Kaderschmiede statt Freiheit für Filmemacher
Die DFFB-Krise als Symbol für Defizite des Politischen, der Filmkulturpolitik und zuneh- mender Ignoranz gegenüber demokratischen Grundwerten.
Betrachtet man die Entwicklung der letzten Wochen um die Neubesetzung der Leitung der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, so gleicht diese wahrlich einem Eiertanz. Hier folgte Schlagzeile auf Schlagzeile.
06.03.2015: Ralph Schwingel soll neuer DFFB-Direktor werden
12.03.2015: DFFB hält an Schwingel fest
18.03.2015: DFFB-Streit eskaliert weiter
25.03.2015: Ralph Schwingel zieht Bewerbung zurück
26.03.2015: Ernste Zweifel am Auswahlverfahren
Rüdiger Suchsland verfolgte das Geschehen und thematisierte es in seiner Reihe Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, Folge 101 & 102, welche auch in unse- rem Blog out-takes erschien. Hier nun sein Update dieses Eiertanzes:
Eine rückdatierte Bewerbung, eine einstweilige Anordnung, „geheime” Dokumente und drei verschlissene Direktorenkandidaten – die Lage an der DFFB wird zunehmend chaotisch.
Seit Herbst spitzten sich offenkundig die Verhältnisse an der Berliner DFFB zu. Anlass, aber nicht Ursache, ist die Frage der Nachfolge auf dem Direktorenposten. Der letzte Direktor, Jan Schütte, eine in jeder Hinsicht schwache Figur und völlige Fehl- besetzung auf dieser Position, hatte es in kürzester Zeit geschafft, den guten Ruf der DFFB zu beschädigen und vieles von dem zu ruinieren, was seine Vorgänger Reinhard Hauff und Hartmut Bitomsky aufgebaut hatten. Die DFFB ist ja, entgegen man- chen Ansichten, keineswegs identisch mit der „Berliner Schule”, sondern voller Vielfalt, Pluralität und Toleranz. Die Handschrift der Schule ist ihr Niveau. Die DFFB ist aber eine Kunstakademie, die nie dazu gedacht war, den Kannibalen in den Fernseh- anstalten unbedarfte Jungfilmer zum Frühstück und zur weiteren Ausbeutung zu servieren. Das Widerständige, Kreative der DFFB konnte auch Jan Schütte trotz aller Mühe nicht zerstören. In den letzten Jahren entstanden Filme wie „Das merkwürdige Kätzchen”, „Oh Boy”, „Anna Pavlova lebt in Berlin”, „Der Samurai”, „Komm und spiel, ein proletarisches Wintermärchen”, „Ich will mich nicht künstlich aufregen” oder „Die Finanzen des Großherzogs Radikant Film”. Keine schlechte Bilanz. Aber ausgerechnet diese und sämtliche anderen Filme der DFFB, die ein wenig international erfolgreich waren und Beifall von Kritik und Publikum bekamen, waren von Schütte nicht gewollt und oft aktiv bekämpft worden, was viel über Schüttes Geschmack sagt und alles über seine Vorstellung von dieser Akademie. Sein Abgang durch die Hintertür und seine letzte Amtshandlung – die bislang schwarzen Wände des DFFB-Kinos ließ er komplett in Gold anstreichen!!! – belegen das Versagen der Findungskommission und der Ent- scheidungsträger bei der letzten Direktorenbestimmung.
Alles deutet darauf hin, dass die Verantwortlichen aus ihrem Versagen nichts gelernt haben: Namen der Kandidaten sickerten in den vergangenen Monaten im halben Dutzend durch – und zwar nicht von Studentenseite aus – und nach allem, was man wis- sen kann, werden hochinteressante Optionen vom Kuratorium von vornherein ausgeschlossen. Drei Namen von Favoriten des verantwortlichen Kuratoriums wurden bekannt, zwei davon auch öffentlich: Bekannt ist ferner, dass all diese Namen von der Findungskommission zurückgewiesen wurden. Man möchte schon sehr gern wissen, was sie eigentlich in deren Augen unge- eignet macht, um die DFFB zu leiten. Nominiert hat die Kommission hingegen Sophie Maintigneux, die sich bereits vor vier Jahren beworben hatte, und deren Nominierung von Studenten wie Dozenten unterstützt wird, und den weithin unbekannten österreichischen Regisseur Julian Pösler, der weiße Wal in diesem Bewerbungsverfahren, weil über ihn nicht viel bekannt ist. Auf Wikipedia ist herauszufinden, dass er immerhin einmal Assitenz von Axel Corti war und neben quotenträchtigem Fernsehen den wenig geschmacksicheren Kinofilm „Die Wand” zu verantworten hat. Offensichtlich war Pösler der Kommission dann so wenig geheuer, wie eine Kandidatin, die die Unterstützung kommender Filmemacher, aber nicht gegenwärtiger Förderer und früherer Produzenten hat, und die Kommission einigte sich darauf, sich nicht zu einigen. Der Fall DFFB entwickelt sich zu einem Fall Björn Böhning. Der Wowereit-Vertraute und Chef der Berliner Senatskanzlei wollte seinen Posten unter dem neuen Regierenden Bürgermeister Müller gerne behalten.
Aber der Reihe nach: Die DFFB ist die älteste und die mit großem Abstand renommierteste Filmausbildungsstätte der Republik. Eingeweiht vor fast 50 Jahren, als Willy Brandt noch Regierender Bürgermeister und West-Berlin noch Frontstadt, nicht nur künstlerischer Freiheit, im Kalten Krieg war. Zu ihren Absolventen gehören keineswegs nur Hardliner des Autorenkinos wie Hartmut Bitomsky oder Harun Farocki, sondern auch Hollywood-Regisseure wie Wolfgang Petersen, oder Christian Petzold, Thomas Arslan und Angela Shanelec die mit der „Berliner Schule” die einzige international erfolgreiche Kinobewegung bilden, die seit Fassbinders Tod vor über 30 Jahren in Deutschland entstanden ist. Das Besondere der DFFB ist erstmal, dass sie eben keine Hochschule ist, in der das Studium völlig verschult in Bachelor- und Mastergänge zerfällt, sondern eine Akademie, ein Ort für Eigensinn und Freiheit – die man natürlich dann auch nutzen muss. Aber hier haben die kommenden Filmemacher Zeit, etwas auszuprobieren, sich zu finden. Das zweite Alleinstellungsmerkmal schließt daran an: Weil dies eine Kunstakademie ist gehört die Mitbestimmung von Dozenten und Studenten zum Wesenskern der DFFB.
Auch wenn die Berliner Lokalpresse das zum Teil anders kommentiert, geht es den protestierenden DFFB- Studenten weder um Macht- und Ränkespiele, noch darum, ihren Kopf durchzusetzen. Die DFFB-Studenten wollen gute Kinomacher werden, und dazu ihr Handwerk lernen. Dafür wünschen sie eine künstlerische Leitung die diesen Namen verdient, feste, prägende Dozenten, mitunter alternative Seminarformen. Die DFFB soll ein Ort konfrontativer Diskurse bleiben, ihre Besonderheit soll nicht aufs Spiel gesetzt werden. Unterstützt werden sie dabei von vielen Filmemachern aller Stilrichtungen: Unter anderem Wolfgang Becker, Detlev Buck, Chris Kraus, Pia Marais und Christian Petzold bekundeten ihre Unterstützung des Anliegens, eine DFFB-Leitung nicht gegen Studenten und Dozenten durchzudrücken. Mit täglichen Mahnwachen am Roten Rathaus, zwei gut besuchten Podi- umsdiskussionen, Unterstützerlisten mit renommierten Unterzeichnern, Protestauftritten, unter anderem auf der Berlinale und wohlabgewogenen Pressemitteilungen hatten die Studenten, die darin auch im Namen eines Teils der DFFB-Dozenten sprechen, immerhin erreicht, dass die Öffentlichkeit aufmerksam wurde, und eine Entscheidung über ihre Köpfe hinweg lange verhindert wurde. Vor knapp zwei Wochen hatte dann Böhning das Verfahren an sich gezogen und verkündet, die bisherigen Verfahrensregeln würden ignoriert, und verkündet die Ernennung des Produzenten Ralph Schwingel werde „in Aussicht genommen”. Wie der Montag zeigte, haben Böhning und sein Kuratorium damit, vor allem Schwingel selbst, einen Bärendienst getan.
Die einen reden, die anderen schweigen – das war bisher die Situation: Denn neben der missglückten Konsenslösung und einem Berufungsverfahren, das auch Schwingel selbst als „suboptimal” bezeichnet, beklagen Studenten wie Dozenten die völlige fehlende Transparenz. Weder hat das Kuratorium bisher das Verfahren und dessen Scheitern erläutert, noch begründet, warum man sich eigentlich partout nicht für die von Dozenten und Studenten favorisierte Kamerafrau Sophie Maintigneux entscheiden möchte – langjährige DFFB-Dozentin, die an der Kölner Kunsthochschule bewiesen hat, wie Studentenfilme sogar am Markt Erfolg haben. Noch immer wird dagegen von Seiten des Senats und des Kuratoriums gemauert. Durchgesickert ist, dass ein bekannter Kandidat, der offenbar von der Kuratoriumsmehrheit durchgewunken werden sollte, sich im Verfahren selbst als desinteressiert zeigte. Und dass der danach favorisierte Österreicher Julian Pölsler sich mit Böhning am Ende offenbar deshalb nicht einigen konnte, weil er bereits 2016 gleich wieder monatelang frei- gestellt werden wollte, um selbst einen Film zu drehen.
Aber es gibt weitere Merkwürdigkeiten und weitere Gründe für Kritik: Aus Kreisen des Kuratoriums war zu erfahren, dass die Bewerbung Schwingels, der nach eigener Aussage erst im Januar angesprochen wurde, dem Vernehmen nach auf den Herbst 2014 zurückdatiert worden ist. Schwingel selbst sprach später davon, das sei „ein Entwurf, der versehentlich verteilt wurde”. Aber auch er kann so wenig wie andere bislang erklären, warum man auch nur einen Entwurf zurückdatiert, und erst recht ist unge- klärt, warum solche manipulierten Entwürfe dann den Bewerbungsunterlagen beiliegen, die dem Kuratorium und den DFFB- Vertretern vorgelegt wurden.
Die Geschäftsordnung des Kuratoriums ist Wochen nicht zugänglich. Studenten wie Dozenten wurde auf Nachfrage erklärt, das Dokument dieser öffentlichen Institution sei „geheim”, bevor es nach dringender Nachfrage durch Journalisten zwar plötzlich hieß, jeder Interessierte könne sie „vor Ort einsehen”, die Papiere aber bislang trotzdem nicht zugänglich sind.
Nun ist die vor sich hinschwelende Krise weiter eskaliert. Sophie Maintigneux hat nämlich vor Gericht eine einstweilige An- ordnung gegen Schwingels Ernennung erstritten. Nicht um sich selbst einzuklagen, wie sie betont, sondern um eine neues faires Verfahren zu erzwingen, „damit sich so etwas in Zukunft nicht wiederholt.” Die Folge: Ohne einen Kompromiss dürfte die Direk- torenstelle über Monate vakant bleiben. Die Studenten haben den renommierten Medienanwalt Peter Raue als Unterstützer gewinnen können. In einem anwaltlichen Schreiben benannte Raue diese Woche zahlreiche Misstände des Verfahrens und des Vorgehens von Seiten des Berliner Senats. Unter anderem hält er es für möglich, dass die Vorgänge um Schwingels Bewer- bungsschreiben „strafrechtlich relevant” sein könnten.
Unterstützt wird die Position der Studenten- und Dozentenvertreter mittlerweile auch von Regisseuren, Filmwissenschaftlern und von Branchenverbänden. Der Verband der deutschen Filmkritik (VDFK) schrieb, es scheine, „als solle die DFFB mit Gewalt einseitig in eine industriefreundliche Film-Kaderschmiede verwandelt werden. Der Chef der Senatskanzlei betreibt Schindluder mit dem historischen Erbe der DFFB, und gefährdet mutwillig die Existenz dieser so renommierten wie einmaligen Institution der deutschen Filmkultur. Der VDFK protestiert gegen die offene Ignoranz gegenüber demokratischen Grundwerten.”
Die Lage ist jetzt nicht nur ein Verfahrens- und Kommunikationsdesaster. Studenten und Dozenten verlangen nicht mehr, als den Konsens – also nicht gegen Dozenten- und Studentenvertreter sollte der neue Direktor bestimmt werden. War das zuviel verlangt? Die Entscheider spielten nur vermeintlich mit. Denn schnell stellte sich heraus: Das Pochen auf Demokratie und Mitbestimmung war nur eine neue Nebelkerze der Senatskanzlei – hinter dem Gerede fragten Böhning und sein Kuratorium Wunsch-Kandidaten im Dutzend an. Aber sehr schlecht vorbereitet. Weiter zur Lage: Wer gehört eigentlich dem Kuratorium der DFFB an? Entgegen den Informationen mancher Tageszeitungen verbreitet die DFFB selbst folgende Zusammensetzung: Björn Böhning, Eberhard Junkersdorf – für die, die ihn nicht mehr kennen: Ein 76-jähriger Filmproduzent, der vor zehn Jahren zum letzten Mal einen Film gemacht hat, Iris Brockmann (Senatsverwaltung für Finanzen), Kirsten Niehuus (Chefin des Berlin-Brandenburgischen Medienboards), Claudia Tronnier (ZDF-Redaktion Kleines Fernsehspiel) und Claudia Nothelle (RBB). Stellvertreter sind Dietrich Reupke aus der Senatskanzlei, Günter Schulz (Senatsverwaltung für Finanzen), Martin Bachmann (Verleiher von Sony-Deutschland), Philipp Steffens (RTL) und Regina Ziegler (Filmproduzentin). „Die Mitglieder des Kura- toriums dürfen nicht in geschäftliche Beziehungen (Lieferung, Leistung oder Beratung) zur Gesellschaft treten.” steht in der Ge- schäftsordnung der DFFB, §8, Absatz 8.
Die aktuelle Krise könnte eine Chance sein, um die DFFB neu aufzustellen und auch über Personalien hinaus einen Neuanfang zu schaffen. Aber Personalfragen lassen sich von Sachfragen längst nicht mehr trennen: Die Besetzung des Kuratoriums zu überdenken, könnte ein erster Schritt sein.
So ist die DFFB-Krise vor allem ein Lehrstück aktueller Filmpolitik: Fachfremde Politkarrieristen und die Lobbyisten aus Film- und Fernsehen, die statt „Zuschauer” wie Böhning lieber „Kunden” sagen, agieren so dilettantisch wie selbstherrlich und als Diener von Marktinteressen, die mit der Sache und mit Kunst nichts zu tun haben. Es ist eine Schande, nicht nur für Berlin. Über kulturpolitische Verdrossenheit muss sich da niemand wundern. Das ist die Lage.
Natürlich wird das Thema im Netz und anderswo heiß diskutiert. Hier finden Sie z.B. die Stellungnahme von
Pro Quote Regie: www.proquote-regie.de
Rüdiger Suchsland studierte Geschichte und Philosophie in München. Nach seinem Abschluss arbeitete er als freier Journalist für verschiedene Kulturredaktionen. Seit 1998 ist er hauptsächlich im Bereich der Filmkritik tätig.
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