PRELUDE
Auf der Berlinale begegnen sich alljährlich zahlreiche internationale Casting Directors, Agenten, Schauspieler und andere Fachleute, die sich über die individuelle Art und Weise austauschen, wie in unterschiedlichen Ländern Castings durchgeführt werden. Allen voran die Shooting Star-Events, organisiert von der European Film Promotion (EFP) unter der Leitung von Karin Dix, bilden hierfür eine wichtige Plattform. Beim „public forum Shooting Stars: The actor's Role: How to become valuable“ berichtete Debbie McWilliams (Casting Director UK) über die Besetzung von chinesischen Schauspielern in dem „James Bond”-Film „Skyfall”. Dabei stellte sie auch klar heraus, dass China als Filmland und Geldgeber für die weltweite Filmindustrie immer mehr an Bedeutung gewinnt. Im Publikum saß interessanterweise auch ein chinesischer Casting Director...
Es entstand die Idee nachzuforschen, wie die Casting-Landschaft in China aussieht und ob sie sich wesentlich von hiesigen Vor- gehensweisen unterscheidet. Trotz erheblicher Bemühungen konnten wir zu dem erwähnten Casting Director nicht vordringen und auch keine weiteren offiziellen Informationen über seine Casting-Arbeit finden, sondern „nur“ als Produzent.
Aus Insiderkreisen erfuhren wir, dass der deutsche Schauspieler Volker Helfrich vor einigen Jahren nach China ausgewandert ist. Er erklärte sich sofort bereit, seine Erfahrungen mit uns und Ihnen zu teilen
Über den Zeitraum von März bis Juli 2013 entstanden in regelmäßigen Abständen mehrere Interviews über Skype und E-Mails. Darüber hinaus hat uns Volker Helfrich selbst aufgezeichnete Audiodateien gesendet.
Vorab:
FAKTEN ZUM FILMLAND CHINA
Die chinesische Filmwirtschaft boomt. Allein im Jahr 2012 wurden nach Angaben der SARFT (State Administration of Radio, Film and Television) in der Volksrepublik China insgesamt 893 Filme produziert: darunter 745 Spielfilme und 33 Animationsfilme.
Der Boxoffice-Zuwachs gegenüber dem Jahr 2011 betrug sagenhafte 30,2 Prozent. China bleibt Wachstumsmarkt Nummer eins. Laut SARFT kommen derzeit zehn Leinwände pro Tag hinzu. Bis 2015 soll es 16.000 Leinwände im Reich der Mitte geben.
Mit einem Ergebnis von 2,7 Milliarden US-Dollar wurde der chinesische Kinomarkt im Jahr 2012 der zweitgrößte der Welt nach den USA und überholte damit Japan. Außerdem ist China laut SARFT der drittgrößte Filmproduzent. Nur in Indien und den USA wurden 2012 mehr Filme hergestellt.
Dabei war die Komödie „Lost in Thailand" 2012 nicht nur die Nummer eins in China, sondern auch der erfolgreichste chinesische Kinofilm aller Zeiten. Die für umgerechnet nur 4,8 Millionen Dollar realisierte Komödie handelt von zwei hilflos durch Thailand stolpernden Pekingern. Bislang waren die Erfolgsgaranten teuer realisierte historische Epen oder Martial-Arts-Filme, so dass „Lost in Thailand" auch diesbezüglich neue Maßstäbe gesetzt hat.
„Die Komödie ist erfolgreich, weil sie volksnah ist und den chinesischen Zuschauern das gibt, was sie wollen: populäre Stars, witzige Dialoge, ein gutes Timing und ein Nachdenken über uns selbst“, erklärt Zhang Huijun, Präsident der Pekinger Filmakademie.
Die Top 10 Filme in China 2012
Platz |
Titel |
Regie |
Land |
Einspiel (in Mio. $) |
1 |
Lost in Thailand |
Xu Zheng |
China |
157 |
2 |
Titanic (3D) |
James Cameron |
USA |
149 |
3 |
Painted Skin: The Resurrection |
Wuershan |
China |
115 |
4 |
Mission: Impossible 4 |
Brad Bird |
USA |
108 |
5 |
Chinese Zodiac |
Jackie Chan |
Honkong/China |
96 |
6 |
Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger |
Ang Lee |
USA |
91 |
7 |
Marvel’s The Avengers |
Joss Whedon |
USA |
90 |
8 |
Men in Black 3 |
Barry Sonnenfeld |
USA |
82 |
9 |
Ice Age 4: Voll Verschoben |
S.Martino/M.Thurmeier |
USA |
73 |
10 |
Die Reise zur geheimnisvollen Insel |
Brad Peyton |
USA |
62 |
Quelle: Xinhua/SARFT
STECKBRIEF: Volker Helfrich
Geburtstag: 27.06.1967
Geburtsort: Kaiserslautern
Wohnort: Peking
Ausbildung:
Schauspielstudium an der Wiesbadener Schauspielschule Genzmer e.V.
Studium „Kommunikationsdesign“ an der Fachhochschule Wiesbaden
Studium „Germanistik/Komparatistik“ an der Universität Mainz
Du bist als deutscher Schauspieler nach China ausgewandert. Wie kam es dazu?
Vor ungefähr zehn Jahren habe ich mir die Frage gestellt, die sich heute sicherlich viele Schauspieler in Deutschland stellen: Warum wird man hierzulande eigentlich noch Schauspieler, wenn wir kaum noch gebraucht werden? In Deutschland wurde es immer schwieriger, von der Schauspielerei zu leben. Ich hatte lange Boulevard-Theater gespielt und war an kleineren Bühnen beschäftigt. Ab und zu habe ich Schulungsfilme oder Fernsehen gemacht, aber die Nachfrage stagnierte. Ich bin oft umgezogen und habe somit auch des Öfteren das Theater gewechselt. Am Schluss bin in Köln gelandet. Die Stadt habe ich richtig gemocht, doch in Zeiten der tiefsten Medienkrise einen Neustart zu wagen, war nicht leicht. Ich habe nur noch Hörspiele und Werbung gemacht sowie andere „Jobs“. Damit hätte ich mich zwar weiterhin über Wasser halten können, aber im Endeffekt war das keine Perspektive. Da ich mir etwas Geld durch einen Werbeauftrag zur Seite hatte legen können, entschied ich mich, eine Zeit lang nach China zu gehen.
China ist schon ziemlich exotisch. Konntest Du denn Chinesisch?
Ein wenig − schon als Jugendlicher hat mich China immer begeistert. Ich konnte mir nichts Fremderes und Aufregenderes vorstellen. Ich habe mich damals mit zwei chinesischen Austauschstudenten angefreundet, die mir ein bisschen Mandarin beigebracht haben. Die Schriftzeichen haben mich besonders fasziniert. Später fing ich an, auch diese zu erlernen. Bevor ich zum ersten Mal nach China ging, habe ich versucht mir so viele Zeichen wie möglich einzuprägen, mit dem Ziel, später Drehbücher lesen zu können. Vor Ort habe ich erst mal einen Monat lang einen Sprachkurs belegt.
War es schwierig, in China Fuß zu fassen?
Natürlich war es nicht leicht, aber ich hatte Glück. Als ich 2006 das erste Mal China besuchte, war ich zufälligerweise bei der Eröffnung eines riesigen Fotostudios dabei und habe dort ein halbes Jahr später angefangen zu arbeiten. Erst assistierte ich ausländischen Fotografen und nutzte die Zeit gleichzeitig dazu, mein chinesisches Vokabular zu erweitern. Im Jahr 2007 bekam ich dann zum ersten Mal eine kleine Rolle in einem TV-Drama und seitdem mache ich eigentlich nichts anderes.
Welche Rollen bekommst Du in chinesischen Produktionen?
Generell natürlich immer Rollen, für welche westliches Aussehen gefragt ist. Sei es nun ein Deutscher, ein Amerikaner, ein Brite oder ein Franzose. Meistens wirke ich in Kriegs-TV-Dramen mit, die sind in China sehr beliebt. Im Moment spiele ich z.B. einen deutschen Militärberater namens Otto Braun, ein eingefleischter Kommunist, der von der Sowjetunion geschickt wurde, um die rote Armee militärisch zu beraten. Das ist eine sehr spannende Rolle, denn Otto Braun wurde von seiner führenden Position verdrängt. Ich spiele diese Rolle bereits zum dritten Mal, nur dass in dieser aufwändigeren Produktion die Rolle viel größer und intensiver ist.
Wie sieht die chinesische Fernsehlandschaft aus?
Es gibt nur Staatsfernsehen, kein Privatfernsehen, mit verschiedenen Kanälen, auch solche, die ihren Schwerpunkt auf z.B. Wissenschaft oder Kindersendungen legen. In den letzten Jahren haben besonders Unterhaltungssendungen und Quizshows zugenommen. Besonders beliebt sind TV-Mehrteiler oder Serien, meist Dramen und Geschichtsfilme. Die haben um die dreißig bis vierzig Folgen. Die Werbung liebt solche TV-Serien natürlich, weil viele Zuschauer Fans der Serie werden und dann den Fernseher regelmäßig einschalten. Allerdings kann man die Serie auch meistens direkt im Internet finden oder auf der Straße als Raubkopien kaufen, die dann umgerechnet nur ein oder zwei Euro kosten. Raubkopien werden staatlich nicht unterbunden, weil dort auch die Werbung mit drauf ist und die Wirtschaft dadurch mehr Umsatz macht. Teilweise beliefern die Produzenten die Raubkopierer auch selber, um dann am Gewinn teilzuhaben. Wenn sie ihnen die Serie nicht geben, holen sich die Raub-kopierer diese auf illegalem Wege und die Produzenten verdienen gar nicht daran.
Wie finanziert sich das Fernsehen in China denn?
Der Zuschauer bezahlt einen jährlichen einen Betrag, um legal fernsehen zu dürfen. Ich bezahle jährlich circa hundert Euro für Kabelfernsehen. Ansonsten finanzieren sich die chinesischen Fernsehsender hauptsächlich durch Werbung. Man muss dazu sagen, dass das Fernsehen für die Regierung unglaublich wichtig ist. Gerade die TV-Serien behandeln zum Teil Themen, die sonst gar nicht direkt besprochen werden. In einer TV-Serie gibt es oft politische Aspekte, auch wenn es eigentlich ein Familien-Epos oder etwas in der Art ist. Es handelt sich meist um Angelegenheiten, über die die Regierung nicht gerne redet, aber in den TV-Serien werden sie behandelt. Das ist auch eine Art und Weise, Politik zu machen. Theoretisch ist es Unterhaltung, aber faktisch werden da Werte vermittelt.
Beschreibe doch mal den zeitlichen Ablauf eines Drehtages in China, zum Beispiel heute!
Heute bin ich um 06:30 Uhr zum Drehort gefahren und habe von 08:00 bis 22:00 Uhr gedreht. Es war ein langer Tag, aber wir haben neun Seiten Dialogtext geschafft. Im chinesischen Drehbuch entspricht eine Seite ungefähr ein bis zwei Minuten an Material. Also haben wir heute wahnsinnig viel gedreht. Da bin ich froh, denn das bedeutet, dass ich bis zum Wochenende wahrscheinlich die Hälfte der Rolle abgedreht habe.
Gibt es viele Schauspielschulen in China?
Ich kenne in Peking zwei große Schauspielschulen. Die eine ist eher theaterorientiert und die andere ist angegliedert an die Filmakademie. An den staatlichen Schauspielschulen wird hart gesiebt. Ich bin überfragt, ob private Schauspielschulen existieren, aber es gibt mit Sicherheit private Lehrer oder Mentoren. Das sind meist sehr anerkannte Schauspieler, denn auch in China ist der Markt mit Schau-spielern überschwemmt.
Sind die meisten Deiner Schauspielkollegen an einer Schauspielschule gewesen?
Eher weniger. Weil ich in China kein Theater mehr gespielt habe, kenne ich hauptsächlich Kamera-Schauspieler. Von denen sind viele gleichzeitig bei der Luftwaffe oder der Armee beschäftigt. Sie sind dort fest angestellt und verdienen sich vor der Kamera ordentlich was dazu. Freiberufler gab es bis vor einigen Jahren praktisch gar nicht. Die meisten chinesischen Schauspieler kommen aus reichem Haus und können sich erlauben, das Risiko einzugehen zu schauspielern, weil die Familie Geld hat. Nur die männliche oder weibliche Hauptrolle eines Films kann gut absahnen und der Rest, also die große Masse, ist natürlich austauschbar. Ich habe insofern den Vorteil, dass ich ein Merkmal habe und als Ausländer Mangelware bin. Es gibt hier nicht viele ausländische Schauspieler, die auch wirklich in ihrem Heimatland als Schauspieler gearbeitet haben.
Wie sieht die Theaterlandschaft in China aus?
In China existiert eine Theaterkultur, wie wir sie kennen, gar nicht. Bis in die späten Siebzigerjahre gab es, außer einigen Propagandastücken, kaum Theaterstücke, Komödien eigentlich gar keine. In den Achtzigerjahren ist erst eine richtige Theaterlandschaft entstanden, als China angefangen hat, sich dem Westen zu öffnen. Es dürfen nun auch europäische Stücke gespielt werden.
Gibt es Schauspieleragenturen wie in Europa oder in den USA?
In China gibt es keine privaten Agenturen, die zum gesamten Markt Kontakt haben, und schon gar nicht geregelte Pauschalen für die Vermittlung − das ist schon allein regional unmöglich. Außerdem sind die meisten Agenturen mit ein oder zwei großen Produktionsfirmen verbunden. Die Schauspieler sind dadurch nur für ein paar Produzenten verfügbar. Die meisten chinesischen Schauspieler sind also am Anfang ihrer Karriere auf Agenturen und deren Beziehungen angewiesen. Wenn sie länger in dem Beruf erfolgreich sind, versuchen sie, sich von ihren Agenturen zu lösen. Sie können dann einfach für Produzenten arbeiten, mit denen der Agent keinen Kontakt hatte. Viele Produzenten weigern sich mit Agenten zu kooperieren, da sie sich von ihnen eher „bedroht“ fühlen. Sie suchen lieber den direkten Kontakt zum Schauspieler. Dann geht erstens weniger Geld verloren und zweitens basiert der Vertrag auf einer besseren Vertrauensebene. Bei den chinesischen Agenten herrscht eine ziemliche Goldgräberstimmung. Dass sie über die Hälfte der Gage eines Schauspielers behalten, ist keine Seltenheit. Desweiteren gibt es Vertragslängen und Exklusivitätsklausen, die haarsträubend sind. Die meisten Schauspieler sind aufgrund dessen komplett frei und haben einen Anwalt oder betreiben Social-Networking auf professioneller Ebene. Es läuft hier so gut wie alles über Beziehungen.
Hast Du einen Agenten?
Am Anfang habe ich meine Jobs ebenfalls über einen Agenten bezogen. Inzwischen bekomme ich fünfzig Prozent der Jobs über diverse Agenten vermittelt, den Rest direkt über Schauspieler oder Produzenten, mit denen ich mal gearbeitet habe. Ich kann mich natürlich als Ausländer nicht direkt mit den Chinesen vergleichen − ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Aber das, was sich in China Agenten nennt, sind meiner Meinung nach hauptsächlich Leute mit schlimmen Knebelverträgen, welche nach europäischem Standard sittenwidrig wären. Ich verhandele deshalb meine Aufträge immer direkt mit dem Produzenten und bestehe auf Verträge, damit ich genau weiß, woran ich bin und wie viel Geld ich mit einer Rolle verdiene.
Gibt es in China auch den Beruf des Casting Directors?
Nein! Ich kenne keinen Casting Director, der als objektive Instanz nur diesem Beruf nachgeht. Norma-lerweise kümmert sich ein Regie- oder Produktionsassistent um die Besetzung. Diese Person macht allerdings meistens nur die Vorbereitungsarbeit und ist beim Dreh gar nicht mehr dabei. Manchmal hat man aber das Glück, durch jemanden, der später auch am Set dabei ist, an eine Rolle zu kommen. Dieser ist natürlich froh, wenn alles super läuft, weil er dann beim nächsten Mal wieder den gleichen Schauspieler anstellen und mehr Geld für ihn verlangen kann − da haben dann alle was von. Man arbeitet wieder mit den gleichen Leuten zusammen, man selber verdient mehr Geld und der nette Mann in der Produktion freut sich, weil er auch mehr Geld verdient. So funktioniert das in China.
Welche Unterschiede gibt es zwischen der chinesischen und der deutschen Arbeitsweise am Set?
Bei den Chinesen bewundere ich, dass am Set so gut wie nie ein schlimmes Wort fällt. In China würde niemand Probleme einer anderen Abteilung ansprechen. Man könnte schließlich jemandem auf die Füße treten. Situationen, die in Deutschland als Katastrophe gelten, würden in China noch nicht mal als Problem bezeichnet werden. Stattdessen findet man einfach, schnell und elegant Lösungen, wenn es schwierig wird. Unter vier Augen geht es natürlich anders zu und der Verantwortliche für ein Problem wird schon mal angeblafft, aber man stellt niemanden vor versammelter Mannschaft bloß − das finde ich bewundernswert. Allerdings laufen die Dreharbeiten in China, meiner Erfahrung nach, viel chaotischer ab als in Deutschland. Es passiert oft das Unerwartete, weil hier, im Vergleich zu deut-schen Verhältnissen, nicht richtig geplant wird. Man arbeitet locker mal fünfzehn Stunden am Tag. Das ist ein Knochenjob für alle Beteiligten. Den Schauspielern geht es noch am besten, weil sie nicht jeden Tag drehen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die chinesische Arbeitsweise von der deutschen, da in Deutschland gewisse zeitliche Grenzen gesetzt sind, in China gibt es das nicht. Da arbeitet man wirklich bis zur Erschöpfung, damit man schnell fertig wird. Ich würde aber sagen, beide Arbeitsweisen haben ihr Gutes und ihr Schlechtes.
Wie sieht es mit Deiner Bezahlung aus?
Es gibt eine Staffelung: bei Unterschrift erhält man zehn Prozent, während des Drehs jeweils dreißig Prozent in regelmäßigen Abständen. Das gibt’s dann auch immer direkt cash − das ist klasse. Manchmal investieren Hauptdarsteller in die Produktion und kassieren noch richtig viel Geld, aber meistens gibt es nur einen Autor und der holt sich den fetten Batzen nachher ab. Die berühmteren Autoren verdienen ähnlich gut wie die Hauptdarsteller.
Kannst Du denn in China von der Schauspielerei leben?
Ich lebe seit über fünf Jahren gut bis sehr gut von meinen Rollen für diverse TV-Produktionen. Mein Tageshonorar, welches als Berechnungsgrundlage dient, beziehungsweise die Schmerzgrenze für den Produzenten darstellt, hat sich mittlerweile mehr als verdreifacht. Die Miete in Peking ist allerdings gleichzeitig um das Dreifache gestiegen.
Wo und wie lebst Du in Peking?
Zurzeit lebe ich in einem kleinen, aber gut ausgestatteten Apartment in einer sehr schönen, zentralen Gegend von Peking. Es ist das Hauptshopping- und Vergnügungsviertel der Stadt. Hier habe ich alles, was ich brauche und finde auch internationale Lebensmittel, denn inzwischen koche ich sehr gerne wieder selbst. Leider bezahle ich fast 1.000 Euro Miete für eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung. Wohnungstechnisch habe ich schon alles Mögliche mitgemacht. In meinem ersten Jahr in Peking habe ich sogar zeitweise in einer Reggae-Bar gewohnt.
Was liebst Du an China, was weniger?
Ich liebe das Land noch immer. Alle hin und wieder auftretenden Nachteile kann ich durch die Tatsache ausgleichen, dass ich mein Leben bezüglich der Arbeit zunehmend selbst bestimmen kann. Ich kann die Chinesen nicht verändern − es sind einfach zu viele − und eigentlich möchte ich das auch gar nicht. Ich bin selber in der Lage, dazuzulernen und mich zu verändern. Ich schaue mir zum Beispiel ab, wie man durch die chinesische Art effektiver, besser, ausgeglichener und erfolgreicher werden kann. Dafür nehme ich auch gerne noch eine Weile die schlechte Luft in Kauf. Ich vermisse aus Deutschland eine Art der Behaglichkeit und Gemütlichkeit, die in China nur sehr schwer anzutreffen ist. Hier passiert fast alles unter enormen Druck und den meisten Chinesen ist es nicht möglich, einen gesunden Ausgleich dazu zu schaffen. Mir fehlt oft die deutsche Gründlichkeit. In China werden viele Dinge im Vorfeld nicht richtig durchdacht, man stößt zwangsläufig auf Schwierigkeiten, die eigentlich nach meinem deutschen Empfinden vermeidbar gewesen wären. Leider gehört diese unselbstständige Arbeitsweise zum Alltag. Manchmal würde ich auch gerne mal wieder den halben Tag nur vor mich hin meckern, was in China leider überhaupt nicht gut aussieht. Die Arbeit mit meinen chinesischen Kollegen macht mir aber auch sehr viel Spaß, und ich bin überzeugt, dass es denen genauso geht. Die vielen Gespräche über den Beruf, die Arbeit, das Leben, Gott und die Welt sind unbezahlbar. Seit über einem Jahr habe ich nun auch nicht mehr das Gefühl, dass die Sprache ein Hindernis darstellt.
Scheint so, als hättest Du auch privat Anschluss gefunden…
Ich habe hier trotz des kulturellen Unterschieds eine Menge neuer Freunde gefunden. Oft werde ich von Kollegen und anderen wichtigen Menschen zum Essen oder Feiern eingeladen. Manchmal mehr als mir lieb ist. Die Chinesen sind Genussmenschen und haben einen Hang zum Exzess. Meiner Meinung nach ist es im chinesischen Geschäftsleben zum Teil nötig, sich trinkfest zu zeigen. Ich gehe allerdings nur noch selten aus. Ich fühle mich wohler mit Freunden in gemütlicher Runde bei selbstbestimmten Tempo, aber man kann es hier schon ordentlich krachen lassen, wenn man will. Viele Chinesen feiern gerne bis zum Umfallen.
Fühlst Du dich in Peking mittlerweile auch zu Hause?
Auf jeden Fall, aber auf Dauer ist Peking nicht die Stadt, in der ich für immer leben will. Zuhause fühle ich mich dort, wo Freunde und Arbeit sind, und das sind mittlerweile mehrere Orte. Selbst entscheiden zu können, wo ich mich in den nächsten Monaten aufhalte, welches Projekt ich als nächstes angehe, oder mich auch mal einfach eine lange Zeit erholen und nachdenken zu können, ist mehr als Heimat bieten kann!
Kannst Du denn auch, dem Klischee entsprechend, so richtig gut rülpsen und rotzen?
Ja, das kann jeder solange die Mama nicht zuhört! Aber eigentlich wird hier nicht so viel herumgerülpst. Nur das Spucken ist wirklich ekelhaft! In Peking ist die Luft einfach so schlecht! Da bleibt einem dann manchmal nicht anderes übrig, als mal kurz auszuspucken. Wenn alle Taschentücher benutzen würden, würde es hier noch viel schlimmer aussehen, es gibt (noch) zu wenig Abfalleimer.
Vielen lieben Dank für das interessante und persönliche Gespräch!
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Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von „casting-network. Das Branchenportal”. Mehr zu ihrer Person finden sie in der Rubrik: Über uns.
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