Steckbrief:
Der gebürtige Luxemburger Marc Conrad stieg noch während seines Studiums im Jahr 1983 in der Nachrichtenredaktion des Privatsenders RTLplus ins Fernsehgeschäft ein und wurde später persönlicher Referent von RTL-Gründer Prof. Dr. Helmut Thoma.
Im Jahr 1990 wurde er Prokurist des Senders und übernahm die Verantwortung für die Film- und Serienproduktion, woraufhin er 1992 Programmdirektor und stellvertretender Geschäftsführer wurde. Nach dem Wechsel von Thoma zu Gerhard Zeiler an der Spitze von RTL verließ Conrad den Sender und gründete zusammen mit Friedrich Wildfeuer die Produktionsfirma typhoon networks ag.
Zu ihren größten Erfolgen gehörten hier der Kinofilm „Das Experiment" (Casting: An Dorthe Braker | BVC) von Regisseur Oliver Hirschbiegel und die RTL-Serie „Abschnitt 40" (Casting: Silke Fintelmann, Sigrid Emmerich), für die Conrad 2003 beim Monte Carlo Télévison Festival als „Bester TV-Produzent Europas" sowie als bisher einziger Produzent mit drei Deutschen Fernsehpreisen in Folge für die Beste Serie ausgezeichnet wurde. Nach Gerhard Zeilers Rückzug von der Spitze von RTL wurde Conrad im November 2004 Geschäftsführer des Senders, verließ diesen Posten jedoch bereits im Februar 2005 wieder und kehrte als Produzent zur typhoon ag zurück. Hier realisierte er u.a. „Blackout", eine von der Süddeutschen Zeitung als „bestes Fernsehen des Jahrzehnts" gepriesene achtteilige Miniserie von Peter Keglevic und Hans Günther Bücking, sowie Dominik Grafs ehrgeiziges, vollkommen zu Recht mit Preisen überhäuftes Projekt „Im Angesicht des Verbrechens" (Casting: An Dorthe Braker/BVC | Nebencast: Stefany Pohlmann, Anne Walcher), welches zur Insolvenz der typhoon führte, da entgegen der acht bestellten und bezahlten Episoden wegen den Überziehungen von Graf Material für zehn Episoden vorlag, wie sie dann auch ausgestrahlt wurden.
Daraufhin gründete Conrad 2009 die Produktionsfirma ConradFilm, mit der er die TV-Filme „Die Dienstagsfrauen" (Casting: Franziska Aigner) nach dem gleichnamigen Bestseller von Monika Peetz unter der Regie von Olaf Kreinsen und aktuell „Und weg bist du" (Casting: Emrah Ertem) von Jochen Alexander Freydank produzierte.
Im Kinosektor entwickelt ConradFilm derzeit „Macho Man" (Casting: Emrah Ertem) von Torsten Künstler mit Friedrich Mücke in der Hauptrolle, „Vatertag" nach einem Buch von Lucy Astner, wieder zusammen mit Jochen Alexander Freydank und Emrah Ertem sowie „Für Elise" (Casting: Emrah Ertem), eine Zeitreise-Komödie mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle als Ludwig van Beethoven.
Im Interview mit der FAZ vom 3. August diesen Jahres machte sich Conrad für klar definierte Spielregeln bei Auftragsproduktionen stark, schließlich sei eine Produktionsfirma „auch ein Wirtschaftsunternehmen. Es heißt nicht umsonst Showbusiness, sonst hieße es Show-Show", sagte er der Zeitung.
Marc Conrad ist Mitglied der Deutschen und der Europäischen Filmakademie sowie in der Allianz Deutscher Produzenten - Film & Fernsehen.
„Als ein Phönix, der sich aus der Typhoon-Asche erhoben hat", wurden Sie jüngst beschrieben. Wenn Sie ein Tier oder Fabelwesen wären, wie würden Sie sich selbst charakterisieren?
Da bin ich überfragt, irgendwas Gutmütiges...
Wann wurde Ihre Produktionsfirma Typhoon geschlossen und Conrad-Film gegründet?
Am gleichen Tag, an dem wir Typhoon wegen der ARD-Produktion „Im Angesicht des Verbrechens" geschlossen haben. Das war am 1. April 2009.
Was charakterisiert Conrad-Film?
Wir entwickeln und stellen hochwertige fiktionale Produktionen, geschrieben von den besten Autoren, her. Das kann Kino oder auch Fernsehen sein, wobei es im Augenblick eher in Richtung Kino geht. Wir führen fort, was wir kommerziell erfolgreich und vielfach preisgekrönt zehn Jahre mit Typhoon für die Fernsehsender und Verleiher geleistet haben
Bedienen Sie auch den internationalen Markt?
Zwei neue Filme werden für den englischsprachigen Markt entwickelt.
Wie kommt überhaupt ein sogenanntes „Package" zustande?
Das alles Entscheidende ist das Drehbuch. Dann muss geprüft werden, mit welchem Regisseur das Buch im Sinne des Autors umgesetzt werden kann. Danach kommt der Caster mit dazu und so geht es Schritt für Schritt weiter. Die Basis bleibt das Drehbuch!
Welche Risiken trägt ein Produzent trotz Senderbeteiligung? In Amerika verpfändet Clint Eastwood beispielsweise sein Haus, um seinen Film zu machen. Wie sieht das in Deutschland aus?
Der Produzent trägt Sorge dafür, dass der Film finanziert ist, bevor er produziert wird. Die Fernsehrechte werden verkauft und der Verleiher zahlt eine Minimumgarantie. Ausschlaggebend für die Finanzierung sind die wesentlichen Beiträge der deutschen Förderer, ohne die Kinofilme nicht hergestellt werden können. Wenn das Budget geschlossen ist, trägt der Produzent das Risiko der Eigenmittel von mindestens 5% der Herstellungskosten. Wenn der Film nichts einspielt sind diese verloren. Ein weiteres Risiko ist, wenn die Produktionskosten überzogen werden, dann steht der Produzent dafür alleine gerade.
Inwieweit geht man in der Entwicklungsphase bereits als Produzent in Vorleistung?
In dieser Phase steckt der Produzent bereits viel Zeit und Geld in das Projekt. Wir haben momentan für ca. eine Viertelmillion Euro Projekte in Vorbereitung, für die wir später Verleiher suchen, wenn die Bücher entwickelt sind. Mehrere Stoffe werden parallel entwickelt. Bei „Die Dienstagsfrauen" hat die Vorbereitungsphase zwei Jahre gedauert, ebenso bei „Und weg bist du". Dieser finanzielle Aufwand wird in den Herstellungskosten von TV Produktionen in der Regel nicht abgebildet.
Was bedeutet Ihnen das freie Produzieren? Leidenschaft...
Ja, die Leidenschaft für Stoffe mit Relevanz. Gerade hat Zeitsprung Insolvenz angemeldet. Die Zeit der „unabhängigen mittelständischen" TV-Produzenten ist vorbei zugunsten der großen Produktionskonzerne. Die TV-Konzerne sorgen zunächst für die Auslastung ihrer eigenen Produktionstöchter. Den wenigen nicht konzerngebundenen TV-Produzenten fehlt oftmals das Eigenkapital, um einen längeren Entwicklungszeitraum ohne Produktion zu verkraften. Unabdingbar sind rigides Kostenmanagement und die Konzentration auf qualitativ sowie kommerziell erfolgversprechende Filme.
Welche Freiheiten und Pflichten haben Sie als Produzent im Verlauf der Realisierung eines Projekts?
Der kreative Produzent ist zunächst einmal der Auftraggeber und oftmals auch Initiator von allem. Da es sich beim Film um einen hochkomplexen Prozess handelt, liegen die Freiheiten und Pflichten in erster Linie darin, das richtige Team zusammenzustellen und für die Kommunikation zu sorgen. Muss der Produzent während der Produktion eingreifen, dann hat er zuvor an entscheidender Stelle die falschen personellen Entscheidungen getroffen. Gegen absichtliche Täuschungen ist man allerdings auch in diesem Gewerbe nie gefeit.
Worin liegen die Unterschiede bei der Realisierung bei Projekten in Bezug auf Fernsehen und Kino?
Die Unterschiede sind erheblich. Ausschlaggebend ist die Frage, für welches Publikum der Film produziert wird. Die Verleiher benötigen als Wirtschaftsunternehmen kommerzielle Stoffe, die im Kino ihr Publikum finden und welche die erheblichen finanziellen Investitionen wieder einspielen. Gleiches gilt für die privaten TV-Sender. Das öffentlich-rechtliche, gebührenfinanzierte Fernsehen hat eine Zielsetzung, die es ermöglicht, Geschichten wie „Im Angesicht des Verbrechens" zu erzählen, bei denen nicht ausschließlich die Reichweitenmaximierung im Vordergrund steht.
Meine Arbeit als Produzent ist erfolgreich, wenn sich beides zusammenfügt: Ein Film oder eine Serie, die qualitativ herausragend ist und zugleich ein hohes Besucher- oder Zuschauerinteresse erzielt.
Es ist immer noch die Kunst-Kommerz-Debatte...
In Deutschland sind die Einstellungen zur Medien- und damit Massenwirkung sehr stark durch die leidvollen Erfahrungen mit den menschenfeindlichen Diktaturen der neueren deutschen Geschichte beeinflusst. Auf Grund dieser Vergangenheit fühlen wir uns in Deutschland eher dazu verpflichtet, starken Wirkungsprozessen entgegenzuwirken, als sie zu fördern, was sich beispielhaft anhand der intellektuellen Verrenkungen mancher Kritiker durchaus amüsant beobachten lässt.
So hat sich in Deutschland gerade bei einflussreichen und hoch prämierten Film- und Fernsehschaffenden eine mehr oder weniger kritische Haltung gegenüber „Massenmedien" und „Zuschauererfolg" herausgebildet. Gegen die perfide Beeinflussung der Massen hat sich die Verehrung des aufgeklärten Individuums als Maß aller Dinge festgesetzt. So sehen viele hochqualitative Filme vor allem in den Konflikten des Individuums ihr inhaltliches Zentrum.
Daneben haben sich in Deutschland einige weitere „heilige Kühe" etabliert, die eine an starken Wirkungen orientierte Stoffentwicklung und Produktion behindern. Die Skepsis gegenüber medialen Beeinflussungsprozessen hat zum Beispiel zu der Auffassung geführt, im Bereich des filmischen Erzählens komme es auf „Authentizität" an. Filme und damit auch TV-Serien hätten „die Realität abzubilden". Dabei wird „Realität" jedoch oft mit Armut oder sozialer Benachteiligung verwechselt, weswegen als „authentisch" geltende Filme meist von sozialen Randgruppen handeln.
Andere wiederum meinen mit Authentizität so etwas wie realitätsgetreue Abbildung. Um dieser Forderung nachzukommen, nehmen unsere Produktionen oft einen ungemein hohen finanziellen Aufwand beim eigentlichen Dreh in Kauf. Wohingegen die amerikanische Film- und Fernsehindustrie einen wesentlich höheren Anteil der Produktionskosten für Autoren aufwendet. Der Eindruck von Authentizität beim Zuschauer ist nämlich weniger von Originalschauplätzen und Originalton abhängig, sondern teilt sich vielmehr über die inhaltliche Textur des Films, seiner Erzählung mit.
Ähnlich verhält es sich mit der Argumentationskeule „Qualität". Dieser Begriff wird häufig benutzt, um posthum Sendungen zu rechtfertigen, die aufgrund ihrer emotionalen Wirkungslosigkeit beim Publikum nicht ankommen. Von „Qualität" wird häufig dann gesprochen, wenn dem Film eine offensichtliche Ernsthaftigkeit eigen ist. Auch hierin kommt das tiefe Misstrauen gegenüber starken Wirkungen zum Ausdruck.
Was „Qualität" bedeutet, wenn man von Wirkungsprozessen, d.h. vom Zuschauer und Kinobesucher her denkt, wird nicht diskutiert. Man kann auch der Auffassung sein, dass sich Qualität und Wirksamkeit/Erfolg keinesfalls ausschließen. Die Qualität eines Films lässt sich daran messen, wie tief und wie wahrhaftig er seine Zuschauer berührt.
Wenn man Qualität in dieser Art versteht, schließen sich Publikumserfolg und Verantwortlichkeit nicht aus.
Was ist Ihnen wichtiger: eine gute Quote oder ein Grimme Preis?
Das „oder" gibt es für mich nicht; wenn man vom Wirkungsprozess und vom Zuschauer her überlegt.
Was macht für Sie einen „guten" Film aus?
Das Grundlegende im Kino und im Fernsehen ist doch, dass wir alle anstreben sollten, bei den Menschen durch die Arbeit des Regisseurs, des Schauspielers und des Autors und allen weiteren Beteiligten Wirkungen hervorzurufen. Der Satz von Bernd Eichinger bleibt für immer richtig: Ein Film ohne Zuschauer ist kein Film. Ob das jetzt ein Thriller oder eine romantische Komödie ist. Es geht um Wirkungen. Mit dem Zuschauer muss eine Kommunikation stattfinden. Für Lubitsch und Hitchcock ist der Zuschauer bei der Arbeit als dritte Person immer im Raum mit dabei.
Erfolgreiche Autoren und Regisseure bringen es fertig, die Seele des Zuschauers in ihren Bann zu ziehen.
Wie sehr lässt man sich als Produzent bei der Arbeit durch den Quotendruck beeinflussen? Sind Sie jemand, der schon morgens aufwacht und sofort schaut welche Einschaltquote Ihr Film hatte?
Nein! Hat man Erfahrung, dann weiß man von vorneherein, wie die Sache laufen wird. Ob es 10% Marktanteil werden oder 20% muss man vorher wissen. Wer diese Tendenz nicht im Vorfeld weiß, der hat den falschen Job erwischt.
Schauen Sie sich selbst TV- und Kino-Events an und sehen Sie dort einen qualitativen Unterschied?
Das Niveau ist in beiden Bereichen sehr hoch. Ein Problem ist, dass wenig Wert auf die Unterschiede gelegt wird. Ein Kinofilm setzt eine andere Entwicklung als ein Fernsehfilm voraus, weil er die Besucher zunächst dazu bringen muss, ins Kino zu gehen, sich eine Karte zu kaufen und sich auf dieses Erlebnis einzulassen. Das Kino bietet uns u.a. die Möglichkeit, Geschichten anders zu erzählen. Im Fernsehen sind die ersten Minuten ausschlaggebend, da entscheiden sich die Zuschauer, ob sie dranbleiben. Im Kino kann man dagegen langsam in den Film einführen und den Zuschauer in diesen Sog hineinziehen - was wir sehr begrüßen. In allen Departments gibt es große Unterschiede, sei es Kamera, Maske, Schnitt oder Ausstattung. Einen guten, unterhaltsamen Film zu machen ist ein sehr großer Aufwand, im Kino und im TV. Nicht jeder Film der auf einer Kinoleinwand gezeigt wird ist auch ein Kinofilm.
Sie selbst produzieren ja jetzt gerade das Sat 1 TV-Event „Und Weg bist Du". Wie pitcht man ein solches Projekt beim Sender?
Die Schriftstellerin Monika Peetz und ich hatten erst das Gefühl, dass dies eher ein Stoff für die öffentlich-rechtlichen Sender wäre, doch die zeigten kein Interesse. Dann habe ich das Buch Anne Karlstedt und Joachim Kossack von Sat.1 gegeben. Zwei Tage später rief Anne an: „Das ist so ein wahrhaftiger, aktueller und die Menschen berührender Stoff, den werden wir machen." Der Film erzählt die Geschichte einer krebskranken Mutter (Annette Frier), ihre letzten vier Wochen, wie sie von ihrer Familie und ihrer achtjährigen Tochter (Emma Schweiger) Abschied nimmt. Allerdings, und das ist das Besondere an dem Stoff, nicht als Melodram sondern als Tragikomödie! Eine Herausforderung für jeden Regisseur, die Jochen Alexander Freydank meisterhaft bewältigt hat.
Haben Sie der Redakteurin dann gleich das Drehbuch geschickt?
In diesem Fall war es ein sehr ausführliches Treatment.
Benötigen Sie dafür die Erlaubnis des Autors?
Der Produzent erwirbt die Rechte vom Drehbuchautor und im Idealfall überlegt man bereits vorher gemeinsam - bevor sich der Autor an die Arbeit macht - für welchen Verleiher oder TV Sender dies ein passender Stoff wäre, wie man das Projekt anzugehen hat, wie die Marktchancen sind, wie eine Marketingkampagne aussehen kann, wer Regie führen und spielen kann und so weiter.
Und wie sieht es hier bei Kinoprojekten aus? Bei „Macho Man" gab es ja eine Romanvorlage, haben Sie da bereits ihre Fühler bspw. bei der Frankfurter Buchmesse ausgestreckt?
Interessanterweise wollten der Schriftsteller Moritz Netenjakob und ich den Stoff „Macho Man" schon 2003 als Film realisieren, ich habe dann aber „Bluthochzeit" produziert. Vor drei Jahren rief mich Moritz an und erkundigte sich, ob er die Titelrechte zurückhaben könnte, um einen autobiographischen Roman zu schreiben. Dieser war dann ein Riesenerfolg auf dem Büchermarkt und nun entsteht der Film dazu.
Wie viel Einfluss nehmen Sie auf das Casting?
Auch hier verhält es sich so: Die Kunst besteht darin, die richtigen Kollegen zu finden und an einen Tisch zu bringen. Man muss seinem Gefühl vertrauen und wenn man mit dem richtigem Regisseur und Caster arbeitet, wenn man kreativ auf der gleichen Wellenlänge ist, geht die Rechnung auf. Wenn es allerdings soweit kommt, dass man als Produzent meint, bei der Besetzung entscheidenden Einfluss nehmen zu müssen, dann hat man schon eine falsche Entscheidung vorher getroffen was bspw. die Regie anbelangt. Bei der Besetzung der Hauptrollen zeigt sich schnell, wenn Produzent und Regisseur unterschiedliche Visionen von dem Projekt haben. Dann sollte man die Finger davon lassen.
Was macht einen guten Casting Director für Sie aus?
Das Allerwichtigste ist das Gefühl für das richtige Ensemble zu haben. Wen man mit wem kombinieren kann, damit die Besetzung als Ganzes funktioniert. Das ist schon eine Gabe.
An Dorthe Braker hat das Casting für „Bluthochzeit" gemacht. Dominique Deruddere, der für „Everybodys Famous" für den Oscar nominiert war und ein herausragender flämischer Regisseur ist, kannte kaum deutsche Schauspieler. Deswegen streite ich gerne, dass Casting Directors auch in die Deutsche Filmakademie aufgenommen werden.
Heutzutage beobachte ich, es werden immer die gleichen Schauspieler aus Til-Schweiger-Filmen, die Til und Emrah Ertem gecastet haben, besetzt. Da geht irgendjemand hin und sagt: „Lass uns mal die Ertem-Listen nehmen". Das finde ich schade, weil ein Caster auch andere gute Schauspieler findet, die in einem Kinofilm spielen können, aber es ist halt vermeintlich leichter, auf ausgetretenen Pfaden seine eigene Orientierung zu finden.
Haben Sie selbst Einfluss darauf, welcher Casting Director eingestellt wird? Oder lassen Sie das den Regisseur entscheiden?
Sehr oft persönlich, oftmals auch, bevor der Regisseur engagiert ist. Ich schätze den kreativen Austausch mit den Casting Directors, weil sie mich auf Schauspieler aufmerksam machen, die ich oft nicht kenne. Und die Caster lesen viel, haben ein gutes Gefühl für Stoffe und Drehbücher.
Achten Sie auf das „Casting", wenn Sie einen Film sehen?
Ja, darauf achte ich genauso wie auf Kamera, Musik, Ton, Schnitt, Maske und Ausstattung.
Welche Form des Castings überzeugt Sie am meisten? Bändersichten? Persönliches Treffen mit Livecasting?
Bänder würde ich mal sagen 20% und das persönliche Treffen 80%. Der persönliche Kontakt ist ausschlaggebend.
Wann steigen Sie in den Casting-Prozess als Auftraggeber mit ein?
Ich schaue mir die ersten Listen an, um ein Gefühl zu bekommen, ob wir alle auf der gleichen Wellenlänge liegen. Dann folgen intensivere Gespräche zwischen Regisseur und Caster. Ich komme dann spätestens zum gemeinsamen Gespräch wieder dazu, wenn bestimmt wird, wer zum Casting eingeladen wird.
Neben den vielen Datenbanken ist nun auch e-Casting en vogue. Was halten Sie von dieser neuen Form des Castings und haben Sie es selbst schon mal ausprobiert?
Was bedeutet e-Casting?
e-Casting bedeutet, dass man einer gezielten Gruppe oder einer breiteren „Masse" an Schauspielern oder Agenten Auszüge aus dem Drehbuch schickt mit der Bitte: „Bitte spiele die Passage ein und lade es dann im Internet hoch".
Ohne mit denen vorher geredet zu haben oder so?!
Ja!
Davon halte ich nichts. Das ist Missachtung der Arbeit eines Schauspielers. Ohne Regieanweisungen?.
Ja, ohne Regieanweisungen.
Respektlos.
Gibt es eine bewusste Herangehensweise, wenn man entscheidet, ob man ein Projekt mit bekannten oder unbekannten Schauspielern besetzt?
Zunächst steht die Überlegung im Raum, für wen der Film gedreht wird. Will man im Kinobereich mit den erfolgreichen Verleihern zusammenarbeiten, dann ist es unmöglich, den Film ausschliesslich mit No-Names zu besetzen. Es werden „bekannte Namen" verlangt, die die Marketingkampagne tragen können. Von diesen gibt es nur ganz wenige, so dass hinter diesen natürlich jeder wie hinter dem heiligen Gral herjagt.
Wie viele Schauspieler würden Sie zu dieser Gruppe zählen?
Ein halbes Dutzend. Wenn überhaupt. Bei denen die Leute sagen: „Das ist sein neuer Film, den will ich mir anschauen". Wenn in Frankreich Catherine Deneuve oder Gerard Depardieu einen neuen Film machen, gibt es zahlreiche Leute, die ihn sich nur aufgrund dieser Namen ansehen. In Deutschland gibt es da nur ganz wenige.
In den USA wird ein Film auch mit dem Regisseur oder dem Drehbuchautor beworben. Gibt es das hierzulande auch, dass ein Regisseur sein Publikum ins Kino zieht?
Da fällt mir nur Til Schweiger ein. Früher noch Leander Haussmann, Helmut Dietl, oder Detlev Buck. In Zukunft noch Matthias Schweighöfer wenn er weiterhin kommerziell erfolgreiche Filme dreht. Ich glaube nicht, dass einzelne Regisseure im Fernsehen so bekannt sind, dass die Leute da sagen: „Oh das ist eine Serie oder ein Film von dem und dem - den schaue ich mir an". Vielleicht Matti Geschonnek. Im Fernsehen zählen mehr die Schauspieler.
Somit sind wir hierzulande, wenn überhaupt, schauspielerfokussiert, sowohl im Kino als auch im Fernsehen?
So ist es. Was ich bedauere ist, dass die Autoren so schlecht weg kommen. Unerträglich, dass die Autoren zum Teil noch nicht mal in den Zeitungen oder Zeitschriften namentlich erwähnt werden. Die Basis, das Wichtigste ist das geschriebene Wort und das kommt vom Autor, der sich lange, manchmal Jahre mit dem Stoff beschäftigt, bevor ein Produzent und dann ein Regisseur dazu kommen. Dass er dann nicht mal namentlich erwähnt wird ist keine gute Entwicklung.
Welche Beziehung/Kontakt haben Sie zu Schauspielagenturen?
Über die Jahre habe ich viele Agenten persönlich kennen gelernt. Ich bin oft überrascht, wenn ich Tipps bekomme. Das sind hervorragende Agenten, die sich damit beschäftigen, welche Stoffe und Besetzungen „passen". Wie bspw. Andrea Lambsdorff jüngst bei Paula Behr von „Poll". Sie vertritt auch Hannah Herzsprung, die ich sehr mag und so kommt man dann ins Gespräch und dann hat man ein Projekt, das man mit Hannah bereden kann und andere Schauspieler werden ins Gespräch gebracht - so funktioniert das. Wenn man neugierig ist, ist das angenehm und bereichernd.
Wie engagieren Sie sich in der Branche?
Ich gehöre der Deutschen Filmakademie und der Produzentenallianz an und war fünf Jahre lang Mitglied der Jury des Deutschen Fernsehpreises. Meine Überzeugung lautet, daß am Ende des Tages das persönliche Engagement von jedem Einzelnen zählt. Man darf nicht denken: Es gibt die Filmakademie, es gibt die Produzentenallianz, da schiebt man dann alle Wünsche und Probleme hin - nach dem Motto „die werden die Dinge schon regeln". In dieser Branche ist jeder Einzelne gefragt.
Meine abschließende Frage wäre: Was wünschen Sie sich für die deutsche Produzentenlandschaft?
Mehr Mut, große Kino-Geschichten zu erzählen. Nicht groß im Sinne von teuer, sondern emotional. Wie wir es mit „Das Experiment" von Oliver Hirschbiegel geschafft haben. Im TV haben wir bereits eine so große Qualität bei den Fernsehspielen, da kann man gar nicht mehr verlangen, als weiterhin einen konstruktiven kreativen Dialog mit den Redaktionen und schnelle Entscheidungen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Offizielle Website zu ConradFilm:
www.conradfilm.de
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Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von "casting-network. Das Branchenportal". Mehr zu ihrer Person finden sie in der Rubrik: Über uns.
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