Steckbrief
Christian Junklewitz, geboren 1978, hat an der Universität zu Köln Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Gemanistik und Philosophie auf Magister studiert. Seit 2005 schreibt er für das Fachportal Serienjunkies.de. Dort ist er unter anderem für die Bereiche „TV-Business” und „Deutsche Serie” zuständig. Als Kritiker begleitet er verschiedene Serien. Darunter: „The Good Wife“ (Casting: John E. Andrews u.a.), „Doctor Who“ (Casting: Andy Pryor) und „Sherlock“ (Casting: Daniel Edwards, Kate Rhodes James, Jonny Boutwood) mit regelmäßigen Episoden-Reviews. Jun- lewitz setzt sich sowohl publizistisch als auch akademisch mit Serien auseinander: Gemeinsam mit der Publizistin Tanja Weber hat er verschiedene medienwis- senschaftliche Fachaufsätze zu Serien-Themen veröffentlicht. Parallel arbeitet er auch an seiner Dissertation zu Fernsehserien und Unterhaltung.
Wie erklärt Ihr Euch den enormen Serien-Boom der letzten Jahre?
Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen: wirtschaftlich, kulturell und technologisch. Die Zahl der TV-Anbieter auf dem US-Markt ist riesig. Wer auffallen und sich auf der Fernbedienung unverzichtbar machen will, der muss mit seinen eigenproduzierten Se- rien punkten. Noch vor zehn Jahren kannte kaum jemand den Kabelsender AMC. Dann brachte er „Mad Men“ und „Breaking Bad“ heraus. Und obwohl beide Serien zunächst nur sehr bescheidene Einschaltquoten hatten, war der Sender auf einen Schlag in aller Munde. DVD und Streaming geben dem Nutzer zeitliche Souveränität, im Gegensatz zum linearen Fernsehen. Im linearen Fernsehen bedeutet eine verpasste Folge oft, dass man raus ist. Streaming und DVD erlauben dem Nutzer zeitliche Unabhängigkeit und schufen damit den Anreiz für episodenübergreifendes und komplexeres Erzählen. Damit gewann die Serie an kulturellem Renommee, welches die Anbieter wiederum für sich zu nutzen wissen. Für alle payfinanzierten Dienste, egal ob HBO oder Netflix, kommt es schließlich nur bedingt darauf an, dass ihre Pres- tigeserien tatsächlich geschaut werden. „Boardwalk Empire“ und „House of Cards“ sind mit ihren positiven Kritiken und Fernsehpreisen das glitzernde Schaufenster, welches den Kunden anlocken soll. Ist der Kunde erstmal „im Laden“, spielt es für Netflix keine Rolle, ob er „House of Cards“ oder doch lieber „The Big Bang Theory“ streamt. Es ist ein gegenüber den werbe- finanzierten Networks völlig anderes Geschäftsmodell, welches primär auf dem Image beruht, welches sich ein Anbieter mittels seiner eigenproduzierten Serien zulegt.
Serienjunkies.de gab es ja schon vor dem großen Serien-Boom. Wie entstand die Idee dazu?
Unser Gründer Mariano Glas ist bei einem USA-Besuch 1993 durch die Pilotfolge von „Akte X“ zum Vollblut-Serienjunkie geworden. Daraufhin interessierte er sich für alles, was mit US-Serien zu tun hat. In einer Excel-Tabelle hielt er fest, welche Episoden einer Serie er schon gesehen hatte, und welche noch nicht. Und aus dieser Excel-Tabelle ist dann Schritt um Schritt die Webseite erwachsen. Zunächst lief sie noch unter anderem Namen, seit 2003 aber unter Serienjunkies.de. Anfangs ist das Ganze nur ein Hobby gewesen. Serienfans, die für andere Serienfans alles zusammentragen, was sie im Netz an Informationen über Serien finden können. Professionalisiert haben wir uns ab 2007, als das Interesse an Serien und an Serienjunkies.de immer weiter zunahm. So wurde aus dem Hobby ein Beruf.
Wie viele Leute seid Ihr und aus welchen Bereichen kommt ihr?
Der feste redaktionelle Kern besteht aus etwa einem Dutzend Leuten. Mit Praktikanten, Technik, Vermarktung und allem Drumherum sind wir knapp zwanzig Mitarbeiter – teils festangestellt oder freiberuflich tätig. Wir kommen aus den unterschied- lichsten Bereichen: Eine hat vorher beim Sender gearbeitet, der andere hat vorher Politikwissenschaft studiert. Ich selbst bin von Haus aus Theater-, Film- und Fernsehwissenschaftler. In Sachen Medienjournalismus sind wir alle Quereinsteiger. Was uns eint, ist die Begeisterung für Serien.
Wodurch hebt sich Eure Datenbank von anderen speziell ab?
Unser ursprüngliches Motto lautete „Alles zu Deinen Lieblingsserien“, und das ist bis heute unser Anspruch. Wenn es etwas gibt, das uns auszeichnet, dann eine geradezu holistische, also ganzheitliche, Herangehensweise an das Thema Serien. Du willst wissen, wie sich die US-Einschaltquoten Deiner Lieblingsserie entwickeln? Das erfährst Du tagesaktuell bei uns. Du willst mehr über den Mechanismus der Syndication erfahren, welche US-Serien erst so lukrativ macht? Wir erklären es. Du willst wissen, mit wem Kaley Cuoco aus „The Big Bang Theory“ gerade zusammen ist? Ja, manchmal berichten wir auch darüber. Wir beleuchten Serien von allen denkbaren Seiten, was auch die Arbeit bei Serienjunkies.de so vielseitig und spannend macht. In einem Augenblick bin ich auf einer „Star Trek“-Convention, spreche mit Machern und Schauspielern und hab mein Ohr ganz dicht an der Fanbasis. Im nächsten Moment bin ich auf einem Medienkongress und wohne Diskussionen zu den „Terms of Trade” oder dem „Digital Single Market” bei. Anschließend erkläre ich unseren Lesern, was das mit der Produktion ihrer Lieblingsserien zu tun hat.
Welche Kriterien muss eine Serie erfüllen, damit Ihr sie listet?
Da gibt es keinen festen Kriterienkatalog. Wenn uns eine Serie interessiert, dann denken wir, dass sie auch unsere Leser interessieren wird und umgekehrt. Oft merken wir erst durch die Diskussionen auf unserer Seite, um welche Serien wir uns unbedingt kümmern müssen. Unser Kerninteressengebiet ist dabei nach wie vor die US-Serie. Es finden bei uns aber auch mehr und mehr Serien aus anderen Ländern Berücksichtigung: Kanada, Großbritannien, Australien, Skandinavien, Frankreich, Italien und Deutschland.
Wie viel Zeit investiert Ihr täglich für die Recherche von Informationen zu den einzelnen Serien?
Das lässt sich schwer beziffern. Wir haben bei uns in der Redaktion Kollegen, die den ganzen Tag über nichts anderes tun, als über aktuelle Serien-News zu schreiben: Bestellungen, Verlängerungen, Absetzungen, Drehstart- und Castingmeldungen, wer besetzt wurde. Egal, ob es dabei um die Besetzung der Hauptrollen oder auch nur um Gastauftritte in einzelnen Episoden geht. Andere wiederum füttern unsere Datenbank mit Episodenführern und Darstellerinformationen. Wieder andere setzen sich mit den Serien vor allem inhaltlich auseinander. Serien- beziehungsweise Episodenreviews sind ein großer Schwerpunkt unserer Arbeit. Dazu kommen Interviews, Reportagen und Analysen. Mir kommt es so vor, dass Serienjunkie.de weniger ein Job mit festen Arbeitszeiten als vielmehr eine bestimmte Lebensart ist. Du nimmst ständig Informationen auf. Zum Beispiel fällt Dir abends beim Serienschauen auf: Ach, Darsteller XY hat hier ja auch mitgespielt. Und nächste Woche sitzt Du plötzlich an einem Artikel, in dem genau das von Bedeutung ist.
Was ist bei Euch die anstrengendste Zeit?
Jeweils kurz vor Beginn der Sommerpause im US-Fernsehen Mitte/Ende Mai, also jetzt, finden in New York über eine Woche hinweg verteilt die Verkaufspräsentationen der Networks statt. Das heißt: die Networks stellen den Werbekunden das Programm für den kommenden Herbst vor, damit die Werbekunden jetzt schon mal vorab (also upfront) die Buchungen für die Season 2016/2017 vornehmen können. Das nennt man die Upfronts. Für uns heißt das: In dieser Zeit wird bekannt, welche Serien verlängert, abgesetzt und neu bestellt werden und wie die Programme der Networks in der kommenden Season aussehen werden. Manche Dinge werden zwar schon vorher bekannt. Trotzdem sind die Upfronts immer noch eine ganz besondere Zeit des Jahres, wenn einfach unglaublich viele News auf uns einprasseln. In dieser Zeit herrscht bei uns Urlaubssperre. Auch von normalen Arbeitszeiten kann keine Rede sein. Da endet der Arbeitstag dann auch schon mal erst um drei oder vier Uhr morgens. Also ganz klar: die stressigste Zeit des Jahres!
Woher bezieht Ihr die Informationen und einzelnen Materialien z.B. Serien-Trailer oder Fotos?
Der Bezug von Materialien verläuft meist sehr unspektakulär über die Presseserver von Sendern und Agenturen. Den größten Spaß macht es natürlich, selbst Veranstaltungen wie Premieren, Conventions und Kongresse zu besuchen und dort mit Leuten zu sprechen, Informationen heraus zu kitzeln und Fotos zu schießen. Dieses Jahr habe ich für Serienjunkies.de zum ersten Mal die Verleihung des Grimmepreises besucht. Ich bin kaum damit hinterhergekommen, alle Gelegenheiten für Gespräche und Fotos wahrzunehmen.
Habt Ihr schon Mal über einen individuellen Serien-Kalender für den einzelnen User nachgedacht?
Das bieten wir heute schon an. Wenn sich ein Leser bei uns kostenlos in der Community registriert, kann er über die Funktion „Meine Episoden“ seine Lieblingsserien angeben und hat fortan seinen persönlichen SerienKalender. Auch im Google Kalender, Outlook oder auf seinem Smartphone.
Neben Eurer Website seid Ihr auch auf den sozialen Netzwerken sehr aktiv. Wie wichtig ist für Euch der Austausch mit Euren Usern?
Sehr wichtig – zunächst einmal sind Facebook, Twitter & Co. mittlerweile absolut unverzichtbar, um Leser zu erreichen. Viele Nutzer stoßen überhaupt erst durch die sozialen Netzwerke auf uns. Natürlich sind dem Austausch zeitliche Grenzen gesetzt. Kein Problem sind Anfragen zu Serien-Startterminen, diese können wir sehr schnell beantworten. Anders sieht es mit dem Wunsch mancher Leser aus, dass wir uns auch stärker in Diskussionen einbringen sollen. Das scheitert unsererseits leider oft daran, dass der Tag dann eben doch nur 24 Stunden hat...
Glaubt Ihr, dass in Euren Serien-Charts demnächst auch deutsche Serien zu finden seien könnten?
Wenn ich mich nicht irre, dann ist in jüngster Zeit mindestens eine deutsche Serie bereits in unseren Serien-Charts ganz weit vorn gewesen, und zwar „Club der roten Bänder“. Grundsätzlich sehe ich keinen Grund, warum das anderen Serien nicht auch gelingen sollte. Leicht wird es nicht. Die Vorbehalte unserer Leser gegen die deutsche Serie sind sehr ausgeprägt. Die Neugier auf hiesige Produktionen ist aber in jedem Falle geweckt. Ich für meinen Teil bin jedenfalls sehr neugierig, was das kommende Jahr mit Tom Tykwers „Babylon Berlin“ & Co. so alles bringen wird.
Was haltet Ihr vom sogenannten Binge-Watching-Trend?
Ich selbst gehöre zu der merkwürdigen Spezies von Zuschauern, die einen guten Cliffhanger, samt der sehnsüchtigen Wartezeit bis zur Auflösung, zu schätzen weiß. Aber natürlich gibt es Serien, bei denen auch ich ins Bingen gerate. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn das Publikum die Freiheit erhält, Serien nach eigener Zeiteinteilung zu schauen. Dazu gehört dann eben auch, eine Serien-Staffel an einem Wochenende durchzuziehen. Das macht das Sprechen und Schreiben über Serien natürlich schwieriger, weil man sich nicht mehr sicher sein kann, dass alle auf demselben Stand sind. Der Souveränitätsgewinn ist diese kleine Komplikation aber allemal wert.
Seid Ihr selber auch alle wahre Serienjunkies und was sind Eure persönlichen Empfehlungen?
Hardcore-Serienjunkietum ist Einstellungsvoraussetzung. Anders kann man bei uns in der Redaktion gar nicht arbeiten. Meine persönliche Empfehlung, auf die ich mit einem gewissen „Entdeckerstolz“ blicke, weil ich sehr frühzeitig erkannt habe, um was für eine Perle es sich handelt, ist „Person of Interest“. Die Serie ist zwar schon etwas älter, sie läuft in den USA aktuell in der fünften und letzten Staffel, aber absolut sehenswert. Nicht wenige Kritiker-Koryphäen der Serien-Zunft entdecken jetzt gerade erst: „Meine Güte, das ist ja eine ganz großartige Serie, die wir anfangs als typisches CBS-Procedural abgetan haben! Was haben wir uns da nur entgehen lassen?“ Wer eine richtig gute Mischung aus Cyber-Thriller und Actionserie, die sich stets im Graubereich dessen bewegt, was noch Science Fiction und was schon Realität ist, mag, sollte der Serie auf alle Fälle eine Chance geben.
Vielen Dank für das Gespräch, allen voran in der stressigen Upfront-Zeit!
www.serienjunkies.de
Tina Thiele | Ausarbeitung: Catharina Chlupaty
Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von „casting-network. Das Branchenportal”. Mehr zu ihrer Person finden sie in der Rubrik: Über uns.
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