„Watu Wote – All of us“ (Casting: Lorella Jowi) wurde 2017 bereits mit einem Studenten-Oscar ausgezeichnet und ist nun auch die deutsche Hoffnung im Kurzfilmsegment bei den diesjährigen Academy Awards am 4. März. Der 15-minütige Kurzfilm beruht auf wahren Begebenheiten. Ein Reisebus wird nahe der somalischen Grenze in Kenia von Mitgliedern der Terrormiliz Al-Shabaab attackiert. Als die Terroristen die Passagiere auffordern, sich nach religiöser Zugehörigkeit aufzuteilen, weigern sich diese und beweisen somit Mut zur Solidarität und Menschlichkeit im Angesicht des Terrors. Die Regisseurin Katja Benrath verriet uns im Telefoninterview die berührende Entstehungsge- schichte hinter dem Film und erzählte uns außerdem, wie das Leben einer Oscar-Nominierten aussieht.
Ihr Kurzfilm „Watu Wote“ ist für die Oscars im März nominiert.
Wie war Ihre erste Reaktion, als Sie davon erfahren haben?
Wir haben uns die Verkündung der Nominierten gemeinsam mit dem gesamten 120-köpfigen Team in Nairobi angeschaut und es war schon eine große Spannung in der Luft. Für die Menschen ist der Film auch mit ihrer eigenen ganz persönlichen Geschichte verknüpft. Wir waren die Letzten, die aufgerufen wurden, weil das alphabetisch abläuft. Das war schon sehr auf- regend und die Erleichterung und Freude war dementsprechend riesengroß.
Was für ein Gefühl ist das?
Das alles ist ein total surreales Gefühl. Ich freu mich besonders fürs Team, die haben das alles verdient! Momentan wird so viel Wirbel um meine Person gemacht, das finde ich persönlich schwierig, weil ein Film von den vielen Menschen lebt, die ihn mitgestalten. Ich versuche, es so gut es geht zu genießen. Gleichzeitig sind dieser Presserummel und die vielen Interviews noch etwas ungewohnt für mich.
Inwiefern ist der Film die Geschichte des Teams?
In Kenia leben viele verschiedene Stämme. Einer davon sind die Somalis. Die Grenze zwischen Kenia und Somalia ist eine künstliche. Einst haben Kolonialmächte das Gebiet der Somalis durchtrennt. Die Somalis, die in Kenia leben, sind also nicht zwangsläufig Flüchtlinge, sondern leben in ihrem eigenen Gebiet. Diese Menschen, die an der Grenze leben, erleben diese Attacken ja tatsächlich. Die Somalis haben in Kenia inzwischen einen sehr schlechten Ruf, weil viele der Terroristen Somalis sind. Natürlich ist es ein niedriger Prozentsatz und es hat, wie überall auf der Welt, nichts mit der tatsächlichen Religion zu tun, aber es färbt auf die Bevölkerung ab. Dementsprechend müssen die Somalis unter vielen Vorurteilen leiden. Die Geschichte ist insofern eine Geschichte des Teams, als dass viele von den Mitwirkenden Somalis mit viel Leidenschaft ein Projekt unterstützen wollten, das ihre Religion und ihren Stamm in ein anderes Licht setzt und zeigt, dass Islam nicht mit Terrorismus gleichzusetzen ist. Es ist ihre Geschichte und sie wollten Teil davon sein.
Wie entstand der Stoff zum Film?
Unser Producer, Tobias Rosen, ist in Südafrika aufgewachsen und hatte schon vor der Hamburg Media School den Wunsch, seinen Abschlussfilm auf dem afrikanischen Kontinent zu drehen. Die Geschichte von „Watu Wote“ ist dann tatsächlich passiert. Und unabhängig davon, ob wir da hinwollten oder nicht, beschlossen wir: Wenn wir eine Geschichte über Afrika machen, dann diese. Sie hat so eine starke Botschaft. Und das war so ein Gänsehaut-Moment, dass es keine Sekunde einen Zweifel gab, dass wir diese Geschichte unbedingt erzählen möchten. Daraufhin haben wir zuerst recherchiert, um zu schauen, ob die kenianische Szene nicht vielleicht selber etwas darüber machen will, denn wir wollten ihnen nicht „die Geschichte klauen“. Lieber wollten wir ganz nah mit ihnen zusammenarbeiten. Und das ist uns tatsächlich gelungen.
Inwiefern hat die Geschichte dieses Kurzfilms, der im fernen Kenia spielt, Ihrer Ansicht nach auch mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun?
Ich glaube, diese Geschichte ist sehr universell. Sie hat ganz viel mit jeder Lebenswirklichkeit zu tun. Im Prinzip geht es um Solidarität und ums füreinander Geradestehen. Und ich denke, das ist gerade in Zeiten von „#MeToo“ oder „BlacklifesMatter“ in den USA oder auch in unserer politischen Lage mit der Flüchtlingssituation relevant, dass man jetzt überlegt: Für wen könnte ich mal geradestehen oder aufstehen? Ich glaube, diese Message kommt wirklich überall an.
Haben Sie erlebt, dass Menschen diese Message nicht verstehen, vielleicht sogar Anfeindungen dafür bekommen, dass Ihr Film bei einem so heiklen Thema wie Terror eine so hoffnungsvolle Position einnimmt?
Tatsächlich habe ich bisher keine Anfeindungen bekommen. Als wir den Film in Kenia gezeigt haben, gab es aber jemanden, der aufstand und fragte, wann denn die Geschichte von den Menschen erzählt wird, die so eine Terrorsituation nicht überlebt haben, da er selbst Familienmitglieder bei einem Anschlag verloren hatte. Ich hatte auch erst mal keine wirkliche Antwort auf diese heftige Frage. Unser Film oder seine wahre Geschichte trägt aber vielleicht dazu bei, dass wir einen neuen Blickwinkel darauf kriegen, wie sich diese Situation auf Dauer anders lösen lässt als nur mit Krieg.
Wie verlief generell der Dreh in Kenia?
Der Dreh in Kenia verlief im Prinzip gut, unsere kenianischen Filmemacher- Freunde waren super motivierte Menschen, die mit wahnsinnig viel Elan, Spaß und Leidenschaft bei der Sache waren. Das war auch wichtig, weil wir das sonst niemals auf die Füße hätten stellen können. Es ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte. Das ist aber glaub ich bei jedem Filmdreh so, das bezieht sich jetzt nicht nur auf Kenia.
Was denn zum Beispiel?
Uns wurde beispielsweise zwei Tage vor Drehbeginn die Kamera gestohlen. Daraufhin mussten wir meinen Bruder mit bestimmtem Equipment aus Deutschland einfliegen lassen, damit wir auch wirklich losdrehen konnten. Oder die Geschichte, dass ein Hauptdarsteller im Gefängnis gelandet ist. Wir hatten zwei Schauspieler an Bord, die Stars in Kenia sind. Die sind dann hingegangen, um ihn dort wieder herauszubekommen. Das wäre andernfalls ein Riesen- aufwand und eine teure Angelegenheit für uns geworden.
Das Casting für den Film hat Lorella Jowi gemacht. Wie viel haben Sie davon mitbekommen?
Ganz viel, denn wir haben das zusammen gemacht. Lorella hat ein großes Netzwerk und ist mit der gesamten Theater- und Filmszene in Kenia verknüpft. Wir haben ein völlig offenes Casting gemacht, wie es sich jeder Regisseur wünscht, in dem es nur darum ging, den perfekten Menschen für die Rolle zu bekommen, und nicht irgendeinen Star besetzen zu müssen, damit man den Film finanziert bekommt. Alle Somalis in dem Film, bis auf die zwei bereits erwähnten Hollywood-Schauspieler, waren keine professionellen Schau- spieler. Ich komme ja auch aus dem Schauspiel und habe mit unter- schiedlichen Schauspieltechniken mit ihnen gearbeitet. Was wir nicht wollten war, dass eventuelle Wunden wieder aufgerissen werden oder dass Retraumatisierung stattfindet. Denn jeder Somali kennt jemanden oder hat jemanden in der Familie, der schon einmal bei solchen Anschlägen zu Schaden gekommen ist.
Sie haben ursprünglich mit der Schauspielerei angefangen. Wie kamen Sie zur Regie?
Ich hab mein Leben lang Theater gespielt, und ich habe tatsächlich dann noch eine Schneiderlehre beim Theater gemacht, wollte aber schon immer zum Schauspiel. Auf Regie kam ich dann, weil ich mal gebeten wurde, bei einem Kurzfilm mitzumachen. Ich dachte früher immer, die wahre Kunst sei das Theater und das Fernsehen sei der Kommerz. Da habe ich aber festgestellt, wie sehr es mich berührt, vor der Kamera zu spielen. Für mein Demo-Material habe ich dann meinen ersten Kurzfilm gedreht und dabei festgestellt, dass mich Regie fasziniert, weil es mehr ums Gesamtwerk geht als um eine einzelne Rolle. Dennoch würde ich jederzeit auch wieder spielen. Ich liebe beides – das Spielen und das Regieführen.
Sie sind bereits Preisträgerin eines Student Acadamy Awards.
Wie hat sich Ihr Alltag seit diesem Erfolg verändert? Machen Preise reich?
Vor allem nicht reich. Es hat sich aber schon einiges verändert. Es sind inzwischen mehr Regie-Angebote gekommen. Als Hochschulabsolventin ist das nicht selbstverständlich. Es ist tatsächlich ganz angenehm, dass es jetzt nach und nach Interesse daran gibt, mit mir zu arbeiten oder meine Meinung zu hören. Außerdem habe ich inzwischen in L.A. jemanden, der mit mir zusammenarbeiten möchte, aber ich stecke in der Hinsicht noch im Entscheidungsprozess. Ich werde immer dorthin gehen, wo die gute Geschichte ist, aber mein beruflicher Schwerpunkt wird momentan erst mal in Deutschland bleiben.
Dann bleiben Sie uns ja erst mal hierzulande erhalten
Wissen Sie bereits, was Sie auf dem Roten Teppich tragen werden?
In Zeiten von „#MeToo“ habe ich mich dazu entschieden, dass ich ebenfalls in Schwarz gehe, mit einer Robe von Kaviar Gauche aus Berlin.
Also unterstützen Sie „#MeToo“?
Ich finde, es ist ein schwieriges Thema. Ich unterstütze nicht, wenn das Ganze ausgenutzt wird, um auf sich selber aufmerksam zu machen. Und ich unterstütze auch nicht, wenn es Existenzen zerstört, die definitiv nichts damit zu tun haben. Ich finde es aber unglaublich wichtig, dass jetzt endlich der Mund aufgemacht wird, dass sich Menschen zusammentun und füreinander solidarisieren. Und das unterstütze ich auch. Es müssen jetzt aber auch weitere Schritte folgen, es reicht nicht mehr nur zu sagen „#Me too“. Es ist wichtig, aus seiner Opferrolle rauszukommen und aktiv zu werden. Es soll darum gehen, dass Menschen den Mund aufmachen und miteinander in den Dialog gehen, klare Grenzen setzen. Auch ich habe bereits grenzüberschreitende Situationen erlebt und habe mir definitv vorgenommen, dass ich sowohl im Privat- als auch im Berufsleben sehr viel schneller und klarer den Dialog suche, bevor ich in den Rückzug gehe. Das ist etwas, das wir alle tun können. Ich weiß, wie schwierig es sich anfühlt, wenn man sich in einer Situation gefangen sieht. Die Solidarität, die gerade öffentlich stattfindet, hilft bei der Bewusstwerdung und dann hoffentlich auch dabei, etwas zu verändern.
Wem drücken Sie bei den Oscars diesmal ganz besonders die Daumen?
Ich habe leider noch gar nicht alles sehen können. Ich persönlich kenne die Filme aus meiner Kategorie aber alle. Ich würde jetzt lügen, wenn ich sagen würde, ich will das Ding nicht mit nach Hause nehmen, aber ich würde es auch all den anderen von ganzem Herzen gönnen. Man sieht einfach all diesen Projekten die Leidenschaft an, die hineininvestiert wurde. Filmemachen ist eine echte Herausforderung auf ganz vielen Ebenen, sowohl auf der psychischen als auch auf der physischen. Jedem Filmemacher, der diese Herausforderung besteht und seine Seele in so ein Projekt reinschmeißt, hätte es verdient. Ich glaube daher, dass es kein Fake ist, wenn man bei den Oscar-Verleihungen sieht, wie sich die Menschen wirklich füreinander freuen und beieinander bedanken.
Wissen Sie schon, wie es nach den Oscars für Sie weitergehen soll? Sind bereits neue Projekte in Planung?
Ich arbeite gerade an einem Kinofilm, über den ich noch nicht sprechen darf. Er wird in diesem Jahr gedreht. Im gleichen Team werden wir ein Jugendbuch verfilmen, das „Pferd Pferd, Tiger Tiger“ heißt. Die Drehbuchförderung ist bereits genehmigt und unsere Autorin adaptiert es gerade.
Vielen herzlichen Dank für das Interview!
Das Interview führte Mariam Misakian.
Website Katja Benrath: www.katjabenrath.com
„Watu Wote“ Trailer: www.youtube.de/watu-wote
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