HINTER DEN KULISSEN | Unsere aktuelle Reihe
Die Schauspielerin (BFFS) und Journalistin Elmira Rafizadeh wird in den nächsten Monaten zahlreiche Fachleute aus der Branche für Sie interviewen.
Steckbrief:
Petra Müller studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Ethnologie an der Universität Köln. Sie startete ihre Karriere in einer Unternehmens- beratung für strategisches Marketing in Köln, bevor sie als wissen- schaftliche Mitarbeiterin zum Adolf-Grimme-Institut nach Marl wechselte. Am Grimme-Institut war sie Projektleiterin, später Direktorin des Film- und Fernsehfestivals Cologne Conference und anschließend geschäftsführende Gesellschafterin der gemeinsam mit Lutz Hachmeister und Martina Richter gegründeten HMR International-Gesellschaft für Medienberatung. Als Geschäftsführerin der Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH wechselte Petra Müller Anfang 2004 nach Berlin bzw. Potsdam-Babelsberg. Dort war sie u. a. verantwortlich für Strategie, Marketing und Kommunikation des Medienstandorts Berlin-Brandenburg. Sie war zuständig für die Förderung von Standortprojekten in Film und Medien sowie für die Förderung von innovativen audiovisuellen Inhalten. Seit September 2010 ist Petra Müller Geschäftsführerin der Filmstiftung NRW in Düsseldorf.
Viele Abschlussfilme glänzen bereits durch hochkarätige Besetzungen. Spielen die „Namen" in der Förderentscheidung eine Rolle? Und gibt es Bedingungen oder Anregungen dazu?
Die Besetzung eines Films ist eine Entscheidung der Kreativen, der Macher, Regisseure und der Produzenten. Wir freuen uns natürlich über die Mitwirkung prominenter Schauspieler, weil insbesondere bei Nachwuchsprojekten hierdurch eine größere Aufmerksamkeit erreicht wird. Und viele Schauspieler haben ja große Freude daran, mit jungen Filmemachern zusammenzuarbeiten, neue Perspektiven und Herangehensweisen kennenzulernen, während der Nachwuchs wiederum von der Erfahrung der Schauspieler profitieren kann. Da entsteht häufig gegenseitige Inspiration. Wir freuen uns aber ebenso über die Entdeckung neuer Gesichter und neuer Talente bei den Darstellern.
Kann denn eine höhere Fördersumme erwartet werden, wenn „Stars" mit an Bord sind?
Förderung funktioniert ein wenig anders: Der Produzent entscheidet, mit wem er arbeiten will. Er schnürt das Gesamtpaket inkl. der Schauspieler. Die Förderung erhält dann einen Antrag mit Regie, Drehbuch, Besetzung, Gesamtkalkulation und einem Finanzierungsplan etc. Über diesen Gesamtantrag entscheidet dann eine Förderjury. Selbstverständlich wird ein Film nicht billiger, wenn Stars mit an Bord sind. Umgekehrt steigen damit meistens auch die Chancen an der Kinokasse.
Mein Eindruck ist, dass wir in Deutschland gerade so etwas wie das Entstehen eines neuen Star-Systems beobachten können, Schauspieler und Schauspielerinnen, für die Menschen ins Kino gehen oder auch den Fernseher einschalten. Im besten Fall eröffnet das auch die Möglichkeit, komplexere Geschichten für eine größere Öffentlichkeit zu erzählen.
Werden Projekte, die bei Ihnen eingereicht werden, rein nach ihrer inhaltlichen Ästhetik und Qualität bewertet oder spielt wie bei Sendeanstalten auch die kommerzielle Erfolgsausrichtung eine Rolle?
Beginnen wir mit der Frage nach dem Erfolg. Bernd Eichinger hat mal gesagt: „Ein Film der keine Zuschauer hat, ist kein Film". Das ist sehr streng und streng genommen richtig und hat immer mit den inhaltlichen Qualitäten eines Projektes zu tun. Und zudem sollte man wissen, für wen man eine Geschichte erzählen möchte und wer sie wo sehen soll. Diese Frage immer wieder mit einer unproduktiven Gegenüberstellung von Kunst und Kommerz zu vermischen führt zu nichts. Denn am Ende des Tages will jeder Künstler, dass sein Werk wahrgenommen wird und dass er von seiner Arbeit leben kann. Im Falle des Films muss er das auch deshalb wollen, damit das Kino als Abspielort erhalten bleiben kann. Film ist die teuerste aller Künste. Man bemüht sich also besser, hier von einem kreativen Kontinuum auszugehen, statt die inhaltlich-künstlerische und die wirtschaftliche Perspektive immer wieder gegeneinander auszuspielen.
Diese Aspekte spiegeln sich dann auch in der Diskussion in der Fördersitzung wider: Förderung und Jury beschäftigen sich zunächst mit der Geschichte und dann mit der Gesamtaufstellung des Projektes, denn es gehört große Leidenschaft und Professionalität auf allen Ebenen und in allen Gewerken dazu, dass ein Film gelingt. Dazu gehört dann immer auch die Frage: „Geht jemand für diesen Film - für den wir gerade viel öffentliches Geld einsetzen - an einem Tag X gegen acht Uhr vor die Haustür? Am besten ist es, wenn Qualität und Resonanz miteinander einhergehen, wie zuletzt bei "Black Swan" oder "The King's Speech". Und ich glaube, alle Filmemacher sehnen sich nach diesem magischen Moment: Etwas zu erschaffen, das inhaltlich und ästhetisch überzeugt und die Menschen interessiert.
Ohne die Rückstellung oder den Verzicht auf Gagen durch die Darsteller würden viele wunderbare Produktionen der letzten Jahre nicht existieren. Werden Schauspieler in der Kalkulation von Nachwuchsfilmemachern mittlerweile von vorneherein außen vor gelassen?
Das kann man so nicht sagen. Diese Form der Rückstellung findet sich in der Regel in den Bereichen Debüt-, Abschluss- und Kurzfilm. Aber klar, angehende Regisseure und Produzenten schauen, ob sie renommierte Schauspieler für ihr Projekt gewinnen können, die den Weg mit ihnen gehen - auch ohne großes Budget, einfach weil sie es spannend finden. Viele Schauspieler wissen aus eigener Erfahrung, wie schwer die ersten Schritte sind und machen daher gerne mit.
Dennoch existieren sinkende Budgets, sodass teilweise qualitativ hochwertige Produktionen oder einzigartige Erstlingswerke ohne die Leidenschaft der Mitwirkenden sowohl vor als auch hinter der Kamera kaum realisierbar wären. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Wird „Low Budget" das neue „Branchenüblich"?
Dass Produktionsbudgets und Gagen grundsätzlich sinken, kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil. Auch die Gagen bekannter Schauspieler und Schauspielerinnen sind nach meinem Wissen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Aber zu beobachten ist eine stärkere Ausdifferenzierung zwischen ganz aufwendigen und teuren Produktionen auf der einen und wachsendem Kostendruck bei kleinen und mittleren Produktionen auf der anderen Seite. Und dann treffen wir noch auf eine weitere Problematik im Feld der Nachwuchs- und Talentförderung: Inzwischen werden in Deutschland sehr viele Regisseure, Produzenten und Schauspieler ausgebildet, sehr viele Abschluss-, Erstlings- und Nachwuchsfilme gefördert, eine große Zahl von Filmen ins Kino gebracht, die dort dann kaum wahrgenommen werden. Manche Brancheninsider stellen sich heute die Frage, ob diese Entwicklung sinnvoll ist - und vor allem, was aus den vielen Filmschaffenden werden soll, wenn die deutsche Filmindustrie ist nicht groß genug ist, um für alle adäquate Arbeitsbedingungen anzubieten.
Sicher sind die Bedingungen im Kino und im Fernsehen auch zu unterscheiden.
Im Prinzip ist das vergleichbar. Produzenten klagen einerseits über die immer härter werdenden Preisverhandlungen mit den Sendern. Gleichzeitig produziert teamworx für RTL Event-Zweiteiler wie „Hindenburg" mit einem Budget von 10 Millionen Euro. Bei einem Privatsender wie RTL, wo Geld durch Werbung verdient werden muss, setzt man hier dann alles auf eine Karte. Interessanterweise dann mit einem ganz jungen Regisseur, Philipp Kadelbach, und dem vergleichsweise unbekannten Hauptdarsteller Max Simonischek. Man muss die Dinge also immer im Einzelnen betrachten.
Welche Unterschiede sehen sie zwischen der Filmszene in Berlin und dem Medienstandort NRW?
Meine Lieblingsfrage (lacht). Berlin ist wie München ein traditioneller Filmstandort mit dem inzwischen wieder erfolgreichen Filmstudio Babelsberg vor der Haustür. Im Vergleich dazu ist NRW ein junger Filmstandort mit einer kleinen und kreativen Filmszene. Berlin ist die deutsche Hauptstadt, in der sich heute alle Kreativen aus Kunst, Kultur, Theater und Film treffen. Das wirkt sich auf alle deutschen Metropolen aus, indem es die Kreativen dort hinzieht. Dieser Sog verdankt sich u.a. auch den günstigen Lebenshaltungskosten. In Berlin ist es noch (!) ganz gut möglich, über die Runden zu kommen, selbst wenn man zeitweise kein festes Engagement hat. Das ist in Köln und München kaum möglich. In den letzten 20 Jahren wurde in NRW sehr viel dafür getan, eine fruchtbare Film- und Medienwirtschaft zu entwickeln. Mit der Filmstiftung verfügt NRW über die finanzstärkste Filmförderung. Viele der großen Medienunternehmen und wichtigen Auftraggeber, wie z.B. Verlage, Fernsehsender, die größten Produktionshäuser sitzen. NRW und Berlin - hier ist ein neues und fast komplementäres Bild entstanden, mit dem sich viele erst noch anfreunden müssen.
Dadurch, dass viele nach Berlin ziehen, entsteht auch dort ein gewisses Überangebot, das nicht mehr abgedeckt werden kann.
Das ist anzunehmen. Hier in NRW wollen wir uns in Zukunft noch stärker um den Nachwuchs und junge Unternehmen kümmern, sodass wir sie mit guten Rahmenbedingungen an den Standort binden können. Und alle, die in den letzten Jahren nach Berlin umgezogen sind, können gerne zum Arbeiten wiederkommen und dann bleiben. Ich sehe das entspannt, weil kleinteiliger Standortwettbewerb Keinem nützt. Das ist die „neue" Strategie (lacht).
Zum Abschluss: Wie sehen Sie denn die Beziehung von Film und neuen Medien?
Die Digitalisierung stellt auch das Filmemachen und die Filmbranche auf den Kopf. 3D-Technologie und visuelle Effekte spielen eine ganz große Rolle und erweitern die Möglichkeiten des Erzählens. Distributionsstrategien und Wertschöpfungsketten müssen neu gedacht werden. Fragen von großer struktureller und ökonomischer Bedeutung müssen gestellt werden, auch für die Zukunft des Kinos als Ort: Wie und wo sehe ich Filme? Via Download im Heimkino, auf dem Handy und wann gehe ich dann noch ins Kino? Hier ist Vieles im Begriff des Umbruchs, auch weil sich unsere gesamte gesellschaftliche Kommunikation verändert. Aber grundsätzlich bin ich davon überzeugt: Ein Film bleibt ein Film, denn was sich gerade verändert sind die Bedingungen von Produktion, Distribution und Rezeption.
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Offizielle Website der Filmstiftung NRW: www.filmstiftung.de
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Elmira Rafizadeh ist 1981 in Teheran geboren und im Alter von fünf Jahren mit ihrer Familie in die BRD immigriert. Heute lebt sie in Köln und arbeitet als Schauspielerin und Journalistin.
Sie ist regelmäßig in Film- und TV-Produktionen sowie am Theater zu sehen. Parallel publiziert sie brachenspezifische Artikel, Filmkritiken und zahlreiche Interviews mit Experten.
Sie ist Patin und engagiertes Mitglied beim Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS). Seit dem Frühjahr 2011 absolviert Elmira ein zusätzliches Studium an der „Hochschule für Musik und Theater Hamburg“ im Institut „Kultur- und Medienmanagement“ (Bachelor).
Vertreten wird Elmira Rafizadeh durch die Agentur Thomas Wernicke (VdA).
Telefon: | 0221 - 94 65 56 20 |
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