Nina Franoszek ist eine deutsch-amerikanische Schauspielerin und Film- und Theaterregisseurin. Mit 17 Jahren wurde sie von Rainer Werner Fassbinder entdeckt. Nach dem Abitur absolvierte sie an der Hochschule für Musik und Theater Hannover ein klassisches Schau-spielstudium. Engagements für nationale und internationale Theater-produktionen folgten. Franoszek wurde für ihre Leistung in der TV-Miniserie „Sardsch“ (Casting: in eigener Regie) mit dem Adolf-Grimme-Preis für „Herausragende Hauptdarstellerin in einer Drama-Serie“ ausge-zeichnet. → Ausführlicher Lebenslauf
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Wie sieht es in Los Angeles aus?
Seit dem 19. März haben wir Ausgangsperre. Sie wurde am Karfreitag bis zum 15. Mai verlängert und kann noch bis zu zwei Monaten dauern. Der einzig gute Nebeneffekt ist, dass wir keinen Smog mehr haben. Ich bin allerdings froh, dass der Governor Gavin Newsom und auch der Bürgermeister Eric Garcetti den Ernst der Situation sofort erkannt und nicht wie andere Staaten ignoriert haben. Ausgangsperre heißt, dass man tatsächlich nur fürs Einkaufen von Lebensmitteln oder Medizin rausgehen soll. Mit der Ausnahme von Krankenhauspersonal und im Gesundheitswesen Tätigen sowie Postbot*innen, Amazon-Zusteller- *innen, Busfahrer*innen und Telekommunikationsarbeiter*innen. Apo-theken, Lebensmittelgeschäfte, Banken, Tankstellen und auch einige Restaurants, die Abhol-bestellungen anbieten, haben mit verkürzten Öffnungszeiten auf.
Auf den leeren, normalerweise extrem überfüllten Straßen von L.A. sollen nur die fahren, die „Kinder, ältere Erwachsene, Familienangehörige, Freund*innen und Menschen mit Behinderungen“ versorgen, heißt es in der Verordnung. Mir fällt auf, wie unterschiedlich verschiedene Menschen im multikulturellen Los Angeles reagieren. Viele mit lateinamerikanischem Background haben große Familien. Da ist es schwer zu verstehen oder zu entscheiden, dass man sich sozial voneinander distanzieren soll, vor allem wenn alle zusammenwohnen. Da wurde auch noch bis letzte Woche Fußball gespielt und in großen Gruppen gepicknickt. Viele Afroamerikaner*innen, die arm sind, haben keine Krankenversicherung und daher meist nicht erkannte Vorerkrankungen und sind plötzlich die Gruppe mit der größten Sterberate. Meine Freundin, die Krankenschwester ist und meine andere Freundin, die beim Trader Joe’s Supermarkt arbeitet, sind beide jetzt schon am Ende ihrer Kräfte. Sie hatten keine Masken (obwohl sich das jetzt geändert hat), und sind dem Virus täglich ausgesetzt, was auch psychisch herausfordert. Befreundete Anwält*innen sind wegen all der Entlassungen im vollen Einsatz. Gleichzeitig sitzen viele meiner Kolleg*innen zu Hause und wissen nicht, wie sie bald die Miete oder das Essen zahlen sollen.
Viele werden aber auch aktiv und innovativ. Sie nähen Masken, versuchen zu volontieren und vieles mehr. Mich hat am meisten erschreckt, zu sehen, dass sich viele Menschen bewaffnen. Es sind viele Amerikaner*innen mit asiatischem Hintergrund, weil sie Gewaltübergriffen von Trump Wählern ausgeliefert sind und ihre Familien schützen wollen. Trump nannte den Coronavirus ja den China Virus und machte die Chinesen für die Pandemie verantwortlich. Und es sind die Reichen, die sich gerade bewaffnen und Sicherheitsdienste anstellen. Die haben – eventuell auch berechtigt – Angst, dass bei ihnen bald 22 oder mehr Millionen Erwerbslose vor der Tür stehen könnten, und die wollen nicht „Liebe” wie ein Kim Kardashian Fan geradezu sagte, sondern Geld zum Überleben. Es ist jetzt schon klar, dass die Polizei nicht stark genug besetzt ist, um sowas zu verhindern. Im Moment hat die Polizei in L.A. auch eine hohe Rate von Corona Fällen und von Beamt*innen in Quarantäne.
Verfolgst Du parallel die Lage in Europa und was löst das bei Dir aus?
Ja, und deshalb habe ich mich umso mehr über Trump und seine Ignoranz, Inkompetenz und Falschaussagen geärgert. Ich verfolge sowohl den Podcast von Christian Drosten als auch die Infos von Hendrik Streeck, Wolfgang Wodarg und dem Robert-Koch-Institut. Außerdem schaue ich über die Mediatheken deutsche und britische Nachrichten. Ich habe Freund*innen und Familie in Italien und Schauspielerkolleg*innen in Rom, mit denen ich dort gedreht habe. Ich war besorgt und gleichzeitig, wie alle geschockt, wie schnell und gnadenlos der Virus um sich griff. Mit meinen Freund*innen und der Familie in Deutschland telefoniere ich täglich. Freund*innen von mir in den USA sind am Virus erkrankt, aber zum Glück ist noch niemand gestorben. Ich sorge mich gerade um eine Freundin, die in Berlin mit Covid19 im Krankenhaus liegt, weil sie der Risikogruppe angehört. Eine befreundete Regisseurin steckte in Marokko fest und ein anderer Kollege war am Amazonas. Und erstmal war da auch die Frage, ob und wie alle wieder nach Hause kommen.
Ich wusste beruflich erst mal nicht, für welches Zuhause ich mich entscheiden soll. Ich hatte eine Anfrage für einen Dreh in Deutschland und eine für eine US-Serie in LA. Das ist normalerweise schon nicht leicht zu koordinieren, aber dann wurde noch der Einreisestopp von Europa angekündigt und in dem Moment musste ich mich entscheiden in welchem Land ich während der Pandemie bleibe, unwissend welche Produktion vielleicht noch klappt und was das beruflich bedeuten wird. Es hilft mir mit Kolleg*innen, Regisseur*innen und anderen Filmschaffenden zu reden. Ich bin virtuell beim BFFS Stammtisch dabei, verfolge, was die Filmakademie macht. Wir nominieren ja gerade für den Filmpreis, und ich lese, was Ihr und Crew United schreibt. Ich bin gerade sehr dankbar für die technischen Möglichkeiten, überall virtuell teilnehmen zu können und im Austausch zu sein.
Wie sieht Dein Alltag in Zeiten der Pandemie aus?
Mein Alltag ist stressiger und arbeitsintensiver geworden, weil ich nicht nur mit den Arbeitsverlusten und realen Ängsten umgehen muss, sondern gleichzeitig so viel Neues Lernen und mich auf die Krisensituation umstellen muss. Ich versuche eine tägliche Routine einzuhalten und mich mit Pilates, Präsenztraining, Stimm- und Schauspielübungen fit und geerdet zu halten, aber das klappt auch nicht immer. Manchmal muss ich einfach alles abschalten oder mal richtig heulen. Meine Geburtstagsparty habe ich erst mal auf irgendwann verschoben und mit Freund*innen an einer 21-tägigen Meditations-Challenge teilgenommen. Die Gruppe gibt viel Kraft. Ich bin in verschiedenen Arbeits- und Heilarbeitskreisen, sowie Schauspiel-, Stimm- und Tanzklassen, die laufen unter der Woche per Videotreffen weiter. Und ich helfe gerade Nachbar*innen, die nicht selber einkaufen können und kümmere mich um Freund*innen oder Nachbar*innen, die krank sind oder gerade extreme Angst haben (einkaufen, zuhören oder somatische und systemische Übungen, die die Angst integrieren). Mir tun diese Übungen selber sehr gut und es geht mir psychisch besser, wenn ich was für andere tun kann und nicht dauernd über meine Situation nachdenke. Ganz wichtig ist gerade der virtuelle Kontakt zu Familie und Freund*innen.
Die Kreativen in Hollywood schlafen nicht. Drehbuchautor*innen schreiben weiter und Projekte werden kreiert und besprochen. Beruflich finden täglich Videokonferenzen mit Filmschaffenden sowohl in den USA als auch in Deutschland statt. Wir versuchen uns gegenseitig psychisch und kreativ zu unterstützen und zumindest theoretisch, eine Vision für die Zukunft zu entwerfen. Bis letzte Woche hatte ich noch diverse E-Castings. Eines sollte ich filmreif aufzeichnen und in hoher Auflösung und Qualität einsenden, da die Szenen, wenn sie genommen werden, direkt so in den Film eingebaut werden. Für die Ein-Frau-Produktion als Schauspielerin, Regisseurin, Beleuchterin, Tonmeisterin, Schnittmeisterin, Location-Scout in den eigenen vier Wänden und Garten und in dem Fall sogar Drehbuchautorin hatte ich, inklusive Einsendung, 24 Stunden Zeit! Die Situationen waren mit verschiedenen Textvorschlägen vorgegeben, aber wir sollten was Eigenes draus machen …
Gestern habe ich ein Casting für einen Film, der jetzt komplett via Zoom gedreht wird, reinbekommen, die haben das letzte Woche umgeschrieben. Wie alle Freiberufler*innen und Künstler*innen versuche ich, das Beste aus der Situation zu machen und das Beste zu geben, aber mit wird auch klar, dass das ein Marathon wird und ich auch viel Zeit für Ruhe und Kontemplation brauche. Auch die Auseinandersetzung mit Deinen Fragen hier, hat mir bewusster gemacht, dass wir erst ganz am Anfang stehen und einen sehr langen Atem brauchen oder ein Beatmungsgerät.
Finden Drehs überhaupt noch statt?
Nein, hier wurden die letzten Kino- und Fernseh-Dreharbeiten am Freitag, dem 13. März gestoppt sowie alle Konzerte, Touren, Theater und Festivals. Das Ausmaß ist, wie bei uns in Deutschland für alle Musiker*innen, Film, TV- und Kulturschaffenden drastisch.
Wie ist die Stimmung unter Deinen Schauspieler*innen-Freunden?
Unterschiedlich. Wer bekannt ist und die Zeit finanziell gut überbrücken kann, liest auf Instagram vor oder engagiert sich für Charities, macht Konzerte oder schauspielerische Einlagen alleine im Wohnzimmer, die auf Zoom zum virtuellen Ensemble werden. Wer gerade wirklich was Effektives tut, ist Sean Penn. Er hat mit seiner Non-Profit-Organisation CORE (Community Organized Relief Effort) eine Coronavirus-Drive-Throug-Teststation in Malibu aufgemacht, die ich wohl auch bald aufsuchen werde – auf Selbstkosten natürlich, ich bin ja in den USA. Der Bluttest, der die Antikörper diagnostiziert, kostet dort 75 Dollar. Der Abstrichest aus dem Mund-Nasen-Rachenraum, der die Infektion untersucht, kostet 125 Dollar. Im Doppelpack zahlt man 175 Dollar. Ich will, wie viele andere auch, wissen ob ich Antikörper habe, denn nur dann wird man bald wieder arbeiten dürfen. Da haben Tom Hanks, Idris Elba und Daniel Dae Kim jetzt schon mal gute Karten.
Wer, wie die meisten Schauspieler*innen, sowieso schon finanziell kämpft, hat im Moment keine Einnahmequelle. Viele Schau- spieler*innen fahren nebenbei Uber (Vermittlungsdienst zur Personenbeförderung), arbeiten in Restaurants und Bars oder vermieten per Airbnb Zimmer in ihren Wohnungen, und das war auch alles auf einen Schlag weg. Oder sie haben, wie ich auch, an der Filmakademie oder an Unis unterrichtet. Das geht gerade nicht. Meine große Befürchtung ist, dass die Theater hier alle kaputtgehen. Subventionen gibt es hier sowieso nicht, jetzt gilt es die privaten Abonnent*innen bei der Stange zu halten. Aber haben die noch Geld für Theater, wenn hier gerade 50 Prozent der Leute entlassen werden?
Wie geht es den Agenten/Managements?
Die Krise ist besonders hart für Agent*innen und Manager*innen. Die Paradigm Agentur hat gleich am 20. März 200 Agenten entlassen, um, wie sie sagen die Agentur für die Zukunft schuldenfrei zu halten. Endeavor (die renommierte Agentur von CEO Ari Emanuel, der als Vorlage für die Rolle des Agenten in der Serie „Entourage“ diente) hat „in der ersten Runde” gerade 250 Leute entlassen, die nicht von zu Hause arbeiten können. Die restlichen Agent*innen von Endeavor und den großen Agenturen (WME, UTA usw.), die „Hollywood” vertreten und (noch) nicht entlassen wurden, müssen alle zu geringeren Gagen arbeiten. Sam Gores der CEO von Paradigm hat den entlassenen Agent*innen „gnädigerweise“ noch bis Juni Krankenversicherung zugesichert.
In den USA gibt es jetzt 22 Millionen Arbeitslose und es werden täglich mehr. Und die haben mit ihrer Entlassung auch alle keine Krankenversicherung mehr. Und das inmitten einer weltweiten Pandemie. Die Covid19-Behandlung muss aus eigener Tasche bezahlt werden und das kostet mehr als 34.000 Dollar. Ich weiß auch nicht, wie die kleinen Agenturen überleben werden, falls wir dieses Jahr nicht mehr drehen. Sie leben von unseren zehn Prozent Agenturprovisionen und da auch viele von der Hand in den Mund. In Los Angeles kennt man zwar die Situation des Produktionsstillstands durch die Streiks, die immer dann eintreten, wenn sich die SAG-AFTRA, DGA oder WGA nicht mit den Produzent*innen, Sendern etc. einigen können. Dann kommt auch für alle kein Geld rein, weil kollektiv nicht gedreht wird und die kleinen Agent*innen, Schauspieler*innen und anderen Filmschaffenden müssen sich zur Not in der Zeit einen anderen Job suchen. Aber im Moment gibt es keine Jobs.
Und manche Familien trifft es gerade doppelt und dreifach. Mein Management, hatte erst vor zwei Monaten ein Restaurant eröffnet, das ein Treffpunkt für die Filmbranche, Künstler*innen und Musiker*innen werden sollte. Sie mussten jetzt alle entlassen. Meine Managerin verdient gerade keinen Pfennig und ihr Mann ist in der Musikbranche, und da ist auch alles stillgelegt.
Wie geht es den Casting Directors in Folge des Drehstopps?
Es herrscht Angst, dass ihr Berufsstand durch die Digitalisierung verschwinden könnte. Durch mein Management und viele virtuelle Branchentreffen, die gerade stattfinden, spreche ich mit vielen Casting Directors, u.a. von Nickelodeon und Disney, und ich bin selber noch etwas erschüttert von dieser Aussage. In Los Angeles sitzen beim Casting manchmal bis zu zwanzig Schauspieler*innen im Warteraum, und das ist aus Haftbarkeitsgründen für die großen Produktionsfirmen jetzt nicht mehr tragbar. Es ist wohl jetzt schon klar, dass es keine Life Castings mehr geben wird, sondern nur noch E-Casting und Zoom-Call-Backs. Von daher besteht die Befürchtung, dass einige glauben könnten, dass sie das auch selber können und es keinen Casting Director mehr braucht.
Es wurden ja schon vor Corona viele E-Castings direkt an die Entscheidungsträger*innen (Regisseur*innen, Showrunner*innen, Produzent*innen und Sender etc.) mit einem Link zur Auswahl geschickt und es wird dann per Abstimmung besetzt. Die Schauspieler*innen mit den meisten „Klicks”, bekommen die Rolle. Wenn Castings nur noch virtuell stattfinden, gibt es für Schauspieler*innen keine Anfahrtswege mehr und sie werden dann noch kurzfristiger stattfinden. Bei Call Backs gehen dann am Morgen Zoom-Vorsprechtermine für den Tag raus. Die Schauspieler*innen haben dann nur noch eine oder zwei Stunden Zeit, die Szenen voll draufzuhaben und per Zoom-Video-Call vorzusprechen. Ob das künstlerisch vertretbar und wertvoll ist, ist für mich fraglich.
Die Casting Directors, mit denen ich gesprochen habe, sind etabliert und werden noch bezahlt, weil sie in laufenden Projekten sind, die nach dem Lockdown weitergehen sollen. Viele davon machen jetzt Open Calls: Sie sehen sich Schauspieler*innen per E-Casting an, die für Rollen ihrer Shows vorsprechen. Rollen, die schon besetzt wurden, da neue Rollen noch nicht gecasted werden. Das ist eine tolle Chance für Schauspieler*innen, die noch kein Verhältnis zu ihnen aufbauen konnten oder neu auf dem Markt sind. Aber bringt das wirklich was? Auch Casting Directors untereinander sind da verschiedener Meinung. Schon vor Corona schauten sich Casting Directors bei den großen Produktionen 400 E-Castings am Tag an und erzählen, wie schwer es schon da war, die richtige Wahl zu treffen, weil keine menschliche Begegnung stattfindet.
Deshalb finde ich es auch absurd, wenn Schauspieler*innen jetzt für Rollen per E-Casting vorsprechen, die schon besetzt wurden. Vor allem wei,l es beim Open Call weder zu einem Call Back kommt noch zu einer menschlichen Begegnung, inhaltlichen Auseinandersetzung oder zu wirklich interessanten künstlerischen Ergebnissen. So findet im Grunde auch kein wirkliches Kennenlernen statt, auch keine wirkliche Einschätzung der darstellerischen Fähigkeiten. Und der Casting Director muss sich tausend Mal die gleiche Rolle auf dem Computer anschauen, die er/sie schon besetzt hat und das zu einer Zeit, wo keiner zum Masseur gehen kann, um die Nackenverspannungen loszuwerden. Das Ganze wirkt auf mich gerade wie blinder Aktivismus. Wir wissen nicht, was wir machen sollen, also machen wir das, was wir eigentlich machen würden. Nur ohne dass es zu irgendwas führt, außer eventuell ein paar Ideen für Tagesrollen, die man wahrscheinlich auch nicht besetzen wird, weil die in Zukunft ein brotloser Oscargewinner spielen wird. Da gibt es zum Glück gerade kreativere und inspirierendere Lösungen von der Kreativen selbst.
Gibst du noch Coaching-Sessions online?
Ja. Die ersten drei Wochen kamen noch relativ viele E-Castings rein und da habe ich Kolleg*innen gecoacht. Einige Schauspieler*innen haben ihre ganzen Einnahmequellen verloren und brauchen erst mal Geld für Miete und Essen, bevor sie es in die Weiterbildung investieren können, da haben wir erst mal pausiert. Für die Schauspieler*innen, die in meinem Zweimonats- oder Jahrestraining sind, habe ich das Coaching jetzt an die Krise angepasst und neue Strategien entworfen – aber auch hier mussten sich jetzt einige erst mal um ihr Privatleben kümmern.
Durch die intensiven Branchengespräche wird mir immer klarer: Wir gehen nicht zum „Alten“ zurück, und das wird auch unsere künstlerischen Ziele beeinflussen. Deshalb überarbeite ich gerade meine Filmschauspiel- und Karriere-Programme, damit sie up to date für die neuen Herangehensweisen und Produktionsbedingungen sind. Es wird für alle Schauspieler*innen jetzt wirklich wichtig, gute E-Castings herstellen zu können. Das ist auch ein Schwerpunkt meines Coachings, zumal durch die Veränderungen, die jetzt eingeleitet werden, Formate schon wieder anders aussehen, und auch anderes Equipment und Know-how gebraucht werden. Ich werde bald virtuelle Schauspieler*innen-Powergruppen anbieten, damit Schauspieler*innen auch lernen, wie sie aktiv das Neue mitgestalten können und gleichzeitig für die neuen Produktionsbedingungen nach Corona vorbereitet sind.
Hast Du selbst Existenzängste?
Ja. Es herrscht weltweiter Drehstopp. Ich war in Los Angeles kurz vor der Vertragszeichnung einer US-Serie und ich weiß nicht, wie, wann und ob es überhaupt für mich weitergeht. Die Serie ist international besetzt, und es wird auch davon abhängen, wie und wann die verschiedenen Länder ihre Grenzen öffnen. Das betrifft auch meine Anfrage aus Deutschland. Auch werden jetzt Serien und Filme gecancelt, die schon angedreht waren. Die Listen werden täglich länger, und ich will gar nicht drauf schauen. Die Krise zwang mich auch, Life-Workshops abzusagen. Coachings wurden gecancelt. Noch kann ich mich mit meinen Ersparnissen über Wasser halten, aber wir wissen ja alle im Moment nicht wie lange das noch geht. Deshalb bewerbe ich mich auch um Überbrückungsgelder, da noch kein neues Einkommen reingekommen ist und alle Kosten weiterlaufen.
Meine Befürchtung ist gerade, dass wir dieses Jahr nicht mehr drehen oder Theater spielen werden, weil es noch so viele Ausfallversicherungsfragen zu klären gibt. Zum Beispiel, wie wir überhaupt am Set oder auf den Bühnen zusammenarbeiten sollen, wie es Stunt Teams und Motion Capture Schauspieler*innen beeinflussen wird. In Los Angeles wird davon gesprochen, das eventuell japanische Thermometer-Pistolen eingeführt werden, Krankenschwestern am Set sein werden und vieles mehr, etwa nur Schauspieler*innen besetzt werden, die Antikörper vorweisen. Und das muss dann alles noch mit allen Gewerken und Gewerkschaften verhandelt werden …
Aus Deutschland erhalte ich gerade die Nachricht, dass Produktionen ältere Schauspieler*innen nicht mehr besetzen wollen, und Rollen für ältere Schauspieler*innen schon rausgeschrieben und aus geplanten Drehbüchern gestrichen werden, da die älteren Kolleg*innen ab 60 Jahren in die Corona-Risikogruppe fallen würden. Das sind sehr drastische und fatale Maßnahmen und das wäre dann auch bald das Ende meiner Schauspielkarriere, wenn das wirklich durchgezogen wird!
An der Filmakademie, an der ich Dozentin war, kommen Studierende aus der ganzen Welt, und es kann gerade keiner einreisen. Und mein Unterricht ist „Hands on“. Wir drehen Filme, und da haben wir das gleiche Problem wie alle Filmemacher*innen. Das kann man nicht über Zoom unterrichten, das ist praktisch und am Set und nicht theoretisch. Die Frage ist, wann werden wir real wieder arbeiten können? Und wie wird das aussehen? Wer wird diskriminiert und ausgeschlossen? Und wer wird dabei sein? Wie verhandeln wir das? Was können wir tun, um nicht aus Angst und Profitgier heraus zu handeln, sondern gemeinsam konstruktiv und langfristig zu denken, zu planen und umzusetzen?
Was gibt es für Hilfsfonds für Schauspieler*innen?
Wir haben die SAG-AFTRA Foundation und den Actors Fund, wo man sich für eine einmalige finanzielle Unterstützung bewerben kann. Wer gerade gearbeitet hat oder unter Vertrag war und durch die Krise den Job verloren hat, kann Arbeitslosengeld beantragen.
Welche Hilfen gibt es für die Branche?
Die SAG-AFTRA Foundation und der Actors Fund unterstützen nicht nur Schauspieler*innen, sondern jeden, der in der Filmindustrie arbeitet. Netflix hat eine Millione Dollar in diverse Fonds für Filmschaffende gespendet. Und dann gibt es gerade noch Motion Picture- und TV-Geldmittel, Organisationen für Musiker*innen und andere Künstler*innen wo man im Notfall-Unterstützung beantragen kann, wobei viele auch schon Bewerbungsstopp haben. Weiterhin gibt es städtische Essensausgaben für Menschen in Not, und im Moment darf niemand aus seiner Wohnung fliegen, auch wenn er die Miete nicht zahlen kann.
Ich habe eine Liste für meine amerikanischen Klienten zusammengestellt, die ich auch immer wieder aktualisiere. Falls sich ein*e deutsche*r Filmschaffende*r in Not gerade in L.A. befindet und nicht ausreisen kann, kann er/sie sich gerne bei mir melden. Allerdings braucht man eine gültige Arbeitsgenehmigung um Geldmittel beantragen zu können und muss ins Sozialsystem eingezahlt haben.
Was hat Dich trotz der Krise besonders bewegt?
Dass es eine Zeit ist zum Innehalten und gleichzeitig für andere da zu sein. Und eine, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich spüre, wie nah ich meinen Freund*innen und meiner Familie bin, wie viel Liebe in meinem Leben ist. Ich merke auch, wie irrsinnig unser Business eigentlich ist. Dass wir immer in Bewegung sein müssen, immer auf dem Sprung zum nächsten Deal, zum nächsten Casting, zum nächsten Dreh, zum nächsten roten Teppich und wie schnell alles geworden ist. Immer weniger Drehtage, immer kürzere Castingzeit, E-Castings innerhalb von 24 Stunden usw. Mir war das ja alles bewusst, ich lebe täglich damit. Und im Coaching arbeite ich mit den Kollege*innen daran, noch smarter und effizienter mit all diesen Herausforderungen umzugehen und dabei kreativ, engagiert und offen zu bleiben. Aber erst durch die Krise spüre ich wirklich, wie tief diese permanente Bewegung (trotz täglicher Meditation!) in meinem Körper und Geist sitzt. Wie ich dauernd schaffe, kreiere, und wie wahnsinnig gut es tut, für einen Moment gezwungenermaßen einfach nur zu SEIN.
Mir tun auch die tiefen und innovativen Gespräche mit Kollegen*innen und der Branche gut, und dass wir aus dieser Krise eine Chance machen und eine Nach- oder Mit-Corona Zukunft schon jetzt gestalten können. Und zu wissen, dass diskriminierende Entscheidungen bekämpft werden können, weshalb wir schon damals zusammen mit vielen mutigen Kollegen den BFFS gegründet haben. Es wird so deutlich, wie sehr Künstler*innen und Entertainment gebraucht werden, weil das gerade allen Kraft, Ablenkung, Inspiration, Einsicht und Berührung gibt, und man auf diesem Wege auch mal Gefühle rauslassen kann. Damit sind wir im Gegensatz von so vielen kleinen Geschäften und Betrieben, für die es sehr schwer werden wird, the lucky ones.
So viel Politik muss sein: Trump oder Biden?
Für mich wäre es Elizabeth Warren gewesen mit Pete Buttigieg als Vize. Aber für eine Frau als Präsidentin mit einem Schwulen als Vizepräsident scheinen die USA noch nicht bereit – sehen wir mal, wie das nach der Pandemie aussieht. Ich hoffe, das Bernies Wähler sich jetzt hinter Biden stellen, damit alle mal vier Jahre durchatmen können. Das mit Trump ist jetzt ein riesiges Desaster. Er hat übrigens auch gerade 1500 Angestellte in seinen Trump Hotels in den USA und Kanada entlassen. Ich wünsche mir in der Zukunft, dass es einen psychologischen Test für Präsidenten oder überhaupt für Politiker gibt, und dass Leute mit psychischen Störungen wie Narzissmus nicht mehr in der Politik erlaubt sind. Wenn ich die Hauptrolle in einem Film spiele, muss ich ja auch zum Gesundheitstest beim Versicherungsarzt, und der Casting Director hat vorher allen versichern können, dass ich teamfähig bin.
Vielen lieben Dank für das Interview.
www.ninafranoszek.com
#BeCreativeAtHome! Nina Franoszek aus Hollywood
Die in Hollywood lebende deutsche Schauspielerin Nina Franoszek spricht in einem kurzen Clip über die aktuellen Drehstopps, aber zeichnet auch Perspektiven für die Zukunft auf.
#BeCreativeAtHome! – eine Initiative von casting-network
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