Ein Jahr deska Deutsche Schauspielkasse
Heinrich Schafmeister im Interview
Über Heinrich Schafmeister
Statt eines „personalisierten“ Steckbriefes haben wir Heinrich Schafmeister ein paar Fragen zu seiner Per- son gestellt, um Euch ein lebhaftes Bild unseres Inter- viewpartners vermitteln zu können:
Deine eigentliche Leidenschaft galt dank der „Beatles“ der Musik, wie kam es dann trotzdem zum Abbruch des Musikstudiums und der Berufs- wahl Schauspieler?
Das war Ende der Siebziger: Ich zog schon seit Jahren mit Bands umher und machte Straßenmusik. Meine damalige Freundin brachte mich auf die Idee, mein Treiben durch eine künstlerische Ausbildung zu fun- dieren. Da ich damals gerade mit Piet Klocke und anderen Freunden in einer Rocktheaterband spielte und wusste, dass ich für ein Klavierstudium nicht virtuos genug sein würde, habe ich mich zur Schau- spielaufnahmeprüfung an der Folkwangschule ange- meldet. Womit ich nicht gerechnet hatte: Die haben mich aufgenommen. Und so bin ich auf die „schiefe Bahn“ der Schauspielerei geraten. Ich bin nicht unglücklich darüber!
Was bedeutet es für Dich Schauspieler zu sein?
Das ist so ähnlich wie mit der Musik: Ich will Leute bewegen – zum Lachen, zum Weinen, im Kopf, im Herzen und im Handeln.
Dein Vater war Richter der Sozialgerichtsbarkeit. Würdest Du sagen, dass dies im Bereich „soziales Engagement“ positiv auf Dich abgefärbt hat?
Sagen wir, ich bin familiär „belastet“ und geprägt durch meine Heimat. Ich war noch nicht in der Schule, da wurde ich schon durch meinen Vater mit sozialrechtlichen Dingen konfrontiert. Aber mindestens so entscheidend für meine Entwicklung war meine Herkunft, das Ruhrgebiet. Da wird man geerdet und lernt zusammenzuhalten.
Wie bist du zum BFFS gekommen?
Mein Freund, Michael Brandner, hatte die – aus meiner damaligen Sicht – durchgeknallte Idee, endlich einen wirkungsmäch- tigen Schauspielverband zu gründen, weil es den eben in Deutschland nicht gab. Ich habe ihm damals vorgehalten: „Bei aller Liebe, Du kriegst doch nicht einmal sieben Schauspieler in ein und dieselbe Kneipe, wie willst Du denn sieben Leute zum Notar führen? Die brauchst Du nämlich, um einen Verein zu gründen.“ Michael war sauer über meine Besserwisserei, ging in eine Kneipe, holte dort sieben Schau- spielerinnen und Schauspieler raus und schleppte sie zum Notar – fertig. Ein paar Tage nach der Gründung waren wir schon mehrere hundert Leute und die erste Vorstandswahl stand an. Ich ging sicherheitshalber auf’s Klo, hatte aber nicht mit Michaels zweitem Streich gerechnet. Als ich zurückkam, war ich – in Abwesenheit – zum Schatzmeister ge- wählt worden. Ich hätte ja nun ablehnen können, aber Leonard Lansink, mein anderer Freund, machte mir mit ein paar lieb- bösen Worten klar, dass ich jetzt nicht kneifen dürfe. Und schon war ich drin, im aufregenden Abenteuer, dem buntfröhlichen Haufen von Schauspielerinnen und Schauspielern zu Gestaltungsmacht und -einfluss zu verhelfen.
Bleibt mit der ehrenamtlichen Arbeit für den BFFS noch genug Zeit fürs Schauspiel?
Ich stecke gerade in Vorbereitungen für ein neues Bühnenstück. Die Schauspielerei macht mir nicht nur Spaß und ist mein Beruf. Ich brauche sie auch als Vorstandsmitglied, um aus „berufenem“ Mund mich für die Probleme und Interessen meiner Kolleginnen und Kollegen einsetzen zu können. Und ich gebe zu: Wenn ich zwischendurch drehe oder Theater spiele und mich ganz auf die Schauspielarbeit konzentrieren darf, ist das fast wie Urlaub für mich.
Fragen zur deska Deutsche Schauspielkasse:
Die deska Deutsche Schauspielkasse wird jetzt ein Jahr alt. Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, sie zu gründen?
Not macht erfinderisch! Als BFFS und ver.di 2010 anfingen, mit der Produzentenallianz über tarifliche Kinoerlösbeteiligungen zu verhandeln, stellte unser Gegenüber sehr früh eine Vorbedingung: Mit der Organisation und den Kosten der Verteilung an die unterschiedlichen Kreativen wollten sie nichts am Hut haben. Ich fragte mich: „Aha, und wer dann?“ Angesichts der riesigen grundsätzlichen Probleme und Streitpunkte, die damals bei den Verhandlungen zunächst im Vordergrund standen, stieß ich mit meiner nachgelagerten Frage bei den anderen Beteiligten zunächst auf wenig Gehör. „Das wird sich am Ende schon fügen“, dachten viele – ja, von wegen! Spätestens Ende 2012 zeichnete sich ab, dass auch ProSiebenSat.1 eine Vereinbarung über Folgevergütungen nur beschließen würde, wenn unsere Seite dem Sender das Problem der Verteilung abnimmt. Ab da war klar: Wir brauchen eine Institution wie die deska Deutsche Schauspielkasse.
Könntest Du das Konzept der Deutschen Schauspielkasse einmal „Für Dummies“ erklären?
Der BFFS handelt mit Sendern bzw. Produzenten für Schauspielerinnen und Schauspieler, die in erfolgreichen Filmen mitwirken, urheberrechtlich begründete Folgevergütungen aus. So was hat es vorher nicht gegeben. Das geschieht entweder in Form von Tarifverträgen wie bei den Kinoerlösbeteiligungen mit der Produzentenallianz oder auf Basis sogenannter „Gemeinsamer Vergütungsregeln“ mit Sendern wie mit ProSiebenSat.1.
Zwei Bedingungen werden dabei immer gleich sein:
Erstens werden diese Verträge – gerade wenn sie Schauspielerinnen und Schauspieler betreffen – stets Gesamtbeteiligungen vorsehen, die dann streng nach den Verteilregeln der jeweiligen Vereinbarungen an die Einzelnen aufgeteilt werden müssen.
Zweitens wird sich kein Filmhersteller bzw. Sender je darauf einlassen, diese Verteilung hausintern durchzuführen. Sie ist um- fangreich, lässt sich nicht nebenher erledigen und würde zu erheblichem Personalaufwand führen. Daher die Notwendigkeit der Deutschen Schauspielkasse.
Was bedeutet das im Einzelnen, und welche Schwierigkeiten gibt es?
Jede Verteilung begünstigt ca. 20 bis 40 Schauspielerinnen und Schauspieler. Ihre Anteile richten sich nach der Größe der Rollen, die wiederum anhand der jeweiligen Drehtage berechnet werden. Fehlen diese Drehtagangaben – und das betrifft bei ProSiebenSat.1 zurzeit 96 Prozent der Fälle – müssen die Filme gesichtet und die Präsenz aller Rollen gemessen werden.
Müssen hier wieder die Schauspieler die Daten einspeisen?
Nein! Das liegt in der Verantwortung der Verteilstelle. Diese holt die Informationen von den Sendern bzw. Produzenten ein, berechnet die Anteile und bietet den Berechtigten die Folgevergütungen an. Dazu müssen, weil oft exakte Besetzungslisten fehlen, viele der Schauspielerinnen und Schauspieler identifiziert und ihre Kontakt- und Bankdaten recherchiert werden – welche permanent wechseln. Alle Berechtigten werden einzeln angeschrieben und um ihre Einwilligung zum Verteilungsprozedere gebeten. Manche der Berechtigten sind im Ausland, haben den Namen gewechselt oder sind bereits verstorben. Der Teufel steckt im Detail!
Können das nicht die Verwertungsgesellschaften machen?
Offenbar nicht. Die VG Bild-Kunst lehnt die Übernahme der Verteilung der tariflichen Kinoerlösbeteiligung für den Kreis der Regie-, Kamera-, Filmeditorleute etc. ab. Das Hauptgeschäft von Verwertungsgesellschaften ist, die Zweitverwertungsrechte ihrer Mitglieder wahrzunehmen. Dazu beschließen sie in Eigenregie Verteilungspläne. Nun möchten sie nicht im Nebengeschäft Verteilungen abwickeln, die von externen Tarifverträgen bzw. gemeinsamen Vergütungsregeln bestimmt werden und zwangsläufig von ihren eigenen Plänen abweichen. Die VG Bild-Kunst fürchtet, dass dies bei ihr intern Ärger verursachen könnte.
Hat die Deutsche Schauspielkasse diesen Interessenkonflikt nicht?
Nein, denn sie ist keine Verwertungsgesellschaft, sie nimmt keine Rechte wahr, hat keine Mitglieder und macht keine Verteilungspläne. Sie wurde vom BFFS als reiner Dienstleister ins Leben gerufen. Sie steht im Dienst der Tarifverträge bzw. gemeinsamer Vergütungsregeln, die der BFFS aushandelt, und muss die Verteilung streng nach den Bestimmungen dieser Vertragswerke vornehmen. Bei dieser Aufgabe hat die Deutsche Schauspielkasse keinen eigenen Ermessensspielraum.
Bei der Deutschen Schauspielkasse rechnet Ihr ja nicht nur die Erlösbeteiligung aktueller, sondern auch von vergangenen Produktionen aus - wie groß ist der Altlasten-Stapel?
Ja, bei ProSiebenSat.1 konnten wir vom BFFS durchsetzen, dass auch Folgevergütungen für erfolgreiche Filme, Reihen- und Serienepisoden gezahlt werden, die vor Vertragsschluss am 1. Juli 2013 entstanden sind – die sogenannten „Altfälle“. Es handelt sich dabei um ca. 550 Produktionen, für die insgesamt knapp vier Millionen Euro an die Schauspielerinnen und Schauspieler verteilt werden müssen. Knapp zwei Millionen davon hat die Deutsche Schauspielkasse bereits bis Ende Oktober 2015 abgewickelt.
Muss man beim BFFS Mitglied sein, um den Service der Deutschen Schauspielkasse in Anspruch zu nehmen oder kümmert Ihr Euch um jeden Schauspieler?
Alle mitwirkenden Schauspielerinnen und Schauspieler werden begünstigt – unabhängig davon, ob sie beim BFFS Mitglied sind. Dies gilt sowohl für den Kinoerlösbeteiligungstarifvertrag als auch die gemeinsamen Vergütungsregeln mit ProSiebenSat.1. Aber ich will den zunehmenden Unmut nicht verschweigen. Viele BFFS Leute fragen: Warum sollen wir Mitgliedsbeiträge für die Durchsetzung von Folgevergütungen zahlen, von denen dann auch Nichtmitglieder profitieren können?“ Wir nehmen diese Kritik sehr ernst. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass Gewerkschaften wie der BFFS ihre Aufgabe gerade darin sehen, allgemeine Branchenstandards zu setzen. Wer politisch gestalten will, muss sich auch zugunsten Dritter engagieren. Der BFFS tut das. Außerdem sind durch diese Erfolge viele überzeugt worden, dem BFFS beizutreten.
Wie trägt sich die Deutsche Schauspielkasse finanziell und personell?
Die deska hat einen kleinen Mitarbeiterstab: Einschließlich der beiden Geschäftsführer arbeiten sechs Leute für die deska. Der BFFS hat darauf bestanden, dass der Sender sich an den Verwaltungskosten beteiligt. Den anderen Teil der Verwaltungs- aufwendungen tragen die Berechtigten. Das sind 13,75 Prozent ihrer Beteiligung. Zum Vergleich: Die GEMA z. B. hat 400 Mal größere Verteilmassen im Jahr und zweigt davon über 15 Prozent für ihre Verwaltung ab. Ich sage das nur, um Missverständ- nisse zu vermeiden.
Was für Missverständnisse meinst Du?
Zum einen schmälert die Beteiligung der Sender an den Verwaltungskosten nicht die Schauspiel- Ausschüttungssumme. Sie stehen der Berufsgruppen Regie und Drehbuch in nichts nach. Zum anderen müssen keine Mitgliedsbeiträge zur Finanzierung unserer Tochtergesellschaften – Deutsche Schauspielerpreis GmbH und deska Deutsche Schauspielkasse GmbH – herhalten. Hierfür fühle ich mich persönlich verantwortlich. Umgekehrt fließen auch keine Schauspielkassen-Gelder zum BFFS. Aber natür- lich nutzen wir Synergieeffekte. Wäre die deska keine Tochtergesellschaft des BFFS, würde die Verteilung natürlich mehr Kosten verursachen.
Bekommst Du ein monetäres Honorar?
Na klar, diese Arbeit kann ja nicht gratis sein. Dafür hat auch die BFFS-Mitgliederversammlung plädiert: Die Angestellten unserer Tochtergesellschaft sollen nicht aus einem falsch verstandenen Wohltätigkeitsgefühl heraus ausgebeutet werden. Das gilt auch für mich. Mein Posten als Vorstand der deska-Geschäftsführung ist nicht Bestandteil meiner ehrenamtlichen BFFS-Vorstands- tätigkeit.
Was sind die akuten Ziele des BFFS und der Deutschen Schauspielkasse?
Der BFFS ist mit Höchstdampf dabei, weitere Folgevergütungsverträge auszuhandeln – mit RTL und mit den ARD-Sendern, dort sind wir insbesondere mit dem BR intensiv im Gespräch. Mit ProSiebenSat.1 reden wir schon über eine Erweiterung der bestehenden Vereinbarung. Wir wollen unbedingt auch fiktionale Comedy- Formate einbeziehen. Diese Ziele wären ohne die Deutsche Schauspielkasse unerreichbar, darum hat ihr Aufbau und ihre Zukunftsfähigkeit absolute Priorität. Zurzeit wird noch der Berg der Altfälle abgewickelt. Wir müssen die deska so ausrüsten, dass sie auch in solchen Zeiten zuverlässig weiterarbeiten kann, wenn dieser Berg abgetragen ist. Wenn weniger Erlösbeteiligungen zur Auszahlung anstehen und folglich weniger Ver- waltungsgebühren eingenommen werden.
Wie ist das Feedback, dass Ihr von Seiten der Schauspielergemeinschaft bekommt?
Formal läuft das ja so ab: Nur wenn die oder der Berechtigte die Einwilligung gibt, mit dem ganzen Verteilprozedere einverstanden zu sein, wird die Beteiligung an sie oder ihn ausgezahlt. Bisher hat niemand abgelehnt. Das ist natürlich erfreulich – wenn auch wenig verwunderlich. Darüber hinaus bewegen sich die Reaktionen der berechtigten Schauspielerinnen und Schauspieler zwischen freudiger Überraschung und großer Dankbarkeit. Wir erhalten Waschkörbe voll herzlicher E-Mails und Briefe. Das motiviert uns sehr, auf diesem Wege fortzufahren. Es gibt auch Leute, die ihren Geldsegen erst für einen dummen Scherz halten. Die kaum glauben können, dass die Buyout-Gagen-Praxis zumindest bei ProSiebenSat.1 tatsächlich beendet ist.
Was möchtest Du Deinen Schauspielkollegen für die Zukunft mit auf den Weg geben?
Ich möchte ihnen Mut machen. Ich sage immer: „Wir haben den schönsten Beruf der Welt, den man aber nicht weiterempfehlen kann.“ Letzteres ist so, weil wir Schauspielerinnen und Schauspieler uns allzu lange nicht wirkungsvoll zusammengeschlossen hatten. Soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen sind ohne unseren Einfluss gewuchert – und lassen uns im Stich. Seit Gründung des BFFS hat sich aber das Blatt endlich gewendet.
Wir haben zwar noch einen langen Weg vor uns – die amerikanische SAG hat für ihre Erfolge auch immerhin 80 Jahre gebraucht – aber der Anfang ist gemacht. Der BFFS ist in kurzer Zeit zum mitgliedsstärksten Berufsverband der Film- und Fernsehbranche herangewachsen. Er arbeitet eng mit dem anderen Schauspielverband, dem Synchronschauspielverband (IVS) zusammen. Der BFFS pflegt seine Partnerschaft zu ver.di und den anderen Filmschaffenden-Verbänden. Das alles macht den BFFS so „sozial mächtig“, dass er als einziger Berufsverband in unserer Branche Tarifverträge abschließen kann. Damit haben wir uns zur Gewerkschaft gemausert.
Wir haben einen Vertrag mit ProSiebenSat.1 und sind in Verhandlungen mit anderen Sendern. Wir haben das Durcheinander unserer Sozialversicherungspflicht bei Dreharbeiten klären lassen und den Gesetzgeber veranlasst, sich um unsere soziale Absicherung zu kümmern, z. B. beim Anspruch auf Arbeitslosengeld 1. Wer hätte all diese Fortschritte – wohlgemerkt, die von Schauspielerinnen und Schauspielern erkämpft wurden – noch vor zehn Jahren für möglich gehalten?
Aber von nix kommt nix! Wir dürfen nicht wieder in die Einzelkämpferzeiten zurückfallen. Auch für den BFFS gilt: Ein bloßer Brauchtumsverein für Schauspieler, der keine Wirkung auf sein Umfeld entfalten will, wäre überflüssig. Der BFFS muss weiter mit Lust, Charme und Phantasie ein- und angreifen.
Vielen lieben Dank für das Gespräch!
www.bffs.de
www.bffs.de/deska
www.jutta-schafmeister.de/steckbrief/heinrich-schafmeister
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www.out-takes.de
Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von „casting-network. Das Branchenportal”. Mehr zu ihrer Person finden sie in der Rubrik: Über uns.
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