Steckbrief Richard Sammel:
Richard Sammel wurde in Heidelberg geboren, studierte Musik und Theater in Hildesheim sowie Schauspiel und Regie in Aix-en-Provence. Ab 1989 arbeitete er mit dem Theaterregisseur Giorgio Barberio Corsetti in Rom zusammen. Dort arbeitete er mit der Schauspiellehrerin Susan Strasberg, die ihm 1992 zu seiner ersten Filmhauptrolle in „Il Piacere delle Carni" (Casting: in eigener Regie) von Barbara Barni verhalf. Anfang der 90er zog er nach Paris und spielte europaweit viele Film-, Theater- und Fernsehrollen. Richard Sammel liebt nuancierte, engagierte Rollen die Körpereinsatz, Rythmus und Timing verlangen. 1998 überzeugte er so in dem Film „Taxi" (Casting: Winny Calissoni und Djamel Ouahab) von Luc Besson. In den folgenden Jahren konnte Sammel seinen Bekanntheitsgrad mit internationalen Großproduktionen weiter steigern: Er verkörperte den Terroristen „Adolph Gettler" in „James Bond 007 - Casino Royale" (2006 | Casting: Debbie McWilliams) von Martin Campbell und 2009 den deutschen Feldwebel „Werner Rachtman" in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds" (Casting Germany: Simone Bär). Ab Mai 2012 ist er in „The Third Half" (Casting: Nela Vitosevic) von Darko Mitrevski und dem brasilianischen Film „La Montanha" (Casting: uns leider nicht bekannt) von Vicente Ferraz zu sehen. Richard Sammel lebt heute in Berlin und Paris.
Vorgeschichte zu diesem Interview:
Das folgende Interview entstand im November 2011 in Hannover im Rahmen des up-and-coming Filmfestivals. Richard Sammel war dort für vier Tage in die deutsche Jury berufen. Er kam geradewegs am ersten Festivaltagmorgen aus Berlin, wo er den Tag zuvor noch gedreht hatte, direkt ins Hotelrestaurant zu den anderen Jurymitgliedern. Er setzte sich an einen Tisch, der gerade für den Mittagstisch vorbereitet worden war. Keine gute Idee, denn die Kellnerin kam sofort herbeigeeilt und machte ihn vehement darauf aufmerksam: „Das ist doch jetzt nicht Ihr Ernst!" Ich muss eingestehen, dass ich als Beobachterin der prekären Situation meine Kaffeetasse fast fallen gelassen hätte, aber Richard mit seiner charmanten und sehr ruhigen Stimme reagierte wie folgt: „Das war jetzt aber kein guter Einstieg zwischen uns beiden. (Pause) Ich werde vier Tage bei Ihnen sein..." Glauben Sie mir, die nächsten vier Tage war Richard Sammel der wohl meist chauffierte Gast im Hotel!
Stichwort: Kaukasischer Kreidekreis. Wie bist Du zur Schauspielerei gekommen?
Naja, dadurch bin ich nicht zur Schauspielerei gekommen. Es war einfach nur mein erster Aha-moment. Ich war damals in Bayern auf dem Gymnasium, 10. Klasse schätzungsweise. Eine professionelle Theatergruppe spielte bei uns und bot interessierten Schülern an mitzumachen. Ich durfte u.a. einen betrunkenen Soldaten spielen, der mit dem Kopf seines Gegners prahlte, rumtorkelte und einen richtig fetten Monolog hatte, worauf ich sehr großes Feedback bekam. Im Nachhinein - oder besser gesagt - bereits während des Auftritts war ich wirklich „trunken vom Spielen"! Das war ein unheimlicher Glücksmoment, emotional hatte sich da viel bei mir getan. Ein Gefühl, von dem ich bis dato gar nicht wusste, dass sowas überhaupt existiert. Musik und später Schauspiel habe ich dann erst später studiert!
Ich wage jetzt mal einen riesen Sprung: „Inglourious Basterds"! Wie kam es zu dieser Besetzung?
Ja gerne (lacht). „Inglourious Basterds" ist komischerweise ein „Zufallsprodukt". Lass mich dazu ausholen: ich war ja lange im Ausland und hab dort meine ganze relevante, medienträchtige Karriere gemacht, vor allem in Italien und Frankreich und ein bisschen England und Spanien....Erst Anfang der 90er Jahre hab ich wieder in Deutschland gearbeitet, anfangs - durch meine österreichische Agentur - vor allem in Wien Dort hab ich dann gespielt, was man so durchspielen kann:„Kommissar Rex", „Medicopter", „Die Bezirksrichterin", usw. 2007 hab ich mich dazu entschlossen, mich richtig im deutschen Markt umzuschauen. Ich war halt immer derjenige, der entweder in Rom wohnte oder in Paris. Von dort aus besetzt man keine deutschen Schauspieler für Berlin, München oder Hamburg. Also hab ich Nägel mit Köpfen gemacht: und als der James Bond gerade rauskam, bin ich nach Berlin gezogen. Das habe ich auch allen Castern, die ich damals kannte, persönlich gesagt. Ich war vorher immer bei der Berlinale da, um alte und neue Kontakte zu knüpfen. Mit Simone Bär habe ich immer Kontakt gehalten. Sie schlug mich dann auch für die Hauptrolle des „Col. Hans Landa" in „Inglourious Basterds" vor, die später Christoph Waltz bekam. Das waren nicht so viele, die auf das Profil passten. Quentin Tarantino suchte einen 40 bis 50 jährigen gestandenen Schauspieler, multilingual, gerne unbekannt, aber dennoch erfahren und eher unauffällig als markant. Ich hab´s dann halt nicht bekommen und war sehr traurig drüber. Er hat mir dann gleich eine andere Rolle angeboten, die ich aber zuerst abgelehnt habe, weil ich wirklich erst mal einige Zeit zum Verdauen brauchte.
So eine Absage haut einen sicherlich erst mal um!?
Und wie! Das brauchte schon seine Verdauungszeit, „die Rolle deines Lebens" nicht bekommen zu haben. Schlussendlich war es eine richtige Entscheidung. Allen voran von meiner Physiognomie geht eine Gefährlichkeit aus - nicht unbedingt von meiner Energie, aber vom ersten Eindruck her - bin ich doch ein recht harter Typ. Christoph hingegen hat einfach dieses Charmante, Ungefährliche. Darüber hinaus hat er den Oscar ja nicht nur deshalb bekommen weil er die Rolle bekam sondern er verkörperte sie bis in das kleinste Detail. Nuanciert brilliert er mit „versteckten" Karten.
In der Weimarer Republik entstand ein Film, der das Bild des „Bösewichts" in der Filmgeschichte zum ersten Mal umkehrt: Fritz Lang „M- Eine Stadt sucht einen Mörder" mit Peter Lorre - vom Typus her ist Lorre der nette Nachbar von nebenan. Die Ironie des Erkennens macht ihn erst später als Kinderschänder sichtbar!
Genau! Und letztendlich war auch meine Rolle gegen den Strich: ein „Hero", also einer der für seine Überzeugungen stirbt. Nicht der stereotype Böse, „Ich will dich töten-Nazi", sondern wirklich einer, der an seine Ideale glaubt. Im moralischen Sinne haben hier wohl eher die „Inglorious Basterds"- Leute selbst schlechter ausgesehen. Die Rollen so umzukehren, war wirklich ein sehr intelligenter Schachzug von Quentin Tarantino.
Wie kam es dann doch zu Deiner Besetzung als „Sgt. Rachtman" in „Inglourious Basterds"?
Ich hab einfach gesagt, lass mir zwei Wochen Zeit, damit ich über den Schmerz hinwegkomme. Und ich rechne ihm das WAHNSINNIG hoch an, dass dieser weltbekannte Regisseur, dies von einem unbekannten Schauspieler akzeptiert, verstehen kann und auch sein Wort hält: „That movie is not for me" (lacht) - Für mich war das echt vorbei. Schade, aber ich hatte damit meinen Frieden geschlossen. Doch zwei Wochen später bekomme ich also wieder einen Anruf von der Produktion. Tarantino möchte dass ich noch mal nach Berlin komme. Er hat sich dann einen halben Tag Zeit genommen, mir das gesamte Drehbuch zu erklären, um mich zu überzeugen, wie wichtig ihm diese Szene ist und dass ich sie spiele. Das war ein unglaublich schöner Moment. Wir waren da allein eineinhalb Stunden in diesem Büro und haben das gesamte Drehbuch durchgespielt, denn ich konnte ja auch den Text von Landa und der anderen: wir sind auf Knien herum gerobbt und haben die Szenen nachgespielt. Da kam was zustande, was einfach magisch war! Als er mich dann fragte, ob ich nun motiviert sei, dabei sein möchte, sagte ich „Ja, of course, of course!"
Ich fühlte mich richtig geehrt und das ist die Intelligenz eines Genies. Tarantino kämpft dafür, die Leute zu überzeugen, wenn er sie wirklich in diesen Rollen auch sieht. Er hat mich in dieser Rolle gesehen und ich bin weit davon entfernt, das zu bereuen. Er ist der Einzige bisher, der mich überredet hat, etwas anzunehmen und nicht nur sein Versprechen hält, sondern auch noch einen drauf setzt.
Kommen wir zu Bond: hast Du einen Lieblings-James?
Ich bin großer Fan von Sean Connery und Daniel Craig. Die anderen gefallen mir nicht so.
Wunderbar! Wie kam es zur Besetzung in „Casino Royale" mit Daniel Craig?
„Casino Royal" war mein Durchbruch. Ich bin jetzt nicht so der Superstar, war aber in der Medienwelt schon ganz gut bekannt und als viersprachiger Schauspieler auch anerkannt. In Frankreich wurde ich ständig für amerikanische Produktionen vorgeschlagen, hatte bis dato aber nie was bekommen. Irgendwie war ich davon überzeugt, dass ich das auch diesmal in den Sand setze, wenn ich mir hier nicht was Besonderes überlege. Was die Amerikaner im Verhältnis zu den Franzosen oder Deutschen oder Engländern immer sagen; „Just come over as you are and that´s fine. Dont´ worry" und da hab´ ich gedacht: „Von wegen: Yes, I will worry" (lacht) und ich hab´ mich drum gekümmert, die Texte zu bekommen und habe mich bombastisch vorbereitet. Das Casting war in Paris. Von 200 Schauspielern wurden dann drei genommen. Darunter auch ich. Gecastet wurden die Szenen von „Le Chiffre", dem großen Gegenspieler von James Bond. Ein Pokerface, der die ganzen Pokertricks auf Lager hatte. Was konnte ich tun? Und da hab ich mir einen Pokerexperten engagiert, mit dem ich eine Woche lang die ganzen Kartentricks und Pokern einstudierte und wirklich pokersicher wurde. Beim Casting haben wir dann auch Szenen mit Kartentricks gemacht und ich bin halt der Erste gewesen, der nicht nur so tat, als würde er die Tricks machen, sondern ich konnte sie wirklich. Das saß. Das kam super an und brachte die Szene auf ein ganz anderes Niveau. Für mich wars die Bestätigung eines Credo: „Do as much as you can, prepare as good as you can for every occasion".
So eine Livecasting-Chance ist natürlich fantastisch. In Deutschland kriegst Du vielfach nur die Chance mit Deinem Material zu überzeugen. Und dies kann zur Folge haben: einmal Bösewicht, immer Bösewicht!? Trifft das bei Dir auch zu und wenn ja, ist es ein Segen oder Fluch?
Nee, es ist nicht einmal Bösewicht, immer Bösewicht! Das ist natürlich für mich ein ganz spezielles Thema, weil ich damit groß geworden bin. Neulich war in einem Interview in Frankreich zu lesen: „Richard Sammel hat die Schnauze voll, Nazis zu spielen". Stimmt nicht! Ich habe überhaupt nicht die Schnauze voll, in der Kategorie Bösewicht eingestuft zu werden: das ist mein Markenzeichen! Damit bin ich groß geworden und ich hab darin schon wahnsinnig viele Facetten ausbilden können. Wovon ich die Schnauze voll habe, sind Klischees, allen voran flache, wo man von vornherein weiß, was kommt und sich somit ständig wiederholt. Es gibt eben sehr viele Filme, in denen sich die Rolle des Bösewichtes darauf beschränkt, dramaturgisch etwas Spannung zu erzeugen. In vielen Kriegsfilm-Drehbüchern steht dann so salopp „Heil Hitler", „Arbeiten" oder „Schnell, schnell" mit der Anweisung ein paar Juden auszupeitschen und damit hat´s sich. Du erzählst damit keinen Menschen. Ich habe jetzt ungefähr so 80 bis 85 Filme auf dem Zähler und nur 27 davon sind aus dieser Zeit. Aber ich hab auch viel anderes gespielt. Aber schau sie dir an, die modernen Action-Movies wie „OSS 117", „Taxi" oder „James Bond", das entspricht den Archetypen des 20. Jahrhunderts. Es gibt einfach im Kino das Genre des deutschen Bösen. Das muss nicht unbedingt der Nazi sein, aber deutschstämmig, was sich dann auch gerne mal mit dem Russen vermischt: blond und Stahlaugen...
Letztendlich geht es darum, dass der Schauspieler Futter hat. Und je älter er wird, desto anspruchsvoller wird er mit dem Futter. Das ist einfach so! Also ich habe keine Lust mich mit dem zu begnügen, was ich schon gemacht habe. Deshalb bin ich auch nach Deutschland gekommen, um den Bogen wieder neu zu spannen.
Zu Deiner ursprünglichen Frage: Einmal Bösewicht, immer Bösewicht? Ich habe hier schon viel abgesagt...Bei dem amerikanisch-mazedonischen Film „The Third Half" habe ich zugesagt, nicht nur weil ich eine Hauptrolle spiele, sondern weil es eine wirklich tiefgehende Geschichte ist. Es ist eine wahre Geschichte. Ich spiele den deutschen Fussballtrainer Rudolf Spitz, während des Krieges bzw. kurz vor dem Krieg. Zu meiner Figur: Alle bewundern meine deutschen Qualitäten wie Disziplin, Arbeitseifer, Durchhaltevermögen, Konsequenz. Natürlich werde ich für einen Nazi gehalten. In der Mitte des Filmes gibt es dann einen Bruch und es stellt sich heraus, dass ich gar kein Nazi bin, sondern Jude. Sehr spannend!
Der Film soll auch als mazedonischer Beitrag für die Oscars eingereicht werden?
Ja. Aber erst 2013, denn er wird im September 2012 fertig sein. Ich habe eine Riesenpalette von hervorragenden balkanischen, serbischen, kroatischen, bulgarischen mazedonischen und tschechischen Schauspielern kennengelernt.
In Frankreich spielst Du ja auch gerade einen sympathischen Nazi?
Ja, oder sagen wir: man kanns nicht verhindern von ihm fasziniert zu sein! In der Serie „Un Village Français" bin ich der Inbegriff des Bösewichts und hab dafür wirklich ganz tolle Kritiken bekommen! Endlich seit Jahrzehnten. Eine tolle Arbeit ähnlich wie „Berlin Alexanderplatz" mit sehr hohem historischem Anspruch. Die Serie ist auf sechs Jahre angelegt und erzählt die - historisch hervorragend vorbereitete - Geschichte eines französischen Dorfes während der deutschen Besetzung in Frankreich. Die Hauptdarstellergruppe ist ein Kollektiv von 12 Leuten vom Bürgermeister bis hin zum Schuldirektor. Ich spiele den Chef des Sicherheitsdienstes und gehe auch gegen deutsche Soldaten vor. Eine Art blonde, nette, smarte intelligente, Machtfigur im KGB-Stil. Klischees werden wirklich vermieden. So bin ich beispielsweise zivil unterwegs und komme nicht im Ledermantel daher, um irgendjemanden zu verhaften. Hannah Arendts Eichmann ist hier eingebaut: Die „Banalität des Bösen". Das ist wirklich eine schwierige Kost für die Zuschauer, weil selbst der größte Bösewicht Sympathie ausstrahlt und auf der anderen Seite der größte Held auch Momente hat, wo er gezwungen ist, Sachen zu tun, die ihn diskreditieren.
Welche Art des Casting kennst Du und gibt es von Land zu Land auch bestimmte Spezifizierungen?
Länderspezifisch gibt es eigentlich nichts, was man jetzt irgendwie gegeneinander stellen könnte. Das persönliche Treffen habe ich natürlich immer am Liebsten. Im besten Fall mit Regisseur und Caster! Im schlimmsten Fall ist nur der Assistent vom Assistent vom Assistent anwesend. In Ausnahmefällen gibt es eben auch eCasting. Das hat sich halt verbreitet, weil immer „worldwideweb"-mäßiger gecastet wird.
Jetzt bist Du in der Position, viele Kinofilme machen zu dürfen. Wie sieht es mit Fernseh-Formaten aus?
Klar! Fernsehen mach´ ich auch! Da existiert auch wieder eine Besonderheit, die mir in der deutschen Medienwelt auffällt: dieser Bruch zwischen Fernsehen und Kino. Das Kino, als das noble Feld und das Fernsehen als das Verpönte. Verstehe ich nicht! Natürlich gibt´s viel Schrott im Fernsehen. Das gibt es aber überall (lacht) - auch im Kino. Ich würde das Wort Kunst gerne durch den Begriff Qualitätsanspruch austauschen. Du kannst Qualität im Fernsehen, aber auch im Kino finden. Wenn Du ein gutes Drehbuch hast, einen guten Draht zum Regisseur und an das Ding glaubst, dann ist das mehr als die halbe Miete. Um das zu beurteilen, musst Du dich natürlich ein bisschen auskennen, weil beispielsweise im Fernsehen anders produziert wird als im Kino. Meist schneller, einfache Close-ups, Shots, Backshots, Gegenshot und fertig ist. Im Kino dagegen gibt es mehr Freiraum und Du kannst als Schauspieler ein bisschen mehr träumen und Dich intensiver vorbereiten.
Du erwähntest bereits von einer österreichischen Agentur vertreten zu werden. Hast Du noch andere Agenturen?
Ich habe - das klingt jetzt doof - fünf Agenturen! Von der wirklich netten österreichischen Agentur Daniela Stibitz habe ich mich getrennt, als ich nach Berlin gezogen bin. Zunächst habe ich mich von einer kleinen Hamburger Agentur vertreten lassen, die Sylvia Waring geleitet hat...Sie hatte nur Marie Bäumer und mich und das war´s! Sie hat sich super um mich gekümmert und da bin ich durchgestartet. Heute vertritt mich in Deutschland der wunderbare Matthias Frik, Agentur Spielkind, in Berlin. Zudem habe ich auch eine Agentin in Italien: Isabella Gullo, Agentur Show Business Service. Mit ihr bin ich groß geworden! In all den Jahren sind wir durch dick und dünn gegangen. Dann habe ich die Schauspieleragentur Cineart in Frankreich, Christoph Le Haut kümmert sich um mich. Last but not least habe ich zwei Agenturen für den Sprecherbereich in Frankreich.
Wie ergab sich das mit der Sprechertätigkeit?
Das hat sich so ergeben. Das war Ende/Anfang der 90er Jahre. Ich war In Frankreich und Italien in den Nationaltheatern beschäftigt. Aber ich wollte mein Deutsch pflegen. Da waren die deutschen Sprecherjobs ideal. Es gab da einen Markt! 1993 kam auch meine erste Tochter auf die Welt und mit der wollte ich auch Deutsch reden. Aber auch aus einer finanziellen Absicherung heraus habe ich viel Sprecherjobs gemacht. Die Spanne reicht von National Geographic und Doku-Geschichten über Sprachkurse in Schulbüchern mit CD-Beilage bis hin zu Werbung.
Ein zweites Standbein zu haben, macht einen ja auch lockerer. Aber zurück zum Thema Agenturen. Wie wichtig ist für Dich, persönlich Agenten zu haben?
Puh, ich hab mal gelesen und das fand ich ganz lustig: „Ein Agent ist völlig nutzlos und absolut notwendig." Aber im Ernst: Wichtig ist, WIE Du mit deinem Agenten fungierst. Dann ist das ein ganz großer Support. Er ist ein Trainer, aber boxen musst du schon selbst. Und ja, ich kann ja auch nur aus eigener Erfahrung sagen, ich habe nie darauf gewartet, dass irgendwelche Leute kommen und mich an die Hand nehmen: ICH bin Schauspieler und ICH muss was dafür tun. Wenn mal kein konkreter Job da war, habe ich mir was erfunden: Monologe oder Stücke inszeniert, auf meiner Geige rumgefiedelt, Stimmtraining oder sonst was gemacht. Wenn ich kein Demo-Band hatte, dann habe ich mir Leute gesucht, mir ein Drehbuch geschrieben und eine Kamera besorgt. Viele beklagen sich so. Aber hat dich irgendjemand gezwungen, Schauspieler zu werden? Nee! Du willst es sein, also was bist du bereit dafür zu tun?
Stichwort Demo-Material: Foto als Visitenkarte, Demo-Band als visuelle Appetizer und Vita als Referenzen, was ja eine unheimliche Wichtigkeit in Deutschland hat.
Ja, ein bisschen zu sehr finde ich.
Besteht dieser „Wahn" auch in anderen Ländern?
Nicht so vehement, aber was soll man machen? Hier ist es ja nicht so zentralisiert wie in anderen Ländern, aber allein die Caster werden dermaßen überrannt, müssen sich aus einer Überlebensnotwendigkeit heraus abschotten und das wird dann gleich als Arroganz gewertet. Natürlich hat der Caster überall große Power. Aber du musst einfach am Ball bleiben. Als mich keiner wollte, habe ich auch mal auf höherer Ebene angeklopft, bis irgendwo die Tür aufging. Du kannst nicht, wenn du zehn Mal anklopfst und niemand aufmacht, sagen: „Och, keiner macht auf!" Dann musst Du halt zwanzig Mal anklopfen!
Also die Nervensägen-Strategie?
Nein, nein: Nervensäge geht auch nicht. Wenn jemand dir sagt: „Kommen Sie nicht mehr vorbei!", dann kannst Du nicht wieder vorbeikommen. Aber weiter Augen aufhalten und präsent sein, woanders halt!
Stichwort Festival wie Berlinale-Präsenz...
Das ist eine Möglichkeit - oder selber ein Festival machen. (lacht)
Oder ins Theater, selbst eine Truppe auf die Beine stellen, Schauspielunterricht nehmen und geben. Oder geh aufs Arbeitsamt und guck, was es dort gibt und dein Rollen Know-how erweitert. Mach was mit Freunden, steig auf einen Berg! Es ist einfach wichtig, aktiv zu bleiben! Ich habe jetzt den Luxus, auf einem bestimmten Level als Schauspieler zu agieren und darauf bin ich auch stolz. Aber man muss einfach in Lebenslagen immer wieder dazulernen. Man muss lernen, Komplimente annehmen zu können, man muss lernen, sich verkaufen zu können, aber auch demütig in der Form von Dankbarkeit zu bleiben.
Hast Du ein Demo-Band und was ist darauf?
Das variiert. Alle 1.5 oder 2 Jahre mache ich mittlerweile ein sehr kurz gehaltenes Demo-Band mit neuen Sachen. Gerade hier gebe ich den Tipp: „Leute, macht kürzer, macht den Leuten Hunger!" Wenn ihr das Band vollknallt, haben die alles gesehen und wollen nichts mehr. Also auf keinen Fall länger als fünf Minuten. Zudem habe ich durch meine spezielle Situation auch ein internationales Showreel. Hier habe ich ein „deutsches Showreel", also deutschsprachige Szenen. Das ergab sich aus der Zusammenarbeit mit meinem deutschen Agenten Matthias Frik. Mit ihm habe ich wirklich jemanden gefunden, mit dem ich gerne zusammenarbeite. Da gibt es richtige „Strategiegespräche", Analysen und Tipps. Er empfiehlt mir beispielsweise, mich für bestimmte Regisseure zu interessieren, und dann schaue ich mir deren Arbeit auch intensiv an.
Welche Erfahrungen hast Du beispielsweise in den USA gemacht?
2009 war ich bei der Opening-Night in Los Angeles, um mich zu promoten. Dort lief auch "Inglorious Basterds", und ich habe da eine Woche lang wirklich ganz tolle Leute kennengelernt. Hier liegt auch ganz klar der Unterschied zwischen den USA und anderen Ländern: Du bist in den USA erst mal niemand, aber du bekommst eine Chance: „Just come over and let´s meet!" Ganz egal wer du bist und woher du kommst. Mag sein, dass es schwierig ist, einen Termin zu bekommen, aber das ist überall so. Aber du hast erst mal Kredit. Wenn du es „verkackst", dann hast du weniger Chancen, aber Du bist nicht gleich weg. In Deutschland ist es so: wenn du überhaupt mal eine Chance bekommst, bedeutet das ganz klar: hop oder top. Und wenn du nicht von irgendjemandem durch eine Hintertür eingeführt wirst, dann wird's hier schwer. Ich weiß nicht, woher das kommt, aber hierzulande ist der Umgang miteinander wirklich härter.
Hast Du bestimmte Formate, die Du nicht machst oder sagst Du: „Nein, ich mache grundsätzlich alles. Ich entscheide nach dem Stoff und meinem Marktwert." Gibt es da so eine Art Regel bei Dir?
Ich mach', was mir gefällt, da hab ich grundsätzlich keine Regel. Ab und zu - um die Geld Metapher aufzugreifen - werde ich gefragt: „Wie teuer bist du denn?" Das ist eine stupide Frage. Kurzfilme mache ich beispielsweise kostenlos und bei James Bond ist`s das genaue Gegenteil. Die Spanne ist irrsinnig groß. Natürlich hab ich einen Marktwert und man gleicht sich an den aktuellen an. Und den will man natürlich vergrößern. Das ist letztendlich das gleiche mit dem Genre! Ich hatte vor Kurzem mit meinem französischen Agenten ein Gespräch und da habe ich gesagt: „Du, es ist mir egal, wie klein oder wie groß die Rolle ist. Wenn sie klein ist, muss sie aber was Spezielles haben, 'nen Kick!" Wenn man mir also eine Rolle anbietet, die nur einen Drehtag hat, wo ich nackt mit einer Pfauenfeder im Arsch einen Travestieten spielen soll und ich das mag und in dem Moment geil finde, dann mach ich das auch. Es muss ein Deal sein: Es muss mich einfach irgendwo kicken und das ist eigentlich das Einzige, was mich interessiert. Ich bin immer lange Zeit der Idee hinterher gerannt: Wenn ich groß, stark, reich und berühmt bin, mache ich nur noch das, was ich will. Stimmt nicht, du musst sofort anfangen.
Arbeitest Du mit Coaches und auch speziellen Methoden?
Ja, ich habe sehr lange mit Geraldine Baron zusammengearbeitet. Mit Susan Strasberg habe ich viel Method Acting gemacht. Aber auch mit Francesca de Sapio. Hier habe ich auch gelernt, dass du alles machen kannst, bloß nicht warten. Mach sofort das, was du willst! Wenn du an Hunger stirbst, dann nimmst du natürlich den Job, den du bekommen kannst, aber sobald du es dir erlauben kannst, dann mach das, was du wirklich willst. Das ist früher, als du glaubst. Und wenn du dich gut vorbereitetest, dann sind die Chancen größer, dass du es gut machst. Und das habe ich vor zehn Jahren ungefähr angefangen und da bin ich wirklich - nochmal für mich selber - in eine andere Liga gekommen, weil du auf einmal eine innere Ruhe spürst. Und es ist auch die Zeit, in der ich gelernt habe die Arbeit als Schauspieler wirklich mit meinem ganz intimen, persönlichen Leben zu verknüpfen. Gerade in den letzten Jahren habe ich viel „Nein" zu angebotenen Projekten gesagt! Vor geraumer Zeit habe ich beispielsweise ein wunderschönes Angebot von Steven Spielberg bekommen. Das war eine sieben bis acht Tages-Rolle. Durch produktionsbedingte Umstände wurde diese dann allerdings so zusammengeschrumpft, dass es nur noch auf eine Ein-Tages-Rolle hinauslief. Wenn du das dann nur machst, um das auf deine Vita zu schreiben, finde ich das schade. Du musst auch lernen, dich rar zu machen.
Bist Du ein Orga-Typ oder lässt du eher die Sachen auf Dich zukommen?
Was heißt Orga-Typ?
Ein organisatorischer Typ, der alles im Vorfeld abstecken muss!
Ich bin ein Segelboot. Ich lass die Sachen auf mich zukommen. Ich benutze den Wind, den es gibt, aber ich hab auch einen Kurs. Man kann ja auch gegen den Wind hoch fahren - ist halt ein bisschen anstrengender. Ich glaube an Begegnungen, nicht nur im Job, sondern überhaupt im Leben. Deshalb glaube ich, dass es gut ist, so offen und ehrlich wie möglich zu sein und sich auch treiben zu lassen. Dazu sind eben Festivals oder Theater gut. Ich bereite mich zum Beispiel für eine Rolle einfach gut dadurch vor, dass ich rausgehe und viele Menschen betrachte. Es muss mir gut gehen! Du kommst ins Philosophieren oder du siehst einen, der dich wirklich inspiriert.
Interessant. Ich dachte Du bist super durchorganisiert!?
Ich bin super organisiert (lacht). Ich hatte sehr lange eine irrsinnig große Methodik, mich auf meine Rollen vorzubereiten, und jetzt nach 30 Jahren Bühnen- und Schauspielerfahrung, bin ich in einer Phase, wo ich merke, es ist wichtig zu verlernen, damit diese Strukturen, die mich ausmachen, professionell und privat, nicht verhärten. Die Arbeit an der Rolle musss sich herauskristallisieren und ich muss horchen und verlernen lernen.
Das hat auch viel mit dem Bauch zu tun?
Ja, ich sage Nase! Weisst du, es ist total methodisch...Da hast du halt diese Methoden, die du gelernt hast, aber auch 'ne Nase. Ich denk' die Nase ist fast wichtiger als die Methodik. Die Methodik ist wie Krücken, die dir helfen sollen, laufen zu lernen. Aber Laufen zu lernen ohne Krücken! Verstehst du? Das Wichtigste aber ist einfach DEIN Instinkt. Aber um deinen Instinkt zu entwickeln, musst du wahnsinnig viel arbeiten. Weißt du, was ich meine?
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute nächstes Jahr für den Oscar!
Website Richard Sammel | Agentur Spielkind:
www.spiel-kind.com
Möchten Sie diesen Beitrag kommentieren?
www.out-takes.de
Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von "casting-network. Das Branchenportal". Mehr zu ihrer Person finden sie in der Rubrik: Über uns.
Telefon: | 0221 - 94 65 56 20 |
E-Mail: | info@casting-network.de |
Bürozeiten: | Mo-Fr: 10:00 - 18:00 Uhr |
© 2005-2024 Gesichter Gesucht & casting-network
Internetagentur - die profilschmiede
Datenschutzeinstellungen