Als Schauspielerin wirkte Anne Zander an verschiedenen Projekten mit, hat bereits hinter die Bühne und hinter die Kamera geschaut und einige Erfahrungen in den verschiedenen Departments gesammelt. Unter anderem spielte sie in „Fenster Blau“, wirkte in einigen Theaterproduktionen wie Deutsches Gehörlosentheater und Possible World e.V. Anfang Juni 2021 starteten die Dreharbeiten zum ZDF-Drama „Du sollst hören“. In dieser Produktion spielt Anne ihre erste große Hauptrolle an der Seite von Claudia Michelsen und Kai Wiesinger. Anne hat Freude daran, ihre Möglichkeiten zu entdecken, kreativ zu kombinieren und auf Missstände aufmerksam zu machen – gerade wenn es um barrierefreie Kommunikation geht. An der Filmuniversität Konrad Wolf studierte sie Digitale Medienkultur und sammelte praktische Erfahrungen in der Filmproduktion. Auch arbeitete sie in einer Casting Agentur und sammelte dort ebenfalls wichtige Erfahrungen. Im Jahr 2017/2018 gastierte sie an der Hamburger Universität mit der Fachrichtung Gebärdensprachen mit Schwerpunkt Gebärdensprachtheater und Film.
Du bist Schauspielerin – Ein Kindheitstraum?
Ich interessierte mich schon von klein auf fürs Theaterspielen und für Filme, wenn ich Bücher las und in andere Welten eintauchte. Zwischenmenschliche Beziehungen sind spannend für mich. Früher im Jugendtheater half mir das Spielen, um Theatertexte in der Schule besser zu verstehen. Danach habe ich mich auf Schauspielschulen beworben. Man musste damals ein Attest einholen, ob die Stimmbänder intakt sind. Wer Knötchen hatte, wurde als problematisch angesehen. Wie das heute ist, weiß ich nicht. Ich erinnere mich aber noch, wie unfreundlich die Ärztin war, weil mir nicht bewusst war, was da auf mich zukam.
Hast Du eine Agentur?
Ja, ich habe endlich eine, dank Debora Congia - eine wunderbare Frau und Casterin. Sie hat mich Andreas Schlieter empfohlen. Und so kam es dann dazu, dass er mich aufnahm.
Beim Einlesen in die Thematik Hörschädigungen fand ich es erschreckend, wie viele Menschen noch taubstumm sagen.
Das stimmt, taubstumm muss dringend aus dem Wortschatz gestrichen werden. Leidmedien hat dazu ein wunderbares „Lexikon“ erstellt: Umgang mit Medien. Ich finde es super, denn dort kann man nachlesen, welche Wörter verwendet und welche nicht mehr benutzt werden sollten. „Gehörlose Menschen sind nicht stumm oder taubstumm, sondern können genauso wie Hörende „sprechen“, entweder in der Gebärdensprache (die übrigens keine Zeichensprache ist) oder lautsprachlich. Gehörlos sein bzw. Gehörlosigkeit sind neutrale Begriffe, die deshalb von vielen nicht hörenden Menschen bevorzugt werden. Einige von ihnen stören sich aber auch an dem Begriff der Gehörlosigkeit, weil er zu defizitär wirkt. Sie nennen sich weiterhin taub und zeigen damit, dass das Taub-Sein eine ihrer vielen Eigenschaften ist. Beachten sollte man allerdings, dass das Wort taub auch oft synonym verwendet wird für Ignoranz oder Nicht-hinhören-wollen – eine Metapher, die man vermeiden kann. Menschen, deren Hörvermögen eingeschränkt ist, bevorzugen Begriffe wie schwerhörig oder hörbeeinträchtigt, manchmal auch hörbehindert.“ (https://leidmedien.de/begriffe/)
Sehr gerne würde ich mich Dir über Gebärdensprache austauschen. Mit welcher Sprache bist Du aufgewachsen?
Ich bin mit Lautsprache aufgewachsen. Früher war Gebärdensprache unerwünscht bzw. verboten. Das betrifft viele andere aus meiner Generation und ältere auch. Ein sensibles Thema. Ich bin noch vor der Wende geboren. Die deutsche Gebärdensprache ist erst seit 2002 offiziell anerkannt. Das Thema ist hier zu komplex. Daher wünsche ich mehr Filme über solche Thematiken. Hier gibt es einige. Ich warte noch darauf, dass sich Autoren in Zusammenarbeit mit Betroffenen bzw. Experten an das Thema wagen. Außerdem möchte ich an dieser Stelle betonen, dass die Taubkultur sehr divers und vielfältig ist. Jeder bringt seine eigene individuelle Geschichte mit. Neulich bin ich auf einen Begriff in einer Vortragsreihe gestoßen: Audismus (von engl. audism bezeichnet eine Geisteshaltung, die gegen taube und schwerhörige Personen gerichtet ist. https://de.wikipedia.org/wiki/Audismus). In Amerika steht dieser Begriff im Wörterbuch, hier kennt das kaum einer. Ich verstehe jetzt besser, was das bedeutet, denn die Mehrheitsgesellschaft ist audistisch geprägt, und daraus resultieren diskriminierende Erfahrungen. Das Gefühl ist alles andere als schön. Über Identität wird nicht sensibel diskutiert, dabei ist dieses Thema so wichtig.
Es gibt einen Satz von Goethe: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Findest Du Dich in diesem Satz wieder?
Ich bin Schauspielerin und möchte vielseitig und vor allem frei und nicht gefangen sein. Ich hinterfrage vieles, und so erarbeite ich auch meine Rollen. Ich werde leider als „nicht der Norm“ entsprechend abgestempelt. Ich bin eine taube Schauspielerin und identifiziere mich als taube Persönlichkeit. Andererseits rutsche ich allmählich in eine permanente Aufklärer-Rolle und fühle mich nicht wohl damit, denn es gibt taube Fachpersonen, die diese Problematik fachspezifisch erklären und erläutern können. Dazu gibt es viele Fachvorträge oder Veranstaltungen. Ich selbst brauche solche Aufklärungen und Vorträge, denn mir wurde z.B. nie richtig erklärt was es bedeutet, taub zu sein.
Auf vielen Uni-Websites steht, dass Hörgeschädigte mittels Gebärdensprache alle Unterrichtsinhalte verstehen und sich am Unterricht durch Gebärdensprache-Dolmetscher*innen aktiv beteiligen können. Wie war der Weg für Dich?
Ich hatte einen ganz anderen Weg. Ich wurde mittels Integration in einer hörenden Schule aufgenommen, d.h. ich hatte keine*n Dolmetscher*in. Damals waren Dolmetscher*innen kein Thema oder die Lösung. Heute würde ich es definitiv anders machen. Zwecks Studiums muss man viele Anträge stellen, um eine*n Dolmetscher*in zu bekommen. Als ich mein Zweitstudium aufnehmen wollte, wurde ich abgelehnt, weil ich schon einmal studiert hatte. Eine Kostenübernahme erfolgt nur für das 1. Studium/Ausbildung und dies auch noch nicht einmal im vollen Umfang. Hörende haben einen weitaus größeren Vorteil, sie können wechseln oder ohne Probleme ein neues Studium anfangen.
Hast Du ein*e feste Dolmetscher*in an Deiner Seite?
Ein*e Dolmetscher*in des Vertrauens, der/die einen gut kennt, ist immer von Vorteil. Einige taube Schauspieler*innen/ Künstler*innen haben Stammdolmetscher*innen. Das finde ich auch sinnvoller. Aber wenn es um Bezahlung oder Zeit geht, ist das oft eine Hürde. Es gibt hier noch keine festen Rahmenbedingungen was die Finanzierung in kreativen Berufen betrifft, denn ein Rechtsanspruch auf eine*n Gebärdensprachdolmetscher*in besteht nur in einem Verwaltungsverfahren. Das muss sich künftig ändern.
Gebärden werden sogar für Kinder mit Migrationshintergrund als „Erste Sprache in Deutschland“ eingesetzt.
Warum hängt Deutschland ansonsten so hinterher?
Die deutsche Gebärdensprache ist seit 2002 offiziell anerkannt worden und es gibt die UN-Behinderten Konvention seit 2008! Beides so lange schon. Und trotzdem sehe ich immer noch keine „Inklusion“ in den Medienberufen und allgemein in der Gesellschaft und Arbeitswelt. Das Gesetz gibt es wirklich! Ich wusste das zum Beispiel sehr lange nicht, denn ich wurde darüber nie in der Schule oder von Behörden aufgeklärt. Wir leben in einer stark audistischen Gesellschaft. Mein Apell lautet: Medienberufe müssen für Menschen mit Behinderung gleichermaßen zugänglich sein.
Als ich z. B. an der HFF (jetzt Filmuniversität Babelsberg Konrad-Wolf) studierte, musste ich das Studium abbrechen, aufgrund erheblicher Überforderung und fehlender Unterstützung zur barrierefreien Kommunikation. Später erfuhr ich, dass es in der Nähe ein Medienstudio gibt, das „ZFK“ (Zentrum für visuelle Kommunikation) Das sind 10 min Fußweg! Warum findet keine Zusammenarbeit statt? Hätte ich davon gewusst, hätte ich das Studium mit einem B.A. beenden können. Das ist sehr belastend im Nachhinein. So hätten endlich junge taube Menschen mehr Chancen an der Filmuniversität zu studieren. Denn auch hinter der Kamera sollten Menschen mit Hörbehinderungen Berufe ausüben können, wenn wir jetzt von Vielfalt in Medienberufen diskutieren. Der Nachwuchs darf nicht vergessen werden!
Was hat Dich an London so fasziniert?
London ist so vielseitig, es gibt immer Angebote, tolle Filme, Theater und so vieles mehr. Wenn ich die Metro nutze und Aufzug fahre, sieht man viele Theater- und Filmplakate, nicht dauernd Werbung für Produkte, die niemand braucht. Außerdem gibt es dort das Motion Capturing Studio - da würde ich so gerne mal hin und einen Workshop bei Andy Serkins machen :)
Was fehlt Dir in den gängigen Deutschen Datenbanken an Abfragekriterien, die die Gehörlosigkeit betreffen?
Wenn man z. B. Gebärdensprache eingibt, spuckt die Datenbank viele Schauspieler*innen aus, aber man erfährt nichts darüber, ob sie taub sind, bzw. selbst davon betroffen sind. Es ist eine unsichtbare Behinderung, die man nicht sieht. Daher sollte sie in den Datenbanken und Produktionen sichtbarer sein, ohne gleich Berührungsängste hervorzubringen. Auch taubstumm muss aus allen Medien, aus der Presse und Datenbanken etc. gelöscht werden! Ich betone hier nochmal: Zusammenarbeit bzw. Erweiterung einer Schnittstellenfunktion mit Taub-Experten sind nicht nur wichtig, sondern die Grundlage für eine „echte“ Inklusion. Ich selbst habe es in meiner Arbeit im Rahmen (eines vom Bund unterstützten KJP Projekt) diese Erfahrung gemacht. In einem meiner letzten Projekte war dadurch auf allen Seiten ein Qualitäts- und Effektivitätssprung zu erkennen.
Wie siehst Du Filme?
Ganz normal, wie jeder andere auch, nur immer mit Untertitel. Das sollte hier in Deutschland Pflicht werden. Als Netflix kam, gab es immer Untertitel. Nur wenn Deutsch in einem fremdsprachigen Film gesprochen wird, wird komischerweise synchronisiert und die Untertitel verschwinden. Das verstehe ich nicht. In anderen Ländern sind Untertitel selbstverständlich. In den USA werden sogar Werbespots damit gesendet. Auch in den Sozialen Medien gibt es sie nicht immer. Manchmal gibt es interessante Interviews oder Themen rund um Filme oder Erklärungen, und dann gibt es keine Untertitel. Alle reden von Inklusion, ich sehe noch Separation und Ausgrenzung. Übrigens werden auch Podcasts nicht übersetzt.
Ich liebe ja den Film „Jenseits der Stille” oder „Sound of Metal? Auch in „Babylon Berlin” ist eine schöne Familien- geschichte gehörloser Eltern integriert. Findest Du Dich im Film als Hörgeschädigte richtig abgebildet?
Ich stelle mal die Frage andersrum: Wie viele Filme gibt es, worin authentische Taube/Gehörlose abgebildet werden? Und - wie werden diese Geschichten erzählt? Welche Themen herrschen vor, und wie werden diese verarbeitet? Ich denke damit ist die Frage gut beantwortet.
Welchen Wunsch würdest Du an Drehbuchautor*innen richten?
Uns nicht zu vergessen. Es gibt genug Material, um in die Kulturgemeinschaft Gebärdensprache einzubauen, auch wenn es sich um eine Nebenrolle oder Komparserie handelt. Es muss nicht immer das Thema „nicht hören können“ thematisiert werden, sondern sollte als „selbstverständlich” angesehen werden, dass es taube Menschen gibt, die genauso viel Potential besitzen wie Hörende. Wir können alles, nur nicht hören. Wir sind eine diverse bunte Gemeinschaft. Wenn das in den Medien stärker präsentiert wird, egal ob vor oder hinter der Kamera, wird das Stigma abgebaut.
Welche Möglichkeiten bieten sich Dir durch Social Media? Wie wichtig ist es für Dich vernetzt zu sein?
Wenn diese Informationen barrierefrei für Taube gestaltet sind, durch Untertitel oder durch taube Moderatoren mit Dolmetscher*innen bei Interviews gepostet werden, bieten sich mir alle Möglichkeiten. Und ebenso die Vernetzung in den Communitys. Schaut mal auf Instagram bei „Hand.drauf“ rein - tolles Konzept.
Welche Bitten hättest Du an Produzenten. Was muss am Set für Dich anders sein?
Dass Kommunikationsassistent*innen/Gebärdensprachdolmetscher*innen am Set selbstverständlich werden und deren Einsatz im Vertrag fest geregelt ist. Auch „Deaf Supervisor“ sollten Pflicht werden, wenn die Produktion komplett hörend ist. Diese Erfahrung habe ich gemacht und das war wichtig für mich, nur so kann ich erkennen, was fehlt oder besser gemacht werden kann. Auch bei wichtigen Drehbuchbesprechungen und oder vor allem Castings empfiehlt sich immer ein*e Gebärden- sprachdolmetscher*in.
Du arbeitest auch im Castingbereich. Wie kam es dazu?
Mein Anliegen ist es Personen, die in den Medienproduktionen tätig sind, zu sensibilisieren und auf die Gebärden- sprachgemeinschaft aufmerksam zu machen. Der Zugang und die Möglichkeiten sollten fair und gerecht gehandelt werden. Da gab es erste Schritte in der Zusammenarbeit. Hier war ich in der Schnittstellenfunktion, die Caster darüber aufzuklären, was sie bei der Suche nach einem tauben Cast berücksichtigen sollten, damit sie sich in der Casting-Situation nicht ableistisch oder diskriminierend verhalten. Vor allem in der Kommunikations-Situation gibt es oft viele offene Fragen. Hier kann mittels der Kommunikationshilfen die Kommunikations-Effizienz erheblich gesteigert werden.
Was wünschst Du Dir von Casting-Aufrufen, die evtl. Schauspieler*innen suchen, die gehörlos sind?
Dass nicht geschrieben wird: Gebärdensprachkompetenz, denn dann bewerben sich viele Hörende. Hörende können keine Gehörlosen spielen, da sie hören können - es fehlt die Erfahrung der Diskriminierung, Ausgrenzung, des Audismus etc. Nur Ohrstöpsel für einen kurzen Zeitraum helfen da nicht, um sich auf eine Rolle vorzubereiten. Stichpunkt: kulturelle Aneignung. In der Black Community sind solche Themen vergleichbar, wenn man sich die Debatte über Blackfacing anschaut. Zum Beispiel lese ich sehr oft das Wort BIPoC - es hat sich mittlerweile stark durchgesetzt. Warum gibt es sowas nicht auch für uns? Taub/gehörlos gesucht? Vielleicht sollte man auch dafür einen speziellen Begriff finden und einsetzen.
Worin liegen deine Stärken? Was kannst du besser als andere?
Ich kann alles außer hören ;)
© Tobias Lehmann
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