Alina Buschmann ist Diplomschauspielerin – seit einem Arbeitsunfall ist sie behindert. Unter dem Namen „Dramapproved“ ist sie im Internet bekannt als Aktivistin, die sich für Patient*innenrechte, für diskriminierungsfreie Sprache und gegen Ableismus laut macht. Sie ist in der Medienbranche außerdem als freie Beraterin für Inklusion, Barrierefreiheit und Antidiskriminierung tätig.
Du bist ausgebildete Schauspielerin, hast bei der Arbeit einen schweren Unfall erlebt und bist seitdem behindert. Möchtest Du mir erzählen, was damals passiert ist und wie es Dir heute geht?
Ende 2014 habe ich meinen Abschluss gemacht und bin erst einmal für ein halbes Jahr nach England gegangen. Dann bin ich nach Berlin gezogen und habe dort in einem Tourneetheater gearbeitet. Auf dem Rückweg bin ich mit einer Kollegin zusammen verunglückt. Es war ein sehr schwerer Unfall, danach ist leider auch vieles falsch gelaufen. Wir wurden nicht richtig behandelt, das Krankenhaus war überfordert. Man hat mir gesagt, ich solle Physiotherapie machen, nachdem man mir erst einmal gesagt hatte, ich soll drei Monate liegen bleiben. Das war im Nachhinein betrachtet bestimmt nicht förderlich. Erst dachte ich, ich müsste das mit der Physiotherapie einfach besser machen, bis ich dahintergekommen bin, dass ich wahrscheinlich chronisch krank bin. Der nächste Schritt war, dass ich für mich selbst erkannt habe, ich bin behindert. Ich habe unter anderem eine Sehbehinderung. Das musste ich lernen zu akzeptieren, während ich von außen die ganze Zeit gefragt wurde, wann ich denn endlich wieder „heil“ bin. Das hat mich sehr viel Zeit und Reflexion gekostet. Es wurde nicht anerkannt, dass ich behindert bin. Ich habe dabei auch keine Unterstützung erfahren, nicht im Umgang damit, noch bei der Hilfsmittelbesorgung. Im Gegenteil, mir wurde immer wieder gesagt: „Werd‘ bloß wieder heil, es gibt keinen Grund, dass du jetzt ‚kaputt‘ bist.“ Dementsprechend habe ich lange gedacht, ich wäre zu „kaputt“ für diesen Beruf. Um Corona herum ist mir dann aufgefallen, dass nicht ich „kaputt“ bin, sondern dass das System rund um den Schauspielberuf sehr problematisch ist. Das müssen wir ändern.
Du leistest inzwischen sehr aktiv Aufklärung im Internet, bist als Speakerin tätig sowie selbständig als Beraterin im Bereich Inklusion und Antidiskriminierung. Wie darf man sich vor allem letzteres vorstellen?
Gemeinsam mit meiner Kollegin Luisa L'Audace biete ich zum Beispiel Filmproduktionen konzeptionelle Beratung an. Wir prüfen das Set auf Barrierefreiheit, kümmern uns um die Belange der behinderten Personen am Set, bieten Sensitivity Readings und Unterstützung beim Casting an. Irgendwann hatte ich eine Phase, in der ich aktiv überlegt habe, was ich machen könnte, weil ja auch von meinem Umfeld ständig die Frage kam, wann ich denn wieder arbeiten gehe. Ich habe überlegt, wo ich mit meinen Kapazitäten reinpasse, und die Antwort ist: nirgends. In unserer Arbeitswelt geht es sehr viel um Schubladendenken, darum Stereotype und Anforderung zu erfüllen. Ich bin einfach nicht mehr so leistungsfähig, wie die Menschen es von mir erwarten, deswegen ist Selbständigkeit etwas sehr Gutes für mich. Ich kann mir meine Arbeit selbst einteilen und zur Not vom Bett aus arbeiten, das ist eine Form von Barrierefreiheit für mich. Ich hoffe einfach, meinen Beitrag leisten zu können, um Strukturen zu durchbrechen, auch wenn es für die Gesellschaft erstmal schmerzhaft ist.
Veränderungen gehen ja immer mit Ängsten einher. Das kürzlich veröffentlichte Inclusion Playbook der Amazon Studios ist zum Beispiel eine Verpflichtung, im ersten Schritt nach einer Besetzung mit möglichst authentischer Identität zu suchen. Viele fürchten, dass dies das Ende der Schauspielerei bedeuten könnte. Wie reagiert man auf solche Ängste?
Um Strukturen zu durchbrechen ist es wichtig Räume zu besetzten, die gerade von anderen Menschen besetzt sind. Das macht ganz vielen Leuten Angst. Gleichzeitig leben wir in dieser Welt voller Anforderungen und wenn du Schauspieler*in bist, dann weißt du, wie diese Anforderungen aussehen. Was für Normen es gibt, was für Schönheitsideale es gibt. Ich glaube, dass vielen Menschen Angst macht, dass marginalisierte Menschen ihren Platz beanspruchen. Ich finde das sehr seltsam. Natürlich fordern wir unseren Platz ein, aber wir sind dann auch nur Konkurrenz, wie alle anderen. Damit zu rechtfertigen, dass weiter diskriminierendes Verhalten gefördert wird, ist sehr schwierig. Da spielt natürlich mit rein, dass wir so sozialisiert sind. Wir denken, Schauspieler*innen, das sind nur die, die richtig viel leisten können, überdurchschnittlich gut aussehen und irgend- welchen Sachen entsprechen. Da müssen wir bei der Ausbildung ansetzen. Natürlich ist es gut, so ein Playbook zu haben. Aber die nächste Konsequenz ist zu hinterfragen, warum man, bevor man an der Schauspielschule anfängt, schriftlich versichert, dass man körperlich und seelisch gesund ist. Das ist ableistisch. Wir kriegen von Anfang an eingetrichtert, dass man gesund, nicht-behindert und athletisch sein muss. Kein Wunder, dass die Branche sich vor Repräsentation sträubt. Ich kenne das von mir selbst. Ich dachte immer, ich muss besser aussehen, ich muss mich an möglichst vielen Theatern bewerben, ich darf mir nicht die Haare abschneiden, ich muss schnell zum nächsten Casting. Du denkst einfach, das ist es, was wichtig ist. Bis vor anderthalb Jahren habe ich mit voller Überzeugung gesagt, dass ich zu „kaputt“ für diesen Beruf bin.
Kannst Du das näher beschreiben, warum Du Dich so gefühlt hast?
Ich habe nach der Ausbildung ein Jahr Tourneetheater gemacht. Ich bin es gewohnt, jede Scheiße mitzumachen, selbst zu fahren, aufzubauen und so weiter. Ich kann mir immer noch nicht so richtig vorstellen, weiß inzwischen aber, dass es der richtige Weg wäre, zu einem Casting zu gehen und zu sagen: Ich muss mich dann und dann hinsetzen, ich brauche großen Text, es kann sein, dass ich mehr Versuche brauche, weil ich mir nicht so viel merken kann. Das sind alles Sachen, die passieren, und das ist okay, aber es sind auch Sachen, die niemand hören will. Wenn eine Person etwas nicht kann, oder eine Form von Barrierefreiheit braucht, dann warten noch fünfzig andere, die die Rolle möchten. Ein großes Problem ist, dass man die Lebensrealität behinderter Menschen, oder besser gesagt das, was nichtbehinderte Menschen für die Lebensrealität behinderter Menschen halten, nimmt, Geschichten daraus macht und Geld damit verdient. Gleichzeitig schließt man behinderte Menschen aus und sagt, sie sind „zu schlechte“ Schauspieler*innen. Der Film von Sia ist da das beste Beispiel. Maddie Ziegler wird gecoacht, um eine Autistin zu spielen, aber behinderte Menschen, die keinen Zugang zu einer Ausbildung haben aber vielleicht gut vor der Kamera funktionieren, die werden nicht gecoacht? Ja, Schauspiel ist ein Handwerk und die Ausbildung ist hoch angesehen, aber in Amerika zum Beispiel läuft das ja fast nur über Coaching und Workshops. Man könnte das behinderten Menschen ermöglichen. Aber das will halt niemand. Weil es als zu anstrengend empfunden wird. Damit gehen wir ja im Prinzip direkt zum Kern des Problems. Natürlich ist es ein guter und wichtiger Schritt, dass die Branche versucht, inklusiver zu werden, zum Beispiel mithilfe eines derartigen Playbooks. Aber wenn wir nicht fördern, dass Behinderte Menschen Zugang zu einer entsprechenden Ausbildung haben, dann kann man immer sagen, dass man keine*n behinderte*n Schauspieler*in gefunden hat, der/die gut genug für die Rolle ist.
Es ist interessant wofür die Branche bereit ist zu investieren. Namen zum Beispiel spielen in der Branche eine wichtige Rolle. Solange dein Name sich gut auf dem Plakat macht, ist alles möglich. Dann nimmst du für die Rolle 30 Kilo ab oder zu, oder CGI kommt in Spiel. Natürlich bedeutet ein großer Name Reichweite, und Reichweite bedeutet Marktwert. Da müssen wir irgendwie ran. Wir repräsentieren einfach sehr große Teile der Gesellschaft nicht. Um das zu ändern, möchten Produktionen aber nicht investieren. Behinderung ist dabei im Moment noch besonders hinten dran, weil das auch mit Barrieren zu tun hat. Zum einen physikalische Barrieren. Aber zum Beispiel auch angepasste Arbeitsabläufe, wie bei mir. Barrierefreiheit ist so individuell, wie Behinderung selbst. In der Branche ist man es nicht gewohnt, die Arbeitsbedingungen an die Menschen anzupassen, es sei denn sie haben einen entsprechenden Marktwert. Ich bin mir auch bewusst, dass, wenn ich eine Chance kriege unter meinen Bedingungen zu spielen, dann weil ich diese Sachen sage und nicht weil jemand denkt, Alina ist eine gute Schauspielerin. Sondern weil ich das System hinterfrage und etwas ändern möchte.
Ganz oft wird von Produktionen mit Sehgewohnheiten argumentiert. Ich finde, wir müssen unsere Sehgewohnheiten ändern. Wir dürfen nicht mehr erschrecken, wenn wir im Fernsehen einen behinderten Menschen sehen. Es darf nicht mehr „besonders“ sein, dass wir in den Medien stattfinden. Das ist etwas, das wir uns über Jahre hinweg in unserer Gesellschaft aufgebaut haben. Ich kann nachvollziehen, dass viele Menschen nicht verstehen, warum wir das ändern sollten, wo es doch all die Jahre „so gut“ funktioniert hat. Wir müssen es ändern, weil hier in Deutschland circa zehn Prozent der Menschen einen Schwerbehinderten- ausweis haben. Es sind aber noch viel mehr Menschen behindert, aber nicht alle bekommen einen Ausweis. Man geht von 15 bis 20 Prozent der Weltbevölkerung aus. Das sind Menschen, die wir in dieser Branche ignorieren, beziehungsweise wir machen „Inspiration Porn“ daraus, den niemand braucht und der behinderten Menschen schadet. Wir benutzen behinderte Menschen als Inspiration und denken dabei: „Boah, zum Glück habe ich das nicht, zum Glück geht es mir gut.“ Dafür wird unsere Lebensrealität benutzt. Das ist mehr als problematisch.
„Inspiration Porn“ - das musst Du mir näher erklären.
„Inspiration Porn“ ist ein Ausdruck, der von der australischen Aktivistin Stella Young geprägt wurde. Sie ist leider bereits verstorben. Du kennst bestimmt diese Bilder, auf denen eine behinderte Person ist und dazu steht: „Jungs, wenn er so eine Freundin kriegt, dann habt ihr keine Ausreden mehr.“ Stella Young hat einen inzwischen berühmten Ted Talk gemacht: „I am not your inspiration, thank you very much.“ Gemeint ist damit im Prinzip, dass nichtbehinderte Menschen behinderte Menschen ansehen, sich inspiriert fühlen und denken: „Zum Glück ist mein Leben nicht so schlimm.“ Auch das kriegen wir beigebracht. Behinderte Menschen sind am Rand der Gesellschaft, und wenn wir sie mal sehen, dann wenn sie ihre Behinderung „überwinden“.
Aber wie schaffen wir es, Sehgewohnheiten zu ändern? Wie bekommen wir die Menschen dazu, von Film- und Fernseh- unterhaltung mehr zu erwarten als ein Gefühl der heilen Welt und behinderte Menschen als eine verquere Form von Inspiration? Und warum wird es überhaupt als heile Welt empfunden, wenn ich auf meinem Bildschirm nur weiße, gesunde Menschen sehe?
Weil Menschen sich so repräsentiert fühlen und die wenigsten dazu bereit sind, den Umkehrschluss zu sehen. Menschen aus marginalisierten Gruppen, z. B. PoC, wurden über Jahre hinweg nicht repräsentiert. Es geht ja jetzt zum Glück los, dass diverser gecastet wird. Genauso ist es bei behinderten Menschen. Es gibt ganz viele behinderte Kinder, die vor dem Fernseher sitzen und träumen. Manchen wird es leider verboten zu träumen, denen wird von vorneherein vermittelt, dass sie das „eh nicht können“ und dass sie, wenn sie Glück haben, später an einem Schreibtisch landen. Aber es gibt behinderte Kinder, die träumen davon Schauspieler*in zu werden. Und wenn die sehen, dass die Person, die da gerade einen Oscar bekommen hat, gar nicht behindert ist, ist das ein Schlag ins Gesicht. Diese Schauspieler*innen bekommen Applaus für ihre Darstellung einer behinderten Person, nehmen aber nicht unsere Lebensrealität mit. Sie nehmen nicht die tägliche Diskriminierung auf so vielen Ebenen mit. Deswegen ist Cripping up, also die Darstellung behinderter Rollen von nicht-behinderten Schauspieler*innen sehr problematisch.
Dieses Jahr war die erste Bundestagswahl, in der behinderte Menschen mit Betreuer*innen wählen durften. Das wissen viele Menschen in unserer Gesellschaft gar nicht. Ich wusste das auch nicht, bevor ich angefangen habe, mich mit struktureller Diskriminierung auseinanderzusetzen. Wir denken wirklich, wir sind eine tolerante Gesellschaft und alle Menschen sind gleich. Das Problem ist, wir behandeln nicht alle Menschen gleich, weil wir nichts gegen diese strukturelle Diskriminierung tun. Wir müssen uns aktiv mit unseren Strukturen auseinandersetzen und sie durchbrechen. Darauf wird häufig gesagt, dass Aktivist*innen „von oben herab“ oder „mit erhobenem Zeigefinger“ sprechen. Ich kann nur sagen: Wir reden von einem strukturellen Problem. Das ist kein rosa Ponyhof. Es ist verdammt ernst, und es hängt die Lebensrealität von behinderten Menschen dran. Behinderte Menschen haben effektiv weniger Rechte und weniger Chancen. Und dann werden sie auch noch missbraucht, um Inspiration zu liefern, damit sich nicht-behinderte Menschen sozial fühlen.
Es kommt ja immer wieder das Argument, das Ziel des Schauspielberufes sei, alles spielen zu dürfen. Wie geht man am besten damit um?
In einer perfekten Welt ohne -ismen, da würden wir alle alles spielen. Wir leben nunmal in einer Welt voller -ismen, das bedeutet, wir müssen aktiv Ungerechtigkeit bekämpfen. Zum Glück ist mittlerweile bei uns angekommen, dass es rassistisch ist, wenn weiße Menschen PoC spielen. Bei allem anderen wird so getan, als würde man der Kunst etwas wegnehmen. Das Amazon Playbook wurde ja als „die Zerstörung der Schauspielkunst“ bezeichnet. Ich kann dazu nur sagen: Wenn ihr euch in den Rollstuhl setzt, seid ihr nicht automatisch bessere Schauspieler*innen. „Forrest Gump“ zum Beispiel ist so ziemlich der ableistischste Film, den es gibt. Wenn man über Behinderungen redet, nutzen die Leute ständig Zitate aus „Forrest Gump“. Aber dieser Typ „überwindet“ seine Behinderung. Das passiert im echten Leben nicht. Das ist schädlich für behinderte Menschen. Wenn du zum Beispiel im Rollstuhl sitzt, kann es passieren, dass dir gesagt wird: „Trainier doch mal, streng dich einfach mehr an!“ Aber so funktioniert es nicht. Ich nutze manchmal Arthritis-Krücken und sogar meine Ärztin hat mir gesagt, dass die „hässlich“ sind. Ich saß vor ihr und meinte: „Ich finde die voll gut, die helfen mir.“ Genau das machen solche Filme mit uns. Ein weiteres Beispiel ist „Ein ganzes halbes Jahr“. Vor ein paar Jahren dachte ich noch, das ist eine wunderschöne Liebesgeschichte. Tatsächlich ist das ein Film, der sagt, Leben mit Behinderung ist „lebensunwert“. Das ist genau das Narrativ, das die Nazis benutzt haben, um behinderte Menschen zu töten. Und darüber machen wir heute noch einen Film! Das ist uns gar nicht bewusst. Unsere ganze Gesellschaft ist auf so vielen Ebenen diskriminierend – daran müssen wir arbeiten.
Welche konkreten Ansätze würdest Du sagen kann man wählen, um diese strukturellen Probleme aufzubrechen?
Ein Ansatz ist, Beratung in Anspruch zu nehmen, wie wir sie zum Beispiel anbieten. Wenn man ein Filmprojekt macht, in dem eine behinderte Person vorkommt, zu sagen, wir brauchen Beratung hierzu. Dafür muss man natürlich Geld in die Hand nehmen, und dazu sind die Leute oft nicht bereit. Sobald wir Preise sagen, die ganz normale Beratungspreise sind, die die Branche eigentlich kennt, werden wir gefragt, ob wir nicht einfach ein Hand-Out machen können. Wir sagen dann, dass wir auch Vorträge und Workshops anbieten, die Begleitung des Projektes von behinderten Expert*innen allerdings Voraussetzung sein sollte. Die Strukturen sind einfach schädlich. Wir erzählen seit Jahrhunderten die gleichen Geschichten über behinderte Menschen, sodass wir die alle glauben. Das ist ein Problem, das wir lösen müssen, und das ist Arbeit. Und wenn wir als behinderte Frauen, die bereits schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, das anbieten, dann möchten wir dafür bezahlt werden. Es ist harte Arbeit, aber wir versuchen, zu etablieren, dass Produktionsfirmen und Unternehmen zukünftig die Kosten für die Beratung von behinderten Expert*innen einkalkulieren, wie zum Beispiel auch Rechtsberatung einkalkuliert wird.
Für viele Menschen ist „Forrest Gump“ ihr absoluter Lieblingsfilm und es ist sehr schwer und auch schmerzhaft, ihnen die Problematik dieses oder ähnlicher Filme bewusst zu machen. Wie würdest Du hier vorgehen?
Die Leute denken schnell, man reißt ihnen den Kopf ab, wenn man sie kritisiert und ihnen sagt, dass sie sich gerade problematisch verhalten. Sie haben dann das Bedürfnis sich zu erklären oder zu relativieren. Das nennt man Fragility, dieser Begriff wurde von Schwarzen Aktivist*innen geprägt. Auch ich verspüre oft den Impuls mich zu erklären, aber darum geht es gar nicht. Es geht darum sich weiterzuentwickeln, Sachen anzuerkennen und Leuten zuzuhören, die in der Gesellschaft stillgehalten werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, wenn man offen kommuniziert, dass man das früher selbst nicht so gesehen hat. Ich habe ja schon gesagt, dass ich „Ein ganzes halbes Jahr“ selbst furchtbar romantisch fand, bevor ich angefangen habe, die Geschichte zu hinterfragen. Warum will dieser Typ Sterbehilfe? Weil er behindert ist. Das funktioniert für mich nicht mehr, seit ich mich mit Ableismus auseinandersetze. Aber dann kann ich ja trotzdem schöne Stunden gehabt haben, als ich mir den Film angeguckt habe. In uns allen ist Raum für Entwicklung. Ich fand doch auch Sachen als Kind gut, die mich heute nicht mehr interessieren. Es kann sein, dass das gut für einen bestimmten Lebensabschnitt war. Jetzt können wir uns auf schöne, antidiskriminierende Filme freuen, die bessere Geschichten erzählen.
Glaubst Du, die Branche ist dabei, sich positiv zu entwickeln? Wir reden ja zumindest schon einmal viel über Diversität und langsam auch über Inklusion. Aber wie erlebst Du es ganz aktiv – ändert sich etwas, oder reden wir nur?
Ich glaube, es ist längst überfällig. Man sieht ja an Formaten wie der Netflix Serie „Special“ – auch wenn ich den Namen nicht mag – dass es anders geht. Da wurden für behinderte Rollen nur behinderte Menschen gecastet. Der Producer spielt die Hauptrolle, er ist selbst behindert, das Ganze wird mit Witz erzählt. Ich und viele andere Menschen haben diese Serie unglaublich gerne geguckt. Was ich auch immer wieder empfehle ist „Crip Camp“ – das ist für mich die Empowerment-Dokumentation schlechthin. Ich hatte danach direkt Lust, Regierungsgebäude zu besetzen. Behindert zu sein, und sich so zu nennen, das als Selbstbezeichnung zu wählen, das ist ein unfassbares Empowerment. Es bedeutet, sich nicht ständig selbst zu sagen: „Du hast alles falsch gemacht.“ Wir sind ein Teil der Gesellschaft, wir sind da und es gibt verdammt viele tolle behinderte Menschen, die fantastische Arbeit machen, aber einfach nicht sichtbar sind. Das ist ein ganz entscheidender Schlüssel, dass man immer wieder auf die Arbeit behinderter Menschen verweist. Dass man sie pusht und ihnen Reichweite gibt, dass man irgendetwas tut, damit diese Menschen gehört werden. Es ist nicht so, dass wir nicht laut genug sind als Behindertenbewegung, uns hören einfach nicht genug Leute zu.
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Castings: „Forrest Gump“ Ellen Lewis | „Ein ganzes halbes Jahr“ Kate Dowd | „Special“ Vicky Boone, Lindsey Weissmueller
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