Weimarer Republik – Jobst von Reiht-Zanthier
Erster Besetzungschef der UFA wurde im Jahr 1931 Jobst von Reiht-Zanthier (1893–1965), kurz Jobst von Reiht genannt. Er erhielt den ersten anerkannten Casting-Credit für den Film „Münchhausen“. Der ehemalige Schauspieler war zuvor lange Jahre Regieassistent am Theater. Als rechte Hand von Max Reinhardt und Direktor Dr. Klein kannte dieser Allroundman die gesamte Theaterlandschaft vom Star bis zum Statisten. 1931 wurde er von Erich Pommer für die UFA rekrutiert: „Wir brauchen Theaterleute. Der Tonfilm hat begonnen, nun müssen wir richtige Schauspieler finden. Überlegen Sie sich mal, wie man das am besten macht.“ Der Produktionschef der UFA, Ernst-Hugo Corell, konkretisierte das Problem: „Können Sie uns wohl Schauspieler für den Film beschaffen? Sie müssen ja nun sprechen können, Schauspieler sein und noch fotogen dazu! Wo findet man die?“ Die Lage war ernst, da viele der stimm- erfahrene deutschen Stars Mitte der 20er-Jahre nach Hollywood gezogen waren. Corells Erwartung an Jobst von Reiht war eindeutig, der Produktionschef wollte neue Stars: „Mir ist erzählt worden, Marlene Dietrich kannten Sie gut, und die ist auch in Hollywood. Wollen Sie nicht auch mal für uns entdecken?“ Von Reiht riskierte den Sprung ins kalte Wasser, etwas Neues sollte entstehen, mit dem Namen Besetzungsbüro: „In Hollywood gab es das schon, die Casting-Büros, die aus aller Welt ihr Schau- spielmaterial heranholten. Mir dämmerte eine Ahnung auf, dass eine Kartei entstehen müsste mit Bildern und Daten dazu.“ Von Reiht ging das Projekt systematisch an. Er ließ große Karteikarten anfertigen mit Kuverts für das Bildmaterial auf der Rückseite. Für seine Kartei ließ er Kästen auf großen Tischen aufstellen und zusätzlich Regale entlang der Wand montieren. Der UFA-Besetzungschef machte von jedem Schauspieler seiner Kartei auch Probe-Aufnahmen. Außerdem archivierte er die bereits bestehenden. Eine dieser Probe-Aufnahmen, die noch vor seiner Zeit gemacht wurden, war von Marlene Dietrich für „Professor Unrat“ (Arbeitstitel für „Der Blaue Engel“/1930): „Es war eine meisterliche Aufnahme, die das ganze Wesen der „Lola“ aus „Professor Unrat“ in sich barg, so wie sie Sternberg für den Film sah.“ Heute noch kann man diese Casting-Aufnahmen zu „Der Blaue Engel“ im Filmmuseum am Potsdamer Platz bewundern. An Marlene Dietrich schätzte von Reiht neben ihrem Aussehen vor allem ihr musikalisches Talent. Als Jobst von Reiht in der UFA anfing, hatte die Dietrich Deutschland bereits den Rücken gekehrt, was viele Deutsche ihr zeitlebens nie verziehen. Binnen eines Jahres hatte Jobst von Reiht sämtliche Berliner Schauspieler mitsamt ihrer besonderen Qualifikationen in der UFA-Kartei archiviert. Die Aufnahmen der deutschen UFA-Stars von 1931 bewahrte von Reiht gesondert auf: Lilian Harvey, Käthe von Nagy, Renate Müller sowie Willy Fritsch, Wolf Albach-Retty und Hans Albers.
Besetzung in der DDR – Karin Beewen
Anders als im Westen hatte man im Osten Deutschlands an die Ära der gut organisierten und professionellen Besetzungs- maschinerie der Weimarer Republik angeknüpft. Die ideologische Einmischung von Staatsseite war dabei nicht verschwiegen worden. Zwei fest angestellte Casting Directors aus dem Osten Deutschlands berichten im Folgenden von der ehemaligen Schauspielerbesetzungsszene der DDR: Die mittlerweile verstorbene Karin Beewen, letzte Besetzungschefin der Deutschen Film Aktiengesellschaft (DEFA) sowie Astrid Rahn, die das Besetzungsbüro des Deutschen Fernsehfunks (DFF) leitete. Generell wurden in der DDR für Kino und Fernsehen vornehmlich bei der DEFA und beim DFF Besetzungen vorgenommen. Glaubt man der Internet Movie Data Base, hätte Karin Beewen in ihrer gesamten Casting-Laufbahn nur vier Kinospielfilme besetzt. Obwohl keine Creditvergabe erfolgte oder schwarze Listen von Schauspielern geführt wurden (die beispielsweise einen Ausreise- antrag gestellt hatten), wurde der Besetzung in der ehemaligen DDR aus künstlerischer Sicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Erste Leiterin des Besetzungsbüros der DEFA in Babelsberg wurde 1950 Gertraude Acker Thies, deren Nachfolge Eberhard Gaebel in den 1980er-Jahren antrat. Bereits 1974 war die Schauspielerin Karin Beewen als Assistentin angestellt worden: „Insgesamt waren wir in Babelsberg neun Mitarbeiter inklusive des Kleindarstellerbüros. Hier wurden Komparsen und kleinere Rollen besetzt. Selbst für die Kleinstrollen wurden Schauspieler engagiert. Die Gagen waren ja nicht hoch. Meine Abteilung besetzte die Sprechrollen.“
Besetzung in der DDR – Astrid Rahn
Als gelernte Bürokauffrau hatte Astrid Rahn, bevor sie 1979 den Posten als Chefin der DFF-Besetzungsabteilung von deren Gründerin Vera Vetter übernahm, in verschiedenen Bereichen beim Deutschen Fernsehfunk gearbeitet. Zusätzlich absolvierte sie abends ein Hochschulstudium in Jura und Vertragsrecht. Als Besetzungschefin hatte Astrid Rahn das Archiv aller in der DDR registrierten Schauspieler mit Foto und Vita zu aktualisieren und zu pflegen. Regelmäßige Theaterbesuche mit Analyse der Schauspielerleistungen gehörten zu ihrem Abendprogramm. Kurz vor der Wende gab es in der DDR ca. 3.000 registrierte Schauspieler, von denen wiederum ca. 700 bis 800 Freiberufler waren. Alle Übrigen hatten feste Engagements an Theatern. Schauspielerei galt in der DDR als ein zu erlernendes Handwerk. Zwischen drei und vier Jahren dauerte der Diplomstudiengang der staatlichen Schauspielschulen in Leipzig, Halle, Rostock, Ost-Berlin und Potsdam. Speziell die Hochschule Konrad Wolff in Potsdam bildete die Schauspieler gezielt für die Arbeit vor der Kamera aus. Zweimal im Jahr veranstaltete das Besetzungsbüro der DEFA Live-Castings für die Nachwuchsdarsteller. Wie auch Karin Beewen verstand Astrid Rahn ihre Besetzertätigkeit als Dienstleistung und Kunstfertigkeit: „In diesem Zusammenspiel war stets die Frage des Vertrauens zwischen Regie und Casting maßgeblich. Casting sollte immer objektiv, nie geschmäcklerisch sein.“ Astrid Rahn war viele Jahre mit ihrer Agentur in der Branche vertreten und befindet sich seit Mitte 2016 im wohlverdienten Ruhestand.
In der Gegenwart aktiv – Nina Haun
Nina Haun gehört zur Generation der Casting Directors, die sich als Pendant zum amerikanischen Casting Director, in der Indie-Szene der BRD etablierten. Bereits während ihrer Schulzeit erprobte sie sich in Regie- und Dramaturgie-Assistenzen im Theater. 1995 gründete sie ein eigenes Theater, 1997 ein zweites und eine Schauspielschule für Improvisationstheater. All das war nicht geplant, sondern entstand aus der Notwendigkeit heraus, dass Kunst Raum braucht. Die Casterin, die im schwäbischen Bietigheim aufwuchs, studierte Germanistik und Romanistik an der Universität Stuttgart. Während des Studiums lernte sie viel über Dramaturgie. „Mein Leben war schon geprägt durch die Liebe zum Theater und zur Literatur. Meine Großeltern hatten sich ja auch im Theater kennengelernt. Diese faszinierende Liebesgeschichte habe ich viele Male erzählt bekommen. Deshalb habe ich gedacht: ‚Gut! Dann also Theater.‘“ Doch es würde nicht mehr lange dauern, bis sich Nina Haun neue Herausforderungen wünschte. Im Theater war Prof. Albrecht Ade häufig zu Gast und über ihn entstand die Verbindung zur Filmakademie Baden-Württemberg. Haun baute dort die neuen Abteilungen Filmschauspiel und Szenenbild auf, wo sie viel Gestaltungsfreiraum hatte. Daraufhin richtete sie für die Studenten, die eine praxisorientierte Ausbildung durchliefen, ein Castingbüro mit Archiv ein, was den Agenten die Arbeit erleichterte. Parallel besetzte sie Studentenfilme. Der betreuende Professor Nico Hofmann, Produzent und Chef der damaligen UFA-Tochterfirma teamWorx, lud Nina Haun 2002 ein, als Casting Director bei der UFA in Berlin anzufangen. Ihr erster gecasteter Film dort war „Familienkreise" von Stefan Krohmer. Wie sie sich erinnert, war dies „eine schöne und intensive Zusammenarbeit“.
Ihren außergewöhnlichen Werdegang sieht sie sehr bescheiden: „Ich glaube, dass Meilensteine sich immer erst im Nachhinein so anhören, als hätte man sich wahnsinnig viel im Vorfeld dazu überlegt. Aber für mich stellt es sich eher so dar, dass man im Leben immer wieder an Kreuzungen steht und durch Neigungen und Vorlieben an irgendwelche Orte kommt und auf andere Menschen trifft, die einem ermöglichen, sein Eigenes zu machen.“ Heutzutage tragen mitunter die größten deutschen Filme ihre Handschrift. Filme wie „Toni Erdmann“, „Unsere Mütter, unsere Väter“ oder „Vier Minuten“ zählen zu ihren größten Erfolgen. Nina Haun ist außerdem als Gastdozentin u.a. an der Filmakademie Baden-Württemberg, der Filmuniversität Babelsberg und der HMS Hamburg Media School im Lehrbereich tätig. Das Casting von Nachwuchsfilmen ist nach wie vor Bestandteil ihres breiten Besetzungsportfolios. Sie rief das seit 2008 jährlich stattfindende UFA-Nachwuchscasting ins Leben, da ihr die Förderung des Filmnachwuchses besonders am Herzen liegt und wurde jüngst für ihr Engagement in der Betreuung junger Filmschaffender mit dem First Steps Ehrenpreis ausgezeichnet. 2009 war sie für den Grimmepreis in der Kategorie „Spezial“ nominiert und erhielt im selben Jahr den Deutschen Castingpreis. 2013 wurde ihr zudem die Auszeichnung der Deutschen Akademie für Fernsehen (DafF) in der Kategorie „Casting“ verliehen. Nina Haun ist Mitherausgeberin der „Schauspielerbekenntnisse“ (Verlag UVK 2007) und Mitglied im International Casting Directors Network (ICDN), der Deutschen Filmakademie und der European Film Academy.
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