„Distance Portraits von berührender Nähe.“
(FOCUS Magazin April 2020)
In Zeiten maximaler Distanzierung erschafft der Berliner Schauspieler und Fotograf von zu Hause aus Porträts von Künstler*innen während eines Videostreams. Insgesamt hat er in den letzten Wochen 80 Fotosessions absolviert. Gegen eine Spende können die professionell fotografierten Werke aus dieser Serie als „Distance Portraits“ erworben werden. Der gesamte Erlös geht an „Ärzte ohne Grenzen“, die auch in Zeiten von Covid-19 Geflüchtete auf Lesbos unterstützen. Seit mehreren Wochen arbeitet Raabe ehrenamtlich bis spät in die Nacht und beantwortet – ganz nebenbei – auch noch unsere Interviewfragen. Chapeau!
Fangen wir von vorne an: Wie kamst Du auf die Idee, über die Webcam Fotos zu machen?
Im Zuge des Lockdowns entstand bei mir in der Wohngemeinschaft die Idee, die Schauspielkolleg*innen per Livestream vom eigenen Laptop abzufotografieren. Dadurch bleibt das Social Distancing gewahrt, und die Schauspieler*innen sind trotz Corona-Krise mit aktuellen Porträts versorgt. Wichtig, denn durch den fehlenden Gang zum Friseur haben einige Kolleg*innen eine kleine Typ-Veränderung durchgemacht. Ich probierte ein paar Testaufnahmen mit meinem Mitbewohner und war erstaunt über die Qualität der Bilder. Daraufhin beschloss ich, weitere Kolleg*innen gegen eine Spende an „Ärzte ohne Grenzen“ per Videostream zu fotografieren.
Wie muss man sich so ein Home-Office-Shooting vorstellen?
Ich kalkuliere pro Shooting circa 30 Minuten ein. Steht der Ton und das Bild einigermaßen, bekomme ich im optimalen Fall eine Führung durch die private Wohnung. In 100 Prozent der Fälle begleitet mit dem Satz: „Sorry, ist gerade wirklich nicht besonders ordentlich bei mir!“ Ist ein Spot mit optimalen Lichtverhältnissen gefunden, beginnt der lustige Teil der genauen Bildkomposition: „Laptop bitte nach links schieben … Nein, nicht drehen, nur schieben … das ist jetzt zu weit! Stück zurück. Stopp … nein, Stopp! Halt!!! Hörst du mich noch? Jetzt warst du kurz weg … Hallo bist du noch da?“
Wie viele Anfragen hast Du? Wie lang ist Dein Homeoffice-Tag?
In den ersten beiden Wochen haben mich über 350 Mails erreicht. Inzwischen sind es über 500. Die ganze Aktion hat sich schnell zu einem Fulltime-Job entwickelt. Um 10:00 Uhr beginnen täglich die ersten Shootings. Im Halbenstunden-Takt fotografiere ich im Optimalfall bis circa 15:00 Uhr. Anschließend beginnt die Nachbearbeitung der Fotos, wobei viel mehr als ein Schärfen der Bilder meist nicht drin ist. Habe ich danach noch die Zeit und Muße, schneide ich kleine Trailervideos − die ich sehr empfehlen kann, da sie teilweise wirklich lustig anzuschauen sind. Beispielsweise wenn Laura Tonke völlig an der Technik verzweifelt.
Was gibt es vonseiten der Casting Directors für ein Feedback?
Ich habe von einigen Caster*innen wirklich tolles Feedback bekommen. Suse Marquardt, Casting Director aus Berlin, hat sogar empfohlen, die Bilder für die üblichen Datenbanken zu nutzen. Die Porträts würden die Schauspieler*innen noch einmal von einer ganz anderen Seite zeigen. Das freut mich sehr, war aber ehrlich gesagt nie meine ernsthafte Absicht. Dennoch teile auch ich die Meinung, dass durch den geschützten Rahmen teilweise andere Bilder entstehen. Die Porträtierten halten sich in ihren eigenen vier Wänden auf und schauen in ihre eigene gewohnte Laptop-Kamera. Das schafft einen privaten, unaufgeregten und geschützten Raum.
In erster Linie bist Du ja auch Schauspieler. Wie bist Du zur Fotografie gekommen?
Während meines Studiums brauchten meine Kommiliton*innen und ich aktuelle Porträts. Die professionellen Fotograf*innen konnten wir uns zu dem Zeitpunkt nicht leisten. Da ich eine idealerweise zu Weihnachten eine Spiegelreflexkamera geschenkt bekommen hatte, zogen wir los und probierten ein wenig rum. Die entstandenen Bilder waren nicht wirklich brauchbar, wir luden sie natürlich trotzdem hoch. Stück für Stück verbesserte ich meine Arbeit, suchte weiter nach einem eigenen Stil und legte mir allmählich professionelleres Equipment zu. Inzwischen kann ich behaupten, dass die Fotografie ein zweites Standbein geworden ist.
Was ist das wichtigste an guten Bildern im Netz?
Das wichtigste an guten Bildern im Nezt ist sicherlich, dass sie einschlägig und markant sind und einen hohen Erinnerungswert haben. Dadurch, dass wir fast täglich mehrere Stunden auf Social-Media-Kanälen wie Instagram abhängen, nimmt die Herausforderung natürlich zu, in diesem Meer von Bildern aufzufallen. Die Bilder müssen immer skurrilere, lebendigere oder knalligere Farbkompositionen erhalten, damit sie dem Betrachter ins Auge fallen. Schwarz-Weiß-Bilder bekommen beispielsweise deutlich weniger Likes im Netz als Farbbilder.
Was ist das wichtig bei einem guten Porträtbild für die Datenbank?
Ich habe mich mit mehreren Caster*innen über gute Porträtbilder auf den Datenbanken unterhalten und war erstaunt, wie stark die Meinungen teilweise auseinanderliegen. Mir persönlich ist wichtig, dass die Bilder auf den ersten Blick eine starke innere Haltung nach außen präsentieren. Beispielsweise durch einen klaren, offenen und stolzen Blick in die Kamera, der mir sagt: „Stopp. Schau mal: Das hier bin ich!“ Im Hinblick auf meine Arbeit mit Schauspieler*innenporträts bin ich weniger am eigenen Stil interessiert als vielmehr daran, die Vielschichtigkeit des Gegenübers in der gemeinsamen Arbeit bestmöglich herauszuarbeiten. Es geht mir nicht um die äußere Schönheit, sondern um die persönlichen Ecken und Kanten. Gerade die Punkte, die wir versuchen zu verstecken, sind oftmals genau die, die einen so besonders und einzigartig machen.
Warum machst Du das Ganze komplett ehrenamtlich?
Zuerst einmal wollte ich mir nicht anmaßen, Geld dafür zu nehmen. Zumal ich mir nicht vorstellen konnte, dass überhaupt jemand bereit wäre, Geld für so ein Bild zu zahlen. Ich wollte den Leuten, die zu Hause sitzen, einfach eine Freude bereiten. Angeregt von einigen Kunstaktionen, die in meinen Augen mehr dem eigenen Ego und der Selbstdarstellung dienen, war mir in der Krise wichtig, darüber nachzudenken, wie man wirklich helfen kann. In den ersten Wochen waren in den Nachrichten Fragen über einen möglichen Spielabbruch in der Bundesliga wichtiger als die Frage, was eigentlich mit den vielen Menschen in den Flüchtlingslagern passiert. Das hat mich ziemlich wütend gemacht. Dadurch, dass ich das Glück hatte, Soforthilfe zu bekommen, konnte ich mein Geld bzw. meine Arbeitskraft nach Lesbos verlagern.
Wo kann man sich die Fotos ansehen?
Die Fotos sind auf Instagram @raabe_fotografie oder auf www.fabianraabe.com zu sehen. Ich empfehle immer, auch die Trailer anzuschauen, das sie im Grunde Teil des Projekts sind.
Wie geht es mit dem Projekt weiter?
Da ich allmählich wieder meiner geregelten Arbeit nachgehen muss, werde ich die Spendenaktion noch bis zum 15. Mai laufen lassen. Da die Nachfrage jedoch so groß ist, werde ich dann sehen, ob und in welcher Form ich die Aktion noch weiterlaufen lassen kann.
Freust Du Dich, auch wieder mit der Kamera raus zu dürfen? Oder bleibst Du jetzt für immer der „STAY-AT-HOME-Fotograf?“
Nein, ich kann es kaum erwarten, wieder Outdoor-Fotos zu schießen. Mir fehlt natürlich der direkte Kontakt zum Gegenüber. Bei der Screen-Fotografie ist man recht eingeschränkt und muss viele Anweisungen geben, die beim richtigen Shooting nicht nötig sind. Schnelle Perspektivwechsel oder einfache Gänge sind bei dieser Art von Fotografie nur bedingt möglich.
Nun hast Du „nebenbei“ noch einen Podcast mit Freunden gegründet zum „Thema Scheitern“...
Ja richtig, mein Mitbewohner Anton Weil hat gerade einen Podcast namens „Schöner Scheitern“ rausgebracht, bei dem auch ich mitwirke. Zu hören auf Spotify, Apple Music oder Podemo. Dabei werden Künstler*innen zum Thema „Scheitern“ interviewt. In der ersten Staffel sind Schauspielkolleg*innen wie Daniel Zillmann, Sandra Hüller oder Clemens Schick zu hören. Aber auch andere Kunstsparten kommen bei diesem Podcast zu Wort.
Wow! Vielen lieben Dank für das Gespräch!
Fabian Raabe und seine Distance-Portraits-Kandidaten (v.l.n.r.): Fabian Raabe, Julian Culemann, Luise Wolfram und Sandra Hüller
www.fabianraabe.com/distance-portraits
www.casting-network.de/schoenerscheitern-podcast
#BeCreativeAtHome! – eine Initiative von casting-network
Weitere Homestories | Further Collection
Telefon: | 0221 - 94 65 56 20 |
E-Mail: | info@casting-network.de |
Bürozeiten: | Mo-Fr: 10:00 - 18:00 Uhr |
© 2005-2024 Gesichter Gesucht & casting-network
Internetagentur - die profilschmiede
Datenschutzeinstellungen