Wenn prominente Schauspieler Regie führen, arbeiten sie lieber fürs Kino als fürs Fernsehen. Zufall? Wir haben versucht, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. Matthias Schweighöfer hat mit „You Are Wanted“ (2017/18) immerhin eine Serie für den Streaming-Dienst von Amazon gedreht, aber Til Schweiger wollte seine „Tatort“-Krimis nicht selber inszenieren, obwohl er das gekonnt hätte. Aktuell arbeitet Moritz Bleibtreu an seinem Erstlingswerk „Cortex“ – natürlich fürs Kino. Dan Maag findet das ganz natürlich: „Der große Traum eines Filmemachers ist doch nicht der Fernsehfilm. Das Kino ist ganz klar die Königsdisziplin.“ Maag ist Geschäftsführer von Schweighöfers Firma Pantaleon und hat seit dessen Regiedebüt „What a Man“ (2011) alle Filme des Stars produziert, aber auch die ersten Regiearbeiten von Florian David Fitz („Der geilste Tag“, 2016, „100 Dinge“, 2018). Maag ist überzeugt: „Wenn 100 angehende Regisseure die Wahl hätten, ihr Debüt fürs Kino oder fürs Fernsehen zu drehen, würden sich 99 für den Kinofilm entscheiden.“ Als Produzent geht es ihm offenbar ähnlich, obwohl Pantaleon auch schon TV-Movies produziert hat („Jack the Ripper“, Sat.1 2016): „Das Nadelöhr beim Fernsehen ist die Redaktion. Wir haben immer wieder festgestellt, dass öffentlich-rechtliche Redaktionen Apparate sind, die ihr eigenes Arbeitstempo und ihren eigenen Rhythmus haben.“ Bei den Redakteuren vermisst Maag außerdem den Mut zum Risiko. Natürlich sei es immer ein Experiment, wenn man einem Schau- spieler sein Regiedebüt ermögliche, es gebe schließlich keinerlei Referenz, dass er auch ein guter Regisseur sei. Er kennt jedoch nur wenige Re- daktionen, die bereit wären, so ein Experiment einzugehen: „Redakteure wollten nicht innovativ, sondern in erster Linie erfolgreich sein.“
Christian Ulmen hat ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Seine selbst produzierten Formate haben sich schon zu MTV-Zeiten („Unter Ulmen“) durch einen großen Improvisationsanteil ausgezeichnet: „Die Arbeit als Schauspieler hat mir zwar mehr Aufmerksamkeit beschert, aber ich habe sie eher als eine Art herrlicher Ausflug betrachtet. Das größere berufliche Glück habe ich aus den Produktionen geschöpft, die ich selbst verantwortet habe.“ Bei „jerks.“ (Maxdome/ProSieben) ist Ulmen erstmals Hauptdarsteller, Autor, Regisseur und Cutter in Personalunion. Produziert wird die Serie – Ulmen sitzt gerade am Schnitt der dritten Staffel – allerdings von Talpa Germany. Das Unternehmen hatte die Rechte am dänischen Original erworben. Trotzdem bezeichnet Ulmen „jerks.“ als „Seelenheil“, denn dank des großen Improvisationsanteils habe er all das weglassen können, was ihn bei Dreharbeiten sonst immer nerve: „Wir proben nicht, wir lernen keine Texte, wir setzen kein aufwendiges Licht. Aber nicht aus Faulheit, sondern weil ich immer den Eindruck hatte, dass wohlgebettete Spontaneität eher etwas Andersartiges entstehen lässt als die Perfektion einer Routine. Wir gehen sehr gut vorbereitet in die Drehs, jeder Schauspieler weiß, wie seine Geschichte geht, die Worte findet er selber. Wir drehen mit zwei Kameras und haben keine großen Lichtumbauten, was uns effizienter arbeiten lässt.“ Er räumt zwar ein, dass diese Vorgehensweise ein Experiment war, das auch hätte schiefgehen können, doch es habe sich gezeigt, „dass man plötzlich euphorischer erzählt, wenn man ein paar nie hinterfragte Regeln über Bord wirft.“
Auf der anderen Seite sei eine Arbeitsweise wie bei „jerks.“ auch nur auf der Basis des großen gegenseitigen Vertrauens zwischen ihm und Talpa-Produzent Carsten Kelber möglich: „Bei der dritten Staffel haben wir 152 Stunden Material produziert, das kann ein Produzent alleine gar nicht sichten.“ Natürlich gebe es Filme, die vor allem über ihre Visualität funktionierten, aber bei vielen TV-Produktionen wäre der ganze Aufwand gar nicht nötig. Die Serie war aber nicht nur für die Produktionsfirma, sondern auch für Ulmen selbst Neuland. Reihen wie „Mein neuer Freund“ (ProSieben 2005), in denen er sich als Kunstfigur vor versteckten Kameras unter die Menschen gemischt hat, seien eher Entertainment-Formate gewesen. „jerks.“ hingegen erzähle „fiktionale Geschichten. Das ist eine klassische TV-Serie, die nur unter spezielleren Bedingungen entstanden ist.“ Er hat das Projekt auch ARD und ZDF angeboten, aber dort gab es Absagen. Vielleicht wegen des Schlüsselbegriffs „Improvisation“. Nicht ganz zu Unrecht womöglich, wenn selbst Ulmen – allerdings voller Respekt – feststellt, sein Kollege Fahri Yardim sei vor der Kamera unberechenbar: „Es erfordert Mut von einem Sender, sich darauf einzulassen.“ Diesen Mut will er ARD und ZDF nicht grundsätzlich absprechen, zumal es dank Jan Georg Schütte (zuletzt „Klassentreffen“) und Axel Ranisch (zwei „Tatort“-Episoden aus Ludwigshafen) mittlerweile mehrere improvisiert gespielte Filme gebe. Aber das öffentlich-rechtliche Redaktionssystem funktioniere nun mal anders: „Man ist dort gewöhnt, Bücher abzunehmen und über einzelne Dialogsätze zu diskutieren. Bei der Rohschnittabnahme wird dann gern gefragt, ob es zu einer bestimmten Einstellung vielleicht noch einen zweiten Take aus einem anderen Blickwinkel gebe. Bei ‚jerks.‘ war jedoch jeder Take einzigartig.“ Vermutlich dürfte die Thematik der einzelnen Folgen bei den Ablehnungen ebenfalls eine gewisse Rolle gespielt haben, immerhin geht es in der Serie zumindest verbal recht handfest zu.
Ulmen merkt zwar an, dass sich Kinofilmproduzenten und Filmverleiher ähnlich gern in ein Projekt einmischten wie TV-Redaktionen, sieht bei den Fernsehsendern aber wie Maag generell wenig Bereitschaft, eingefahrene Wege zu verlassen: „Mit dem Wort ‚Regisseur‘ assoziieren viele Redakteure automatisch einen Mann, der eine Filmhochschule absolviert und für den Sender auch schon diverse Serienfolgen gedreht hat. Kinoproduzenten sind anscheinend eher bereit, auch mal ‚out of the box‘ zu denken und ein Projekt einer quereinsteigenden Frau anzuvertrauen. Beim Fernsehen ist man dagegen traditionell eher darauf bedacht, vor allem nichts falsch zu machen.“ Kein Wunder, dass er über die „wirklich sehr gute Zusammenarbeit“ mit ProSieben umso glücklicher ist. Er möchte seine Ausführungen ausdrücklich nicht als öffentlich-rechtliches Redaktions-Bashing verstanden wissen: „Einige Redakteure sind eine echte Bereicherung und bringen einen Film oder eine Serie im Dialog weiter.“ Aber es gebe in den Redaktionen eben auch Menschen, „die unsinnige Einwände vorbringen, weil sie sich sonst überflüssig fühlen, wenn eine Produktion prima läuft.“
Das klingt nach überflüssigen Machtspielchen, und diesen Vorwurf wollen die Sendervertreter natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Heike Hempel, Leiterin der ZDF-Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie II und stellvertretende Programmdirektorin, betont, es gehe nicht „um Machtsphären, die zu sichern sind, sondern um gutes Programm“. Christian Granderath, Leiter der Fernsehfilmredaktion des NDR, reagiert sogar richtig sauer: „Es ist doch ein billiger Jakob, pauschal über Redakteure zu schimpfen.“ Sascha Schwingel, Redaktionsleiter der unter anderem für die Freitagsfilme im „Ersten“ zuständigen ARD-Tochter Degeto, wehrt sich ebenfalls gegen Verallgemeinerungen: „Das öffentlich-rechtliche Fernsehen besteht aus so vielen Redaktionen, die sich unmöglich über einen Kamm scheren lassen.“ Granderath versichert, es gebe „keinerlei Vorbehalte, wenn jemand mit einer Vision zu uns kommt, der ausreichend Erfahrung und Kompetenz mitbringt“. Davon abgesehen erhielten Redaktionen eine Vielzahl von Angeboten und müssten daher eine bestimmte Auswahl treffen: „Diese Auswahl richtet sich nicht zuletzt nach den Kriterien Finanzierung und Sendeplatz. Viele der Filme, die von bekannten Schauspielern fürs Kino gedreht worden sind, hätten wir uns schlicht nicht leisten können.“ Und nur weil jemand „schon hundertmal vor der Kamera stand, ist er nicht automatisch auch ein guter Regisseur“. Aktuell werde ein Film mit einem dem NDR nahestehenden Schauspieler entwickelt, der zum ersten Mal Regie führen will.
Heike Hempel kann zwar keine Projekte anführen, die gemeinsam mit Schauspielern entstanden sind, verweist aber auf die enge Zusammenarbeit mit der Autorin Annette Hess bei „Kudamm 56“ sowie mit der Autorin und Produzentin Natalie Scharf (Seven Dogs) bei der „Frühling“-Reihe und dem Mehrteiler „Honigfrauen“. Produzentin Annette Reeker (all-in) fungiert unter ihrem Pseu- donym Anna Tebbe bei den Taunus-Krimis nach Nele Neuhaus oder der neuen Reihe „Gipfelstürmer“ ebenfalls auch als Autorin. Diese Produktionen belegen nach Ansicht Hempels, „dass wir dem Creativeproducer eine Schlüsselposition geben“. Bei Reihen wie „Bergdoktor“ (Hans Sigl), „Frühling“ (Simone Thomalla) oder „Ella Schön“ (Annette Frier) gebe es zudem eine enge Zu- sammenarbeit mit den Hauptdarstellern. Der Einfluss von Wolfgang Stumph ist sogar so groß, dass er sich bei den von ihm angestoßenen Projekten mittlerweile als Ausführender Produzent nennen lässt. Bei den Privatsendern gibt es ebenfalls enge Kooperationen mit Schauspielern. Hannes Jaenicke hat einige Sat.1-Filme initiiert, darunter zuletzt die Komödie „Bodycheck – Mit Herz durch die Wand“ sowie „Nicht mit uns! Der Silikon-Skandal“ (beide 2017). Henning Baum war als ausführender Produzent an der Abschlussstaffel der Sat.1-Erfolgsserie „Der letzte Bulle“ (2014) beteiligt, und Hendrik Duryn wird im Vorspann der RTL-Serie „Der Lehrer“ als Creative Consultant geführt.
Bei der ARD-Degeto kommt es immer wieder mal vor, dass Stars die Filme auch selbst produzieren, etwa Veronica Ferres mit ihrem Unternehmen Construction Film („Unzertrennlich nach Verona“, 2018) oder Adnan Maral (Yalla Productions) bei „Zaun an Zaun“ (2017) und „Servus Schwiegersohn“ (Sendetermin im Herbst). Kida Khodr Ramadan hat Schwingel kürzlich ein Drehbuch gegeben, bei dem er Regie führen, die Hauptrolle spielen und als Koproduzent fungieren will. Der Redaktionsleiter kennt den Schauspieler seit über 25 Jahren und ist überzeugt, „dass er die Fähigkeiten besitzt, die beim Inszenieren eines Films uner- lässlich sind“. Eine Garantie gebe es in solchen Fällen ohnehin nicht, aber er habe sich immer auf seinen Instinkt verlassen können.
Ein gutes Gefühl hatte Schwingel offenbar auch, als Oliver Wnuk mit einer Idee zu ihm kam. Der Schauspieler stammt aus Konstanz und träumt schon lange davon, in einer TV-Reihe mitzuwirken, die in seiner Heimat am Bodensee spielt. Deshalb hat er das Projekt kurzerhand selbst initiiert. Die Hauptfigur ist ein Arzt, der nach dem Studium eine Ausbildung als Erzieher absolviert hat und nun Kindergärtner ist. Obwohl Wnuk dank zweier Romane, eines Theaterstücks und diverser Hörspiele viel Erfahrung als Autor vorweisen kann, musste er den üblichen Weg gehen: Exposé, vierzigseitiges Treatment, Drehbuchauftrag. Nicht nur, aber auch Fernsehsender reagierten erst mal mit einer gewissen Skepsis, „wenn man aus seiner Schublade rausspringt“. Dass seine Schauspielkollegen lieber Kinofilme drehen, kann er nachvollziehen: „Das Kino genießt eine feuilletonistischere Aufmerksamkeit. Viele Regisseure träumen von Filmfestivals und roten Teppichen.“ Außerdem habe man als Autor und Regisseur „im Idealfall größere erzählerische Freiheiten, weil man nichteinen bestimmten Sendeplatz und damit verbundene Sehgewohnheiten bedienen muss, und da darf ein Film auch mal 120 Minuten lang sein“. In dieser Hinsicht sind gerade ARD und ZDF mit ihrem starren Sendeschema in der Tat eher unflexibel. Im Kino, sinniert Wnuk, könne man theoretisch auch zwei Menschen einen ganzen Film lang wortkarg an einem Tisch sitzen lassen oder eine Geschichte ausschließlich choreographisch erzählen, aber es dürfe schwierig werden, dafür einen TV-Redakteur zu begeistern, zumal es für solche Experimente kaum geeignete Sendeplätze gebe. Und schließlich hätten Redakteure die Aufgabe, an ihr überwiegend älteres Publikum zu denken: „Mit einem Drehbuch, in dem auf jeder Seite ein paarmal das Wort ‚Fuck‘ steht, stößt man bei ARD und ZDF unter Umständen auf Widerstand.“
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