HINTER DEN KULISSEN | Unsere aktuelle Reihe
Die Schauspielerin (BFFS) und Journalistin Elmira Rafizadeh wird in den nächsten Monaten zahlreiche Fachleute aus der Branche für Sie interviewen.
Steckbrief:
Prof. Gebhard Henke wurde 1955 in Holzminden/Niedersachsen geboren. Studierte Germanistik und Geschichte an der FU Berlin. Nach seinem Magister arbeitete er als freier Journalist und Literaturkritiker, sowie als Lehrbeauftragter an der FU Berlin.
Für die Berliner UFA-Filmproduktion war er als Lektor und dramaturgischer Berater tätig. 1984 kam er nach Köln zum WDR. Nach einem zweijährigen Redaktions-Volontariat, arbeitete er zunächst als Hörfunkredakteur und ab 1987 als Redakteur und Dramaturg in der Programmgruppe Film und Serie. Gebhard Henke hat die WDR-Nachwuchsreihe „Avanti Debütanti" ins Leben gerufen und war Mitinitiator und Leiter der Reihe „Wilde Herzen".
Von 1996 bis 1999 war er verantwortlich für die WDR Serie „Lindenstraße" (Casting: Horst D. Scheel). Er betreute u. a. Filme wie „Kleine Haie" (Casting: Sabine Schroth), „Der Totmacher" (Casting: Uns leider nicht bekannt), „Das Leben ist eine Baustelle" (Casting: An Dorthe Braker | BVC) und „Good bye Lenin" (Casting: Simone Bär). Im Herbst 1998 wurde ihm die Leitung der Programmgruppe Fernsehspiel übertragen. Seit 2003 ist er zugleich Leiter des Programmbereichs Film, Unterhaltung und Familie, seit 2009 des Programmbereichs Fernsehfilm, Kino und Serie des WDR.
Für seine Redaktionstätigkeit gewann er 1992 den Adolf-Grimme-Preis für „Wheels and Deals" von Michael Hammon, 1993 den Prix Europa für „Wehner- die unerzählte Geschichte" (Casting: Uns leider nicht bekannt) und 1997 den Goldenen Löwen (RTL) für das Doku-Drama „Todesspiel" (Casting: Heta Mantscheff | BVC), beide von Heinrich Breloer. 2008 erhielt er den Deutschen Fernsehpreis für den 2-teiligen Fernsehfilm „Contergan" (Casting: Sabine Schwedhelm | BVC, Casting Italy: Cornelia von Braun | BVC).
Er ist der ARD-Tatort-Koordinator, Mitglied der Gemeinschaftsredaktion ARD-Hauptabendserie und der Gemeinschaftsredaktion Vorabendserie.
Am 1. Oktober 2001 wurde er zum nebenberuflichen Professor an die Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) mit dem Fachgebiet „Kreatives Produzieren" berufen.
Wie hat sich der Beruf „Redakteur" im Bereich „Fiction" beim Fernsehen Ihrer Meinung nach entwickelt?
Grundsätzlich gibt es für den Redakteur keinen streng vorgezeichneten Berufsweg. Hierzu habe ich selber eine Untersuchung gegen Ende der 80-er Jahre gemacht und die Dramaturgen/Redakteure zu ihrem Werdegang befragt. Der Beruf war eigentlich nur bei ARD und ZDF ein fester Bestandteil. Die meisten hatten Theaterwissenschaften und Publizistik studiert, kamen teilweise auch aus journalistischen Feldern oder wechselten vom Theater in die Fernsehbranche. Sehr selten waren zu dieser Zeit Personen aus Produzentenberufen vertreten. Ein Dramaturg bzw. Redakteur war jemand, der die Texte einrichtete. Man hatte überhaupt nichts mit den wirtschaftlichen Belangen zu tun. Und für die Besetzung war der Produktionsleiter zuständig. Das muss man sich mal vorstellen, damit hatte ein Redakteur gar nichts zu tun (lacht). Der nahm das lediglich nur zur Kenntnis. Heutzutage sind die jüngeren Kolleginnen und Kollegen oftmals als Produzenten ausgebildet, haben bspw. an der HFF in Potsdam oder an der Filmakademie Baden Württemberg ihr Studium absolviert. Letztendlich ist das besondere an einer Redaktion, dass viele Menschen mit verschiedenen Interessen und Schwerpunkten aufeinander treffen. So wie sich auch Filmemacher individuell ihren Filmen annähern. Der eine recherchiert, kommt eher aus der Wissenschaft, der nächste macht es aus dem Bauch heraus, der dritte war selber Schauspieler.So trifft man sich als eine bunte Schar von Menschen. Doch den Beruf selbst lernt man eigentlich erst richtig, wenn man ihn praktisch ausübt.
Worin sehen Sie schwerpunktmäßig Ihre heutigen Aufgaben als Redakteur?
Man sollte in erster Linie filmaffin sein und sich für das Medium interessieren, nicht nur für den Kinofilm, sondern auch für die Geschichte des Fernsehens. Man muss neugierig sein, gerne mit Menschen umgehen, offen und aufgeschlossen bleiben. Der dramaturgische Aufbau einer Erzählung bzw. das Drehbuch ist nach wie vor der wichtigste Ausgangspunkt. Ein „Tatort", ein Kinofilm oder ein Fernsehspiel hat meistens eine jahrelange Vorgeschichte. Man muß sich das so vorstellen: der Redakteur sitzt am Anfang zusammen mit einem Autor und es werden aktuelle, gesellschaftliche Ideen und Themen besprochen, die man filmisch aufbereiten könnte. Ich will natürlich eine gute Geschichte in die richtige Bahn lenken, aber ich muss genauso über Geld reden, über Kapazitäten, über Sendepläne, die Interessen des Senders und generelle Planungen machen wie, wann kommt welcher „Tatort" und wie vermeidet man thematische Dubletten. Es sollen ja auch nicht immer dieselben Gaststars in jedem „Tatort" auftreten, ohne dass man es weiß. Ist alles schon vorgekommen. Das gehört mit zum Planungshandwerk. Als „verantwortlicher Redakteur" muss man zusammenfassend dafür Sorge tragen, dass der Sender - sowohl im juristischen, als auch im inhaltlichen Sinne - die richtigen Beiträge umsetzt und erkennt „Ja das ist ein wichtiger Film, der passt zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sollte hier sein". Denn das Ziel ist, dass man die besten Dinge initiiert oder an Land zieht und dafür sorgt, dass der WDR weiterhin großartige Filme macht. Dafür braucht man die richtigen Partner in einer Redaktion.
Wie lässt sich trotz sinkender Budgets Qualität noch realisieren?
Klar, Geld wird nicht mehr! Das liegt zum einen auch daran, dass wir die Gebühreneinnahmen nicht stabil halten können. Das können wir deshalb nicht, weil die Bevölkerung abnimmt und immer weniger zahlen. Nordrhein-Westfalen ist im Übrigen extrem davon betroffen, so wie die Ostdeutschen Bundesländer, weil wir viele Hartz IV Bezieher haben, die von der Gebühr befreit sind. Die Devise ist, dass man zuletzt am Programm spart. Wir versuchen immer zuerst bestimmte Investitionen nicht mehr zu machen, Sachen zu bündeln, Stellen zu rationalisieren oder erstmal keinen neuen Ü-Wagen zu kaufen. Am Programm wird wirklich zuletzt gespart. Und für uns kann ich nur sagen: „Toi toi toi!" Im Augenblick halten wir beim WDR den Status Quo, was die fiktionalen Produktionen anbelangt. Das ist ein großer Erfolg.
Gibt es bei Ihnen im Team Pläne oder überhaupt noch Raum für neue Serien- und Reihen?
Das muss man auseinander halten. Wir haben gar nicht so viele ,freie' Möglichkeiten im Reihen- oder im Serienbereich wie vergleichsweise das ZDF. Wir haben für ‚freie' Serien den Dienstagabend zur Verfügung, wo neue Staffeln platziert werden können. „Lindenstraße", „In aller Freundschaft" oder „Sturm der Liebe" zähle ich nicht hinzu, da dies Formate sind, die sozusagen „durchlaufen". „Mord mit Aussicht" lief bspw. auf dem Dienstagsplatz. Das halte ich wirklich für eine herausragende und innovative Sache und wir freuen uns, dass in diesem Jahr die 2. Staffel gedreht wird. Aber es gibt eben nicht mehr ‚freie' Möglichkeiten, als dieser Dienstag. Darüber hinaus soll der Vorabend wieder mit mehr Fiktion bespielt werden, und zwar mit „Krimi Light" Formaten, die beeinflusst sind von „Mord mit Aussicht", „Tatort Münster" oder „Großstadt Revier". Hierfür haben wir mit einigen Produzenten neue Serien unter dem Motto „Crime & Smile" entwickelt, die dann voraussichtlich ab Herbst dieses Jahr auf Sendung gehen. „Hubert & Staller", „Henker und Richter", „München 7" und „Friesisch Herb".
Da wären wir auch beim Stichwort „Krimi"! Gerade Krimis wie „Tatort", „Soko", „Fall für zwei", etc. haben sich mittlerweile als feste Größen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern etabliert. Könnte es da aus Ihrer Sicht nicht mehr Vielfalt im Genre geben?
Ich gebe demnächst im Sommer ein Seminar an der KHM in Köln, das heißt: „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett - die Dominanz des Krimi-Genres im deutschen Fernsehfilm". Natürlich gibt es Sender, die machen noch mehr „Kriminalisierung" als wir. Mit unserem „Tatort"- und „Polizeiruf"-Sonntag ist das gemessen an anderen ‚Kriminalisierungsversuchen' recht wenig. Die Frage ist aber, wie ordnet man eine Kriminalkomödie wie „Mord mit Aussicht" oder „Großstadtrevier" hier ein? Es wäre interessant zu untersuchen, wer wie viel Krimi-Anteil an den fiktionalen Produktionen in den unterschiedlichen Sendern macht. Das hat meiner Meinung nach schon extrem zugenommen. Aber warum macht man das? Weil es erfolgsversprechend ist! Man kann relativ schwierige oder anspruchsvolle Stoffe in einer Krimihandlung leichter einbetten und spannend erzählen. Wenn wir ein gesellschaftliches oder politisches Thema behandeln möchten, ist es einfacher, das in einem Krimi unterzubringen, als ein einzelnes Fernsehspiel darüber zu machen. Das ergibt sich aus dem Genre, in dem auch der Befragungsstil zum schnelleren Einstieg in eine komplexe Handlung führt. Wir sehen aber die „Tatorte" ja auch nicht einfach nur als Krimi und Unterhaltung, sondern die verhandeln und behandeln alle relevanten, gesellschaftlichen Themen. Wir sind stolz darauf, dass der „Tatort" dieses Image hat. Somit müssen sich Anspruch, Relevanz und Politik nicht ausschließen, wenn kriminalisiert wird. Zum anderen würde ich es aber auch nicht begrüßen, wenn die Genrevielfalt aufhört und kein Platz mehr für Komödien oder für ein gutes Melodrama da wäre.
Neben der Fiktionalen Programmgestaltung haben Redakteure mittlerweile großen Einfluss bei der Besetzungsentscheidung. Wie entsteht der Cast in den von Ihnen betreuten Formaten?
Wieso „mittlerweile"? (lacht). Ich hab Ihnen eben das Beispiel genannt, als der Produktionsleiter vor 40 Jahren noch im Alleingang die Besetzung vorgenommen hat. Heute ist das eine Gemeinschaftsentscheidung. Da Redakteure heutzutage auch die Finanzierungsfragen zu verantworten haben, ist man folglich auch in solche Entscheidungen mit involviert. Dennoch würde ich erst mal zwischen den einzelnen Sendern - ob privat oder öffentlich-rechtlich - differenzieren, denn überall gibt es sehr unterschiedliche Arbeitsweisen. Beispielsweise sitzt da der Regisseur, dann ein Autor, natürlich der Produzent und wir als Redakteure. Wir sprechen ja gemeinsam über unsere Ideen und Vorhaben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man grundsätzlich einem Regisseur eine Besetzung aufoktroyiert. Das kann nur gemeinsam im Team entstehen. Ich würde es auch nicht gut finden, wenn ein Regisseur sich als reiner Dienstleister mit der Haltung versteht „Der Sender oder der Produzent sagt mir, was ich zu erledigen habe, das setze ich genauso um und fertig!" Ich erwarte schon, dass jeder sich für das Ganze einbringt. Der Regisseur sollte klare Vorstellungen haben, die man gemeinsam zu lösen versucht. Da kommt es auch mal zu Konflikten. Das ist aber normal in einem kreativen Prozess. Von allen Seiten kann man anregen, aber nichts mit der Brechstange durchsetzen. Und derjenige, der vor Ort am Set arbeitet, muss es ja letztlich ausführen, der muss mit dem Menschen auch können und wollen und das sollte harmonieren und zusammen passen.
Was halten Sie persönlich von Castings?
Ich halte sehr viel von Castings, die offen sind. Sprich, wir probieren erst mal aus, ob die beiden miteinander können, ob das funktioniert, ob das richtig ist. Man muss schließlich sehen, dass so ein Ensemble aufgeht. Da kann man nicht einfach nur herbestellen und sagen: „mach mal mit dem"! Das wäre nicht das Ziel. Wir hatten hier früher ein Besetzungsbüro im WDR, das ist aufgegeben worden. Wir haben hier auch keine internen Caster, auch nicht bei unseren Eigenproduktionen. Wir arbeiten mit den Produzenten und externen Castern zusammen. Auch mit den Schauspielagenturen, die ich heutzutage als sehr professionalisierten Bereich empfinde. Ich bin immer wieder überrascht über die Vorschläge und Ideen, auf die man selbst nicht gekommen wäre, obwohl man schon so lange im Job ist.
Viele Branchenangehörige und Zuschauer beklagen oft, dass immer „die gleichen Gesichter" im TV zu sehen seien. Wie wichtig sind denn Namen für eine Produktion?
Dass sich Zuschauer darüber beklagen, würde ich bestreiten. Das sind in der Regel Journalisten oder die interessierte Branche. Das tun sie natürlich auch aus einem guten Grund: Sie wollen auch mal ran. Zuschauer beklagen sich eigentlich gar nicht darüber, sondern leben ja in einem „Star-System". Diese Diskussionen werden auch nur in Deutschland geführt. Ich kenne sie aus keinem anderen Land. Stellen sie sich vor, in den USA würde man sagen, „wieder dieser Leonardo Di Caprio, der spielt ja immer mit." Das wäre in einem Markt - der so kapitalistisch ist wie die USA - undenkbar. Da ist es ganz klar, dass man nach größtmöglicher Bekanntheit und Attraktivität geht. Und das tun wir hier ja gar nicht. Wenn man natürlich so eine lange Arbeitsehe hat, wie wir zum Beispiel mit Götz George, dann denkt man darüber nach, was könnte eine geeignete Rolle für den jetzt 71-jährigen sein. Sowas ergibt sich aus der Zusammenarbeit. Ich kenne das natürlich auch, dass man den Eindruck hat, der ein oder andere kommt ein bisschen zu oft vor, aber ob das ein Zuschauer kritisieren würde, der gar nicht auf diese professionelle Weise wie wir hinguckt, würde ich bestreiten. Ich freue mich immer, wenn das für Zuschauer überhaupt einen Wert hat, indem sie jemanden wieder erkennen.
Wie äußert sich der Wiedererkennungswert eines TV-Stars beim Publikum?
Im Fernsehen wäre Senta Berger als spannendes Beispiel zu nehmen. Es gibt ein großes weibliches Publikum, das Senta Berger beeindruckt. Sie schauen ihr gerne zu und schauen genau hin, wie sie bspw. die Rolle einer Sekretärin interpretiert. Sie wissen sehr genau, dass sie im realen Leben keine Sekretärin verkörpert, wenn sie in ihren Mantel schlüpft und eine komische Brille auf hat. Es ist doch höchste Kunst, wenn man erleben darf, wie sich so jemand verwandelt. Götz George sagt, ich spiele heute einen Alzheimerkranken und ihr könnt mich dabei begleiten und mir zuschauen, wie ich das mache. Das ist ein ganz großer Genuss für das Publikum. Wenn Sie jetzt ein schwieriges Thema haben, beispielsweise über einen Wirtschaftsskandal, eine Firmenübernahme und Bestechlichkeit im Vorstand: allein die Frage, wie erzähle ich das? Machen sie daraus mal einen Film, wenn sie nicht ein sogenannter Star trägt, der sie mitnimmt auf die Reise. Sie werden durch einen Star quasi an die Hand genommen. Und das wäre in solchen Fällen nicht richtig, jemanden zu besetzen, der keinen „Leadership"-Charakter hat. Da ist es schon wichtig, dass jemand durch seine Popularität und durch seine Vertrauensvorschuss den Zuschauer durch so ein schwierigeres Thema führen kann. Das gilt für andere Filme wiederum gar nicht. Man muss immer beobachten, wen gibt es da, wen probiert man aus, wer ist einem aufgefallen. Eigentlich läuft das ja gar nicht schlecht in Deutschland. Wenn der Durchlauferhitzer nicht wäre. Mir ist es grundsätzlich auch ganz wichtig, dass man den jüngeren - ob Filmemacher oder Schauspieler - die sich etablieren wollen, auch die Chance gibt, irgendwo hinein zu kommen. Da muss man halt die Waage halten, aber auch mal was Neues ausprobieren. Als ich zum Beispiel damals den Wunsch hatte, Caroline Peters für „Mord mit Aussicht" einzusetzen, kannten sie wenige aus Fernsehen und Film. Sie kam ja vom Theater. Aber ich hab an sie geglaubt und wusste, dass sie das großartig machen wird.
War es nicht vielleicht auch ein Beweggrund, eine „preiswertere" Theaterschauspielerin statt einen „teuren" Star einzusetzen?
Nein! Das habe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht im Kopf gehabt. Denn es ist eigentlich ziemlich festgelegt, was in so einem Serienbudget möglich ist. Natürlich ist die Frage, ob man jetzt in der 8. oder 15. Staffel ist oder am Anfang, aber trotzdem stand dieses Argument überhaupt nicht im Raum. Im Vordergrund steht, ob das jemand ist, der den Ansprüchen genügt; sowohl in der Geschichte als auch für das Publikum. Es gibt ja viele Schauspieler, die viel spielen und sehr gut sind. Die sieht man gerne und die haben sich durchgesetzt. Im Prinzip geht das ja auch nach Angebot und Nachfrage. Doch diese Diskussion bezüglich der Stars ist typisch deutsch. In anderen Filmnationen gibt es das in der Form gar nicht. Die verstehen die Frage nicht einmal. Weil die ganz eindeutig kommerziell orientiert sind. Anbei ein Erlebnis hierzu: Ich war mal auf einem Kongress, wo es dem Wissenschaftsministerium darum ging, das Bild von Wissenschaftlern in der Wirklichkeit zu verändern. Wenige Mädchen interessieren sich bei der Studienauswahl für Naturwissenschaften. Nun hatten diese Wissenschaftler festgestellt, dass durch Krimis wie „CSI" oder vergleichbaren Serien, in denen sehr gut aussehende, toughe Wissenschaftlerinnen vorkommen, das Image sowie das Interesse für diese Berufe gesteigert wird. Das hat sie dazu veranlasst, auf Senderleute und Autoren zuzugehen, um Einfluss auf uns auszuüben. Vor Ort war auch einer der amerikanischen Produzenten von „CSI", der mit großer Hochachtung und Respekt behandelt worden ist. Ihm wurde dann geschildert, wie toll man in Deutschland deren Vorbildfunktion fände, Wissenschaftlerinnen als unglaublich attraktive und selbstbewusste junge Frauen zu repräsentieren. Dieser Produzent hatte den Ausgangspunkt der gesamten Veranstaltung jedoch gar nicht verstanden. Er fragte immer: „Ja wie? Naja klar, sex sells". Das war ein sehr amüsantes Missverständnis. Denn die besetzen in den USA natürlich attraktive Frauen, weil es sich gut verkaufen lässt und die Leute dann einschalten. In einem Fernsehsystem wo es um Geld und Erfolg geht, kämen die gar nicht auf die Idee eine Entscheidung zu treffen, damit mehr junge Frauen in den USA Naturwissenschaften studieren.
Kennen Sie bspw. aus Ihrem Alltag solche Kategorisierungen wie „WDR-" oder „RTL-Gesicht" im Bezug auf Schauspieler?
Im WDR gibt es eine gewisse Treue zu denjenigen, mit denen man schon lange arbeitet. Wenn man mit einem Schauspieler viele Jahre erfolgreich produktiv ist und der spielt bspw. einen „Tatort"-Kommissar, überlegt man natürlich, mit dem auch etwas anderes auszuprobieren. Man entwickelt für ihn einen neuen Stoff und sagt: „Das ist genau das Richtige für ihn!" Man möchte ihn jetzt mal anders sehen oder ihm die Chance geben, auch mal was Komisches zu spielen.
Wie sind denn Ihre sonstigen Erfahrungen mit „Schubladen"-Denken und „Vielfältigkeit"?
Da gibt es ja immer viele Ängste, wo Künstler befürchten, in so eine Ecke zu geraten, in der sie festgenagelt werden. Ich führe viele Gespräche mit Migranten, die sagen: „Ich möchte nicht ewig die Tochter vom türkischen Gemüsehändler spielen, die zwangsverheiratet wird, sondern einfach mal ohne diese problematischen Hintergründe eine Figur darstellen können." Das sind Themen, die man immer im Hinterkopf hat und überlegt, wie und wo kann man das realisieren. Wie selbstverständlich ist etwas, mit welchen Klischees lebt man? Zum Beispiel Liz Baffoe, die lange in der „Lindenstraße" präsent war: Sie ist deutsch, in Bonn aufgewachsen und hat in der „Lindenstraße" eine Frau gespielt, die aus Nigeria geflüchtet ist und mit Akzent spricht. Und dann trifft sie Journalisten und die sagen: „Ja, mein Gott, sie können ja gut deutsch." Auch wenn es nur eine Rolle ist, die sie da letztendlich spielt, merkt man schon, wie sehr das auch an Schauspielern nagen kann, wenn sie in so eine Schublade kommen. Ich halte zum Beispiel immer wieder Austausch mit der Vorsitzenden des „Verbandes dunkelhäutiger Filmschaffender" in Deutschland. Hier stellt sich die Frage, was ist Normalität? Es gibt ja Klischees, die in der Wirklichkeit stattfinden und in einem Film dann thematisiert werden. Also wird bspw. Rassismus in Filmen dargestellt. Das sind die schwierigen Entscheidungen, die man zu treffen hat. Was will man erzählen, was traut man sich und welche Haltung hat man dazu? Will man streng political correct sein, dann würde man so einen Film wie Züli Aladags „Wut" nicht machen. Der Film hat eine interessante Diskussion ausgelöst. Oder wenn ich Post kriege, dass im „Tatort Münster" wieder Kleinwüchsige verhöhnt werden, sagt Christine Urspruch dazu, „Ja, ich find das aber gut so! Für mich ist das Emanzipation, so zu spielen, dass man darüber lachen kann." Und sie hat in der Figur immer das letzte Wort, weil sie im moralischen Recht ist. Was macht man, wenn man z.B. kleinwüchsig ist? Man kann das ja nicht weg diskutieren. Ein Schauspieler mit einem solchen Merkmal kann nicht so besetzt werden, indem man so tut, als wäre das nicht vorhanden.
Auch ohne Migrationshintergrund oder sichtbare „Makel" gibt es ja Typ Klassifizierungen. Da ist öfter die Rede von „Phantasielosigkeit" . Wie erleben Sie das in Ihrem Umfeld?
Joachim Króls Laufbahn wäre hier ein gutes Beispiel: Joachim Król ist ja relativ spät populär geworden. Als „Lola Rennt" 1998 erschienen ist, war er bereits durch den „bewegten Mann" und Detlev Bucks „Wir können auch anders" schon recht prominent. Für seinen Freund Tom Tykwer hat er in „Lola rennt" jedenfalls eine kleine, aber prägnante Rolle als Obdachloser übernommen. Danach hat er unzählige Angebote gekriegt, einen „Penner" zu spielen. Bei jüngeren Filmemachern ist das auch zu beobachten. Wenn sie ihren Abschlussfilm z.B. als „Borderline Sozialdrama" machen, dann können die Jahre weiter ackern, aber bekommen bestimmte Projekte einfach nicht zugesprochen, weil man denkt, „ne, der hat ja keinen Humor und macht eher triste Sachen". Das ist ganz schön verteufelt. Man kann gleich mit dem ersten Film in so eine Schublade geraten. Das ist leider so.
Wie gehen Sie mit dem Nachwuchs um?
Wir ermöglichen sehr viele Debütfilme oder kooperieren u.a. auch mit der KHM in Köln, der ifs oder anderen Filmhochschulen. Sowohl mit den Schauspielern als auch den Autoren und Regisseuren. Wir versuchen unseren Partnern immer Chancen zu bieten, sich weiter zu entwickeln und auszuprobieren. Das kann nur von gegenseitigem Interesse sein und bislang sind daraus auch fruchtbare und wunderbare Ergebnisse entstanden. Christian Zübert hat zum Beispiel seinen Debütfilm „Lammbock" mit uns gemacht. Das war recht ungewöhnlich, da der Film relativ teuer war und er damals noch wenig Erfahrung und keine klassische Ausbildung hatte. Doch Sönke Wortmann hat stark an ihn geglaubt und wir haben uns entschieden „wir probieren das aus". Es ist wunderbar zu sehen, welch herausragende und unterschiedliche Filme er mittlerweile macht, sowohl als Autor als auch als Regisseur. Genauso die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Christoph Schnee: er hat sich lange Zeit im Komödienfach bewegt. Und wir haben gesagt, er sollte auch mal was anderes machen. Also hat er bei uns zuletzt den „Tatort - Schmale Schultern" inszeniert und das hervorragend umgesetzt. Das ist dann auch eine Form von Aufbauarbeit. Ich bemühe mich jedenfalls sehr, dass junge Leute sich hier etablieren und freue mich auch überaus, wenn die Schauspieler in Nordrhein-Westfalen bleiben oder wenn Filmemacher ihre Firmen hier aufmachen. Da rolle ich auch jedem den Teppich aus, der nicht nach Berlin geht. Das ist für uns in NRW ein großes Problem. Wenn die Mieten in Berlin teurer und die Billigflüge weg wären, sähe das ganz anders aus.
In einem Interview sagten Sie mal „Es ist unsere Aufgabe als gebührenfinanziertes Fernsehen, mutig zu sein". Was wünschen Sie sich für die Zukunft und wie sollte sich das TV in der Hinsicht entwickeln?
Ja das stimmt! Den Satz habe ich damals in Bezug auf das Drama „Wut" geäußert. Wir machen nicht jeden Tag so einen Film. Es muss und darf auch nicht nur Filme geben, die ausschließlich provozieren. Das sollen sie einerseits zwar, aber sie müssen andererseits nicht immer desaströs ausgehen. Ich habe auch keine Hemmung, einen Filmausgang anzuregen, der ein positives Beispiel gibt. Es gibt ja auch geglückte Integration in Deutschland. „Wut" war zu seiner Zeit richtig und wichtig. Aber im Umfeld der Sarrazin-Debatte würde ich mir heute gut überlegen, wie man so einen Film gegenwärtig zeigt. Das ist eine Form von Sensibilität, die man haben muss. Ich habe aktuell einen beeindruckenden Dokumentarfilm „Rotkohl und Blaukraut" von Anna Hepp, einer KHM-Studentin gesehen, die zwei Familien beobachtet und zwar ein türkisches Geschwister-Paar, die beide mit Deutschen verheiratet sind. Welche Probleme und Freuden in so einer Familie aufkommen, wie es mit den Kindern läuft... Trotz aller Konflikte und dem gesellschaftlichen Spagat ist das unheimlich positiv und einfach toll anzuschauen. Man kriegt richtig gute Laune, weil die so ansteckend und humorvoll damit umgehen, wie sie ihre Probleme bewältigen. Aber mit „mutig" meine ich, dass wir Dinge machen, die nicht nur nach reiner Akzeptanz und Quote gehen sollten. Ein Stoff muss nicht immer nur „gefährlich" oder „schmusig" sein und muss auch nicht eskapistisch sein. Das Fernsehspiel hat die Aufgabe, sich der deutschen Wirklichkeit zu stellen und die ist nicht nur trist. Wir im WDR gehen zum Lachen nicht in den Keller. Eine gute Komödie und ein beißender Witz können ganz viel erreichen. Wir müssen offen in allen Genres sein. Der WDR hat eine große Tradition des sozialkritischen Fernsehspiels, des politischen Films und das machen wir auch gerne, aber nicht ausschließlich. Denn das Lachen ist das Schönste und das Befreiendste. Da gehört viel Entwicklungsarbeit dazu, aber das sind dann auch meine absoluten Sternstunden!
Vielen lieben Dank für das Gespräch!
Möchten Sie diesen Beitrag kommentieren? www.out-takes.de
Offizelle Website von Gebahrd Henke beim WDR: www.wdr.de
Elmira Rafizadeh ist 1981 in Teheran geboren und im Alter von fünf Jahren mit ihrer Familie in die BRD immigriert. Heute lebt sie in Köln und arbeitet als Schauspielerin und Journalistin.
Sie ist regelmäßig in Film- und TV-Produktionen sowie am Theater zu sehen. Parallel publiziert sie brachenspezifische Artikel, Filmkritiken und zahlreiche Interviews mit Experten.
Sie ist Patin und engagiertes Mitglied beim Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS). Seit dem Frühjahr 2011 absolviert Elmira ein zusätzliches Studium an der „Hochschule für Musik und Theater Hamburg“ im Institut „Kultur- und Medienmanagement“ (Bachelor) und bloggt für uns auf out takes | Dem Blog der Film- und Fernsehbranche.
Vertreten wird Elmira Rafizadeh durch die Agentur Thomas Wernicke (VdA).
Telefon: | 0221 - 94 65 56 20 |
E-Mail: | info@casting-network.de |
Bürozeiten: | Mo-Fr: 10:00 - 18:00 Uhr |
© 2005-2024 Gesichter Gesucht & casting-network
Internetagentur - die profilschmiede
Datenschutzeinstellungen