Spätestens im Grundschulalter wissen Kinder: Fernsehen und Kino sind nicht die Wirklichkeit. Trotzdem haben Fernsehserien und Kinofilme eine gewisse Wirkung, wie sich durch zwei Phänomene belegen lässt: FBI-Agentin Dana Scully (Gillian Anderson), forensische Medizinerin und weib- liche Hauptfigur der Serie „Akte X“, hat in den USA viele junge Frauen dazu animiert, ein MINT-Fach (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Tech- nik) zu studieren. Und die Kinoreihe „Die Tribute von Panem“ hatte zur Folge, dass Mädchen der Heldin Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) nacheifern wollten. Bogenschießen wurde innerhalb kurzer Zeit zu einer äußerst populären Sportart.
Wenn Bilder eine derartige Wirkmacht haben können, muss das auch in umgekehrter Richtung gelten; deshalb haben die Schauspielerin Maria Furtwängler und ihre Tochter Elisabeth die Stiftung MaLisa gegründet. Deren Schwerpunkt ist die Geschlechterdarstellung in den Medien. Credo der Stiftung ist das Motto „Sichtbar heißt machbar“: Erst wenn Mädchen eine weibliche Film- oder Fernsehfigur in einem MINT-Beruf sehen, regt das ihre Fantasie an. Gerade in dieser Hinsicht gibt es jedoch ein ent- scheidendes Manko: Frauen sind im Fernsehen und im Kinofilm zwar nicht unsichtbar, aber eindeutig unterrepräsentiert, und zwar vor wie hinter der Kamera.
Um dies zu belegen, hat die MaLisa-Stiftung in Zusammenarbeit mit den Sendergruppen ARD, ZDF, RTL und ProSiebenSat.1 sowie mit Unter- stützung dreier großer Filmförderanstalten eine aufwendige Untersuchung finanziert, die nun in Buchform vorliegt. Die Studie von Elizabeth Prommer und Christine Linke (Institut für Medienforschung an der Uni Rostock) ist die erste, die umfassend und repräsentativ das deutsche Fernsehen und den hiesigen Kinofilm erfasst. Die Kommunikationswissenschaftlerinnen haben ihren Ausführungen einen Titel gegeben, der die Botschaft in einem Wort zusammenfasst: „Ausgeblendet“. Maria Furtwängler spricht in ihrem Vorwort von einer „Schieflage“, aber das ist im Grunde ein Euphemismus, denn tatsächlich ist es ein Skandal, wie rückständig Deutschland in Fragen der Gleichberechtigung immer noch ist. Einige Ergebnisse waren bereits bekannt, darunter das groteske Missverhältnis bei der Regievergabe, obwohl seit Jahren genauso viele Frauen wie Männer entsprechende Studiengänge an den Filmhochschulen absolviert haben. Schockierender ist daher womöglich die Erkenntnis, dass sich gerade im fiktionalen Fernsehen seit Jahrzehnten nichts verändert hat: In Filmen und Serien diktieren Männer weitaus häufiger das Geschehen als Frauen. Schon 1975 lautete das Fazit einer Analyse: „Männer handeln, Frauen treten auf“; aber auch nur, solange sie jung sind. Dass vielen Menschen prompt diverse Gegenbeispiele einfallen, etwa in Gestalt von „Tatort“-Kommissarinnen, Talkshow-Gastgeberinnen oder Nachrichtenmoderatorinnen, liegt an deren Ausnahmestatus. Für ihre aufwendige Untersuchung haben Prommer und Linke 3.500 Stunden TV-Material analysiert. Infrage kamen allerdings nur deutsche Produktionen. Bei den knapp 3.000 Sendungen wurden alle sichtbaren Personen sowie die wichtigsten Verantwortlichen (Regie, Drehbuch, Kamera, Redaktion, Produktion) erfasst. Beim Personal vor der Kamera sind zudem verschiedene Merkmale codiert worden (Geschlecht, Funktion, Alter, Berufsfeld, Familienstand). Das wichtigste Ergebnis: Frauen tauchen im deutschen Fernsehen insgesamt nur halb so oft auf wie Männer; einzig das Genre Daily Soap/Telenovela (Serien wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, RTL, oder „Sturm der Liebe“, ARD) wird weiblich dominiert. Bei den Hauptrollen im Fernsehfilm ist die Verteilung dank sogenannter frauenaffiner Sendeplätze (freitags im „Ersten“, sonntags im „Zweiten“) mit einem Verhältnis von 56 Prozent (Männer) zu 44 Prozent (Frauen) immerhin halbwegs ausgewogen. Bei den Serien überwiegen die männlichen Rollen etwas stärker (62 Prozent). Während 20 Prozent der Fernsehfiktion komplett ohne weibliche Protagonisten auskommen, konnten Prommer und Linke keine einzige Sendung entdecken, die in Haupt- und wichtigen Nebenrollen konsequent auf Männer verzichtet. Weil deren zahlenmäßige Überlegenheit in den Nebenrollen sogar noch stärker ist als bei den Hauptrollen, gibt es bei den Nebenfiguren nicht mal einen quantitativen Ausgleich für die Schieflage. Im letzten Vierteljahrhundert ist der Frauenanteil in der TV-Fiktion um 8 Prozent gestiegen. In rund 20 Jahren, prognostizieren die Autorinnen sarkastisch, könnte es demnach zu einem ausgewogenen Verhältnis kommen. In einer Hinsicht immerhin orientieren sich Filme und Serien an der Wirklichkeit: 74 Prozent der fiktiven Fernsehfrauen zwischen 20 und 60 Jahren sind berufstätig; in der Realität sind es 75 Prozent.
Frauen beklagen mitunter, sie würden mit zunehmendem Alter „unsichtbar“, und für Fernsehen und Kino stimmt das auch: Ab 30 verschwinden sie sukzessive vom Bildschirm und von der Leinwand; das gelte für „alle Sender über alle Formate und Genres hinweg“. Bis Ende 20 kommen Frauen laut der Studie sogar in etwa gleich oft wie Männer vor. Ab Mitte 30 beträgt das Verhältnis eins zu zwei, ab 50 eins zu drei, ab 60 eins zu vier. In den Fernsehfilmen von ARD und ZDF liegen Männerrollen größtenteils zwischen 50 und 55 Jahren; Frauenfiguren sind jedoch selten älter als 45. Als Beispiel führen Prommer und Linke die ARD-Krimireihe „Donna Leon“ an: Kaum jemand stört sich daran, dass Hauptdarsteller Uwe Kockisch mit 75 im Grunde viel zu alt für die Rolle von Commissario Brunetti ist; Filmpartnerin Julia Jäger, die Brunettis etwa gleichaltrige Ehefrau Paola spielt, ist Ende vierzig. Der Fantasie, resümieren die Wissenschaftlerinnen, „scheint in Bezug auf Männer keine Grenze gesetzt zu sein, bei Frauen jedoch schon.“
In den Bereichen Show und Unterhaltung ist das Phänomen noch krasser, hier finden sich jenseits der 50 praktisch keine Frauen mehr. In der non-fiktionalen Unterhaltung ist das Missverhältnis ohnehin generell eklatant (80 Prozent Männer, 20 Prozent Frauen). Auch die die Off-Stimmen, die in den Doku-Soaps den Kommentar sprechen, stammen fast ausschließlich von Männern. Die Gäste aller möglichen Sendungen sind ebenfalls eher männlich als weiblich; das gilt für Shows ebenso wie für Informationssendungen, in denen Experten ein bestimmtes Fachgebiet repräsentieren. Gerade hier, monieren Prommer und Linke, könnten Frauen in Führungsrollen Berufs- und Lebenserfahrung einbringen, aber das werde ihnen selbst in Berufsfeldern verwehrt, in denen sie – wie etwa im Bereich Bildung – in der Wirklichkeit die Mehrheit stellen. Auf diese Weise werde „ein veraltetes Bild von Lebenswelten und ein verzerrtes Bilder unserer gesellschaftlichen Realität“ gezeigt. Mit einer Mischung aus Verwunderung und Resignation stellen die Forscherinnen fest: „Es scheint ein Bermudadreieck des Fernsehens zu geben, in dem Frauen ab Mitte 30 ganz offensichtlich ausgeblendet werden.“
Die Misere beginnt bereits im Kinderfernsehen. Hier liegt der Anteil männlicher Protagonisten bei 72 Prozent, wobei der öffentlich-rechtliche KIKA etwas besser abschneidet als die Privatsender Super RTL, Disney und Nickelodeon. In den für einen inter- nationalen Markt produzierten Zeichentrickserien ist sogar nur knapp ein Viertel der Hauptfiguren weiblich. Gibt es eine Clique mit einer Führungsfigur, ist diese Rolle zu über 80 Prozent männlich besetzt. Wenn jemand etwa in einem Wissensmagazin die Welt erklärt, dann ist das wie in den Informationssendungen für Erwachsene eher ein Mann als eine Frau. Wie stark die männliche Seite dominiert, zeigt sich bei animierten Alltagsgegenständen; der von Thomas Rohloff gesprochene Koffer aus „Siebenstein“ (ZDF) oder SpongeBob Schwammkopf (Santiago Ziesmer) sind da durchaus repräsentativ. Auch im Kinderfernsehen ver- schwinden Frauen ab 30. Tauchen Großeltern auf, sind sie deutlich häufiger Opa als Oma; ein offenkundiger Widerspruch zur sozialstrukturellen Realität. Auf diese Weise, bemängeln Prommer und Linke, werde von Kindesbeinen an ein bestimmtes Weltbild vermittelt: Die „Unsichtbarkeit von Mädchen“ führe zu „eingeschränkten Vorstellungsräumen“ der jungen Zuschauer- innen. Das geschlechtliche Missverhältnis kann nach Ansicht der Autorinnen die Ursache dafür sein, dass auch in der Wirklichkeit „so wenig in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit“ passiere. Bei Heranwachsenden hätten Medien großen Einfluss auf ihr Bild von der Gesellschaft, wie das Beispiel mit Agentin Scully verdeutliche. Gerade Mädchen fänden jedoch nur wenige Vorbilder. Die Medien lieferten kein Spiegelbild der Gesellschaft, sondern produzierten und zementierten bestimmte Rollen- und Geschlecht- erbilder. Die Frage, ob es einen „Mechanismus des Ausblendens“ gebe, führt zwangsläufig hinter die Kamera, wo ein ganz ähnliches Missverhältnis herrscht. Beim Kinderfernsehen wird das besonders deutlich: In 90 Prozent der Produktionen sitzt auf dem Regiestuhl ein Mann. Immerhin sind Frauen bei gut einem Drittel der Sendungen am Drehbuch beteiligt. Auch beim Kino- spielfilm sind Frauen in den kreativen Schlüsselpositionen Regie (20 Prozent) und Drehbuch (17 Prozent) deutlich in der Unterzahl. Bei Fernsehfilmen und Serien gab es zum Zeitpunkt der Untersuchung sogar noch weniger Regisseurinnen (14 Prozent), aber das hat sich mittlerweile leicht verbessert.
Wie wichtig die Besetzung der Posten Buch, Regie und Produktion ist, zeigt ein Quervergleich: Sind sie in Männerhand, sind Haupt- und wichtige Nebenrollen ebenfalls eher männlich. Andersrum rücken Frauen stärker in den Vordergrund, je mehr Frauen hinter der Kamera in Leitungsfunktion agieren. Da Männer also offenbar eher Geschichten über Männer erzählen, scheint die Erklärung für die Misere vor der Kamera auf der Hand zu liegen. Über die Gründe für das Ungleichgewicht hinter der Kamera lässt sich dagegen nur mutmaßen. Eine Regisseurin wird in der Branche offenbar als Risikofaktor betrachtet: Sie könnte schwanger werden, ist nicht so durchsetzungsstark und wegen ihrer Familie möglicherweise nicht so aufs Projekt fixiert wie ein Mann. Entsprechend harsch fällt der Kommentar der Forscherinnen aus: Für eine Branche, die sich selbst als künstlerisch und kreativ bezeichne, „sind die herrschenden Geschlechterbilder erschreckend stereotyp, traditionell und wenig fortschrittlich.“ Als Ausweg aus dem ungerechten Elend, auf das die Gleichstellungsinitiative ProQuote Film (früher ProQuote Regie) schon seit einigen Jahren hinweist, empfehlen Prommer und Linke das Vorbild Schweden: Dort habe die Filmförderung seit 2011 eine sukzessive Steigerung des Frauenanteils erreicht. 2020 sollen die Fördergelder paritätisch vergeben werden; Österreich, England und Frankreich sind dem Beispiel bereits gefolgt. Im Fernsehen würden bereits mehrere Redaktionen schon beim Dreh- buchlektorat einen „Gender-Check“ einsetzen, bei dem überprüft wird, wie oft und in welchen Rollen Frauen vorkommen. In den Fernsehfilmabteilungen ist nach ersten Veröffentlichungen ohnehin Besserung gelobt worden. Angesichts der Tatsache, dass viele dieser Redaktionen bei ARD und ZDF von Frauen geleitet werden, ist das Missverhältnis zwischen Regisseurinnen und Regisseuren ohnehin verwunderlich. Weil Sender auf der anderen Seite das vermeintliche Risiko scheuen, wird es allerdings wohl noch eine Weile dauern, bis sich die Zahlen tatsächlich annähern: Redaktionen vertrauen ein Projekt in der Regel lieber einer erfahrenen Kraft an, und das sind nun mal meistens Männer.
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