Ende Januar 2017 wurde die zentrale Casting-Abteilung der UFA Serial Drama am Standort Potsdam-Babelsberg aufgelöst. Ihre Leiterin Charlotte Siebenrock hat über 17 Jahre hinweg unter großem Engagement diese Abteilung aufgebaut und mit viel Knowhow für neue Gesichter in Serien gesorgt. Zu ihrem Team gehörten zuletzt ihre Assistentin Christina Göring, die Archivarin Stephanie Misgaiski und Heike Liebermann, die für das Casting der Kleindarsteller, Kinder und Jugendlichen zuständig war. Tina Thiele traf Frau Siebenrock abseits der Berlinale in einer ruhigen Altberliner Kneipe.
Wie geht es für Sie nach der Entlassung weiter?
Ab dem 1. März 2017 werde ich mich selbstständig machen.
Casting | Buch | Regie heißt es dann auf meiner Website. Meine früheren Tätigkeits- und Interessenfelder, wie das Schreiben und das Inszenieren, möchte ich unbedingt wieder aufnehmen, bleibe dem Casting aber natürlich engstens verbunden. Ich bin und bleibe weiterhin Mitglied des Bundes- verband Casting (BVC). Vor kurzem habe ich mich dem Verein Pro-QuoteRegie e.V. angeschlossen, weil ich dessen Zweck unterstützenswert finde. Die Fortführung meines Studiums der „Mittelalterlichen Geschichte“ ist eher privaten Interessen geschuldet.
Welche Projekte haben Sie in all den Jahren gecastet?
In meinem Vertrag stand, dass ich zuständig für „Hinter Gittern“ und sämtliche sonstige Formate der seinerzeitigen Grundy UFA sei. Sehr schnell kamen weitere Projekte dazu wie „Bianca - Wege zum Glück“, woraus dann noch vier weitere Staffeln entstanden. Zudem gab es diverse Fernsehfilme wie z.B. „Held der Gladiatoren“. Außerdem habe ich von Beginn bis zuletzt für „Alles was zählt“ gecastet. Hinzu kamen noch „Verbotene Liebe“, ein Versuch einer Neuauflage von „Wege zum Glück“, „Block B - Unter Arrest“, ab 2016 „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und schließlich „Suspects“. Serien wie „Verliebt in Berlin“ oder „Braut wider Willen“ hat meine damalige Mitarbeiterin Sarah Lee gecastet, für „Tessa“ war Kristina Richter zuständig. Daneben gab es eine Vielzahl von Entwicklungsprojekten, die nur teilweise realisiert worden sind, für die aber auch besetzt werden musste. Insgesamt schätze ich, habe ich weit über 10.000 Live-Castings gemacht. Im Laufe der Zeit sind viele Produktionen eingestellt worden, und es gab deshalb auch schon früher Entlassungen in der Casting-Abteilung.
Wo liegt ihr Speicher mit diesen 10.000 Videos?
Bei der von uns aufgebauten Datenbank castforward. Hier gibt es zwei Ansichten: eine externe und eine interne, die nur UFA-assoziierten Castern zugänglich ist. Dort sind u.a. circa 3.000 Schauspielerevaluationen von mir vermerkt.
Stichwort Nachwuchspflege & Aufbau. Hier wurde viel getan.
Seit 2008 wurden die Absolventen aller staatlichen Schauspielschulen, die auch in der ständigen Konferenz vertreten sind, eingeladen. Nina Haun und ich übernahmen je ein Wochenende mit jeweils circa 80 Schauspielstudenten, die alle ein Interview und eine Spielszene zu absolvieren hatten. UFA Nachwuchscasting war das Label, welches Nina Haun 2008 ins Leben gerufen hatte. In den letzten zwei Jahren haben wir auch noch einen Casting-Workshop gemacht. Dort wurden berufsvorbereitende Maßnahmen getroffen und unterschiedliche Fragen geklärt, für meinen Bereich etwa: Wie läuft der Besetzungsprozeß bei einer Serie ab, wie ist eine serielle Produktion aufgebaut, was ist die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) usw. Darüber hinaus bin ich so oft wie möglich zum Theatertreffen deutschsprachiger Schauspielstudierender und jedes Jahr zu den Vorsprechen an die staatlichen Hochschulengefahren.
Was sind für Sie die signifikanten Unterschiede zwischen einem Casting für einen Film und für eine Serie?
Das muss man ganz klar in zwei Bereiche aufteilen: Wie ist es, bei einer Serie zu arbeiten und wie wird das nach außen hin wahrgenommen? Wenn jemand frisch von der Schauspielschule kommt, ist es nicht einfach, in einen hochfrequenten Arbeitsrhythmus einzusteigen. Es ist keine schlechte Schule, wenn man für ein paar Monate eine Serie dreht. Man muss sich allerdings fragen, was das mit meiner Außenwirkung macht, weil es in der Branche teilweise das Vorurteil gibt, dass ein Serien-Ensemble hauptsächlich aus Laien bestehe. Ich habe mich stets bemüht, die Besten zu akquirieren und zu verpflichten. Das hatte eine Sogwirkung auf andere Kollegen. Ich erinnere an „Wege zum Glück“, wo täglich 45 Minuten gedreht wurden. Diese Ensembles bestanden immer zu 85% aus staatlich ausgebildeten Theaterschauspielern.
Im Gegensatz zu früher treten heute auch Theaterschauspieler im Privatfernsehen auf...
Auf jeden Fall. Insofern immer weniger gedreht wird, ist ein Serien-Engagement finanziell gesehen schon sehr attraktiv, wie ein 6er im Lotto. Da muss man eventuell eben in künstlerischer Hinsicht Abstriche machen. Wenn ich mir allerdings das Gros der Fernsehfilme ansehe, ist das Niveau, bezogen auf die Qualität der Besetzung und die Dramaturgie häufig fragwürdig, da waren unsere Formate zum Teil auch nicht schlechter. Insofern finde ich es anmaßend, einem Schauspieler, der in einer Serie dreht oder Boulevardtheater spielt, einen Vorwurf zu machen.
Das war ja auch noch zu einer Zeit, als das Wort Casting in Deutschland ziemlich neu war!
Vor allem für meinen Bereich. Ich wurde z.B. 2000 bei Absolventenvorsprechen von ZAV-Mitgliedern gefragt, was ich denn dort mache. Als ich dann sagte, dass ich mir Berufsanfänger ansehe, waren viele überrascht, sahen sie doch in der Grundy UFA eine „Laiendarstellerverwertungsgesellschaft“. Darauf antwortete ich: „Das werde ich ändern.“ Das habe ich dann ja auch im Team mit der gesamten Besetzungsabteilung gemacht.
Welche Vorteile bringt es, als Casting Director eine Schauspielausbildung zu haben?
Ich selbst habe aus diversen Gründen eine private Ausbildung gemacht. Hilde Volk hat mir vier Jahre lang intensives Rollenstudium geschenkt. Parallel habe ich Sprecherziehung und ähnliches absolviert. Schlussendlich hat man aber am Ende handwerkliche Defizite. Der brennende Wunsch zu spielen war auch nicht durchgehend vorhanden. Ich arbeite sehr gerne mit Schauspielern, aber ich will nicht selbst spielen. So habe ich Ende der 1990er Jahre auch als freie Autorin, Regisseurin und Produzentin für das Fernsehen gearbeitet, was sich dann aber thematisch erschöpfte bis ich keine Lust mehr hatte. 2000 habe ich von der Ausschreibung der Grundy UFA gehört, mich vorgestellt und den Job bekommen. Ich weiß wie es ist, wenn man zum Casting eingeladen wird und keine Zusage bekommt oder auf der Volksbühne vor 700 Leuten spielt. Die Schauspieler waren mir immer viel näher. Ich bin ihnen sehr respektvoll begegnet und habe die Castings so druckfrei wie möglich gestaltet. Sie hatten Zeit, sich ungestört mit einem guten Einspielpartner im Castingraum „einzukitschen“. Es gab nie Castings ohne gute Einspielpartner. Wenn jemand behebbare Defizite hatte, habe ich ihm oder ihr das im Sinne einer konstruktiven Kritik auch gesagt.
Inwieweit spielen Social Media Kanäle wie Facebook, Instagram, Twitter und Co eine Rolle?
Bei mir nicht, aber bei Produzenten aus meiner Erfahrung schon. Ab und zu wurde von den Redaktionen oder Produzenten geäußert, doch bitte mal den „Youtuber“ oder die „Facebookerin“ anzusehen. Wenn jemand erfolgreich in einer Show war, entstand schnell eine Besetzungsidee für eine Serie. Ich kann mich daran erinnern, dass wir für „Hinter Gittern“ gebeten worden sind, „Tic, Tac, Toe“ zu besetzen. Das konnte ich dem damaligen Redaktionschef glücklicherweise ausreden, und es wurden letztendlich drei Absolventinnen für die Rollen besetzt. Solche Zumutungen gab es immer wieder und wird es auch immer geben. Was früher der Printbereich war, ist wohl heute das Netz.
Und Klickzahlen?
Mir ist das fremd, aber ich glaube, dass viele sich daran orientieren. Deswegen weiß ich gar nicht, was ich den Schauspielern raten soll. Es gibt bestimmt viele, die darauf gar keine Lust haben, aber inwieweit das ein Muss ist, ist mir unklar. Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber bezweifle, dass meine Kollegen da anders ticken. Für Sender und Produzenten spielt das alles sehr wohl eine Rolle.
Was ist Ihnen bei der Recherche nach einer guten Besetzung am wichtigsten?
Mir ist ganz klar die direkte Variante – selbstgecastet – am wichtigsten oder selbst gesehen im Theater, notfalls auch im Fernsehen oder Kino – wobei ich da genauer hinschauen muss, da hier naturgemäß viel manipuliert werden kann. Vorschläge durch Dritte hängen davon ab, wie objektiv diese Dritten sind. Datenbanken sind eine verlässliche Quelle, die ich nutze, wenn alles gut gepflegt ist. Die Social-Media Kanäle sind für mich irrelevant, weil ich da nicht aktiv und vertreten bin.
Was war die schönste Erinnerung, die Sie aus der UFA-Zeit mitnehmen?
Es war mir immer eine große Freude, die Absolventen zu sehen und deren Entwicklung zu verfolgen. Außerdem hatte ich wunderbare Mitarbeiterinnen und diverse unvergessliche Kollegen innerhalb der Firma und bei einigen Sendern.
Vielen Dank für das Gespräch!
Charlotte Siebenrock (BVC)
Postfach 39 01 72
14091 Berlin
info@charlottesiebenrock.de
www.charlottesiebenrock.de
Hier eine Auswahl aus der Casting-Filmografie von Charlotte Siebenrock:
2016 Suspects
Regie: diverse | Produktion: RTL (UFA Serial Drama) | TV-Serie | Haupt- und Nebencast (1. Staffel)
2006-2016 Alles was zählt
Regie: diverse | Produktion: RTL (UFA Serial Drama) | TV-Serie |
Hauptcasting (seit 1. Staffel bis 11. Staffel)
2014-2015 Block B (AT: Wentworth)
Regie: Kai Meyer Ricks, Tina Kriwitz | Produktion: RTL (UFA Serial Drama) | TV-Serie |
Haupt- und Episodencast (seit 1. Staffel)
2014 Härte
Regie: Rosa von Praunheim | Produktion: Rosa von Praunheim Film | Kinospielfilm | Casting i.Z.m. Marcus Lachmann
2014 Alibi Agentur
Regie: Erik Schmitt | Produktion: ZDFneo (UFA Serial Drama) | Serienpilot | Casting
2012 Wege zum Glück
Regie: diverse | Produktion: ZDF (UFA Serial Drama) | TV-Serie | Haupt- und Episodencast (6. Staffel)
2010 Callgirl Undercover
Regie: Ulli Baumann | Produktion: Sat.1 (UFA Serial Drama) | Casting
2007 Meine wunderbare Familie
Regie: Bernhard Stephan | ZDF (UFA Serial Drama) | TV-Mehrteiler | Casting
2005-2007 Julia - Wege zum Glück
Regie: Gerald Distl, Christa Mühl, u.a. | ZDF (UFA Serial Drama) | TV-Serie | Casting (1. bis 3. Staffel)
2000-2006 Hinter Gittern - Der Frauenknast
Regie: diverse | Produktion: RTL (UFA Serial Drama) | TV-Serie | Casting (1. bis 10. Staffel)
2004-2005 Bianca - Wege zum Glück
Regie: Jurij Neumann | ZDF (UFA Serial Drama) | TV-Serie | Casting i.Z.m. Kristina Richter (1. bis 2. Staffel)
2003 Held der Gladiatoren
Regie: Jorgo Papavassiliou | Produktion: RTL (UFA Serial Drama) | Casting
Um Missverständnissen vorzubeugen:
Die Tätigkeit der Casting Directors Ingrid Cuenca (BVC), Nina Haun und Heidi Krell in Berlin/Potsdam sowie Tina Rinderspacher (BVC) in Köln sind von der Schließung nicht betroffen.
Das von Nina Haun 2008 aufgebaute UFA Nachwuchscasting wird natürlich weitergeführt.
Offizielle Stellungnahme der UFA:
„Castings für die bereits etablierten UFA Serial Drama-Serien werden nach wie vor von den zuständigen Castern der jeweiligen Produktionen betreut. Diese werden jetzt zusätzlich von freien Casting-Direktoren je nach Bedarf unterstützt. Castings für Light Fiction und Development-Projekte werden in erster Linie von der UFA Talentbase verantwortet.”
Zusatzinfo:
Heidi Krell erhielt jüngst bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten” Unterstützung von Tröber Casting, die aktuell zwei Hauptrollen für die Serie casteten. Weitere Infos findet Ihr in unserem Produktionsspiegel.
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