Als Männerforscher schreibe ich nicht über Frauen. Und auch als Mann vermeide ich es, über Frauen zu sprechen. Was wissen wir schon? Nach #MeToo ist klar: Wir wissen nichts! Weder wie sich Frauen fühlen noch welche Probleme sie haben. Bevor wir nicht unsere eigene Rolle und unsere Privilegien als weiße, westliche Männer hinterfragen, dürfen wir uns kein Urteil erlauben. „Ich weiß, wie die Frauen ticken!“ war schon immer eine schamlose Lüge. Das Gebot der Stunde: Nicht über, sondern mit den Frauen sprechen. Das gilt für Ärzte, Therapeuten und Lehrer genauso wie für Berater, Unternehmer und Filmschaffende. Für kritische Männerforscher gilt es erst recht.
Mein Spezialgebiet ist die enorme Fantasielosigkeit von Männerfanta- sien in Filmen und Serien. Es beginnt schon beim Personal: Super- heroes, Ex-Bullen, Killer-Maschinen und um sich schlagende Testo- steron-Prügel. Allesamt Formen der Aushärtung des männlichen Körperpanzers. Vom „Man of Steel“ über „Iron Man“ bis zu „Hulk“, dem alten Froschkönig. Die Innenschau ist nicht weniger geistlos: Zombies, Mutanten, Monster und Aliens verhandeln das kreatürliche Innere mo- derner Männlichkeit. Emotionale Sprachlosigkeit wird hier als Gewebe- wucherung inszeniert oder als Krüppeltier. Von „Gollum“ aus „Herr der Ringe“ über die „weißen Wanderer“ in „Game of Thrones“ bis zum „Xenomorph“.
Und drittens die hypermaskuline Psychogeografie. Archaische Innen- welten und Gefühls-Steppen soweit das Auge reicht: Von Westeros bis Westworld, durch Mittelerde bis nach Gotham City, von Hogwarts direkt in die Oasis. In meiner Forschung zeige ich, dass es sich bei all diesen Körperpanzern, Kreaturen und Psychogeografien um spezifisch männ- liche Darstellungsformen handelt. Was uns wiederum in die Lage ver- setzt, quasi live dabei zusehen zu können, wie traditionelle Männlichkeiten um ihr Überleben kämpfen.
Tag für Tag werden wir also von äußerst wirkmächtigen Männerfantasien überrollt. Ihr Einfluss auf das gesellschaftliche Unterbewusstsein ist massiv. Die traurige Wahrheit: Nur zehn Prozent aller Drehbücher werden von Frauen verfasst. Bei Disney, Universal und Paramount schreiben neunzig Prozent Männer. Bei Netflix, HBO und Amazon sind die Zahlen ähnlich. In der Regiearbeit sieht es noch schlimmer aus. Hier liegt der Frauenanteil bei unfassbaren sieben Prozent. Auf 100 Regiestühlen sitzen nur sieben Frauen. Im Vergleich zu 2015 ist die Tendenz sogar fallend. Wohlgemerkt trotz der #MeToo-Debatte.
Wie nun verhält es sich mit den weiblichen Figuren, die nach männlichem Drehbuch inszeniert werden? Meiner Meinung nach müssen sie ebenso als Männerfantasie gelesen werden. „Dolores“ in „Westworld“ zum Beispiel, eine Cowboy-Fantasie von Michael Crichton, in der Männer dafür bezahlen, lebensechte Roboterfrauen wie „Dolores“ zu vergewaltigen und zu töten. Das Perfide dieser Männerfantasie: Damit die naive „Dolores“ ein Bewusstsein entwickeln kann, muss ihr Körper wieder und wieder missbraucht und getötet werden. Dreißig Jahre lang nahezu täglich. Also viele tausend Mal. Ihre Selbstermächtigung wird hier als die wohl größte Demütigung inszeniert, die man sich vorstellen kann. Die Erzählung der weiblichen Emanzipation aus Männersicht ist stets eine Geschichte des unmenschlichen Kampfes gegen die Männerwelt. Um sicherzugehen, dass sie diese Erniedrigung auch bis zum Ende durchziehen, wird „Daenerys“ der Berater „Tyrion“ zur Seite gestellt, „Rey“ muss sich mit „Finn“ rumschlagen, „Furiosa“ mit dem gestörten „Max“, und „Wonder Woman“ mit „Steve Trevor“. Wir bekommen hier folglich kein emanzipiertes Frauenbild zu sehen. Nein, die Fantasie- und Traumfrauen werden von Männern flankiert, protegiert und in das Kriegsgeschäft eingeführt. Sie dürfen zwar zuschlagen, sich wehren und töten, doch sogar im Kampf dienen sie nur als Projektionsfläche für die Sex-, Misogynie- und Rachegelüste männlicher Drehbuchautoren. Man gewinnt so langsam den Eindruck, als sei die Frauenbewegung jetzt Männersache. Dabei wäre es ein leichtes gewesen, für das Drehbuch von „Star Wars“ eine Frau zu engagieren. Nach Weinstein und #MeToo hätte man sich so deutlich positionieren können. Stattdessen geht die vierte Trilogie an Rian Johnson. Und weil man es plötzlich eilig hat, wird auch die fünfte Trilogie gleich mit vergeben an die Regisseure von „Game of Thrones“. Bis 2028 also hat Disney jede Chance auf eine Drehbuchautorin vertan. „Star Wars“ bleibt eine Männerfantasie. Gleichberechtigung in Hollywood? Kein Interesse. Und das gilt keineswegs nur für die großen amerikanischen Studios, sondern reicht bis zur Mansplaining-Bastion im Kinderkanal aus Erfurt. Die Typen von „Löwenzahn“ und der „Sendung mit der Maus“ heißen heute Checker. Für Checkerinnen ist bei KiKA kein Platz.
Von Thüringen nach Sachsen. Kurzer Blick in drei aktuelle Drehbücher. Ich habe ein paar sprechende Zitate zusammengestellt, die zeigen, wie Männerfantasien den deutschen Independent-Film bestimmen. Auf der vergangenen Berlinale findet sich unter den Filmen mit sächsischer Beteiligung zum Beispiel die Story von „Luz“ (Tilman Singer). Darin verwickelt die verführerische „Nora“ den Psychologen „Dr. Rossini“ in ein Gespräch. Wie sich herausstellt, ist „Nora“ von einem Dämon besessen, der auf den ahnungslosen Doktor überspringt, damit dieser wiederum die verwirrte „Luz“ hypnotisiert. Der Dämon steckt unbemerkt im Mann und will mehr. Den Mann trifft somit keine Schuld. Clever, nicht wahr? Oder „In den Gängen“ von Thomas Stuber. Hier treibt „Marion“ mit „Christian“ ihre kleinen Scherze. Als er sich aber in sie verliebt, wird sie plötzlich krankgeschrieben und ist obendrein auch noch verheiratet. Nicht sehr glücklich natürlich. Woraufhin „Christian“ in ein Loch fällt. Armer „Christian“? Oder jammert die ganze Story in Wahrheit nur darüber, wie hart das privilegierte Männerleben ist? Stichwort: Male Tears. In „Whatever happens next“ von Julian Pörksen lässt der 43-jährige „Paul Zeise“ seine Frau zurück, um sich als Taugenichts, Schnorrer und Hochstapler in die etwas durchgeknallte „Nele“ zu verlieben. Und so weiter und so fort.
Das Frauenbild im Independent-Kino sächsischer Drehbuchmänner ist genauso sexistisch und klischeebeladen wie die großen U.S.-Produktionen. Die Zahlen und Beispiele zeigen, dass eine unabhängige Finanzierung noch lange keine Gleichberechtigung in den Stories und der Repräsentation garantiert. Bevor wir auch hierzulande nicht von echter Gleichstellung im Fantasie-Business sprechen können, ist das Wort Independent geradezu eine Farce. Wie die Initiative Pro Quote Film erklärt, wird nur „jeder fünfte Kinofilm von einer Frau inszeniert. Filme von Frauen erhalten maximal zwanzig Prozent der gesamten Bundes- fördermittel.“ Wir brauchen also schleunigst eine 50-Prozent-Quote! Pro Quote Film hat online zehn Forderungen formuliert, um dieses Ziel zu erreichen (www.proquote-film.de).
Zusammengefasst: Mehr Frauen vor und hinter der Kamera, damit Geschichten, Sichtweisen und der kulturelle Output von Frauen sichtbar werden!
Das würde auch wieder Schwung in die Fantasien der Männer bringen. Die älteste und erfolgreichste Top-Story handelt zum Beispiel vom Leidensweg emotional vernachlässigter Söhne auf der Suche nach ihren abwesenden Erzeugern. Von den zwölf Taten des Herkules über das Martyrium Jesu Christi bis zu den Sternenkriegen von „Skywalker“. Der Weg zu den fernen und schwer beschäftigten Daddies im Olymp, im Himmel oder im Todesstern wird stets als unmenschlich und übermännlich inszeniert. Würden wir hingegen mit emotional integeren, zugewandten und offenherzigen Vätern aufwachsen, könnten wir uns die Mühe sparen. Und genau deshalb plädiere ich für ein positives, selbstkritisches und feministisches Männerbild. Schaut mehr Filme von Frauen, lest mehr Bücher von Frauen und nehmt euch Frauen zum Vorbild! Aber vor allem: Redet mit ihnen und nicht über sie! Dann kommt ihr auch endlich auf neue Ideen.
Serien und Filme mit tollen Frauenfiguren nach weiblichem Drehbuch:
„I Feel Pretty“ von Abby Kohn und Marc Silverstein | Casting: Justine Arteta, Kim Davis-Wagner u.a.
„Orange Is The New Black“ von Jenji Kohan | Casting: Jennifer Euston, Stephanie DeCourcey
„Sense 8“ von Lana und Lilly Wachowski | Casting: Carmen Cuba, Juliette Ménager
„Chewing Gum“ mit Michaela Coels | Casting: Jane Ripley, Nadira Seecoomar
„Good Wife“ von Michelle King | Casting: Mark Saks
„Girls“ von Lena Dunham | Casting: Jennifer Euston, Stephanie DeCourcey
„The Heat“ von Katie Dippold | Casting: Allison Jones
„30 Rock“ von Tina Fey | Casting: Jennifer McNamara , Katja Blichfeld, Jessica Daniels
„Erin Brokovich“ von Susannah Grant | Casting: Margery Simkin
„Saturday Night Live“ mit Kristen Wiig | Casting: Neil Levy
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