Er ist Schauspieler, Tänzer, Sprecher und Diplom-Modejournalist. 1977 in Ulm als Sohn bosnischer Gastarbeiter geboren, ist Erwin Aljukić seit 1998 als Schauspieler tätig. Vor der Kamera war er etwa 13 Jahre im Hauptcast der ARD-Serie „Marienhof“ zu sehen, im Kinofilm „Wo ist Fred?“ oder in „Kollegen“, einem Festivalbeitrag der Filmfestspiele in Cannes. Auf der Bühne stand er am Ulmer Podium oder Stadttheater Trier, von 2018 bis 2020 war Aljukić festes Ensemblemitglied am Staatstheater Darmstadt. 2014 widmete er sich dem zeitgenössischen Tanz, was zu Zusammenarbeiten und Auftritten mit der Axis Dance Company in Kalifornien oder der Candoco Dance Company in London führte. Hierzu zählen auch Engagements bei Choreografen wie dem Franzosen Jérôme Bel in „Gala“ (Kammerspiele München und Kaserne Basel), dem Italiener Alessandro Schiattarella in „Strano“ (Roxy Basel und Tanzhaus Zürich) oder der Österreicherin und Nestroy-Preisträgerin Doris Uhlich in „Every Body Electric“ am Tanzquartier Wien oder der Biennale in Venedig.
Neben der Schauspielerei studierte er Modejournalismus auf Diplom an der Akademie Mode & Design München (AMD). Seit Beginn seiner Berufstätigkeit engagierte er sich in zahlreichen Kampagnen wie der Aktion Mensch, der schweizerischen Pro Infirmis oder der Coming-Out-Aktion #actout, sowie als Botschafter für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Seit 2020 ist Aljukić Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele und seit Oktober 2021 Vorstand des Vereins „art but fair e.V.“
Was bedeutet Behinderung für Dich? Ist diese Bezeichnung in Ordnung?
Ich finde, diese ganze Political-Correctness-Debatte und die damit einhergehende Wording-Debatte sind absolute Neben- schauplätze. Es ist für mich Augenwischerei zu behaupten, dass wenn wir darauf achten, dass Sprache möglichst nicht diskriminierend ist, es die Realität auch ist. Aber es kommt nicht darauf an, ob man nun „Mensch mit Beeinträchtigung“ oder „Mensch mit Behinderung“ sagt, wenn wirkliche Chancengleichheit nicht existent ist. Ich habe zum Beispiel auf meiner offiziellen Schauspielpräsenz in meiner Kurzbeschreibung stehen: Rollstuhlfahrer mit 25 Jahren professioneller Dreherfahrung. Also man sieht es, aber es ist kein Special. Denn in dem Moment, wo es zu einem Special gemacht wird, habe ich ein Problem damit.
Aber das macht es aus Sicht der Casting-Directors schwer, einen Schauspielenden zu finden, der eine Behinderung hat.
Ich finde es vollkommen ok, wenn man intern Tools kreiert für Caster*innen, ähnlich wie bei den Kategorien „Sprachen“ oder „Geschlecht“. Aber wie möchte ich mich persönlich als Schauspieler*in mit Behinderung nach außen präsentieren? Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Hast Du überhaupt noch Lust, über Inklusion zu sprechen, oder macht Dich das eher müde?
Eigentlich habe ich die Schnauze voll. Es kommen ab einem gewissen Punkt immer die gleichen Anfragen. Dann muss ich aufpassen, dass die Debatten und die Formate solcher Art für mich nicht inflationär werden. Damit würde ich mich selbst in eine Schublade stecken, die verhindert, dass ich als der vielfältige Künstler wahrgenommen werde, der ich bin. Zu Beginn meiner „Marienhof“-Zeit war ich auf der „Reha-Care“ (Messe für Rehabilitation). Dort wurde ich zu einer Podiumsdiskussion mit anschließender Autogrammstunde eingeladen. In dem Moment, als ich in die Veranstaltungs-Halle kam, hörte ich jemanden sagen: „Oh, der schon wieder, der ist ja überall.“ Und er hatte recht: Da musste ich einen klaren Schnitt machen. Genauso geht es mir gerade beim Thema „Inklusion im Theater“. Klar bin ich da gerade ein bekanntes Gesicht, aber ich habe mich ja beispielsweise auch der Kampagne „ActOut“ angeschlossen. Grund hierzu war, dass es von mir in der öffentlichen Wahrnehmung noch ein weiteres Element gegeben hat. Ich habe außerdem einen Migrationshintergrund und bin Moslem, aufgrund meiner Sozialisierung, weil meine Familie aus Bosnien-Herzegowina kommt. Ich habe Modejournalismus studiert, meine Abschlussarbeit hatte das Thema „Mode und Islam – zwischen Modernität und Tradition“. Was ich damit sagen will: Es gibt genügend Felder, über die es sich lohnt, mit mir zu reden. Nicht zuletzt – und das wäre mein Wunsch – stehe ich seit fünf Jahren in unterschiedlichsten Produktionen auf der Bühne, zu denen ich unendlich viel zu sagen hätte. Nur ein paar Beispiele. „Every Body Electric“, ein Stück der Nestroy-Preisträgerin Doris Uhlich, welches wir auf der Biennale in Venedig aufgeführt haben, oder momentan „Who cares?“ an den Kammerspielen, wo es um Altenpflege geht. Oder „Heldenplatz“, ein Stück über Antisemitismus. Ich mache also seit Jahren Kunst und spiele die unterschiedlichsten Rollen – und das auf allerhöchstem Niveau. Da langweilen mich einfach manche Themen.
Wie bist Du zum Schauspiel gekommen?
Es war kein Vorhaben oder Ziel. Ich glaube, dass jeder in sich eine Art Bestimmung oder Aufgabe hat, die ihn durchs Leben trägt. Mein Weg hat mich so geführt, dass ich dieser Aufgabe nachgehen kann. Ich hatte schon immer Visionen von meinem Leben, in denen ich mich in bestimmten Momenten gesehen habe, und später sind die Momente tatsächlich wahr geworden. Ich habe mich immer vor einer Kamera gesehen oder auf der Bühne oder U-Bahn fahrend, obwohl es in meiner Geburtsstadt Ulm keine U-Bahnen gibt. Was ich meine: Ich sah diese Szenen vor meinem inneren Auge, als all diese Dinge noch komplett unrealistisch waren. Jahre später fand ich mich exakt in diesen Situationen wieder – es war wie ein Déjà-vu. Wenn ich jetzt Freunden von irgendwelchen krassen Visionen in meiner Zukunft erzähle, lacht mich niemand aus …
Was war Dein erster praktischer Kontakt mit dem Schauspiel?
Eines Morgens kam die Theaterpädagogin der Schule auf mich zu und fragte mich, ob ich Lust hätte, bei der Theater AG mitzumachen, denn sie hatte mich bei einer Vorstellung als Zuschauer gesehen und bemerkt, wie begeistert ich war. Sie hatte mein Talent entdeckt und in die richtigen Bahnen gelenkt. So ist es auch weitergegangen. Jahre später hat die Produktion „Marienhof“ einen Schauspieler mit Behinderung gesucht. Wir sprechen von einer Zeit, wo weder im deutschen Theater noch im Film- und Fernsehbereich Schauspieler mit Behinderung zu sehen waren – Ende der Neunzigerjahre. Die Produktion hat vor lauter Verzweiflung, weil sie niemanden gefunden haben, an einer inklusiven Schule angerufen, wo ich Schüler war, und die Sekretärin wusste eben, dass ich Theater spiele. Und somit bin ich zum Casting eingeladen worden. Es gab auch keine Konkurrenz: Ich war der Einzige!
Also hattest Du nie vor, Dich an einer Schauspielschule zu bewerben? Es war eher Learning by doing?
Genau. Das Gleiche geschah am Theater. Dort wurde ich, im Gegensatz zur Daily Soap, damit konfrontiert, dass ich mit einem Handwerk arbeiten sollte, das ich nicht auf einer Schule erlernt hatte. Als ich vor meiner ersten Premiere am Staatstheater Darmstadt stand, hatte ich unfassbare Angst, weil ich nicht wusste, ob ich liefern könnte. Ich wurde immer ins kalte Wasser geschmissen. Bei „Marienhof“ wurde ich zwei Tage vor Drehbeginn als Zuschauer zu den Dreharbeiten eingeladen und hatte große Angst, weil ich zwei Tage später dort selbst vor der Kamera stehen sollte. Es ist wie ein roter Faden in meinem Leben: Wie aus dem Nichts ereignen sich Dinge, die mir zehn Schritte zu früh erscheinen, auf die ich mich nicht vorbereiten konnte. Ich würde mich nicht wundern, wenn das Leben es so kreiert, dass ich in Hollywood lande! Das meine ich ganz im Ernst.
© Dennis König | © Dennis König |
Wünschst Du Dir inklusive Schauspielschulen oder eher Schauspielschulen speziell für Menschen mit Behinderung?
Schauspielschulen speziell für Menschen mit Behinderung halte ich für schwierig: Das führt zu einer Art Ghettobildung. Ich wurde, wie bereits erwähnt, immer ins kalte Wasser geworfen und musste mich in der „normalen Welt“ zurechtfinden. Es wurde nichts für mich vorbereitet, und ich hatte auch keine perfekten Rahmenbedingungen. Das Problematische bei einer Schauspielschule speziell für Menschen mit Behinderung ist, dass die Absolvierenden ja eines Tages in die Welt hinausgeschickt werden. Wenn sie erst dann Kontakt zur Realität bekommen, ist das ein Schock. Schauspielschulen müssen gemischt sein, und das geht auch zum Glück immer mehr in diese Richtung. Zum Beispiel ist die Otto-Falckenberg Schule in München inzwischen auf dem Weg, eine inklusive Schule zu werden. Ich bin außerdem ein Verfechter der Quote, nicht nur für öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, sondern auch für Ausbildungseinrichtungen, die öffentlich subventioniert werden. Es sollte eine Verpflichtung geben, einen bestimmten Teil an Menschen mit Behinderung aufzunehmen, und wenn das nicht erfüllt wird, sollten Gelder gestrichen werden. Wenn man durch das Fernsehprogramm zappt – wo sieht man denn Künstler*innen mit Behinderungen? Jeder redet sich gerade raus, und es wird auch oft im Kampagnenmodus ein Film oder eine Serie produziert, die das Banner Diversität trägt, aber der Trend setzt sich nicht wirklich durch. Oder besser gesagt: Er wird nicht zur Selbstverständlichkeit. Wir erleben so etwas wie „Pink-Washing“: Die UFA und viele andere veröffentlichen ihre Schriftzüge in Regenbogenfarben, die öffentlich-rechtlichen produzieren eine Serie mit homosexuellen Darstellern und man denkt, man habe etwas Konstruktives zur Debatte beigetragen. Wenn man sich die BBC in England anschaut, die diese verpflichtende Quote hat, sieht man ganz selbstverständlich Moderatoren, die eine sichtbare Behinderung haben. Die BBC hat ein Diversity-Department, welches die Stoffe von Anfang an so konzipiert, dass sie die Quote erfüllen. Ich bin vor einer Woche gefragt worden, ob ich bei einem Panel über Vielfalt im deutschen Fernsehen mitmachen möchte, und ich habe knallhart gesagt: Nein, jetzt reichts! Wir diskutieren seit mehr als drei Jahren über Diversität, und es passiert nichts. Jetzt soll ich wieder als Feigenblatt herhalten in einer scheinheiligen Diversitätsdebatte – da mache ich nicht mehr mit. Ich messe die Dinge nur noch anhand der Realität – für alles andere bin ich mir zu schade.
Warum gibt es immer noch so große Berührungsängste vonseiten der Branche mit Menschen mit Behinderungen?
Es wird immer gedacht, dass alles schon behindertengerecht vorbereitet sein muss – das muss es eben nicht. Als ich damals zu „Marienhof“ ans Set gekommen bin, war da nichts barrierefrei oder behindertengerecht. Das war aber auch ok. So konnte man miteinander wachsen. Viele Produktionen oder Theaterhäuser wissen auch nicht, dass ein*e Schauspieler*in mit Behinderung immer einen persönlichen Arbeitsassistenten zur Verfügung bekommen kann, um die Arbeit ausführen zu können. In meinem Fall würde er oder sie sich um Sachen kümmern wie: Wie komme ich zum Set? Was passiert bei einem schnellen Umzug am Theater? Wie komme ich auf die Bühne? Auch bekommt jeder Arbeitgeber Zuschüsse, wenn er einen Menschen mit Behinderung eingestellt, zum Beispiel Gelder für Umbauten. All diese Leistungen übernimmt das Integrations- oder das Arbeitsamt. Ob ich also als Arbeitnehmer mit Behinderung in einem Büro arbeite oder beim Film oder auf der Bühne, macht null Unterschied. Deshalb gibt es hier auch null Ausreden. Es scheint nicht durchgedrungen zu sein, dass eine Produktion oder ein Theater, welches einen Menschen mit Behinderung beschäftigt oder besetzt, mit vielen Geldern rechnen kann …
Wirst Du nach Tarifgage bezahlt?
Ja, werde ich. Aber, das ist nicht die Regel. Eine Kollegin von mir, die auch eine Behinderung hat, braucht auch eine Assistenz im Privatleben, was eine Sozialleistung ist. Ihr wird dafür vom Staat ein Teil der Gage abgezogen, das heißt, sie darf nicht mehr als einen Teil verdienen. Das ist skandalös. Wenn wir für Gleichberechtigung vor der Kamera und auf der Bühne einstehen, müssen wir auch auf so etwas achten.
Gab es in Deiner Karriere Momente, die besonders schön oder besonders unschön waren?
Bestenfalls macht man etwas im Leben, worin man einen Sinn sieht. Einmal kam eine Frau auf mich zu und meinte, sie fände es so schade, dass es „Marienhof“ nicht mehr gibt, denn sie hat dadurch gelernt, was Freundschaft bedeutet. „Marienhof“ hatte als große Überschrift: Man überwindet gemeinsam Unterschiede und Schicksalsschläge. Das war neu in der Welt der Soaps, in denen es bis dato vorwiegend um die Welt der Schönen und Reichen ging. Negativ-Erfahrungen sind da, wo du marginalisiert wirst. Zum Beispiel: Kennt ihr erstklassige Schauspielagenturen, die Menschen mit Behinderung repräsentieren? Dann rufe ich dort an und frage nach: Warum ist das so? – „Das sehen wir gerade nicht,“ ist oft die Antwort. Sah man noch vor drei Jahren PoC in der Werbung oder im Film? Wie kommt es, dass wir die jetzt aber überall sehen?!?! Fängt einer an, und es wird zum Erfolg, ziehen alle nach. Würde ich morgen in Hollywood drehen, käme mir sicherlich keine deutsche Agentur oder ein Caster mehr mit solchen Ausreden …
Was wünschst Du Dir für die Film- und Fernsehbranche?
Das einzulösen, worüber man jetzt debattiert, dass man Diversität in der Realität wiederfindet. Die gelebte Realität ist sehr viel offener als jene, die in vielen deutschen Filmformaten stattfindet. Da muss ein Generationswechsel her. Die jüngere Generation geht viel selbstverständlicher mit Herkunft, Sexualität und Behinderung um. Ein Beispiel: Den allermeisten, die bei #actout mitgemacht haben, wurde von Agenturen oder der Besetzung stets geraten, ihre sexuelle Identität nicht preiszugeben, das sei berufsschädigend. Einen Tag nach der Riesenwelle durch #actout postete die gesamte Filmbranche: Toll, wir sind bei euch!, und schmückten ihre Logos in Regenbogenfarben. Daran sieht man, wie verlogen vieles ist. Auf einmal will jeder auf den Zug aufspringen. Wenn mir also dennoch eine der bekanntesten Agenturen sagt, die Besetzung von Menschen mit Behinderung käme nicht infrage, obwohl ich seit 23 Jahren professionell als Schauspieler tätig bin, habe ich dafür kein Verständnis und halte das schlichtweg für Diskriminierung. Ich bin dafür viel zu lange in der Branche. Wenn man in dieser anbiedernden Filmbranche so arbeiten möchte, dann möchte ich das bitte auch in der Realität eingelöst haben.
© Dennis König | © Dennis König |
www.schauspielervideos.de/erwin-aljukic | www.muenchner-kammerspiele.de/erwin-aljukic
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Castings: „Marienhof“ Jutta Hildebrandt (1992-1994), Silke Klug-Bader (1994-2010) | „Wo ist Fred?“ Emrah Ertem, Kinder: Jacqueline Rietz | „Kollegen“ in eigener Regie
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