der Gage sind aber alltäglich, gerade wenn es sich um viele Drehtage handelt, wird gern mit Pauschalen gearbeitet. Bei Theatern ist der Verhandlungsaufwand meistens nicht ganz so groß, und die Angebote sind in aller Regel okay. Es gibt aber immer noch Anfragen, bei denen sehr geringe Gagen angeboten werden. Diese lehnen wir dann freundlich, aber bestimmt ab.
Im Januar 2020 gab es Neuregelungen im Eingliederungshilferecht. Was ist davon im Alltag angekommen?
Für uns hat sich dadurch nichts geändert, ich habe zumindest nichts davon gemerkt.
Schauspielschulen nehmen keine behinderten Menschen auf. Rollenfang bietet Coachings und inklusive Kamera- workshops an. Kann ein solches Angebot eine Schauspielschule ersetzen?
Nein, natürlich nicht. Ziel muss es sein, den Zugang zu staatlichen Film- und Schauspielhochschulen für alle nicht nur theoretisch zu öffnen, sondern auch real zu gewährleisten und zu vollziehen. Unsere mehrtätigen inklusiven Kameraworkshops bereiten unsere Schauspielenden auf die konkrete Arbeit an Filmsets vor, machen Sie mit den ganzen technischen und organisatorischen Abläufen vertraut, damit sie an ihrem ersten Drehtag nicht völlig ahnungslos sind. Eine umfassende Ausbildung kann das natürlich nicht ersetzen.
Stichwort Bewerbung: Wie läuft hier die Beratung Ihrerseits in Bezug auf Foto, Vita und Demoband?
Rollenfang berät die Schauspielenden natürlich und stellt die Fotograf*innen. Gemeinsam mit den Schauspielenden wird dann die spätere Auswahl der Fotos getroffen. Für die Showreels haben wir mit der Kölner Produktionsfirma Leib+Seele ein eigenes Format entwickelt, das wir jetzt nach und nach für alle Schauspielenden umsetzen werden. Was inhaltlich rein soll, welche Fragen gestellt werden etc. entscheiden die Schauspielenden selbst. Dadurch wird auch schon ein Teil ihrer Persönlichkeit, ihrer Hobbies und Vorlieben sichtbar. Übrigens sind alle diese Leistungen für die Schauspielenden kostenlos.
Der erste Gedanke, wenn man an behinderte Schauspieler*innen denkt, ist sicher meistens: Ok, die spielen Behinderte. Das muss aber nicht so sein – oder?
Nein, aber meistens ist es noch Realität, dass leider immer noch die Behinderung im Vordergrund steht und nicht die künstlerische Leistung des Schauspielenden. Aber ich habe das Gefühl, dass sich da langsam etwas bewegt und von der Diversity-Debatte auch endlich Schauspielende mit Behinderungen mehr gesehen werden und hoffentlich dadurch auch langfristig profitieren werden.
Werden behinderte Menschen zu Castings eingeladen, oder werden sie gleich bei Ihnen angefragt?
Wir werden schon immer gleich angefragt, aber natürlich gibt es auch Castings wo mehrere Schauspielende mit Behinderung in Konkurrenz zueinander antreten.
Welche Verbesserungen wünschen Sie sich hier?
Dass man uns oder die Schauspielenden direkt zeitnah über das Resultat informiert und ein Feedback bekommt.
In den gängigen Datenbanken kann eine Behinderung bislang nur eingeschränkt angegeben werden.
Sind Ihre Schauspieler*innen dort überhaupt gelistet?
Noch nicht überall, aber in Kürze werden alle Schauspielenden von Rollenfang bei Castupload geführt werden, und es wird dort eine neue Rubrik „Inklusion im Film“ geben.
Welche Filter bzw. Suchfunktion wünschen Sie sich dort?
Natürlich alle einschlägigen - ansonsten können sie zusätzlich, wenn die Schauspielenden es wünschen, in der Rubrik „Inklusion im Film“ geführt werden. Dort kann, wer möchte, nähere Angaben zu ihrer/seiner Beeinträchtigung machen.
Was bedeutet für Sie Inklusion im Film- und Fernsehbereich?
Hier könnte man sehr lang ausholen, aber ich möchte es nur dabei belassen: Jedem, egal ob behindert oder nicht, die gleiche Chance zu geben, sein künstlerisches Potential darstellen zu können.
Wo kämpfen Sie gegen die meisten Vorurteile: bei Produzent*innen, bei Casting Directors, bei Regisseur*innen, bei den Schauspielkolleg*innen oder anderen Personen?
Eigentlich überall gleich. Das Fatale ist, dass immer noch niemand aus den von Ihnen genannten Berufsgruppen von allein auf die Idee kommen würde, eine Rolle mit einem Schauspielenden mit Behinderung zu besetzen, wenn diese nicht explizit im Drehbuch benannt und beschrieben wird.
Welche besonderen Herausforderungen bestehen beim Dreh mit behinderten Menschen?
Eigentlich keine.
Welche Änderungen wünschen Sie sich am Set?
Einfach offen zu sein, Berührungsängste zu überwinden, das gemeinsame Gespräch auf Augenhöhe zu suchen, Anforderungen aussprechen, damit eine gemeinsame Arbeitsbasis entstehen kann.
Was war bisher Ihr spannendstes Projekt?
Für jeden unserer Schauspielenden ist es meistens ihr erster größerer Dreh. Meine Lieblingsprojekte sind unsere einwöchigen inklusiven Kameraworkshops, paritätisch mit Schauspielenden mit und ohne Behinderung besetzt. Dort arbeiten und wohnen wir eine Woche zusammen. Neben ein wenig Theorie entsteht dort immer ein Kurzfilm. Diese intensive Arbeit und der Austausch auf allen Ebenen, der dort bisher immer entstanden ist, gibt mir die Energie und Freude an unserem Ziel weiterzuarbeiten, auch wenn es mal weniger gut läuft.
Sie planen ein Labor mit Medienschaffenden, um neue Ideen zu entwickeln, Menschen mit Beeinträchtigungen in der Film- und Fernsehbranche zu zeigen. Können Sie uns hierzu etwas erzählen?
Ja, in einer inklusiv besetzten Gruppe, bestehend aus Künstler*innen mit und ohne Behinderung, werden wir über einen längeren Zeitraum in einen intensiven Austausch treten. Gemeinsam stellen wir uns Fragen wie: Wie wollen Menschen bzw. Schauspielende mit Behinderungen in Film und Fernsehen dargestellt werden? Wie können alte Rollenklischees endlich durchbrochen werden? Wie kann das vorhandene künstlerische Potential von Schauspielenden mit Behinderungen umfassender dargestellt werden? Im „Rollenfang Labor“ werden wir dazu neue Ideen, Inhalte und Stoffe entwickeln. In der Praxisphase werden wir diese in filmischen Beispielen Realität werden lassen. Wir werden so eine neue Vielfalt abbilden und damit unter Beweis stellen, dass es noch viele spannende Aspekte gibt, denen sich die etablierte Filmindustrie bisher nicht gestellt hat – aus was für Gründen auch immer.
Letzter inklusiver Kameraworkshop Cast © Nikolas Jürgens
von Links: Sammy Serag, Carina Kühne, Konstantin Bez, Friederike Feltes, Sascha Gaurun und Lisa Seidel
www.rollenfang-berlin.de | www.via-berlin.de
Telefon: | 0221 - 94 65 56 20 |
E-Mail: | info@casting-network.de |
Bürozeiten: | Mo-Fr: 10:00 - 18:00 Uhr |
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