Eine Gemeinschaft von Freelancern aus der Filmbranche hat die Initiative „Quarantinos“ gegründet, um auch während Corona sicher Filme produzieren zu können. Gedreht wird in Haushalten, in denen Schauspieler*innen und Filmemacher*innen unter einem Dach wohnen, sodass niemand das Haus verlassen oder betreten muss. Regisseur Tobias Stubbe, der die Initiative ins Leben gerufen hat, ist bei den Drehs per Video-Übertragung zugeschaltet. Tobias Stubbe ist Medien- schaffender in Form von Filmen, Literatur und Rauminstallationen. Seine Miete in Berlin verdient der gebürtige Kölner vor allem durch die Arbeit als Werbe-Regisseur. Das zentrale Motiv seines nicht-kommerziellen Schaffens ist menschliche Entwicklung beim Einzelnen und im Kollektiv. So lag es nicht fern, dass er als Reaktion auf Corona einen Film über die Chancen in der Krise drehte. Im Interview mit uns spricht er über die Produktion „Damals, 2020“ und wie es war, einen Film mit 40 Beteiligten zu Hause vom Schreibtisch aus durchzuführen.
Während Corona wurden Produktionen der Reihe nach abge- sagt, aber ihr habt einen Film gedreht, ohne dass jemand das Haus dafür verlassen musste. Wie ist das möglich?
Wir haben schnell reagiert. Als das Virus in Deutschland ankam, haben wir die Initiative „Quarantinos“ gegründet und gezielt nach Haushalten gesucht, in denen DoPs und Schauspieler*innen zusammen wohnen, denn die können ja auch während einer Kontaktsperre weiterhin von zu Hause aus Filme für uns drehen.
Und solche Film-Haushalte gibt es? Wie habt ihr die gefunden?
Da waren wir uns anfangs auch nicht ganz sicher, ob es die gibt. Das war erst mal nur eine Hoffnung. Aber dann kamen innerhalb von vier Wochen 700 Bewerber*innen über unsere Aufrufe und unsere Partner casting-network und Crew United. Mittlerweile haben wir bei Quarantinos über 100 dieser Film-Haushalte aufgenommen. Das sind Film-Familien, bei denen sich die Eltern damals am Set verliebt haben, oder ganze Wohngemeinschaften mit Licht, Maske, Kamera ... Viele Haushalte besitzen auch die nötige Technik selbst und sind damit drehfertig, ohne dass wir einen Kurier schicken müssen. Übrigens sind wir auch weiterhin auf der Suche nach talentierten DoP+Schauspieler*innen-Haushalten. Die können sich gern unter der E-Mail-Adresse trending@quarantinos.de melden.
Was für Filmdrehs sind von zu Hause aus überhaupt realisierbar?
Als Initiative war unser Ziel, neue Aufträge für Selbstständige zu generieren, deren Drehs durch die Corona-Krise abgesagt wurden. Am aussichtsreichsten waren da Werbespots, weil die gut im häuslichen Umfeld erzählt werden können und nicht viel Vorlauf brauchen. Einige kleinere Jobs konnten wir so auch vermitteln und haben mit verschiedenen Kund*innen neue Ideen entwickelt. Aber wenn ich ehrlich bin, dann ist das Konzept nicht so aufgegangen, wie ich es mir für unsere Leute gewünscht hätte. Die Werbekund*innen haben in den vergangenen Wochen viel mit bestehendem Material und Stock-Videos gearbeitet. Aber wir selbst waren weiterhin fasziniert von der Energie und dem Feedback aus der Branche. Sabrina Hölle und Feeja Reiche, die bei uns die Community betreuen, haben so viele spannende Bewerber*innen gesichtet: Filmemacher,*innen die während Corona auf einsamen Inseln festsitzen, eine Familie mit Schloss als Kulisse, Film-Tier-Höfe mit eigenem Studio. Für uns war klar: Wir wollen dieses Potential zeigen und einen Film drehen. Von zu Hause aus, ohne Risiko, niemand verlässt das eigene Haus dafür.
„Damals, 2020“ heißt der Film, dabei ist 2020 ja noch nicht mal zur Hälfte um!
In unserem Film schon. Ich habe mich dafür entschieden, eine Geschichte über Corona aus der Zukunft zu erzählen, um eine neue Sichtweise anzubieten. Ich glaube, dass ein grundlegender Angst-Faktor für Menschen die Ungewissheit unseres Lebens ist. Vor allem jetzt, in einer Phase wie Corona, haben ja viele Menschen Angst vor dem, was kommt. Wenn wir aber wüssten, dass alles gut ausgeht, dann würden wir uns entspannen und uns auf die Gegenwart einlassen. Im Film können wir die Zeit überlisten. Wir springen also zehn Jahre in die Zukunft und erklären rückwirkend, was Corona mit der Welt und den Menschen gemacht hat.
Und was hat Corona aus dem Jahr 2030 betrachtet in der Welt verändert?
Das Virus kann zu einem Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte werden. Eine derartige Krise setzt in uns Menschen Kräfte frei, weil wir auf Veränderung mit Anpassung reagieren. Nun haben wir da eine Krise, einen gemeinsamen Feind, der alle Menschen auf der Welt gemeinsam bedroht und wir könnten uns dagegen verbünden, gemeinsam als Menschheit und nicht als Nationen. Vielleicht ist das Jahr 2020 also der Geburtsschmerz einer neuen Zeit? Dieser Idee folgt der Film ohne aber den Schmerz und die dramatischen Verluste unserer Gegenwart instrumentalisieren zu wollen. Die Zeit gerade bringt sehr viel Horror mit sich und die Nachrichten sind voll davon. Ein Film darf in solchen Zeiten etwas Hoffnung machen.
Wie ist die Vorbereitung dieses besonderen Projekts abgelaufen?
Schon die Vorbereitung an sich war für uns besonders, denn es hat sich wirklich niemand getroffen, der nicht eh zusammen wohnt. Niemand ist gereist, 0 gefahrene Kilometer, keine Lieferungen oder Kuriere. Ich habe den Film mit Helen Dreesen in der Produktion umgesetzt, und wir haben unseren eigenen Rhythmus aus der Ferne gefunden – telefonieren per Headset, wenn man eh mal raus an die Luft muss. Dann aber auch Videokonferenzen mit dem ganzen Team, gerade wenn jemand neu dazukommt, sonst entsteht kein Wir-Gefühl. In unserer Team-Gruppe sind mittlerweile Tausende Textnachrichten hin und her gegangen. Ungewöhnlich war aber auch die Geschwindigkeit des ganzen Projekts, da wir unbedingt fertig sein wollten vor einer möglichen Lockerung der Kontaktsperre. Von der ersten Idee bis zum fertigen Schnitt sind zwei Wochen vergangen, und in dieser Zeit haben wir auch die fünf Drehtage umgesetzt. Rückblickend war ich da etwas zu ehrgeizig, weil zu der Qualität einer Geschichte auch Zeit zum Atmen und etwas Abstand für Reflexion gehört. Ich mag das, wenn meine Arbeit mir etwas beibringt.
Funktioniert Regie führen aus der Ferne?
Es war eine interessante Erfahrung. Technisch hat es gut funktioniert, ich hatte bei allen Drehs ein Bild und einen Ton und konnte live mit Cast und Crew kommunizieren, auch wenn es mir durch die technische Distanz nicht so leicht fiel, die Schauspieler*innen zu fühlen. Interessant war, dass ich mich als Regisseur beim Dreh in der gleichen Situation befand wie später die Zuschauer zu Hause. Es hat mir gefallen, hier aus meiner eigenen Höhle zu arbeiten. Am Set ist ja immer viel Trubel, und mir fehlt manchmal der Rückzug. Und hier habe ich während der Drehpausen Musik angemacht und in Jogging-Hosen Tee gekocht. Das ist für mich jetzt kein Arbeitsmodell für immer, aber es war ein aufschlussreiches Experiment.
Wie geht es jetzt weiter?
Gute Frage! Da geht es uns wie dem Rest der Welt, dass wir das so richtig nicht wissen. Für den Film „Damals, 2020“ suchen wir gerade nach einer Möglichkeit, den zu veröffentlichen und dadurch Einnahmen zu erzielen für die teilnehmenden Haushalte und auch für uns selbst. Die letzten Wochen haben uns die Producerinnen Lena Gahn und Marisa Möhrke ehrenamtlich unterstützt, die vor und nach Corona in Festeinstellungen bei Filmproduktionen arbeiten. Nach fünf Wochen Aufbauarbeit für „Quarantinos“ ist es aber besonders für unsere Selbstständigen wichtig, dass wir bald wieder auf bezahlten Jobs arbeiten. Wir haben weiterhin sehr viele Gespräche, zum Beispiel habe ich unsere Initiative heute bei einem deutschen TV-Sender vorgestellt. Und die Richtung ist klar: Entweder wir können bald alle wieder an die Sets draußen zurück, dann wird sich „Quarantinos“ glücklich und mit einem großen Knall in Form einer Party auflösen. Oder aber wir müssen in diesem Jahr weiterhin nach alternativen Produktionsmöglichkeiten schauen. Und dann sind wir mit unserem Netzwerk startklar und verschieben die Party auf etwas später.
Vielen lieben Dank für das Gespräch!
Das Team, das die die Initiative Quarantinos am Laufen hält: (v.l.n.r.): Marisa Möhrke, Lena Gahn, Feeja Reiche, Helen Dreesen (alle Producing) und Sabrina Hölle (Online)
www.quarantinos.de
www.tobiasstubbe.de
#BeCreativeAtHome! Die Quarantinos deutschlandweit
Um während des Lockdowns sicher zu sein, arbeiten die „Quarantinos“ alle von zu Hause aus. Aber sie sind virtuell verbunden: Gemeinsam können sie so Werbespots und Social-Media-Videos produzieren. Hier nun der Trailer zum Quarantino-Projekt „Damals, 2020“. Der Film erzählt zehn Jahre in der Zukunft, was die Corona-Krise in der Welt verändert hat. Wo der Film ausgestrahlt wird, ist noch nicht klar. Einen Trailer der No-Budget-Produktion gibt es aber bereits zu sehen. Der Film ist das kreative Nebenprodukt der eigentlichen Idee hinter der Initiative „Quarantinos“: Das ehrenamtliche Team habe in den letzten Wochen Aufträge an Freiberufler*innen aus der Filmbranche vermittelt, die von Zuhause aus arbeiten können.
#BeCreativeAtHome! – eine Initiative von casting-network
Weitere Homestories | Further Collection
Telefon: | 0221 - 94 65 56 20 |
E-Mail: | info@casting-network.de |
Bürozeiten: | Mo-Fr: 10:00 - 18:00 Uhr |
© 2005-2024 Gesichter Gesucht & casting-network
Internetagentur - die profilschmiede
Datenschutzeinstellungen